ADB:Meyern, Wilhelm Friedrich von

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Artikel „Meyern, Wilhelm Friedrich von“ von Anton Schönbach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 643–645, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Meyern,_Wilhelm_Friedrich_von&oldid=- (Version vom 25. April 2024, 08:44 Uhr UTC)
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Band 21 (1885), S. 643–645 (Quelle).
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Meyern: Wilhelm Friedrich v. M., zu Ansbach in Franken als Sohn eines Rentbeamten und Gutsbesitzers 1762 geboren, erhielt private Erziehung, vielleicht von übermäßiger Strenge, studirte in Altorf und Erlangen die Rechte und trat, nachdem seine Absicht, bei der englischen Marine anzukommen, gescheitert war, in die österreichische Armee zur Artillerie. Die militärische Pflicht ließ ihm Raum zu eigenen, in großem Umfange betriebenen Studien; als eine Frucht derselben kann man den Roman ‚Dya-na-Sore‘ ansehen, dessen erste Auflage 1787–1789, die zweite 1791–1800, die dritte 1840 in fünf Bänden erschien. Mit zwei jungen Männern unternahm er, als Lieutenant quittirend, eine Reise nach Kleinasien, der Türkei, Griechenland, Italien, Polen, Ungarn, welche mehrere Jahre dauerte. Im Anfang des neuen Jahrhunderts scheint er wieder Antheil am öffentlichen Leben genommen zu haben, wurde Hauptmann in der österreichischen Armee und arbeitete mit großem Eifer und Erfolg an der Organisirung von Landsturm und Landwehr 1809–1812. Er betheiligte sich an den nächsten Kriegen und förderte mit Canova 1815 die Auslieferung italienischer Kunstwerke aus Paris an die ursprünglichen Besitzer. Er hielt sich dann mit dem österreichischen Gesandten Grafen Kaunitz längere Zeit in Spanien auf, gehörte [644] 1820 zur militärischen Umgebung des Feldmarschalls Fürsten Schwarzenberg und war bei diesem, als er in Leipzig starb. Er wurde dann pensionirt, jedoch durch Verwendung des Generals Langenau bei der Militärcommission der Bundesversammlung in Frankfurt angestellt. Dort ist er im Mai 1829 gestorben. – Diese dürftigen Nachrichten machen so ziemlich Alles aus, was über M. bekannt ist; ganz geflissentlich hat er sein Leben beobachtender Aufmerksamkeit entzogen, in seinen Schriften sorgfältig alles Persönliche ferngehalten und so erreicht, daß große Partien seiner Existenz völlig im Dunkeln liegen. Zu dieser Heimlichkeit hat sein Abscheu vor Biographien, vor Allem aber seine Jugendbildung beigetragen, die den Drang nach Isolirung in ihm ausbildete, welcher vermöge seiner ausgebreiteten Bücher- und Weltkenntniß innerhalb der militärischen Kameradschaft nur verstärkt worden sein wird. Auch sein gedrucktes Hauptwerk ‚Dya-na-Sore oder die Wanderer’ war anonym erschienen, erst in der letzten, durch v. Feuchtersleben, Meyern’s Freund, besorgten Auflage ist der Name des Verfassers beigefügt worden. Es ist dies ein Roman, angeblich aus dem Sanskrit übersetzt, der die Träume eines jungen, edelgesinnten, nach Thätigkeit dürstenden Mannes darstellt, welcher, hart erzogen, das Leben am rauhesten Ende anfaßt, dem ein Kriegsheld im Dienste eines den höchsten Bildungszielen zustrebenden Staatsorganismus das Ideal bildet. In der spartanischen Phantasie des Erzählers haben Frauen keinen Platz, kaum daß ein oder das andere Mal ein weiblicher Name erwähnt wird, an Stelle der Liebe gilt Patriotismus als treibende Leidenschaft, Ehrgeiz füllt die Seele aus. Diese Gesinnungen werden in sehr loser Form vorgetragen, von künstlerischer Composition ist gar nicht die Rede, Personen treten auf, um spurlos zu verschwinden, Episoden bleiben folgenlos für das Ganze. So ist es fast glaublich, wie erzählt wird, daß nicht M. selbst, sondern ein Freund aus den umherliegenden Papieren die Geschichte zusammengestellt habe. Nur Eins bleibt fest: die Bildung einer geheimen Gesellschaft, welche die Größe des Vaterlandes, das von Feinden geknechtet wird, herzustellen unternimmt und damit zugleich Zwecke der Humanität anstrebt. Die Aeußerlichkeiten des Bundes sind zumeist den Freimaurern (theilweise den Rosenkreuzern) entlehnt, auch Manches von den Prüfungen, welche im ersten Bande berichtet werden. Bis auf einige Naturbeschreibungen ist Alles abstract in der Weise der älteren orientalisirenden Romane gehalten (auch Haller’s „Usong“, ganz insbesondere aber die „Insel Felsenburg“ haben M. beeinflußt), Ereignisse bilden nur andeutende Fäden für Gespräche. Das Bedeutende und Wirksame des Buches liegt in der energischen Männlichkeit, die unverholen, schroff, rücksichtslos dem weichlichen Kleinmuth der Zeit sich entgegenstemmt. Die Umarbeitungen in den späteren Auflagen heben diese Lebensanschauungen noch stärker hervor und lassen die Geheimbündelei zurücktreten. – Die aus hinterlassenen Manuscripten auserlesenen Aphorismen beziehen sich auf die höchsten Fragen des Lebens: Stellung des Menschen zur Natur, zu den Menschen, Principien der Wissenschaft, Kunst, Religion. Neben ganz abstrusen und trivialen Sätzen, welche mit Dilettantenneigung durch Distinctionen vorkant’scher Art die Probleme erschöpfend zu lösen meinen, findet sich auch sehr viel Tiefes und Originelles, von eigenartigem, starkem Denkvermögen zeugend. Danach ist die Vergessenheit, in welche M. gesunken ist, als bitteres Unrecht zu beklagen. Seine Sprache ist ungemein kräftig, schwungvoll, ja fast dithyrambisch, reich an neuen, frischen Wortbildungen und Zusammensetzungen, kühnen Bildern und Wendungen, dabei knapp, präcis und in hohem Grade eindrucksvoll. Die leider nur wenigen zerstreut veröffentlichten Briefe sind ausgezeichnet durch feine Beobachtung, vortreffliche Schilderung und bei aller Herbigkeit doch von behaglichem Humor. – M. war eine geschlossene, scharfkantige, durchaus ernste, für große praktische [645] Aufgaben der militärischen Organisation besonders angelegte Persönlichkeit, deren hohen Werth die Vornehmen alle zu schätzen wußten, die mit ihm genauer verkehrten, wenn auch sein Mangel an Geschmeidigkeit, seine rauhe Bedürfnißlosigkeit und Sonderlingsart ihn nicht zu einer Stellung gelangen ließen, in welcher seine bedeutende Kraft sich voll hätte entfalten können.

Die Ausgaben des Romanes „Dya–na–Sore“; Hinterlassene kleine Schriften W. F. Meyern’s ed. Dr. Ernst Freiherr v. Feuchtersleben, im 1. Bande eine Lebensskizze vom Herausgeber und etliche Briefe; der Artikel im 17. Bande von Wurzbach’s Biographischem Lexikon. – Das Trauerspiel „Die Regentschaft“ nach dem Englischen, Züllichau 1795 (Goedeke I, 1117) war mir nicht zugänglich.