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ADB:Neuhof, Theodor Freiherr von

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Artikel „Neuhoff, Theodor Freiherr von“ von A. W. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 848–851, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Neuhof,_Theodor_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 15:17 Uhr UTC)
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Neuhoff *): Theodor Stephan Freiherr von N., König von Corsica. – Theodor v. N. († am 11. December 1756) entstammte einem alten westfälischen Adelsgeschlechte. Wie sehr viele Thatsachen aus seinem Leben, so stehen auch sein Geburtsort und das Datum seiner Geburt nicht fest. Nach einer Angabe ist er in einem kleinen Fort im Gebiete von Metz, das sein Vater commandirte, nach Anderen in Westfalen und zwar in Altena, wohin seine Mutter sich nach dem Tode ihres Gatten vor der Geburt des Sohnes begeben haben soll, geboren. Wegen des Datums der Geburt hält man sich am besten an die bestimmte Nachricht, daß N. im 69. Lebensjahr am 11. December 1756 gestorben ist. Danach wäre er 1688 oder Ende 1687 geboren. Ueber seine Kindheit und frühe Jugend ist nur wenig Zuverlässiges zu ermitteln. Als sicher kann gelten, daß er entweder posthum geboren wurde, oder seinen Vater früh verlor, daß er also ohne starken, zügelnden, männlichen Einfluß aufwuchs, der seine überquellende Phantasie und seinen außerordentlichen Thatendrang in die richtigen Bahnen gelenkt hätte. Wie sein Vater, wandte er sich nach Frankreich und wie dieser fand er in der pfälzischen Liselotte, Herzogin von Orleans, eine wohlwollende Gönnerin. Er wurde Page bei ihr und erhielt so die Gelegenheit, sich im französischen Hofdienst viele Elemente der Bildung des Geistes und des Charakters, gute und schlechte, anzueignen, die den Westfalen erst zu seiner erstaunlichen Laufbahn befähigten. Später wurde er als Officier in verschiedenen französischen Regimentern angestellt, zeigte aber frühzeitig seine Neigung zu Leichtsinn und Spiel in so hohem Grade, daß er sich, schon wegen seiner Schulden, nicht zu halten vermochte. Von diesem Moment an ist er Abenteurer geworden und geblieben, freilich, wie man mit Recht gesagt hat, von den zahlreichen Abenteurern der damaligen Zeit der preiswürdigste. Veranlaßt durch den Kriegsruhm Karls XII. oder, was wahrscheinlicher ist, durch eine entfernte Verwandtschaft mit dem Freiherrn v. Görtz begab er sich, vor seinen Gläubigern fliehend, nach Schweden. Von Görtz scheint er gut aufgenommen worden zu sein. Nach dessen Sturz mußte er Schweden verlassen. Wir finden ihn dann in der Umgebung von Alberoni, Ripperda und Law, sich also erfolgreich immer wieder an merkwürdige Männer der Zeit herandrängend, die, wie er selbst, gedankenreich und geschickt, auf verschiedenen Gebieten Neues und Unerhörtes, aber mit unzureichenden Mitteln, zu erreichen strebten, und die in der Geschichte weiterleben als Mittelgebilde zwischen Genies und Schwindlern. In ihrer Umgebung wurde offenbar sein Charakter für den Rest seines Lebens festgelegt. Betrachtet man Neuhoff’s späteres Leben mit seinen unerhörten, wenn auch ephemeren, Erfolgen, so wird man sich auch nicht darüber wundern, daß er bei diesen Geistesverwandten immer wieder zu Stellung und Ansehen gelangte. Mehrfach soll er in ihrem Dienste sich große Vermögen erworben, diese aber dann wieder verloren haben. In Spanien heirathete er eine, wie es scheint, aus Irland stammende Hofdame der Königin, die ihm auch einen Sohn gebar; die Ehe war indeß nicht von langer Dauer, da N. seine Gemahlin bald wieder verließ. Wieder finden wir ihn in Frankreich, dann an verschiedenen Punkten Europas auftauchend; bei Rakotzy von Siebenbürgen soll er gelebt, auch dem Sultan sich genähert haben. Meist mittellos und vor Gläubigern fliehend, verstand er es doch immer wieder, als Grand [849] Seigneur reisend aufzutreten, und als solcher vorübergehend Credit zu erhalten. Im Verlauf seiner oft fluchtartigen Reisen gelangte er schließlich auch einmal nach Genua und hier knüpfte er Beziehungen an, die für sein ganzes späteres Leben entscheidend wurden.

