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ADB:Pillersdorff, Franz Freiherr von

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Artikel „Pillersdorff, Franz Freiherr von“ von Hanns Schlitter in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 135–137, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pillersdorff,_Franz_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 16. November 2024, 06:37 Uhr UTC)
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Pillersdorff: Franz Freiherr von P. wurde in Brünn im J. 1786 als der Sohn des Gerichtsrathes und späteren Hofrathes Franz Freiherrn von P. geboren. Nach Absolvirung der juridischen Studien an der Universität zu Wien im J. 1805 trat er ins praktische Leben und eröffnete seine Beamtenlaufbahn in Galizien. Dort verblieb er bis 1807, in welchem Jahre er als Hilfsarbeiter in den Staatsrath berufen und an der Seite des damaligen Staatsrathes, Freiherrn v. Baldacci, verwendet wurde. 1808, also 24 Jahre alt, rückte er zum jüngsten Official vor. Baldacci war zu jener Zeit der vertreuteste und einflußreichste Rathgeber des Kaisers Franz, mit dem er die Abneigung gegen Napoleon und dessen Eroberungspolitik theilte. Da nun Baldacci’s Stellung den Mittelpunkt aller militärischen, administrativen und politischen Maßregeln bildete, welche sich auf den im J. 1809 ausgebrochenen Krieg bezogen, war P. Gelegenheit geboten, an diesen Arbeiten eifrigen Antheil zu nehmen. Der Feldzug fiel unglücklich für Oesterreich aus und hatte bekanntlich einen äußerst nachtheiligen Frieden zur Folge. Die bisherigen Rathgeber des Monarchen mußten anderen Männern Platz machen. Der leitende Minister Graf Philipp Stadion trat zurück und Graf Clemens Metternich nahm seine Stelle ein. Auch Baldacci wurde eine andere, dem Centrum der Regierungsgewalt entferntere Position angewiesen, P. aber zur Hofkammer versetzt, in welcher er 1811 zum Hofsecretär, und 1815 zum Hofrathe vorrückte. P. war nunmehr genügende Gelegenheit geboten, die arge Zerrüttung kennen zu lernen, in welcher sich der Haushalt des österrreichischen Staates befand, und einzusehen, wie nöthig eine Reform, aber auch, wie ungemein schwer eine solche durchzuführen sei. Eine durchgreifende Umgestaltung wäre nur durch eine beträchtliche Reduction der Armee ins Werk zu setzen gewesen; man konnte jedoch auf keinen dauerhaften Frieden rechnen, da trotz der inzwischen erfolgten Familienverbindung die Stellung Oesterreichs zu Frankreich eine gespannte blieb. Die Ereignisse der Jahre 1812–1815 erhöhten noch die Schwüle, welche in der politischen Atmosphäre herrschte und alle Gemüther beengte. Baldacci wurde zum Armeeminister ernannt und zugleich zur obersten Leitung der Landesadministration in den occupirten Gebietstheilen Frankreichs berufen, wobei ihm P. an die Seite gegeben wurde. Diesem bot sich nunmehr durch einen längeren Aufenthalt in Frankreich und die bald darauf erfolgte Bereisung Englands die beste Gelegenheit dar, vergleichende Studien anzustellen und zu begreifen, daß doch einmal daran geschritten werden müsse, auch in Oesterreich dem Volke Antheil an der Gesetzgebung und der sonstigen Leitung seiner eigenen Angelegenheiten zu gewähren. Doch war für Oesterreich noch nicht der Zeitpunkt hierzu gekommen; denn Kaiser Franz war zu mißtrauisch und hielt alles fern, was nur im Geringsten