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ADB:Richter, Wilhelm Michael von

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Artikel „Richter, Wilhelm von“ von Ludwig Stieda in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 499–501, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Richter,_Wilhelm_Michael_von&oldid=- (Version vom 14. Dezember 2024, 01:08 Uhr UTC)
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Richter: Wilhelm Michael v. R. wurde am 28. November 1767 in Moskau geboren, woselbst sein Vater der aus Riesenburg stammende Michael R., Pfarrer der deutschen evangel.-lutherischen Gemeinde zu St. Michael war. Wilhelm R. wurde zuerst im elterlichen Hause erzogen, dann nach Reval geschickt, um 1779 in das dort existirende Gymnasium illustre zu treten, das unter der bewährten Leitung des Dr. Schmidt, eines Oheims Richter’s von mütterlicher Seite, stand. Nachdem R. 1782 die Schule verlassen, wurde er 1783 in die Zahl der Medicin Studirenden an der Universität zu Moskau aufgenommen und beschäftigte sich eifrig und erfolgreich mit der Medicin. Infolge seines Eifers und seines Fleißes wurde er nach dreijährigem Studium von Seiten der Universität zur akademischen Laufbahn bestimmt und erhielt ein reichliches Stipendium, um außerhalb des russischen Reichs insonderheit in der Geburtskunde sich zu vervollkommnen. Er verweilte 4 Jahre auf verschieden Universitäten Deutschlands, Frankreichs, Englands, Hollands und hörte Vorlesungen in Erlangen, Göttingen und Berlin. Am 19. April 1788 erwarb er sich in Erlangen nach Vertheidigung der Dissertation: „Experimenta et cogitata circa bilis naturam, inprimis ejus principium salinum“, den Grad eines Dr. der Medicin und machte sich vor allem mit den Entbindungsanstalten in Göttingen und Berlin bekannt. Im J. 1790 kehrte er nach Rußland zurück und wurde nach Bestätigung seines Doctorgrades durch das Medicinalcollegium in St. Petersburg als außerordentlicher Professor der Geburtshülfe an der Universität zu Moskau angestellt. Nachdem er 1794 zum ordentlichen Professor ernannt war, übernahm er 1795 das Amt eines Hebammenlehrers und eines ersten Stadtaccoucheurs, 1701 das Amt eines Directors der neu errichteten Entbindungsanstalt des Findelhauses und widmete somit alle seine Kräfte der Geburtshülfe in theoretischer und praktischer Hinsicht. Er starb nach kurzer Krankheit am 27. Juni 1822, erst 55 Jahr alt. Neben dem Unterricht der Studenten lag ihm das Hebammenwesen am Herzen und er hat hierin für Rußland, besonders für Moskau viel geleistet. R. war nur von 1795–1806 Hebammenlehrer und bis 1807 Director der Entbindungsanstalt, weil später ihn andere Aufgaben beschäftigten. Er hatte 1800 den Plan zu einer großartig angelegten, praktischen Entbindungsanstalt in Moskau ausgearbeitet und der Regierung eingereicht, ein großes Gebäude sollte die Gebärenden und Wöchnerinnen, aber auch die Studenten, Hebammen, Ammen und Wärterinnen vereinigen. Es fand das Project in der geplanten Weise keine Bewilligung, doch wurde R., nachdem er seine Forderungen etwas beschränkt hatte, zum Director der damals 1800 neuerrichteten, mit dem Findelhause in Verbindung stehenden Entbindungsanstalt ernannt. Die Anstalt ist noch heute in Thätigkeit. R. war als Arzt und Geburtshelfer sehr geschätzt und wurde auch an den kaiserlichen Hof gezogen; so zur Entbindung der Kaiserin Alexandra Feodorowna, der Gemahlin Nicolai’s am 17. April 1818, als der nachmalige Kaiser Alexander II. das Licht der Welt erblickte. – Seit 1810 war R. Präsident der physikalisch-medicinischen Gesellschaft in Moskau und wirkte auch hier anregend und fördernd. R. war aber nicht nur als Arzt, als Administrator und als Lehrer, sondern auch als Schriftsteller außerordentlich thätig – es ist staunenswerth, daß der so sehr durch seine Praxis und den Unterricht in Anspruch genommene Mann noch Zeit fand, umfassende Werke zu schreiben. Abgesehen von einer Anzahl kleinerer Anhandlungen, Reden und Gelegenheitsschriften sind [500] zu nennen ein „Handbuch der Geburtshülfe“, Moskau 1801, welches obwohl deutsch geschrieben, doch nur in russischer Uebersetzung veröffentlicht worden ist. Ferner die „Synopsis praxis medico-obstetritiae (quam Mosquae exercuit G. M. Richter“, Mosquae 1810, 4°). In diesem Werk legt R. über seine Praxis und Amtsführung Rechenschaft ab und theilt besonders schätzbare Erfahrungen über die Wendung und den Gebrauch der Zange mit. Trotz dieser beiden, für ihre Zeit entschieden hervorragenden geburtshülflichen Bücher, trotzdem, daß ein Instrument Hysteromochlion zur Aufrichtung des schwangeren Uterus von R. erfunden worden ist, trotz der unzweifelhaften Verdienste um Geburtshülfe und Hebammenwesen in Rußland, dürfte Richter’s Name den heutigen Geburtshelfern kaum bekannt sein – er gehört der Geschichte an. Allein R. hat noch ein anderes Werk verfaßt, welches ihm für alle Zeiten einen angesehenen Namen in der wissenschaftlichen Welt sichern wird – eine „Geschichte der Medicin in Rußland“ in 3 Thln. Moskau 1817. Freilich hat R. die Geschichte nicht bis zur Gegenwart fortgeführt, sondern er hörte mit der Regierung der Kaiserin Elisabeth 1761 auf, doch ist immerhin das Werk auch in der vorliegenden Gestalt ein wissenschaftlich bedeutsames, ein echtes Werk deutschen Fleißes. Man muß, um die Arbeit Richter’s richtig zu schätzen, wissen, daß eigentlich gar keine Vorarbeit existirte, daß R. fast Alles aus Archiven und alten Dokumenten schöpfen mußte. Nach R. sind noch einzelne Beiträge zur Geschichte der Medicin in Rußland (z. B. v. Tschistowitsch) geliefert worden, aber ein umfassendes Werk zu schreiben, hat Niemand versucht. Für alle späteren medicinischen Geschichtsschreiber wird das Buch, soweit es auf Rußland Bezug nimmt, unentbehrlich sein. Wenn die Geburtshülfe Richter’s längst vergessen sein wird, wird der Historiker R. noch im Angedenken der Nachwelt leben! Das Werk ist zuerst deutsch geschrieben und herausgegeben und dann vom Professor Beketow übersetzt, auch in russischer Sprache veröffentlicht. Von einer Aufzählung aller kleinen geburtshülflichen wie historischen Abhandlungen Richter’s, welche durchweg in lateinischer und russischer Sprache gedruckt sind, kann hier füglich abgesehen werden. In deutscher Sprache hat R. außer seiner Geschichte der Medicin nichts drucken lassen: ein Verzeichniß aller seiner litterarischen Producte findet sich in dem (russischen) Biogr. Lexikon der Lehrer der Universität Moskau. R. wird von seinen Zeitgenossen als ein sehr gebildeter und vielseitiger Gelehrter geschildert, er sprach und schrieb mit Geläufigkeit 5 Sprachen: Deutsch, Russisch, Englisch, Französisch und Lateinisch; er war ein sehr beliebter Arzt, der allen Kranken ohne Unterschied, Armen wie Reichen in gleicher Weise seine hülfreiche Hand darbot; er besaß eine seltene Fähigkeit, fließend und anziehend zu reden. – R. war verheirathet mit einer Tochter seines Collegen Keresturi, von der er fünf Söhne hatte. Der älteste Michael R. ist dadurch bekannt geworden, daß er wie sein Vater Professor der Geburtshülfe in Moskau war.