Die Insel Corsica hatte sich gegen die Herrschaft Genuas erhoben. Es schien aber dieser Freiheitskrieg des kleinen Bergvölkchens ein schnelles und übles Ende nehmen zu sollen. Mehrere der Häupter der Bewegung wurden gefangen nach Genua gebracht. Vielleicht mit ihnen, jedenfalls mit anderen Corsen, die er in Genua traf, knüpfte N. Beziehungen an. Er begab sich darauf nach Livorno, wo der Domherr Orticoni für die Sache seines Volkes zu werben suchte. Mit ihm setzte er sich in Verbindung und durch ihn mit andern Führern in Corsica. Wie er es auch sonst oft in erstaunlicher Weise vermochte, die Menschen von der Solidität seiner finanziellen und sonstigen Ressourcen zu überzeugen, verstand er es den Corsen den Gedanken beizubringen, daß er der Mann dazu sei, durch seine persönlichen Eigenschaften und vor allem durch seine Verbindungen mit vielen Höfen Europas der Herrschaft Genuas in Corsica ein Ende zu bereiten. Es scheint, daß die corsischen Führer ihm gleich damals für den Fall, daß er genügende Truppen und Kriegsmittel für den Kampf mit Genua zusammenbringe, die Königswürde in Aussicht stellten. Bei der Ausführung des lockenden Planes zeigte N. seine einzigartige Betriebsamkeit. An den Höfen Europas und speciell Italiens trotz geschickten Versprechungen abgewiesen, verstand er es dennoch, persönlich und durch Agenten in Europa Geld aufzunehmen. Vor allem aber gelang ihm vieles in Tunis, wohin er sich (wie es scheint, mit Geleitbriefen an den Bei von Seiten der Pforte versehen) begab. Nach mehrjährigen Bemühungen hatte er nach seiner Ansicht genug Kriegsvorräthe und Geld beisammen, um den kühnen Versuch wagen zu können. Am 12. März, nach anderen Angaben am 13. März 1736 landete er in Aleria. Er brachte einige Kanonen, Tausende (die Zahlen werden verschieden angegeben) von Flinten, Röcken, Stiefeln, ferner Munition, Mehl und Geld mit. Er wurde, angethan in phantastischer, halb orientalischer, halb europäischer Kleidung, von seinen Freunden, die auf seine Ankunft vorbereitet waren, im Triumph eingeholt und durch den Titel Excellenz und Vicekönig (oder „designirter König“) geehrt. Nach einigen kleinen Erfolgen Neuhoff’s den Genuesen gegenüber, trat auf Betreiben der bedeutendsten corsischen Führer (darunter Hyacinth Paoli, der Vater des berühmten Freiheitshelden Pasquale Paoli) in Alesani ein Convent von Abgeordneten des ganzen corsischen Volkes zusammen, der am 15. April 1736 N. durch Zuruf zum erblichen König wählte. Unmittelbar darauf wurde er mit einer Krone aus Lorbeer und Eichenlaub gekrönt. So wurde der westfälische Edelmann König von Corsica, die Revanche dafür vorwegnehmend, daß dereinst ein corsischer Edelmann, ebenfalls vorübergehend, König von Westfalen werden sollte. N. war keineswegs absoluter Monarch; vielmehr hatte er bei seiner Wahl eine Art von Constitution unterschrieben, wonach neben ihm ein Rath von 24 Mitgliedern stand, von denen 3 immer bei ihm sein mußten. Auch war er bei der Erhebung von Steuern an die Zustimmung des Parlamentes gebunden, das auch das Gesetzgebungsrecht erhielt.

