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ADB:Lier, Adolf

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Artikel „Lier, Heinrich Adolf“ von Hermann Arthur Lier in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 18 (1883), S. 631–636, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lier,_Adolf&oldid=- (Version vom 16. November 2024, 07:01 Uhr UTC)
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Lier: Heinrich Adolf L., Landschaftsmaler, geb. den 21. Mai 1826 zu Herrnhut, † den 30. September 1882 zu Vahrn bei Brixen. L. war der Sohn eines nicht ungeschickten Goldschmiedes aus dem Mecklenburgischen, welcher auf seiner Wanderschaft nach Herrnhut in der Oberlausitz, den Hauptort der Brüdergemeine, gekommen war und nach seiner Verheirathung mit einer von dort gebürtigen Bürgerstochter sein Handwerk aufgegeben und daselbst ein Material- und Colonialwaaren-Geschäft übernommen hatte. Schon als Kind trat seine ungewöhnliche Begabung für die Kunst vielfach zu Tage. Unermüdlich war er mit Zeichnungsversuchen beschäftigt und bedeckte Schulbücher und Hefte mit allerlei Caricaturen und komischen Gestalten seines kindlichen Humors. Mit 11 Jahren, 1837, wurde er von seinen Eltern in die Knabenerziehungsanstalt der Brüdergemeine zu Niesky bei Görlitz gebracht, wo er bis zum J. 1840 verblieb. Auch hier zog er sich durch seine Zeichnungen am unrechten Ort manche Rüge von Seiten seiner Lehrer zu, welche ihm im Uebrigen ein nicht ungünstiges Zeugniß über seine Fähigkeiten ausstellten. Als in seinem 15. Lebensjahr die Nothwendigkeit, einen Beruf zu wählen, an ihn herantrat, erklärte er mit größter Bestimmtheit Maler werden zu wollen, wol kaum mit voller Klarheit die Tragweite seines Entschlusses ermessend. Fehlte es doch in dem kleinen Orte bei den vielfach beschränkten Verhältnissen an jeglicher künstlerischer Anregung. Diese mochte er allein durch gelegentliche Besuche einer in Plauen bei Dresden wohnenden Tante gewonnen haben, bei welchen er schon als Knabe nie versäumte die Dresdner Galerie aufzusuchen. In ihren Räumen verweilte er dann Stunden lang, die Werke der alten Meister mit seltener Ehrfurcht betrachtend und mit einem so mächtigen Zauber von ihnen erfaßt, daß er meinte, sich gar nicht mehr von ihnen losreißen zu können. Sein Vorhaben stieß aber bei seinem Vater auf ernstlichen Widerstand, da dieser seinem Sohne eine sichere Zukunft zu bereiten [632] wünschte und die Malerei für kein ausreichendes Brot hielt. Er fand ein Auskunftsmittel darin, daß er den Sohn für das Baufach bestimmte und zur Erlernung desselben der Baugewerkenschule in dem nahen Zittau zuführte. Hier machte L. den ganzen Cursus durch und war auch drei Sommer hindurch als Maurerlehrling praktisch thätig. Zu Michaelis 1844 bezog er dann die Bauschule zu Dresden, welche damals unter Leitung des Professors Gustav Heine stand, während des Sommers 1845 jedoch noch einmal in Zittau bei einem Baue beschäftigt. Die ihm in Dresden gestellten Aufgaben erledigte er mit der größten Leichtigkeit, jedoch ohne mit innerem Antheil bei der Arbeit zu sein, da die Sehnsucht mit dem Pinsel zu schaffen bei ihm in dem Maße wuchs, als man ihn davon abzuhalten suchte. Trotzdem wurde ihm, als er im J. 1846 für die akademische Ausstellung einen „Entwurf zu einem herrschaftlichen, an einem Strom gelegenen Wohngebäude“ eingereicht hatte, die kleine silberne Medaille zuerkannt. Wol in Folge davon gelang es ihm, auf kurze Zeit Aufnahme in das Atelier Gottfried Sempers zu gewinnen. Aber auch bei diesem Meister fand er keine Befriedigung. So war er denn hoch erfreut, als sich ihm im Anfange des Jahres 1848 kurz nach dem Tode seines Vaters die Möglichkeit bot, in Basel unter Leitung des Architekten Melchior Berri bei dem dortigen Museumsbau eine