der alleinigen Geltung seines eigenen Willens hindernd in den Weg treten konnte. Nach beendigtem Kriege trat P. wieder in die Hofkammer ein, deren oberste Leitung inzwischen Graf Philipp Stadion übernommen hatte. Beider Streben ging nunmehr [136] dahin, der sehr bedrohlichen Lage der österreichischen Finanzen abzuhelfen. Eine schwierige Aufgabe, wenn man bedenkt, daß die Menge des vorhandenen Papiergeldes nahezu 700 Millionen betrug; doch wurde sie im Laufe der Jahre, wenn auch nur zum Theil gelöst, indem das bisherige Papiergeld aus dem Umlaufe verschwand und an seine Stelle Metall und diesem gleichwerthige Banknoten traten. Ja der Staatsvoranschlag für das Jahr 1830 stellte sogar einen Ueberschuß in Aussicht. Doch war man hierbei zu einem Punkte gelangt, wo man der so wichtigen Frage gegenüberstand: Ob Repräsentativsystem oder nicht? Denn um die gewonnene Basis des zum Theile geordneten Finanzwesens festzuhalten, fehlte noch die Oeffentlichkeit in der finanziellen Gebahrung, und die Gewißheit, daß die einzelnen Ministerien die ihnen eröffneten Credite nicht überschritten. Die Zukunft Oesterreichs lag in der Lösung dieser Frage, da das finanzielle Moment noch viel bedeutsamere in sich begriff. Aber man schreckte vor einem Repräsentativsystem zurück; diejenigen, welche dem Throne am nächsten standen, wollten von einer Lösung der Finanzfrage in dem Sinne nichts wissen, daß sie sich zu einer Verfassungsfrage gestalten sollte, – und das war ja doch ihr eigentliches Wesen. Die nächste Folge dieser autokratischen Voreingenommenheit war die Störung der kaum errungenen Ordnung der Finanzen und das Streben nach einer gewaltsamen Lösung des Knotens. Die Julirevolution des Jahres 1830 in Frankreich erhöhte die Spannung, welche in den verschiedenen Classen der Bevölkerung herrschte, und zunächst veranlaßte sie Oesterreich zu kriegerischen Rüstungen, die nothwendiger Weise der finanziellen Regelung hindernd in den Weg traten. P., welcher der Ansicht war, daß man nicht Angesichts der Möglichkeit, die neue Regierung in Frankreich könnte eine feindliche Politik verfolgen, von dem bisherigen Bestreben abweichen sollte, den Staatshaushalt ganz in Ordnung zu bringen, wurde bei dem im J. 1832 stattfindenden Wechsel der Leitung der Finanzen von dort entfernt, und als Kanzler bei der vereinigten Hofkanzlei zur Theilnahme an der inneren Verwaltung berufen; er empfing gleichzeitig die Würde eines wirklichen Geheimen Rathes. Ein neues Gebiet eröffnete sich ihm, ein Feld, auf welchem seit der Regierung Joseph’s II. keine sichere Hand den Pflug gelenkt hatte. Wie viel Unkraut war auszurotten, welche Hindernisse mußten erst aus dem Wege geschafft werden, um das Wohl eines Volkes zu begründen, das sich bis jetzt nicht hatte frei entwickeln können! Und je hartnäckiger man daran festhielt, keine Aenderung der bisherigen Zustände eintreten zu lassen, um so höher steigerte sich die allgemeine Unzufriedenheit mit denselben, um so gewaltiger wurde insbesondere das Bestreben, den geistigen Druck abzuschütteln, welcher durch die ebenso strenge als manchmal recht geistliche Handhabung der Censur geübt wurde. Nur so konnte es geschehen, daß auch patriotisch gesinnte Männer mit einer Art von Sehnsucht dem Gewitter entgegen sahen, welches von Frankreich drohend herüberzog, und sich gewaltig auch über Oesterreich entlud.