Theodor I. zeigte alsbald in seiner inneren Regierung, daß er bei geistig regsamen Politikern in die Schule gegangen war. Möglich auch, daß er dem „Fürsten“ des Machiavelli Regeln für die Befestigung seiner jungen Herrschaft entnahm! Er führte persönlich ein einigermaßen geregeltes Gerichtsverfahren ein. Er suchte eine geordnete Finanzwirthschaft einzurichten und Truppen und [850] Beamte regelmäßig zu besolden. Er zog Handwerker nach Corsica, u. a. durch Gewährung von Religionsfreiheit. Durch einige Hinrichtungen wußte er sich auch gefürchtet zu machen. Er stiftete einen Orden „der Befreiung“ und verlieh zahlreiche Adelstitel und Hofämter. Er prägte Münzen mit seinem Bilde, die heutzutage von Sammlern sehr gesucht sind, die aber auch schon während seiner kurzen Regierungszeit im Auslande mit dem 30-fachen ihres Werthes bezahlt worden sein sollen; ein böses Omen für die Dauer der Herrschaft Theodors! Denn trotz aller Energie und Regsamkeit des Königs war es von vornherein unwahrscheinlich, daß er sich als Oberhaupt des durch Parteiungen zerrütteten und nur ungern regierten Volkes würde halten können; unwahrscheinlich, wenn auch gewiß nicht unmöglich! Allein, es wurde ihm gar keine Gelegenheit gegeben, dauernd seine Herrschergaben zu erproben; denn die eigentlichste Grundlage seiner Herrschaft war noch gar nicht gelegt: die Genuesen, zu deren Vertreibung er zum König berufen worden war, vermochten sich zu halten! Zwar nahm er den Kampf gegen sie sofort mit der höchsten Energie auf: er erwiderte ihre Schmähschriften mit gleicher Münze – es ist schwer zu sagen, welcher von den Gegnern dabei witzloser vorging –; er zeigte im Gefecht, sich öfters exponirend, persönlich den größten Muth; er errang in Scharmützeln eine Reihe von kleinen Erfolgen. Allein er konnte nicht in wenigen Wochen aus dem äußerst unpraktisch organisirten Volksaufgebot der Corsen ein wirkliches Heer machen, dessen es, vornehmlich zu den nothwendigen Belagerungen, bedurft hätte. So behaupteten sich die Genuesen in einer Reihe von wichtigen Punkten, vor allem in Bastia, das N. vergebens belagerte. Die Anerkennung auch nur eines europäischen Hofes zu erlangen vermochte er nicht. Seine Erklärungen, daß weitere Truppen und Kriegsvorräthe zu erwarten seien, fanden auf die Dauer keinen Glauben, wenn auch einen Augenblick die Ankunft eines westfälischen Vetters des Königs, v. Droste, seinen Optimismus zu bestätigen schien. (Dieser Droste und ein Neffe Theodors v. Neuhoff, kämpften auch noch nach des Königs Abreise lange Zeit für ihn.) In dieser Lage, bei der Ungeduld des lebhaften Volkes, bei seiner Erregung über Verluste an Gut und Blut und über den Druck des ungewohnten, dauernden Kriegsdienstes, bildete sich bald eine große Partei, welche die Beseitigung des Königs erstrebte. An ihre Spitze stellte sich Hyacinth Paoli, zuerst eine der Stützen Neuhoff’s; bald wurde die Lage Theodors I. unhaltbar. In seiner unerschrockenen Weise beschloß er aber, sich nicht aus seinem Reiche fortzuschleichen, sondesn in einer Versammlung, in der auch seine Feinde vertreten sein würden, offen seine Absicht kundzuthun, Corsica auf einige Zeit zu verlassen, um persönlich Hülfe herbeizuholen. Dies geschah Anfang November 1736 zu Sartene. Wenige Tage darauf setzte er eine Regentschaft ein, in der auch Paoli wirken sollte, und verließ gegen Mitte November die Insel, nach einem Aufenthalt von 8 und einer Königsherrschaft von 7 Monaten.