Stellung zu finden, in der ihm in erster Linie die Anfertigung von Entwürfen für die Herstellung der Decken zufiel. Des geselligen und akademischen Lebens in Dresden überdrüssig eilte er also nach der Schweiz, schon auf der Reise mehrfach die ersten Vorboten der kommenden Revolution gewahrend, welche ihren Einfluß auch auf sein empfängliches Gemüth geltend machen sollte. Die in Basel seiner harrende Arbeit entsprach seinen Erwartungen wiederum nicht und vermochte seinen Geist in keiner Weise zu fesseln. Um so leichter konnte es geschehen, daß Männer wie Hecker ihn für ihre Ideen zu begeistern und so mit ihrem Freiheitsideal zu erfüllen wußten. daß er sich dem abenteuerlichen Freischaarenzug der Genannten nach Baden anschloß. Es dauerte geraume Zeit, bis der in seinem späteren Leben politisch so nüchtern denkende Mann diesen Jugendrausch, welcher sich nur aus einer seltenen Gutmüthigkeit und aus seiner Unbefriedigung mit seinem Berufe erklären läßt, wieder überwunden hatte. Nur die Liebe zur Malerei, die mächtig in ihm fortlebte, hielt ihn damals von weiteren Thorheiten ab und gab seinem Leben ein festes Ziel. Von dem Maler Carl Adolf Mende, einem geborenen Leipziger (1807–1857), in seinem Vorhaben bestärkt, fand er nun auch Mittel und Wege, seinen seit lange in ihm liegenden Entschluß, sich doch noch dieser Kunst zu widmen, zur Ausführung zu bringen. Allmählich löste er das ihn drückende Verhältniß zu Berri und begab sich unter die Leitung des Malers Süffert, der ihn bald nach München weiter empfahl. Im October 1849 siedelte er nach dieser Stadt über, um in ihr eine zweite ihm überaus liebe Heimath zu finden, welche dauernd zu verlassen er sich trotz zweier äußerst ehrenvoller Berufungen als Lehrer an deutsche Kunstschulen niemals entschließen konnte. So gelangte er denn bereits 23 Jahre alt dazu, seine Fähigkeiten in dem ihm allein zusagenden Lebensberufe auszubilden. Wiederholt hat er es ausgesprochen, daß er doch nur ein höchst mittelmäßiger Architekt geworden wäre, obwol Berri der Mutter die größten Hoffnungen in dieser Hinsicht machte und nur über Mangel an Ausdauer klagte, ja er meinte sogar, daß er auf jede andere Weise zu Grunde gegangen wäre und nur die Malerei ihn auch sittlich gehoben hätte.

Die ersten Schritte, welche L. in der Malerstadt that, waren von wenig Erfolg begleitet. Die von Süffert erhaltene Empfehlung blieb wirkungslos und als er bei dem Porträtmaler Joseph Bernhardt, einem Schüler Stieler’s, um Aufnahme in sein Atelier nachsuchte, fand er dasselbe so überfüllt, daß für ihn [633] kein Platz darin mehr zu gewinnen war. Da lernte er durch einen Zufall einen Landsmann, den Maler Richard Zimmermann aus Zittau, kennen, der selbst hoch begabt sich des wenig jüngeren Mannes in der wärmsten Weise annahm und ihm ein bewährter Führer und Berather ward. Nachdem er in dessen Atelier kurze Zeit hindurch mit Porträts und Genrestücken beschäftigt war, auch beim Maler Berdellé Köpfe und Acte gezeichnet hatte, wandte er sich ausschließlich dem Landschaftsfache zu, das seiner Neigung und Befähigung am meisten entsprach. Bald zeigte er sich als der beste Schüler, welchen Zimmermann je gehabt hatte, und aus dem Verhältniß des Schülers zum Lehrer wurde in kurzer Zeit ein herzlicher Freundschaftsbund. Verhältnißmäßig lange hielt L. mit seinen Arbeiten zurück; er erklärte später selbst, daß er es für einen unberechenbaren Vortheil halte, daß er nicht genöthigt gewesen sofort für den Verkauf zu arbeiten. Als er im J. 1855 im Münchener Kunstverein mit einer „Dorfpartie bei Habach“ hervortrat und damit zuerst in weiteren Kreisen Aufmerksamkeit erregte, erfreute er sich bereits eines geachteten Namens unter den Münchener Künstlern. Das zeigte sich z. B. auch darin, daß er im folgenden Jahre zum