Zum Inhalt springen

ADB:Reichardt, Heinrich Wilhelm

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Reichardt, Heinrich Wilhelm“ von Ernst Wunschmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 268–270, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reichardt,_Heinrich_Wilhelm&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 06:47 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Reichel, Theodor
Band 53 (1907), S. 268–270 (Quelle).
Heinrich Wilhelm Reichardt bei Wikisource
Heinrich Wilhelm Reichardt in der Wikipedia
Heinrich Wilhelm Reichardt in Wikidata
GND-Nummer 117521531
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|53|268|270|Reichardt, Heinrich Wilhelm|Ernst Wunschmann|ADB:Reichardt, Heinrich Wilhelm}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117521531}}    

Reichardt: Heinrich Wilhelm R., Botaniker, geboren zu Iglau in Mähren am 16. April 1835, † in Mödling bei Wien am 2. August 1885. Da Reichardt’s Vater frühzeitig starb, übernahm die Mutter die Erziehung des einzigen Sohnes und führte sie aufs sorgfältigste durch. Schon während der Gymnasialzeit in Iglau zeigte sich in dem Knaben eine ausgesprochene Vorliebe für die Pflanzenwelt, die durch den Verkehr mit seinem väterlichen Freunde, dem Wiener Botaniker Alois Pokorny Anregung und Nahrung erfuhr und ihn noch als Schüler zur Abfassung einer in den Sitzungsberichten der Wiener zoologisch-botanischen Gesellschaft 1854 erschienenen Abhandlung: „Beitrag zur Flora Nordböhmens“ befähigte. Nach bestandener Reifeprüfung ging R. 1855 nach Wien, um Medicin zu studiren, ließ aber daneben sein Lieblingsfach, die Botanik, nicht aus dem Auge, worin ihn die Professoren [269] Fenzl und Unger bereitwilligst förderten. Den Abschluß seiner Studienzeit bildete nach Absolvirung des Staatsexamens die Promotion zum Dr. med. im April 1860. Bereits vorher hatte R. durch Publication einer morphologischen Arbeit: „Ueber hypocotylische Adventivknospen und Wurzelsprosse bei krautartigen Dicotylen“ (Berichte der zoolog.-bot. Gesellsch. in Wien, Band VII, 1857) und zweier anatomischen Abhandlungen: „Ueber das centrale Gefäßbündelsystem einiger Umbelliferen“ (Sitzungsber. der Wiener Akademie, Bd. XXI, 1856) und „Ueber die Gefäßbündelvertheilung im Stamme und Stipes der Farne“ (Denkschr. d. Wiener Akad., Bd. XVII, 1859), sowie einer floristischen Skizze: „Flora des steiermärkischen Bades Neuhaus bei Cilli“ (Zoolog.-bot. Gesellsch. Bd. X, 1860) sich als botanischer Schriftsteller vortheilhaft bekannt gemacht. Die Folge war seine Berufung als Assistent an den Wiener botanischen Garten im J. 1860, während er sich gleichzeitig an der Universität als Privatdocent für Morphologie und Systematik der Pflanzen habilitirte. Auf Fenzl’s Veranlassung trat R. außerdem als Volontär in das damals unter der Direction jenes Botanikers stehende Hofcabinet ein und rückte erst zum Assistenten, dann nach Th. Kotschy’s Tode 1866 zum Custosadjunkten und ein Jahr später zum Custos auf. Nach Fenzl’s Rücktritt im J. 1878 übernahm dann R. die oberste Leitung des Instituts, die er bis zu seinem Tode behielt, in welcher Eigenschaft er noch die Uebersiedlung der Sammlungen in das neue Gebäude des naturhistorischen Hofmuseums und ihre Neuaufstellung durchführte. Wesentliche Verdienste erwarb sich