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ADB:Sallentien, Heinrich

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Artikel „Sallentien, Heinrich“ von Paul Zimmermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 685–689, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sallentien,_Heinrich&oldid=- (Version vom 4. November 2024, 22:53 Uhr UTC)
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Sallentien: Karl Heinrich Ludwig Eduard S., Theologe, † 1897, gehörte einer Pastorenfamilie an, die nach einer Familienüberlieferung von Salzburger Emigranten abstammte, und wurde am 12. Mai 1825 zu Braunschweig geboren, wo damals sein Vater Karl Ludw. Ferd. Sallentien als Pastor zu St. Martini ein Hauptvertreter des Rationalismus war und am 16. April 1848 als Generalsuperintendent und Abt von Marienthal gestorben ist; seine Mutter Friederike Charlotte geb. Witting entstammte einer angesehenen Kaufmannsfamilie der Stadt Braunschweig. Er besuchte die Bürgerschule und das Gymnasium seiner Vaterstadt, das er Michaelis 1844 verließ, um dem Vorbilde des Vaters folgend und aus eigener Neigung sich in Jena dem Studium der Theologie zu widmen. Hier blieb er drei Semester, in denen er namentlich den geistvollen Unterricht Karl Hase’s genoß, und siedelte dann nach Halle über, wo er bis Ostern 1848 blieb, im Wintersemester 1846/47 aber, das er in Braunschweig verbrachte, Krankheitshalber seine Studien unterbrechen mußte. Er hörte in Halle besonders die Vorlesungen von Julius Müller, an dessen homiletischem Seminare er auch Theil nahm, und trat in ein näheres Verhältniß zu Tholuck, dessen ebenso anregendem wie förderndem persönlichen Verkehre er sehr viel verdankte. Daneben hat er aber auch bei Erdmann mit Eifer philosophische Vorträge gehört. Verursachte ihm dies auch schwere innere Kämpfe, so hat es ihn doch später vor den Uebertreibungen der starren Orthodoxie bewahrt und in der eigenen Ueberzeugung gefestigt. Er kehrte dann in die Heimath zurück und hat hier im September 1848 die erste theologische Prüfung bestanden. Da die Aussichten für das geistliche Amt damals sehr schlecht waren, so [686] wandte er sich zunächst dem Lehrfache zu. Er wirkte eine Zeit lang an der Erziehungsanstalt des Pastors E. L. Kellner in Barbecke, führte dann in Braunschweig die Aufsicht über die beiden Söhne des Freiherrn v. Minnigerode und übernahm 1851 die Erziehung des Erbgrafen zu Erbach-Schönberg, den er 1852 nach Braunschweig begleitete, wo er bis Michaelis 1858 das Gymnasium besuchte. Da hier gerade eine Lehrkraft fehlte, so versah S. von Michaelis 1858 bis Ostern 1860 eine Lehrerstelle am Progymnasium. Durch diese Umstände ist es gekommen, daß er die zweite, die theologische Hauptprüfung erst im Februar 1860 erledigte. Er wurde nun im Mai 1860 Mitglied des Predigerseminars in Wolfenbüttel, zu dessen Subsenior er demnächst aufrückte. Erst im Mai 1863 erhielt er eine Pfarrstelle; er ward Pastoradjunct an der Stadtpfarre zu Blankenburg und zugleich Leiter der dortigen Bürgerschulen. Im Herbste des Jahres 1870 erhielt er zu Groß-Vahlberg und Bansleben die Pfarradjunctur, jedoch mit der Hoffnung auf Nachfolge. Aber diese Hoffnung traf nicht mehr ein. Als sein Vorgänger Friedr. Joh. Friedrich, der Vater des bekannten Schriftstellers Friedr. Friedrich, 1879 starb, war