Noch zwei Mal kehrte Theodor I. in sein Königreich zurück, und zwar vom September bis zum November 1738 und dann wieder Ende Januar 1743. Wie lange er dieses letzte Mal verweilte, ist nicht genau zu ermitteln, doch scheint es sich nur um wenige Wochen gehandelt zu haben. Blieb ihm also der dauernde Erfolg versagt, so ist doch seine Thätigkeit nach der ersten Abreise November 1736 eine auch in ihren Resultaten geradezu staunenswerthe gewesen. Vor der zweiten Ankunft gelang es ihm, einige große Kaufherren in Holland, vornehmlich jüdische Häuser, zu gewinnen, sodaß er stattliche Kriegsmittel theils vorausschicken, theils mitbringen konnte, die allerdings nur zum Theil gelandet wurden. Die letzte Landung dagegen wurde mit englischer Unterstützung und [851] zwar, wie es scheint, sogar mit geheimer Connivenz der Regierung unternommen. Man staunt, wenn man dergleichen vernimmt (vor allem über die Gewinnung der holländischen Hülfe) und wird nicht umhin können, eine besondere fascinirende Wirkung dieser Persönlichkeit und ihrer phantasievollen Beredsamkeit anzunehmen. Der zweite Versuch scheiterte, abgesehen von dem Mißtrauen der Corsen und dem Standhalten der Genuesen, an einem dritten, neuen Moment, nämlich an dem Eingreifen Frankreichs. Nach der ersten Abreise Theodors, am 12. Juli 1737, hatte Frankreich sich auf Bitten Genuas verpflichtet, die Republik durch eine Armee bei Unterwerfung der corsischen Rebellen zu unterstützen. Der Cardinal Fleury ließ sich zu diesem Schritt verleiten, weil er befürchtete, daß sich eine andere Macht auf Corsica festsetze, wahrscheinlich eben durch Neuhoff’s Erfolge aufmerksam gemacht, die er sich nicht ohne den Rückhalt an einem Staate erklären zu können meinte. Vermuthlich dachte er in erster Linie an Spanien. Im Februar 1738 landeten französische Truppen auf Corsica. Der Befehlshaber, Graf Boissier, unternahm nun zwar anfangs eher eine bewaffnete Vermittelung, als einen Kriegszug an der Seite der Genuesen, aber als N. landete, nahm er sofort eine äußerst drohende Haltung gegen ihn an und trug so das Meiste zu seinem Mißerfolg bei. Die dritte Landung fiel in die Zeit nach der Zurückziehung der französischen Truppen (1741). Dieses dritte Unternehmen scheiterte in kürzester Zeit an der nahezu allgemeinen Abneigung der Corsen gegen die Herrschaft Theodors.

N. zog sich, nachdem er noch jahrelang, vornehmlich von Italien aus, die corsischen Verhältnisse beobachtet hatte, 1749 dauernd nach England zurück. Dort ereilte ihn endlich das Schicksal, dem er bisher, von vorübergehenden Ausnahmen abgesehen, in so wunderbarer Weise entgangen war: er wurde in den Schuldthurm geworfen, wo er 6 Jahre lang, zuletzt in äußerster Dürftigkeit, lebte. Im Jahre 1755 wurde er infolge der Insolvency-Act befreit; aber seine materielle Lage wurde erst im Jahr darauf wieder erträglich, und zwar in Folge einer Sammlung, die Horace Walpole zu Neuhoff’s Gunsten veranstalten ließ. Dieser schenkte dafür seinem Gönner das Großsiegel seines Reiches, während er die Schar der Gläubiger auf sein Königreich Corsica verwies. Wenige Monate darauf starb er, am 11. December 1756. Er wurde auf dem Friedhof von St. Anne in Westminster bestattet. Walpole verfaßte eine Grabschrift, deren zweiter poetischer Theil mit dem Satze schließt, daß das Schicksal: bestow’d a kingdom and denied him bread!

Theodor v. N. ist zweifellos eine merkwürdige Persönlichkeit; gewiß ein Lump, aber ein ins Geniale gesteigerter. Denn Genie wird ihm nicht abgesprochen werden, wenigstens nicht von dem, der mit jenem Engländer „Genie“ definiren mag als „die Fähigkeit sich anzustrengen“. Seine Tapferkeit, seine Thatkraft, sein Geschick, Menschen zu behandeln und zu überzeugen, sind über jede Bewunderung erhaben. Er erhebt sich aus der Schar der politischen Abenteurer der Zeit, schon weil der Kampf für seine Krone zugleich der Freiheitskampf eines hochgemuthen Völkchens war, und sein Leben ist schließlich, als Ganzes genommen, ein erfrischender Beleg für den Satz, daß ein Mann von Geist und leidenschaftlichem Wollen auch das scheinbar Unmögliche zu erreichen vermag.

Varnhagen von Ense, Biographische Denkmale I. 2. Aufl., Berlin 1845, S. 257–362. Ebd. S. 368–370 zahlreiche weitere Litteraturangaben. – F. Gregorovius, Corsica, I. u. II. Band. 2. Aufl., Stuttgart 1869.
A. W.

[848] *) Zu Bd. LII, S. 614.