ADB:Johann Friedrich (Herzog von Braunschweig-Lüneburg (Hannover))
Herzogs Georg. In den Feldlagern des dreißigjährigen Krieges wuchs er auf; die akademische Bildung, die den älteren Prinzen des Hauses gewährt war, trat in seiner Jugend bereits hinter die militärische Erziehung zurück. Dennoch nahm er die kriegerischen Neigungen und Fähigkeiten des Vaters nicht in sich auf. Von der Mutter, Anna Eleonore, geb. Landgräfin von Hessen-Darmstadt, zu Gottesfurcht und echter Frömmigkeit erzogen; durch weite Reisen, die er nach der Fürstensitte jener Tage unternahm, vielseitig angeregt, entwickelte er sich zu feinsinniger Empfänglichkeit für die künstlerischen Genüsse, die wissenschaftlichen Probleme und die religiösen Güter des Lebens. Aber daraus entsprang der verhängnißvollste Schritt seiner Laufbahn. Auf einer italienischen Reise wurde J. F. vom Grafen [178] Rantzau, einem Convertiten, der kurz zuvor von einem gleichfalls convertirten Landsmann bekehrt war, zum Uebertritt in die katholische Kirche verleitet (1651). Die zu inbrünstiger Andacht und lebhaft umherforschender Dialektik ausgelegte Natur des Herzogs kam der Verführung entgegen. Indem die harte Ascese und gottselige Verzückung, die er in Klöstern der strengeren Regel bewunderte, sein Gemüth ergriff, nahmen die aus dem kirchlichen Alterthum und der katholischen Kirchenverfassung abgeleiteten Argumente Rantzaus und der Jesuiten, die sich mit ihm verbündeten, seinen Verstand gefangen und zwangen seiner Gewissenhaftigkeit den Uebertritt ab. Auf die erste Kunde von der Hinneigung des Herzogs zur katholischen Kirche setzte der cellische Hof, dem derselbe als apanagirter Prinz zugetheilt war, alles in Bewegung, um den bethörten Fürsten von den römischen Einflüssen loszulösen, allein die Abgesandten kamen zu spät. Und ein Religionsgespräch Johann Friedrichs mit dem jüngern Calixt blieb ohne Erfolg. Er faßte den Plan, sich im Kreise der römischen Cardinäle niederzulassen und hatte nichts dagegen, daß seine Freunde ihm den Cardinalshut zu verschaffen suchten. Aber Papst Innocenz X. behandelt den Convertiten mit vollständiger Gleichgültigkeit. Daher entschloß sich derselbe, die Aussöhnung mit seiner Mutter und seinen in Celle und Hannover regierenden Brüdern zu suchen. Er verlangte zuerst freie Ausübung der katholischen Religion in einem einzigen Gemach, aber die theologische Facultät zu Helmstädt sprach sich gegen die Gewährung der Bitte aus, und J. F. wurde abschlägig beschieden. Er verlangte darauf, um im Auslande bleiben zu können, eine Erhöhung seiner Apanage, und in diesem Punkte gelang es schließlich der Mutter, eine Aussöhnung des Abgefallenen mit seinen Brüdern herbeizuführen. Wir sehen seitdem den Herzog in der Fremde häufiger als in der Heimath: bald weilt er bei seiner Schwester, der Königin von Dänemark, die ihm herzlich zugethan war, bald hofiert er beim Kaiser oder knüpft mit andern katholischen Fürsten nachhaltige Beziehungen an. Ohne Aussicht auf die Nachfolge in den Herzogthümern, ohne Theilnahme an den Geschäften, aber von dem unruhigen Drange, sich thätig zur Geltung zu bringen, durchglüht, spinnt er vergebliche Pläne, bald um die Coadjutorei des Stiftes Münster, bald um die Großmeisterwürde des deutschen Ordens. Da eröffnet ihm der Tod seines ältesten Bruders, des kinderlosen celle’schen Herzogs Christian Ludwig (1665), die Stellung eines regierenden Herrn. Um dieselbe zu verbessern, wagte