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ADB:Scanzoni von Lichtenfels, Friedrich

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Artikel „Scanzoni von Lichtenfels, Friedrich Wilhelm“ von Franz von Winckel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 724–726, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Scanzoni_von_Lichtenfels,_Friedrich&oldid=- (Version vom 26. November 2024, 00:15 Uhr UTC)
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Scanzoni: Friedrich Wilhelm S. von Lichtenfels wurde am 21. December 1821 als Sohn eines Eisenbahnbeamten, der vom Gardasee stammte, in Prag geboren. Seine Mutter war die Tochter eines der gesuchtesten Aerzte in Prag, des Dr. Beutner von Lichtenfels. Nachdem S. die Mittelschulen in Budweis durchgemacht hatte, bezog er 1838 die Universität in Prag, promovirte 1844 daselbst, machte dann eine wissenschaftliche Reise ins Ausland und wurde nach seiner Rückkehr Arzt an der gynäkologischen Abtheilung des Prager allgemeinen Krankenhauses und an der geburtshülflichen Klinik.

Als Kiwisch nach d’Outreponts Tode 1845 nach Würzburg berufen worden, wurde S. sein Nachfolger in der Direction jener vorhin genannten Abtheilung des Krankenhauses und nachdem Jungmann, der berühmte Historiograph der Prager medicinischen Facultät in den Ruhestand getreten und Kiwisch an seine Stelle nach Prag gekommen war, erhielt S. am 3. October 1850 die Berufung als ordentlicher Professor der Gynäkologie nach Würzburg.

Hier wurde seine Thätigkeit als consultirender Arzt sehr bald eine ungemein ausgedehnte und in kürzester Zeit hatte er sich als solcher der größten allseitigen Anerkennung zu erfreuen. Im J. 1857 wurde er zum ersten Mal [725] an den russischen Hof berufen zur Berathung der Kaiserin. Am 21. December 1858 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt Würzburg ernannt. 1861 ging er zum zweiten Male nach Petersburg. Am Ende der fünfziger Jahre erhielt er eine Berufung nach Berlin und nach Wien, beide lehnte er ab. Nachdem er bereits durch viele in- und ausländische Orden decorirt worden, verlieh ihm 1863 König Max den erblichen Adel mit dem Zunamen von Lichtenfels. In demselben Jahre erhielt er noch eine Berufung nach Baden-Baden; da er dieselbe jedoch ebenfalls ablehnte, so sprachen ihm die bairischen Majestäten brieflich ihren besonderen Dank aus. Am 19. Februar 1864 wurde S. Ehrenbürger von Franzensbad, nachdem ihn bereits die ärztlichen Gesellschaften in Erlangen, Hanau, München und Paris zu ihrem correspondirenden Mitgliede und der Verein deutscher Aerzte in Paris, die Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Dresden und viele andere zu ihrem Ehrenmitgliede ernannt hatten.

Neben seiner sehr verbreiteten Thätigkeit als Frauenarzt entwickelte S. auch eine sehr intensive litterarische. So begann er schon in Prag sein großes Lehrbuch der Geburtshülfe, welches von 1849–52 erschien, in 2. Auflage 1853, in 4. 1867. Dasselbe zeichnet sich nicht bloß durch große Litteraturkenntniß und klare Darstellung, sondern auch durch eingehende Verwerthung aller neueren Forschungen der Physiologie, Chemie, Mikroscopie und pathologischen Anatomie aus. Wie S. wiederholt Kiwisch in seinen Stellungen folgte, so hat er ihm auch in seinen wissenschaftlichen Werken als Nachfolger gedient, d. h. namentlich zu den unvollendet gebliebenen Vorträgen von Kiwisch über specielle Pathologie und Therapie der Krankheiten des weiblichen Geschlechts den dritten Schlußband geliefert. Von seinen weiteren Werken nennen wir: „die geburtshülflichen Operationen“ (1852), „das Lehrbuch der Krankheiten der weiblichen Sexualorgane“, Wien 1857, dessen 5. Auflage Wien 1875 erschien; „die chronische Metritis“, Wien 1867 und die „Beiträge zur Geburtskunde und Gynaekologie“. Die letzten Aufsätze in jenen Beiträgen besprechen die Lehre von Marion Sims von den Ursachen und Behandlungen der Sterilität im J. 1873. Unter den Schülern von S., welche an diesen Beiträgen mit gearbeitet haben, sind zu nennen: J. B. Schmidt, G. Langheinrich, Gregor Schmitt, O. v. Franqué, J. Schramm, Peter Müller, Peter Reuß, Maennel.

