ADB:Sallet, Alfred von
Friedrich v. Sallet, den Dichter des „Laienbreviers“ (s. A. D. B. XXXIII, 717), schon im Februar des folgenden Jahres; so lag die Erziehung des Knaben für die nächsten Jahre ganz in den Händen der Mutter Caroline geb. v. Burgsdorff, einer hochbegabten und feingebildeten Frau, der ihr Sohn stets in treuer Liebe ergeben gewesen ist. In zweiter Ehe heirathete sie 1849 Dr. Theodor Paur aus Neiße, den bekannten Danteforscher und Politiker, der sich die Zuneigung und Verehrung seines Stiefsohnes zu gewinnen wußte und entscheidenden Einfluß auf die weitere Entwicklung desselben gehabt hat. Seine ersten Schuljahre verbrachte S. auf dem Maria Magdalenen-Gymnasium in Breslau, fünf weitere auf dem Gymnasium zu Görlitz. Dort als Schüler hat er begonnen, Münzen zu sammeln, eine Neigung, die für seinen Lebenslauf bestimmend geworden ist. Ostern 1862 zur Universität entlassen, begab er sich nach Berlin, um dort Archäologie und Geschichte zu studiren. Die Interessen des jungen, vorzüglich beanlagten Studenten gingen sehr in die Weite; sein eigentlicher Lehrer wurde Th. Mommsen. Dieser hatte 1860 sein „Römisches Münzwesen“ vollendet und dabei klarer als irgend ein anderer Alterthumsforscher vor ihm erkannt, ein wie weites Arbeitsgebiet die antike Münzkunde noch biete; ihm war es darum doppelt willkommen, gerade um diese Zeit einen begabten Schüler zu finden, der mit seinen Studien hier einsetzen konnte. Sallet’s erste numismatische Monographien sind alle aus Arbeiten für Mommsen’s Seminar hervorgegangen. Von den „Beiträgen zur Geschichte und Numismatik der Könige des Cimmerischen Bosporus und des Pontus von der Schlacht bei Zela bis zur Abdankung Polemo II.“ (Berlin 1865) hatten die ersten Abschnitte seine Dissertation gebildet: „De Asandro et Polemone Cimmerii Bospori regibus quaestiones chronologicae et numismaticae“, auf Grund deren er am 31. Juli 1865 promovirt worden war. Zu einer zweiten Schrift: „Die Fürsten von Palmyra unter Gallienus, Claudius und Aurelian“ (Berlin 1866) hat Mommsen einen Anhang beigesteuert über die Bedeutung des Titels DVX, den Vaballath auf den in Alexandria geprägten Münzen führt. Es folgte eine Abhandlung „Die Daten der Alexandrinischen Kaisermünzen“ (Berlin 1870).
Sallet: Alfred Friedrich Constantin von S., hervorragender Numismatiker. Geboren am 19. Juli 1842 zu Reichau bei Nimptsch in Schlesien, verlor er seinen VaterVom Beginn seiner Studentenzeit an war S. einer der eifrigsten Besucher des königlichen Münzcabinets, das, als 1868 die bis dahin getrennten Abtheilungen der antiken und modernen Münzen vereinigt wurden, ganz unter die Leitung Julius Friedlaender’s (s. A. D. B. XLVIII, 780) kam. S. war heimisch geworden im Münzcabinet, und Friedlaender, der seine hervorragende Begabung für die Numismatik hatte verfolgen können, konnte sich in der That keinen Geeigneteren aussuchen zum Hülfsarbeiter, als S., der schon im nächsten Jahr (Januar 1870) zum Directorialassistent am Münzcabinet ernannt wurde. Die vermehrten Mittel, welche nach dem französischen Kriege den Museen für ihre Ankäufe zur Verfügung gestellt werden konnten, ermöglichten es Friedlaender innerhalb weniger Jahre die großen Privatsammlungen v. Prokesch-Osten und Fox für das Berliner Münzcabinet zu erwerben. Gerade in diese Zeit fällt denn auch Sallet’s reichste litterarische Thätigkeit. Die „Blätter für Münz-, Siegel- und Wappenkunde“, die in Berlin erschienen, die aber Koehne von Petersburg aus redigirte, hatten [690] sich überlebt; auf Anregung Mommsen’s und Friedlaender’s wurden sie jetzt abgelöst durch die „Zeitschrift für Numismatik“ (1872), deren Redaction S. anvertraut wurde, und von der bis zu seinem Tode 20 Bände erschienen sind. Er hat es verstanden, für die Zeitschrift tüchtige Mitarbeiter zu gewinnen und sie den besten französischen und englischen Fachzeitschriften ebenbürtig zu machen. Zugleich bot sich ihm aber auch Gelegenheit, durch seine eignen Arbeiten für Andere vorbildlich zu wirken. Man hat der Zeitschrift vielfach vorgeworfen, daß sie sich damals beschränkt hat auf antike Münzkunde und auf die mittelalterliche, über das 16. Jahrhundert aber nicht hinausgehen wollte. Diese Beschränkung des Programms, wiewohl sie mit den Neigungen des Herausgebers zusammenhing, hat doch ihre guten Früchte getragen; die Behandlung der neueren Münzkunde war um jene Zeit, wenn man von den