J. F. einen Staatsstreich. Nach dem Testament des Vaters stand die Wahl zwischen den Herzogthümern Lüneburg und Calenberg, die ewig ungetheilt bleiben sollten, dem ältesten Sohne zu, nach dessen Ableben also dem zweiten, Georg Wilhelm, der sich bislang mit dem kleineren Calenberg hatte begnügen müssen. J. F. gewann nun die einflußreichsten Räthe und Officiere des Verstorbenen und bemächtigte sich des reichen lüneburgischen Gebiets, dem sorglos in der Fremde weilenden Bruder zuvorkommend. Auf den Hülferuf Georg Wilhelms trat der Kurfürst von Brandenburg als Vermittler auf, J. F. aber setzte durch, daß auch Kurköln an den Tractaten theilnahm. Zugleich wurde auf beiden Seiten gerüstet, und die religiösen Gegensätze, die Europa entzweiten, schienen sich an diesem Bruderkriege von neuem entzünden zu sollen. Denn während die katholische Welt, Frankreich und der Kaiser voran, ihre Stimme für den Convertiten erhob, rührte sich auf der andern Seite Schweden, und rüstete Brandenburg für die protestantische Sache. Angesichts dieser Bewegungen willigte J. F., um nicht sein Haus dem sichern Ruin entgegen zu treiben, in die Anerkennung des Wahlrechts seines älteren Bruders, unter dem Vorbehalt, daß die Objecte der Wahl gegen einander ausgeglichen würden, und Georg Wilhelm ließ es geschehen, daß das lüneburgische Fürstenthum, welches er wählte, um die Landschaft Grubenhagen geschmälert ward. So ward J. F. Herr von Calenberg-Göttingen-Grubenhagen [179] (1665). Der wichtigste Act seiner Regierung, mit dem alles andere zusammenhing, war die Errichtung eines stehenden Heeres. Die bisherigen Versuche der Lüneburger waren vornehmlich an finanziellen Schwierigkeiten zerschellt. J. F. brachte ein Heer von 14 000 Mann zusammen, für dessen Unterhaltung er die Mittel theils von der Republik Venedig, der er Truppen für ihre orientalischen Kriege stellte, vornehmlich aber von der Krone Frankreich gewann, die ihm Subsidien für die Unterstützung ihrer Interessen in Deutschland gewährte. Mit der Armee erhob sich der Absolutismus des Landesherrn. J. F. beseitigte die letzten Reste landständischer Autorität. Als die Stände ungerufen zusammenzutreten unternahmen, genügte sein Machtwort zur Abstellung dieser Eigenwilligkeit. Die gesammte Landesverwaltung wurde allmählich in der Hand von vier Departementschefs, die zusammen den Geheimen Rath bildeten, concentrirt: der Herzog, der im Gegensatz zu seinen dem Genuß nachjagenden Brüdern mit unermüdlichem Eifer seines Amtes waltete, alle Berichte und alle Berathungen verfolgte, entschied überall selbst. Nicht einmal auf das Kirchenregiment des protestantischen Landes, das J. F. trotz seines Abfalls als summus episcopus führte, übten die Landstände Einfluß. Mit dem convertirten Fürsten kehrten die Kapuziner in die Residenzstadt zurück, sein Hofbischof wurde von der Curie mit dem apostolischen Vicariat im Norden betraut, und Hannover wurde der Mittelpunkt sowol der päpstlichen Propaganda als der kaiserlichen Bestrebungen für die kirchliche Reunion. Indessen die Einflüsterungen der Eiferer fanden beim Herzog kein Gehör, er hat im Gegentheil die protestantische Geistlichkeit gegen die Uebergriffe der Propaganda geschützt. Denn der Glaube war ihm zu heilig, um eine andere Einwirkung als die der freien Ueberzeugung zu dulden, wie denn überhaupt ein ernstes Streben nach der Wahrheit ihn beseelte. Nichts war ihm lieber als durch regen Verkehr mit gelehrten