S. bereits zu höheren Würden befördert. Denn am 7. Mai 1875 wurde er wohl auf Anregung seines Freundes, des Dompredigers D. Thiele, der den Herzog Wilhelm auf den ihm von Blankenburg her wohlbekannten Geistlichen aufmerksam gemacht hatte, zum Consistorialrathe in Wolfenbüttel ernannt. Hier hat er anfangs neben Ernesti († am 17. August 1880), dann als erster geistlicher Rath die Angelegenheiten der Braunschweigischen Landeskirche geleitet. Neben den laufenden Geschäften dieser Verwaltung, die er gewandt und schlank zu erledigen wußte, nahmen seine Kraft auch gesetzgeberische Aufgaben in Anspruch, wie die Fortführung der Bearbeitung der liturgischen Ordnungen, die Herstellung einer theologischen Prüfungsordnung und andere Gesetze. Sodann die Vertretung des Consistoriums in der Landessynode und die Leitung des Predigerseminars. Wie er hier auf die Bildung und Vorbereitung des theologischen Nachwuchses durch Lehre und Vorbild großen Einfluß gewann, so war seine Thätigkeit als Generalsuperintendent auch für einen großen Theil der älteren Geistlichkeit von Bedeutung; am 1. Januar 1879 war ihm die Generalsuperintendentur zu Wolfenbüttel, am 13. März 1881 daneben die zu Blankenburg übertragen. S. stand für seine Person in religiöser Beziehung fest auf confessionellem Boden, und er hielt es für seine Pflicht, diesen auch der Kirche, an deren Spitze er gestellt war, nach Kräften zu erhalten. Dabei war er aber kein einseitiger Parteimann und weit davon entfernt, seine einflußreiche Stellung irgend welchen Sonderinteressen dienstbar zu machen. Er besaß volles Verständniß auch für abweichende Ansichten und Richtungen; nur liebte er überall, wie er zu sagen pflegte, „reinliche Verhältnisse“; unklare, verschwommene Ideen waren ihm zuwider, und kein Mann nach seinem Herzen, dem er nicht ein festes Rückgrat zutrauen durfte. Bei Besetzung von kirchenregimentlichen Stellen sah er vor allem auf persönliche Tüchtigkeit, und er trug, wo er diese fand, kein Bedenken, auch liberale Geistliche für Superintendenturen, wie für die Prüfungscommission der Geistlichen in Vorschlag zu bringen. So erfreute er sich denn mit Recht in seiner Amtsführung des allgemeinen Vertrauens; niemals ist an der Lauterkeit seiner Absichten, der Ehrlichkeit seiner Ueberzeugung ein Zweifel aufgetaucht; und verdiente Anerkennung ist ihm von verschiedenen Seiten zu Theil geworden. Am 25. April 1881 wurde er zum Abte von Marienthal ernannt, zum 1. April 1890 zum Vicepräsidenten des herzoglichen Consistoriums. Zwei Jahre lang (1883 ff.) war er auch Mitglied der Oberschulcommission, aus der er aber wieder austrat, weil ihm die Eigenmächtigkeiten und Uebergriffe eines Collegen, wie vorher seinem Freunde Thiele, zu viel [687] Aerger bereiteten. Am 9. April 1884 verlieh ihm die theologische Facultät der Universität Rostock die Würde eines Dr. theol. honoris causa. Seit Ernesti’s Tode besuchte er als Vertreter des braunschweigischen Kirchenregiments regelmäßig die evangelischen Kirchenconferenzen zu Eisenach, und es zeigt deutlich das hohe Ansehen, das er auch in diesem Kreise genoß, daß ihm zuerst nach dem Ausscheiden des Oberhofpredigers Kohlschütter aus Dresden im Jahre 1890 und dann ununterbrochen bis zu seinem Tode durch das Vertrauen seiner Collegen der Vorsitz der Conferenzen übertragen wurde.