Arbeiten einiger Wenigen, die eine rühmenswerthe Ausnahme machten, absieht, noch eine durchaus dilettantische und hat erst seitdem wissenschaftliche Form angenommen. Daß die Münzkunde aller Zeiten als ein großes Gesammtgebiet behandelt werden müsse, stand für S. fest; beschränkt hat er sich auch durchaus nicht auf die antike Münzkunde; erwähnt sei hier nur seine Arbeit über Petrissa und Pribislaw, auf Grund des Michendorfer Münzfundes, der ein Stück der Geschichte Albrecht des Bären aufgehellt hat (Zeitschr. f. Num. VIII, 249); aber gern überließ er diese Forschungen seinem Freunde und Fachgenossen, dem Landgerichtsrath H. Dannenberg. In welchem Maße S. die Gabe besessen hat, sich auch in ein ihm bis dahin fremdes Gebiet rasch einzarbeiten und mit scharfem Blick herauszufinden, wo hier die Forschung anzusetzen habe, beweist sein Buch: „Die Nachfolger Alexander’s des Großen in Baktrien und Indien“ (Berlin 1881), zuerst erschienen in der „Zeitschrift für Numismatik“ Bd. VI–VIII. Der Ankauf der reichen Sammlung orientalischer Münzen des englischen Obersten Guthrie im J. 1875 hat ihn darauf geführt, jener eigenartig kraftvollen griechischen Cultur nachzugehen, die im fernen Osten unter stetem Kampf mit dem Barbarenthum sich entwickelt hat; es ist Sa1let’s reifste Arbeit geworden. Hier hat die Münzkunde helfen müssen, ein Stück Geschichte aufzuhellen, für welches die litterarische Ueberlieferung eine ganz trümmerhafte ist, inschriftliche Denkmäler aber bisher noch nicht zu Tage gekommen sind; nur für die Ausläufer dieser Cultur kann die indische Epigraphik mit herangezogen werden. Zur Eigenart seines Charakters gehörte, daß er sich frei und ungebunden fühlen mußte; Mommsen hatte geglaubt, als 1874 die Preußische Akademie der Wissenschaften für das damals geplante Corpus numorum ein Ausschreiben zur Bearbeitung der Münzen Bithyniens erließ, die dann als Probeband für das Corpus dienen sollte, S. hierfür gewinnen zu können. Er hat sich nicht darauf eingelassen, weil es ihm unerträglich war, nach einem Programm zu arbeiten, das Andere ihm vorschreiben wollten; zudem erkannte er auch, daß das Unternehmen damals noch verfrüht war. Gleich anderen Numismatikern vertrat auch S. die Ansicht, daß erst Kataloge der großen Sammlungen zu drucken seien, dann erst an das Corpus zu gehen sei. Das Britische Museum hatte mit dem Druck seines Catalogue of greek coins begonnen, das Pariser Cabinet ebenfalls; ihnen gedachte er auch den der Berliner Sammlung an die Seite zu stellen. Friedlaender hatte den alten Bestand der Sammlung bis zu den großen Ankäufen der siebziger Jahre zum Druck vorbereitet; als S. nach dessen Tode 1884 das Amt des Directors übernahm, wurde dieser Plan denn auch alsbald aufgenommen, und in den Jahren 1888 bis 1893 sind unter dem Titel: „Beschreibung der antiken Münzen“ drei Bände erschienen: Thracien und Macedonien von ihm selbst bearbeitet, der dritte, Italien, Abth. 1, bearbeitet von H. Dressel. Das Unternehmen [691] hat ein ähnliches Geschick gehabt, wie zuvor Friedländer’s handschriftlicher Katalog; die großen Ankäufe in den Jahren nach Sallet’s Tode haben den Bestand der Sammlung wieder einmal so völlig verändert, daß ohne Neubearbeitung der bereits erschienenen Bände nicht an eine Fortsetzung des Werkes gedacht werden könnte. Gleichwohl wird zugegeben werden müssen, daß auch neben dem Corpus numorum einem solchen gedruckten Sammlungskatalog, der gleich dem englischen ein vielbändiges Werk werden würde, der selbständige wissenschaftliche Werth nicht abzusprechen ist. Es war vielleicht mit Rücksicht auf den begonnenen Katalog, daß S. sich als Director davon ferngehalten hat, große Reihen für das Cabinet zu erwerben, dafür aber in Einzelankäufen besonders interessante und werthvolle Stücke demselben zuführte; den bedeutendsten Zuwachs erhielt während seiner Amtsführung die mittelalterliche Abtheilung, als die Sammlung Dannenberg 1892 angekauft werden konnte; wenn es alsdann auch 1896 noch gelungen ist, die Sammlung Fikentscher, die lediglich die brandenburgischen Prägstätten der fränkischen Fürstenthümer umfaßt hat, zu erwerben, ist das wesentlich seinem damaligen Assistenten J. Menadier zu verdanken. Sallet’s letzte Arbeit für das Cabinet war ein Band der „Handbücher der Königlichen Museen zu Berlin“, betitelt: „Münzen und Medaillen“ (Berlin 1898), dessen Erscheinen er nicht mehr erlebt hat.