Männern seinem wissenschaftlichen Interesse Genüge zu thun. Eben darum berief er Leibniz an seinen Hof, und nichts legt für ihn ein besseres Zeugniß ab als die unwandelbare Verehrung, die Leibniz stets seinem fürstlichen Gönner bewahrt hat. Wie er für die Wissenschaft jene Bibliothek, die Leibniz verwaltete, schuf, so eröffnete er auch in Schauspiel und Oper der Kunst eine Statt, und Hannover wurde eine Zeitlang einer der Brennpunkte des geistigen Lebens in Deutschland. So gehört J. F. zu den wenigen Fürsten, denen der Hof Ludwigs XIV. ein Vorbild würdiger Nacheiferung geworden ist, die häßlichen Züge stellten sich erst unter dem Regiment seines Bruders Ernst August ein. Die glänzenden Erfolge dieses Nachfolgers haben die politische Wirksamkeit Johann Friedrichs, der dieselben vorbereitete, verdunkelt, und zwar um so mehr, da die Politik Ernst Augusts den Schein nationaler Gesinnung erweckte, während sich J. F. dem ferner Stehenden als ein die nationale Sache und die Eintracht seines Hauses untergrabender Parteigänger Frankreichs darstellte. In Wahrheit gab es für beide kein höheres Ziel, als sich und ihr Haus zu höherer Geltung und breiterer Macht emporzubringen. J. F. nahm sich dabei seinen Freund, den Kurfürsten Johann Philipp von Mainz, zum Muster und lavirte mit schmiegsamer Vorsicht durch die ihn und sein Haus umdrohenden Gegensätze der großen Mächte und der Mittelstaaten hindurch, keiner Partei völlig ergeben, keiner unversöhnlich feind, stets gerüstet, niemals schlagend, begehrlich heischend nach allen Seiten. Es ist unmöglich, hier alle Entwürfe und Abwandelungen seiner Politik zu verfolgen, ich übergehe auch seine Bewerbungen um den polnischen Königsthron. Die Hauptsache ist, daß gleichwie sein Mainzer Freund, auch J. F. unter dem Eindruck der die Integrität der deutschen Staaten gefährdenden Ueberlegenheit Frankreichs das gute Einvernehmen mit dieser Macht zum obersten Grundsatz seiner Politik erhob. Schon früher war im lüneburgischen Hause der Gedanke [180] aufgetaucht, mit französischen Subsidien einige Regimenter zu werben, aber die Beziehungen zu Frankreich waren doch auf den Rheinbund, an dem dies Haus den eifrigsten Antheil genommen hat, beschränkt geblieben. J. F. schritt, indem er alle dem französischen Könige unliebsamen Coalitionen mied, bei Beginn des holländischen Kriegs zu einem Subsidienvertrag mit ihm fort (1671), ohne sich indessen zu einem Offensivbündniß gegen Holland fortreißen zu lassen. Er behielt sich sogar das Recht vor, im Interesse seiner Dynastie nöthigenfalls den auf entgegengesetzter Seite stehenden Verwandten Hülfe zu leisten, und machte dem Könige die Rückgabe der deutschen Plätze, die er occupiren würde, zur Pflicht. Indessen diese Linie war nicht zu behaupten. Gelockt von der Aussicht auf Halberstadt, Minden und Ravensberg ließ sich J. F. das Jahr darauf (1672) zu einem Angriff auf Brandenburg, den unbequemsten Gegner des Königs, unter gewissen Umständen bereit finden und alliirte sich dann (1674) zu diesem Zweck auf Frankreichs Wunsch mit den Schweden. Als 1675 die Schweden Brandenburg überzogen, stand J. F. im Leinethal zu einem gleichen Anfall bereit, als der Kurfürst aus Süddeutschland herbeieilend Magdeburg erreichte und die schwedische Macht bei Fehrbellin zertrümmerte. Sofort brachen münstersche und dänische Truppen in die entblößten Elb-Weserlande der Schweden ein, und die am Rhein kämpfenden Fürsten des