R. um die wissenschaftliche Bestimmung und Ordnung des reichen Kryptogamenmaterials des Instituts, das dadurch erst der gelehrten Welt zugänglich wurde. Da ihn seine Lehrthätigkeit an der Wiener Hochschule neben seiner Stellung am Hofcabinet und seine vielfache Bethätigung an den Geschäften verschiedener wissenschaftlicher Vereine zu stark in Anspruch nahm, so legte er 1870 die Assistentenstelle am botanischen Garten nieder, übernahm aber dafür eine ähnliche an der Universität und wurde darauf 1873 außerordentlicher Professor. Seine umfassenden floristischen Kenntnisse, besonders auf dem Gebiete der niederen Gewächse veranlaßten den damaligen Redacteur der Martius’schen Flora brasiliensis A. W. Eichler, R. zu seinem Stellvertreter in den Redactionsgeschäften bei diesem umfangreichen Werke vorzuschlagen. Die brasilianische Regierung ging darauf ein und bestätigte R. in dieser Stellung 1870. Die Redactionsthätigkeit nahm ihn bis 1880 in Anspruch, während er als wissenschaftlicher Mitarbeiter die Familie der Hypericaceae übernahm (Vol. XII, Fasc. XCI, 1878). Ueberhaupt bewegte sich seine schriftstellerijche Thätigkeit vorwiegend in floristisch-systematischer Richtung. So schrieb er: „Ueber die Flora der Insel St. Paul im indischen Ocean“ (Tageblatt deutscher Naturforscher und Aerzte 1869 und Schriften der Wiener zool.-bot. Gesellsch. Bd. XXI, 1871), im botanischen Theile des Prachtwerkes: „Reise Sr. Majestät Fregatte Novara um die Erde“, die Bearbeitung der Pilze, Laub- und Lebermoose (1870); ferner: „Ueber die botanische Ausbeute der Julius Payer’schen Nordpolexpedition des Jahres 1871 (Sitzungsber. d. Wiener Akad. Bd. LXV, 1872), „Beitrag zur Kryptogamen- und Phanerogamenflora der hawaiischen Inseln“ (ebd. Bd. LXXV und LXXVI, 1877 u. 78) und veröffentlichte unter dem Titel: „Miscellen“ in den Schriften der Wiener zool.-bot. Gesellsch. der Jahre 1866–73 50 kleinere Aufsätze, die sich größtentheils auf die Flora von Oesterreich beziehen. Sein eigenes, außerordentlich reichhaltiges Herbarium und seine Bibliothek überwies R. 1874 theils dem botanischen Hofmuseum, theils der Universität, wofür ihm besondere Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt wurden. Sehr regen Antheil nahm R. an dem wissenschaftlichen Vereinsleben. Er war unter anderem Mitglied der [270] Leopoldina und der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Vicepräsident der zoologisch-botanischen Gesellschaft und der Gartenbaugesellschaft in Wien, und namentlich im Interesse der beiden letztgenannten Vereinigungen hervorragend thätig.

R. war nie verheirathet gewesen und lebte zusammen mit seiner von ihm abgöttisch geliebten Mutter. Als diese 1879 starb, verfiel er infolge der tiefen Gemüthserregung in eine schwere Krankheit. Zwar genas er wieder, fand aber nie vollkommene Heilung. Immer mehr und mehr verschloß er sich gegen die Außenwelt und gerieth in eine verbitterte Stimmung, die ihn schließlich in einem Anfall von Geistesstörung dazu trieb, im Alter von 50 Jahren sein Leben auf gewaltsame Weise zu beschließen.

Josef Kaemmerling, Dr. H. W. Reichardt. Ein Lebensbild. Mähr.-Weißkirchen 1886. – G. Beck, H. W. Reichardt. Lebensskizze. Verh. d. zool.-bot. Gesellsch. in Wien 1886, S. 669–670 und Berichte d. Deutsch. Bot. Gesellsch., III. Jahrg. 1885, S. XVII–XIX.