Eine weitere Thätigkeit entfaltete S. in der Braunschweigischen Landesversammlung, in die er von 1875–1894 von der Geistlichkeit des Landes als Abgeordneter entsandt wurde. Im allgemeinen ist er hier nicht viel hervorgetreten. Durchaus loyaler und conservativer Gesinnung hat er zumeist im Sinne der Regierung gestimmt und, wenn es sich nicht um Angelegenheiten der Kirche oder Schule handelte, nur selten das Wort ergriffen, obwohl ihm dies gut zu Gebote stand, und es ihm auch an Schlagfertigkeit keineswegs fehlte. Hielt er es aber für eine Gewissenspflicht, mit seiner Ansicht hervorzutreten, so trug er auch nicht die geringste Scheu, seine ganze Persönlichkeit für die gerechte Sache einzusetzen. Er stand fest auf dem Boden der deutschen Reichsverfassung, er hatte die Einigkeit der deutschen Stämme zu einem mächtigen Reiche und alle die großen Errungenschaften der neuen Zeit mit Freuden begrüßt und verabscheute alle Bestrebungen, die diese hätten in Frage stellen können. Aber ebenso entschieden war er für die Aufrechterhaltung der Landesrechte und die Innehaltung der Landesverfassung, die er beschworen hatte. Das war ihm eine heilige Gewissenssache. Er sah nach dem Tode Herzog Wilhelm’s († am 18. October 1884) ein und gab unumwunden zu, daß von Braunschweigischer Seite die Thronbesteigung des erbberechtigten Thronfolgers, des Herzogs von Cumberland, bei Widerstreben der maßgebenden Gewalten im Reiche nicht erzwungen werden konnte. Aber er that, was in seinen Kräften stand, um die Situation zu klären. Auf seine Veranlassung theilte am 30. Juni 1885 der Staatsminister Graf Görtz-Wrisberg, um ihn zu beruhigen und den Herzog zu belasten, tendenziös ausgewählte Bruchstücke aus einem Briefe des Fürsten an die Königin von England mit, die nach Veröffentlichung des ganzen Schriftstückes in ein völlig anderes Licht gerückt wurden und dem Staatsminister öffentlich den Vorwurf der Unredlichkeit zuzogen, den dieser trotz dem Aufsehen, das die Sache machte – wohl mehr ein Zeichen vorsichtiger Klugheit als guten Gewissens – stillschweigend über sich ergehen ließ. S., der sich von ihm damals gutgläubig überzeugen ließ, hat später die Empfindung von ihm dupirt zu sein, niemals verwinden können. Bei alledem konnte er aber nicht leugnen, daß nach Beschluß des Bundesraths vom 2. Juli 1885 der Fall eingetreten war, für den zu ungestörter Fortführung der Landesverwaltung und sicherer Aufrechterhaltung der Rechte der legitimen Dynastie das Regentschaftsgesetz vom 16. Februar 1879 gegeben worden war. Als dann aber die thatsächliche Verhinderung des berechtigten Thronfolgers zur sofortigen Uebernahme der Regierung ausgesprochen und ein Regent gewählt werden sollte, da konnte er sich nicht dazu verstehen die Schuld an dieser Zwangslage dem unglücklichen Herzoge von Cumberland aufzubürden. Das geschah in dem Antrage der staatsrechtlichen Commission, der am 20. October 1885 zur Verhandlung kam. Mochten auch viele von der inneren Ungerechtigkeit dieses dem Herzoge gemachten Vorwurfs bei sich überzeugt sein: den Muth sich offen dagegen zu erklären fanden nur S. und sein Freund Thiele. Dieser lag schon auf dem Krankenlager, das am 17. Mai 1886 seinen Tod herbeiführte, als S. nochmals für die Sache der legitimen Monarchie [688] auf den Plan zu treten gezwungen wurde. Bei Berathung des Huldigungseides für den Regenten, Prinz Albrecht von Preußen, bat S. in der Landesversammlung auf Wunsch einiger ihm unterstellter Geistlichen, die sich in ihrem Gewissen beschwert fühlten, um eine offene Erklärung darüber, daß der neue Eid den alten dem Hause Braunschweig geleisteten Erbhuldigungseid nicht beeinträchtigen solle. Er hatte dabei angenommen, daß dieses Zugeständniß als