Sallet’s Interessensphäre ging weit hinaus über das Specialgebiet der Numismatik. Er war ein geborener Sammler; wer in seine Wohnung kam im Osten Berlins am Friedrichshain, erst Landsberger Allee 6, dann 39, den empfing ein wahres Museum, alte Ho1zschnitzereien, Metallarbeiten deutscher wie italienischer Kunst, Kupferstiche und Holzschnitte, eine viel bewunderte Dürer-Sammlung, Miniaturen, Inkunabeln, daneben wieder antike Vasen, Broncen, Terrakotten, selbst Schwerter der Broncezeit, für alles hatte er Sinn und feines Verständniß. Gar manchmal hat sein Spürsinn in unscheinbar gewordenen Miniaturen bei Antiquaren historisch werthvolle Reste von Bilderhandschriften erkannt, manch hübscher Aufsatz, den er dann in Localzeitschriften veröffentlichte, zumal in schlesischen, ist hieraus entstanden. Was er für seine Sammlung erwarb, wollte er sich auch geistig zu eigen machen; dies führte ihn zu historischen und kunsthistorischen Forschungen auf den allerverschiedensten Gebieten, wobei man immer wieder staunen mußte, wie rasch er sich hier zurechtfand. In und mit seinen Sammlungen lebte er, je mehr er sich in den späteren Jahren vom früher gern gepflegten Verkehr zurückzog. Als er sich 1884 bei Uebernahme des Directoramtes trennen mußte von seiner Münzsammlung – sie war wenig umfangreich, enthielt aber damals fast nur noch Stücke von auserlesener Schönheit –, that er dies nur mit Selbstüberwindung, hatte ihm doch gerade dieser Theil seiner Sammlungen die Anregung zu so mancher schönen Entdeckung gegeben; sogar die treffliche Schrift über „Die Künstlerinschriften auf griechischen Münzen“ (Berlin 1871) ist durch Erwerbungen für seine Privatsammlung veranlaßt worden.
Mit einer gewissen Vorliebe wandte sich S. in seinen kunsthistorischen Studien der deutschen Renaissance und der Reformationszeit zu. Bald finden wir ihn hier mit Portraitmedaillen jener Epoche, bald mit Zeichnungen und Kupferstichen A. Dürer’s, L. Cranach’s u. A. beschäftigt. In dem Stammbaum seiner Familie waren auch Nachkommen M. Luther’s; er hat es verstanden, sich in Geist und Wesen der Reformationszeit einzuleben, die Eigenart eines U. v. Hutten war ihm vertraut. Im persönlichen Verkehr war S. geistsprühend und witzig; er besaß eine reiche poetische Anlage, die Freunden gegenüber sich oft in liebenswürdigster Weise zeigte. Es hat seinem Leben auch an bitteren Erfahrungen nicht gefehlt; aber sein durchaus nobler Charakter hat [692] ihm geholfen auch diese zu ertragen. S. war eine reich begabte, ungemein vielseitige Natur, für alles Hohe und Schöne zugänglich, dem Gemeinen abhold. Wo immer er sich wissenschaftlich beschäftigte, vermochte sein scharfer Verstand, sein weites Wissen die Forschung zu fördern. Sein litterarisches Arbeiten war ungemein reichhaltig. Für seine Person war er ganz anspruchslos; körperlich schwächlich, gedachte er sich bald von seinem Amte zurückzuziehen, um dann in seiner schlesischen Heimath ganz seinen Neigungen leben zu können; ein kurzes Leiden hat am 25. November 1897 seinem Leben ein Ende gemacht. S. ist kinderlos gestorben und mit ihm der schlesische Zweig seiner Familie ausgestorben.
- Nekrologe: R. Schöne, Zur Erinnerung an A. v. Sallet: Jahrb. der Königl. Preußischen Kunstsammlungen 1898, S. 2 ff., mit Portr., abgedr. m. Schriftenverzeichniß: Revue internat. d’archéologie et de numism. (Ath.) I, 189 ff. – H. Dannenberg: Zeitschr. f. Num. XXI, 1 ff. H. Gaebler: Num. Zeitschr. (Wien) XXIX, 365. R. Weil: Neues Lausitzisches Magazin LXXIV, 311 ff.