Jurator für die Beschickung einer Londoner Kunstausstellung gewählt war, eine Ehre, zu deren Aufsichnahme er sich damals wie später bei vielen ähnlichen Gelegenheiten in seiner Bescheidenheit nur ungern entschloß. Damals war es noch die großartige Gebirgswelt der Alpen und die schönen, stillen oberbairischen Seen, welche er sich zum Vorwurf für seine Bilder wählte. Da er das Bedürfniß fort und fort empfand, sich an der Natur selbst zu erfrischen und zu neuem Schaffen zu begeistern, zog er alle Sommer auf Studienreisen aus; kürzere oder ausgedehntere zu diesem Zweck unternommene Ausflüge führten ihn bald nach Tirol, bald ins Salzburgische, längere Zeit arbeitete er in Branneburg, wiederholt in der Ramsau und am Starnberger See, am liebsten aber weilte er am Chiemsee auf der Fraueninsel, wo er sich in dem Kreise der Haushofer und Ruben überaus wohl befand. Doch schon damals fühlte er, daß nicht das Gebirge mit seinen schwer wiederzugebenden Wundern, sondern die Hochebene um München, überhaupt das Flachland, seinem Pinsel die beste Gelegenheit zu künstlerischem Schaffen darböte, und was er später so oft zu äußern pflegte, daß er als Maler die Berge lieber in einer gewissen Entfernung habe, das sprach er schon im J. 1856 in einem aus Fischbach zwischen Rosenheim und Kufstein datirten Briefe aus. In dieser seiner ersten Periode entstanden unter Anderem folgende Bilder: „Abendlandschaft bei heranziehendem Gewitter“ (1856); „Steinbild mit Kapelle an der Bieber bei Branneburg“ (1857); „Starnberger See“ (1858); „Gegend bei Dachau“ (1859); „Sommermorgen“ (1860); „Abend an der Isar bei München“ (1862); „Strand bei Etretat an der Küste der Normandie“ (1863); „Abend am Kanal bei Schleisheim“ (1863); „Sommertag auf der Hochebene bei München“ (1863, gestochen von J. Richter).

Trotz mancherlei Erfolgen, wie es scheint, nicht ganz befriedigt von seinem Schaffen und im Drange, Größeres und Bedeutenderes zu sehen, als ihm damals in München auf dem Gebiete der Landschaftsmalerei geboten wurde, unternahm er im J. 1861 seine erste Reise nach Paris und Frankreich. Dort traten ihm zum ersten Male die großen Meister der französischen Landschaft, die Rousseau, Daubigny, Corrot, Dupré, Diaz, Troyon entgegen, welche damals in ihrer größten Blüthe standen. Zunächst war der Eindruck, welchen die Werke jener Künstler auf ihn machten, kein günstiger, das ihm durchaus Fremde und Ungewohnte jener realistischen Richtung frappirte ihn anfangs und so kehrte er nach einem zweimonatlichen Aufenthalt in Paris, nur unterbrochen durch einen Ausflug in die Normandie, unbefriedigt und mißmuthig nach München zurück. Das richtige Verständniß war ihm noch nicht gekommen, aber die erhaltenen Eindrücke [634] wirkten in ihm fort und ließen ihn nicht wieder los. Damals entwickelten sich in ihm jene Kunstanschauungen, welche ihm als Princip bei allen seinen weiteren Arbeiten vorschwebten und die er dann auf seine ganze Schule übertragen hat. Er hielt dafür, daß das einzig wahre Princip der Landschaftsmalerei darin liege, die Natur durch ihre schlichte Einfachheit wirken zu lassen und fand, daß auch das kleinste Stück Natur noch nachahmenswerth und reizvoll sei in sich um seiner selbst willen. So suchte er das Große in dem Einfachen, verschmähte den ganzen Apparat von Linien, Ueberschneidungen, Coulissen, die Häufung des Details zu Gunsten der Gesammtwirkung und legte auf den Totaleindruck und den Ton das Hauptgewicht. „Von dem Augenblick an, da mir diese Erkenntniß gekommen“, so sagt er selbst, „glaube ich erst wirklich das Verständniß für die Kunst empfangen zu haben.