Michael R. wurde am 20. April 1799 in Moskau geboren und im Hause seiner Eltern erzogen und trat schon 1813, kaum 14 Jahre alt, als Student in die medicinische Facultät zu Moskau. Offenbar weil er sich durch Begabung und Fleiß vor anderen auszeichnete, erhielt er die Erlaubniß, vor beendigtem Cursus außerhalb Moskau seine Studien fortzusetzen. Der junge Mann studirte darnach von 1816–1817 in Dorpat, von 1817–1818 in Göttingen, von 1818–1820 in Berlin. Nach Moskau zurückgekehrt, machte er das Examen pro gradu doctoris und wurde am 18. Januar 1822 – im Todesjahr seines Vaters zum Dr. med. promovirt (Diss.: de Cyanosi cardiaca, seu morbo sic dicto caeruleo). Er wurde noch in demselben Jahre zum Adjunct an der medicinischen Facultät, 1827 zum außerordentlichen, 1828 zum ordentlichen Professor der Geburtshülfe ernannt, las über Geburtshülfe, Frauen- und Kinderkrankheiten und war daneben [501] Lehrer an der Entbindungsanstalt des Findelhauses. 1851 wurde er auf seine Bitte aus dem Dienste entlassen und ist bald darauf in Moskau gestorben. Er hat keine große litterarische Thätigkeit entwickelt. Außer seiner Dissertation hat er eine lateinische Rede: Oratio de regimine infantum quod medici est, drucken und das russische Handbuch der Geburtshülfe seines Vater in zweiter Auflage erscheinen lassen.

Biogr. Lex. der Lehrer der Moskauer Universität, II. Bd. Moskau 1855, S. 356–360 (in russischer Sprache).