lüneburgischen Hauses eilten zur Wahrung ihrer Interessen herbei. Sollte sich da J. F. für seine Alliirten aufopfern? Der zweifelhafte Gewinn, den ihm ihr Sieg gebracht hätte, ließ sich jetzt sicherer aus ihrer Niederlage erraffen. Seine Beziehungen zu Frankreich hielten ihn daher nicht ab, mit der siegreichen Gegenpariei einen Neutralitätsvertrag abzuschließen, durch den er seinen Truppen die Quartiere außer Landes und sich einen Antheil an der Beraubung Schwedens sicherte (1675). Gleich darauf jedoch erneuerte er seinen ersten Vertrag mit Frankreich und hielt so sich und seinem Hause die Thüre offen nach der andern Seite. Die Eroberung der festen Plätze in den schwedischen Herzogthümern überließ er seinen Brüdern und ihren Alliirten; in dem Hader, der über die Theilung der Beute entbrannte, bewährte er wieder die Kunst, sich des einen zu versichern, ohne mit dem andern es zu verderben, und gab seinem Hause mehr und mehr die Direction nach der französischen Seite, um mit dem schwedischen Lande zugleich französisches Geld heimzubringen (1677). Auf dem Nymweger Congreß nahm er den alten Kampf seines fürstlichen Hauses gegen die Präeminenz der Kurfürsten auf, brach ihm aber die Spitze ab durch die vermittelnde Art und Weise, wie er die Ansprüche seines Hauses, durch die unter dem Pseudonym Caesarinus Furstenerius bekannte Schrift seines Leibniz begründen ließ. Durch den Nymweger Frieden gab Frankreich der Krone Schweden ihre verlorenen Provinzen zurück, dem braunschweigischen Hause blieb außer einigen Gerechtsamen nur ein einziges Stück des eroberten schwedischen Territoriums. Daher trat wieder der Gedanke, sich auf Kosten Brandenburgs zu bereichern, hervor. In dieser Absicht verbündete sich das lüneburgische Haus mit Frankreich, um den Kurfürsten von Brandenburg zur Unterwerfung unter den Nymweger Frieden zu zwingen (1679). Von allen im Stich gelassen, stand jedoch der Kurfürst vom Kampfe ab und rettete die Integrität seiner Lande. Wiederum sah sich J. F. und sein Haus enttäuscht. Seine letzte politische Action war, daß er einen Anfall der Dänen auf Hamburg abwehren half. Dann überkam ihn wieder mächtiger denn je der Gedanke, der ihn zuerst zur Zeit seit des Glaubenswechsels bewegt hatte, sich aller zeitlichen Sorgen abzuthun und „seine Vergnügung in Gott zu suchen“. In diesem Gedanken trat er wieder die Reise nach dem vielgeliebten Italien an: unterwegs, zu Augsburg, ereilte ihn der Tod (28. Decbr. 1679). Daß seine Ehe mit Benedicta Henrietta Philippina, Pfalzgräfin bei Rhein, söhnelos blieb – von den vier Töchtern [181] wurde die jüngste, Wilhelmine Amalie, mit Kaiser Joseph I. vermählt –, ermöglichte dem jüngsten der Söhne Georgs, Ernst August, Bischof von Osnabrück, der bereits zum Nachfolger des in Celle regierenden Bruders designirt war, die Vereinigung der lüneburgischen Lande.
Johann Friedrich, Herzog zu Braunschweig-Lüneburg (Hannover), geb. 1625, † 1679, war der dritte Sohn des streitbaren- Leibniz, Funeralien des Herzogs Johann Friedrich, ed. Klopp (Werke von Leibniz, IV). Memoiren der Kurfürstin Sophie von Hannover, ed. Köcher (Publicationen aus d. k. Preuß. Staatsarchiven, IV.). Rehtmeyer, Braunschw.-lüneb. Chronik. III. Pfeffinger, Historie des braunschw.-lüneb. Hauses. III. Spittler, Geschichte Hannovers. II. Schlegel, Kirchengeschichte von Norddeutschland. III. Havemann, Gesch. der Lande Braunschweig und Lüneburg. III. Guhrauer, Leibniz. I.