“ Er sprach es aus, daß ihm die genannten französischen Meister wie Lichtbringer erschienen seien und pries diese Wendung in seinen künstlerischen Anschauungen immer als die heilsamste, welche ihm für seine Arbeiten widerfahren. Um sich in diesem Sinne zu vervollkommnen wandte er sich im J. 1864 zum zweiten Male nach Paris, diesmal für längere Zeit. Dort begann er mit dem Studium älterer Meisterwerke im Louvre und copirte das und jenes Bild, welches ihn am meisten fesselte. Unter den lebenden französischen Malern übte Jules Dupré die größte Anziehungskraft auf ihn aus, so daß er diesem für den Winter 1864/65 nach Isle-Adam folgte, um unter seiner Leitung Studien nach der Natur, namentlich auch Stillleben, sowie Copien zu fertigen. Im nächsten Frühjahr nahm er dann einen dreimonatlichen Aufenthalt in England, hier wie auf der ganzen Rückreise, welche ihn über Hamburg zunächst nach Mecklenburg und dann nach Herrnhut und Dresden führte, fort und fort auf das eifrigste bemüht, die in Frankreich erlernte Malweise sich ganz zu eigen zu machen. Das Resultat seiner Studien gab er im folgenden Jahre (1866), als er eine „Abendlandschaft aus Mecklenburg“ zur Ausstellung brachte. Der Erfolg, welchen er mit diesem Bilde erzielte, war ein überraschender, obwol die Kritik vor dem Neuen wenigstens theilweise zurückscheute. Doch unbeirrt auf dem betretenen Pfade fortschreitend wußte er auch die Gegner durch die folgenden Werke zu gewinnen. Zu diesen seinen Ruf als einen der hervorragendsten Landschaftsmaler begründenden Bildern gehören in erster Linie folgende: „Herbstmorgen. Allee im Nebel“ (1867); „Dorfgasse in England bei Mondschein“ (1867); „Mondnacht an der Oise“ (1867, Dresdner Galerie); „Partie an der Elbe bei Pillnitz“ (1868); „Partie bei Schleisheim“ (1868). Als im J. 1869 die Münchener Künstlerschaft eine internationale Kunstausstellung veranstaltete, erhielt L. von derselben den Auftrag, die französischen und belgischen Maler zur Beschickung derselben persönlich einzuladen, wodurch er zu einer großem Zahl unter ihnen in nähere Beziehung kam. Selbst war er auf dieser Ausstellung mit den „vier Tageszeiten“, einem „Morgen“, „Mittag“, „Abend“ und einer „Nacht“, sowie mit einer „Isargegend bei München“ (päter im Besitz des Erzherzogs Carl Ludwig) vertreten. Diese Bilder machten seinen Namen weithin bekannt, so daß er Bestellungen und Aufträge im reichsten Maße erhielt. Lag so die Gefahr nahe, durch eilfertiges und handwerksmäßiges Arbeiten sich zu verderben, so wußte er doch derselben stets zu entgehen, da ihm seine künstlerische Ehre immer höher stand als die Aussicht auf Gewinn.

Um diese Zeit, im Herbste 1869, eröffnete L. in seinem Hause eine eigene Landschaftsschule, mit welcher er die größten Erfolge erzielte. Bald nahm er auf dem Gebiete der Landschaft eine ähnliche Stellung als Führer und Berather ein wie Karl v. Piloty auf dem der Historien- und Genremalerei. Er führte zuerst die „paysage intime“ der Franzosen in Deutschland ein, ohne dabei seine Eigenthümlichkeit einzubüßen und erzog auch seine Schüler nach dieser Richtung [635] hin. Aber er ließ einem jeden so viel wie möglich seine Eigenart und war stets bereit auch den Anschauungen anderer gerecht zu werden, wie denn Anerkennung fremden Verdienstes und seltene Billigkeit ihn schmückten. Neid über die Erfolge anderer Künstler war ihm völlig fremd. Doch schon im J. 1878 gab er diese seine Lehrthätigkeit wieder auf, um freier für sich selbst schaffen zu können, wol auch, weil er in Folge eines Schleimfiebers sich nicht mehr so kräftig und der Erholung bedürftiger fühlte. Dem Rathe des Arztes Gehör gebend fing er jetzt zu jagen an und brachte von seinen Streifzügen, die er meist in der näheren Umgegend von München anstellte, immer wieder neue Anregungen für seinen künstlerischen Beruf mit, die er jedoch nur zum kleinsten Theil noch zu Bildern verwerthete. Die Hochebene von München mit ihren so eignen, ebenso gemüthlichen wie