Das morsche Regierungssystem brach zusammen, Fürst Metternich trat zurück, und bald mußte ihm auch das Ministerium Ficquelmont folgen. P., dem schon am 20. März die Leitung des Innern zugewiesen worden war, wurde am 4. Mai zum Ministerpräsidenten ernannt. Hatte P. einen Augenblick gehofft, das österreichische Staatsgebäude ruhig und maßvoll reorganisiren zu können, so vereinigte sich bald alles – die italienischen und die ungarischen Wirren, die Unruhen in Wien, die deutschen Verhältnisse – um ihn an diesem redlichen Vorhaben zu hindern. Als die unerwartete Abreise des Hofes es zu einer Ehrensache für das Ministerium machte, nicht zu resigniren, blieb auch P. treu auf seinem Posten. Daß er an den von der Krone ausgegangenen Zugeständnissen festhielt, war gewiß und zu billigen, aber andererseits läßt sich auch wieder [137] nicht leugnen, daß der Widerstand zu schwach war, welchen P. den stets von neuem auftauchenden, sich mehr und mehr überbietenden und überstürzenden Forderungen entgegenzusetzen wußte. Er drang auf Zusammenberufung des Reichstages und auf Ausschreibung der Wahlen, wobei er jedoch jeden Verdacht eines Regierungseinflusses zu vermeiden suchte. Aber die öffentlichen Verhältnisse waren inzwischen in einen solchen Zustand der Verwirrung und der Zerrüttung gerathen, und P. zeigte sich so wenig geeignet, sie zu beherrschen und allmählich wieder zu ordnen, daß seine Stellung immer schwankender wurde und er endlich am 8. Juli vom Staatsruder zurück und als Deputirter in den Wiener Reichstag trat. Hier war sein Platz im rechten Centrum, wo Männer saßen, welche den ernstesten Willen zeigten, die neue Regierung zu unterstützen. Nicht immer wohnte er ihren Versammlungen bei, um sich seine Unabhängigkeit zu bewahren; aber nie kam eine Abstimmung vor, in der er nicht im Sinne der Regierung gestimmt hätte. Nach Auflösung des Reichstages 1849 wurde Pillersdorff’s ministerielle Wirksamkeit, sowie seine Haltung während der Septembertage einer Disciplinaruntersuchung unterzogen, und ihm eröffnet, „daß sein ferneres Erscheinen in der geheimen Rathsstube nur mit Mißfallen gesehen werden würde“. Ebenso wurden ihm die unter den früheren Regierungen erlangten Auszeichnungen entzogen. Wie ungemein schmerzlich mußte dieser Vorgang P. berühren, dessen Bemühungen in den verschiedenen Stellungen, welche er durch 43 Jahre eingenommen hatte, wie er selbst sagt, fortwährend darauf gerichtet waren, „durch Vorschläge zu ruhigen Reformen die Anlässe zur Unzufriedenheit zu beseitigen, die Macht und das Ansehen der Regierung, das Vertrauen zu ihr zu befestigen“.

P. lebte nunmehr in tiefster Zurückgezogenheit. Ihm war das Loos beschieden, „nicht unter den Verurtheilten, sondern unter den Geschmähten zu stehen“. Aber seine Mitbürger suchten die Wunde zu heilen, welche ihm geschlagen worden, und vertrauensvoll beriefen sie ihn nach der Wiedereinführung verfassungsmäßiger Zustände in Oesterreich in das Abgeordnetenhaus (1861). Der Greis, welcher schon am Ende seiner Tage angelangt war, nahm mit freudiger Bereitschaft das Mandat an und waltete als Obmann des Finanzausschusses redlich seines Amtes. Wenig Wochen vor seinem Tode wurde er durch die Gnade des Kaisers in seine früheren Rechte wieder eingesetzt. Nur die Würde eines Ehrenmitgliedes der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften war ihm niemals genommen worden. Die Rede, in welcher nach dem am 22. Februar 1862 erfolgten Tode Pillersdorff’s der Generalsecretär der Akademie, Anton Schrötter, in der feierlichen Sitzung vom 30. Mai dieses Jahres seiner ehrenvoll gedachte, verwischte die letzte Spur des Schimpfes, welchen ihm seine einstmaligen Ankläger angethan hatten.