selbstverständlich sofort gewährt werden würde, und war daher auf das äußerste überrascht, als nach der Sitzung zwei Mitglieder des herzoglichen Staatsministeriums in größter Leidenschaft auf ihn einstürmten und ihn beschuldigten, daß er die Brandfackel ins Land würfe. Doch er ließ sich nicht bange machen und gab den Herren die deutliche Antwort, es sei ihm an der Ruhe seines Gewissens mehr gelegen als an der Ruhe der Herren am Ministertische, aber er wurde in seinem Vorsatze durch dieses auffällige Verhalten nur bestärkt und setzte es trotz den Weiterungen, die ihm vom Grafen Görtz-Wrisberg gemacht wurden, mit Ausdauer und Geschicklichkeit glücklich durch, daß die gewünschte authentische Erklärung wohl oder übel vom Staatsminister gegeben wurde. Das hat viel zur Beruhigung erregter Gemüther und geängstigter Gewissen im Lande beigetragen. Aber der Vorfall machte S. doch stutzig, besonders als dicht darauf von einem Mitgliede des vor kurzem beendeten Regentschaftsrathes, dem Oberlandsgerichtspräsidenten Dr. A. Schmid, eine Schrift erschien, in der, so ungeheuerlich es angesichts der Quellen erscheint, dennoch allen Ernstes der Versuch gemacht wurde, die Beziehung des braunschweigischen Erbhuldigungseides auf die jüngere Linie des Welfenhauses, der der Herzog von Cumberland angehört, in Abrede zu stellen, und als manche Aeußerungen von hochstehenden Personen ihm zu Ohren kamen, die einen Verfassungsbruch oder, wie man zu sagen pflegte, den Uebergang vom Provisorium zum Definitivum nur vom Standpunkte der Opportunität behandelten. Scheiterten solche Pläne, ganz abgesehen von den sonstigen Schwierigkeiten, auch schon an der rechtlichen, streng legitimen Gesinnung des Regenten, so hielt es S. doch für seine Pflicht, auf seinem Posten im Landtage auszuharren, um gegebenen Falls etwa geplanten Staatsstreichsversuchen entschiedenen Widerstand entgegen setzen zu können. Er hat zum Glück niemals wieder politisch sich zu bethätigen Gelegenheit gehabt. Für Manche war es wohl eine Enttäuschung, daß nach diesen Vorgängen der Prinz und seine Gemahlin S. bei verschiedenen Gelegenheiten eines besonderen Vertrauens für würdig hielten; Anderen aber erschien dieses Verhältniß als ehrenvoll für beide Theile und vertrauenerweckend für die Zukunft. Nur wo das Gewissen es ihm befahl, trat S. im öffentlichen Leben hervor; sonst hielt er sich von allem politischen Treiben geflissentlich fern. Das schien ihm schon die Würde seines hohen Kirchenamtes zu fordern, der in unaufälliger Weise äußerlich und innerlich zu genügen sein eifrigstes Bestreben war. Mit einer anspruchslosen Einfachheit verband er natürliche Würde, feinen Takt, gefällige Formen und einen fröhlichen heiteren Sinn, der auch für frischen harmlosen Humor stets aufgeschlossen war. So besaß er eine glücklich harmonische Natur, in der die Kräfte des Geistes und Gemüthes im schönsten Gleichmaße standen. Die liebste Erholung von seinem Berufe fand er in dem glücklichen Familienkreise, der ihn umgab und den Charakter eines christlichen Hauses im besten Sinne des Wortes trug. Denn auch seine Gattin, Elisabeth Maenß, die er am 19. October 1864 heimgeführt hatte, stammte aus einem Pfarrhause; sie war die Tochter des Predigers Maenß in Hohendodeleben. In den letzten Jahren trug S. ein schweres Unterleibsleiden, das wiederholter Besuch des Bades Wildungen nicht beseitigen konnte, mit großer Geduld und Fassung, bis der Tod am 3. Februar 1897 seinem reichen Schaffen ein Ziel setzte.

[689] Vgl. Braunschw. Magazin 1897, S. 25–28. – Brunonia 1897, Nr. 7. – Ev.-luth. Wochenblätter 1897, S. 26–31. – Biogr. Jahrbuch u. Dtschr. Nekrolog II, S. 371–75. – Rückblicke auf d. Braunschw. Thronfolgefrage (Braunschweig 1907), S. 8 ff.