melancholischen Reizen, mit ihren prächtigen, überaus stimmungsvollen Luftgebilden, die weiten Auen der wild dahin brausenden Isar, die gewaltigen, im mannigfaltigsten Blumenschmuck prangenden Flächen des Dachauer und Freisinger Mooses wuchsen ihm immer mehr ans Herz, und nichts dünkte ihm schöner als diese, dem flüchtigen Reisenden meist reizlos erscheinende Landschaft. Aber er verstand es auch in ganz besonderer Weise für seine Schöpfungen ihre Schönheit herauszufinden, ihr die Tiefe und Unmittelbarkeit seiner Empfindung mitzutheilen, ihr seine eigene poetische Stimmung aufzudrücken. Doch war er weit davon entfernt, einseitig sich in der Darstellung derartiger Motive zu verlieren. Eine Reise nach Holland, 1873 unternommen, reizte ihn zu einem großen Bilde, „Der Strand bei Scheveningen“ (jetzt in England), und als er im J. 1876 sich längere Zeit im schottischen Hochgebirge aufhielt, wußte er auch dort neue Anregungen und Vorwürfe für landschaftliche Darstellungen zu gewinnen. Nur die Reize Italiens hatten keine Anziehungskraft für ihn, und so hat er trotz mancherlei Plänen zum Besuche dieses Landes nur Venedig für ganz kurze Zeit gesehen. – Ein seit Jahren vorbereitetes, aber erst nach seinem Ende klar erkanntes Herzleiden erschwerte ihm mehr und mehr die Arbeit, sein trefflicher Humor verlor sich allmählich und der Hang, sich von der Gesellschaft, welche er früher sehr geliebt hatte, abzusondern und sich von allem zurückzuziehen, wurde immer größer. So war er auch in den letzten Jahren in seiner Kunst nicht mehr so eifrig wie einst, obwol gerade aus diesen Jahren (seit 1874) mehrere seiner bedeutendsten Gemälde herrühren. Er hoffte in Südtirol, wo er den Winter zuzubringen gedachte, Erholung und vollständige Genesung zu finden, als auf der Reise dahin am 30. September 1882 ein Herzschlag seinem Leben ein Ende machte.

Den Charakter und Inhalt seiner Gemälde, die seit seinem zweiten Pariser Aufenthalt entstanden, mit Worten zu beschreiben, dürfte kaum möglich sein. Gegenstand und Zeichnung treten seitdem verhältnißmäßig zurück, aller Nachdruck liegt auf der Stimmung, alle Wirkung beruht in erster Linie auf der feinen coloristischen Behandlung, aber durch die Feinheit der Naturbeobachtung und durch den Zauber der in ihnen lebenden poetischen Empfindung stehen diese dem Vorwurfe nach meist so einfachen Werke seiner zweiten Periode weit über jenen der ersten. Wir nennen von denselben außer den bereits angeführten noch folgende: „Kartoffelerndte“ (1870); „Vier Jahreszeiten“ (1871); „Landstraße im Regen“ (1872); „Nebelmorgen am Chiemsee“ (1872); „Winterabend“ (1875); „Buchenwald“ (1876); „Abend an der Isar“ (1877, in Besitz der kgl. Nationalgalerie, Photogravure von Goupil in Paris); „Abend im Moose“ (1878, Galerie des Münchener Kunstvereins); „Moosgegend bei Giggenhausen“ (1881); „Theresienwiese mit Ruhmeshalle“ (1882, im Besitz der kgl. bairischen Staatssammlungen); „Sonnenuntergang an der schottischen Küste“ (1882, kgl. Gemäldegalerie zu Stuttgart). Im März bis Mai 1882 fand in Berlin in den Räumen der Nationalgalerie eine Sonderausstellung von etwa 80 Werken Lier’s statt.

[636] Nach Briefen Lier’s, die bis 1861 ziemlich reichlich erhalten sind, Mittheilungen der Wittwe, des Malers Josef Wenglein in München und eigenen mündlichen Erzählungen Lier’s. Die bisher in Zeitschriften und Künstlerlexika’s über Lier zu findenden Nachrichten sind, weil durchaus ungenau, in biographischer Hinsicht fast ganz werthlos. Zahlreiche Kritiken bringen die Augsburger Allgemeine Zeitung seit 1855 und Lützow’s Zeitschrift für bildende Kunst, 1866–1882. Vgl. auch Friedrich Pecht im Deutschen Kunstblatt, herausgeg. von Theodor Seemann, 1882, Nr. 3, S. 20/21 u. Otto Baisch in „Vom Fels z. Meer“, 1883, Juli-Hft. 10, S. 433–441.