Wenn nun auch unter den zahlreichen Arbeiten Scanzoni’s keine eigentlich bahnbrechend gewesen ist, wenn er in seinen Lehrbüchern auf der von Kiwisch betretenen Bahn fortfuhr, wenn manche seiner Methoden, z. B. die für die künstliche Frühgeburt durch Reizung der Brustwarzen und die Kohlensäuredouche, wieder verlassen sind, so zeigt sich an manchen doch, welch ein exacter Beobachter S. war, indem er, um nur ein Beispiel herauszugreifen, schon im J. 1849 die häufige Veränderung der Kindeslage in der Gravidität constatirte und damit die alte Lehre von der Culbute wieder auffrischte, Beobachtungen, welche von Hecker erst im J. 1861 neu aufgenommen und bestätigt wurden. So hat ferner K. Schroeder Scanzoni’s Verdienste um die Aetiologie der fibrinösen Polypen in das gebührende Licht gesetzt. Außerdem zeigt die große Zahl der Auflagen, welche seine Lehrbücher trotz ihres Umfanges erlebten, daß Scanzoni’s Einfluß als Lehrer sehr bedeutend war.

Um die Mitte der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts stand S. auf der Höhe seines Ruhms und es ist sicher nicht zuviel gesagt, wenn man behauptet, daß er damals der gesuchteste und beliebteste Lehrer in der Gynäkologie, daß er der anerkannteste Consiliarius auf diesem Gebiete war, und daß er zu dem allgemeinen Aufschwung, den die Gynäkologie in jener Zeit nahm, sehr wesentlich beigetragen hat.

[726] Als nun unter der Aegide von Marion Sims und Gustav Simon die Gynäkologie immer mehr eine chirurgische Richtung einschlug, als Operationen auf Operationen folgten, deren Berechtigung von vielen Seiten bestritten wurde, da warnte S. vor der übertriebenen Operationslust und folgte nur ungern auf diesem Wege, selbst als die Lister’sche Methode die Gefahren derartiger Eingriffe wesentlich vermindert hatte. Seine letzte Publication befindet sich in der Festschrift, welche die medicinische Facultät der Universität Würzburg der Alma Julia Maximilianea zur dritten Säcularfeier 1882 widmete; sie bezieht sich auf seine Erfahrungen bei 198 Fällen von Beckenenge.

Ein Meister der Rede, elegant und vornehm in seiner Ausdrucksweise, verbindlich auch gegen seine Gegner, persönlichen Kämpfen abhold, mehr zur Vermittlung geneigt, gehörte S. jederzeit zu den Aerzten, zu welchen der jüngere Fachgenosse mit Verehrung und Stolz aufblickte.

In seinem Privatleben war er die Einfachheit selber; früher sehr gern gesellig, lebte er seit Anfang der 70er Jahre fast nur noch im Schooße der Familie. Bis zum Jahre 1868 besuchte er im Sommer stets das Bad Brückenau, wo er seine Familie um sich vereinigte; seitdem aber brachte er die Ferienzeit stets auf seinem Gute Zinneberg, in der schönen Natur am Fuße der oberbairischen Alpenkette zu. Hier ist er auch, nachdem er 1888 seine Professur in Würzburg niedergelegt hatte, am 11. Juni 1891 einem längeren Siechthum erlegen. S. war über 40 Jahre verheirathet und hinterließ vier Söhne und zwei Töchter. Von ersteren ist der zweitjüngste Arzt geworden und ein sehr gesuchter Chirurg in München-Schwabing.

S. war einer der beliebtesten Lehrer in seinem Fache, eine Leuchte der Wissenschaft und Tausenden und aber Tausenden von Kranken ein treuer und glücklicher Helfer und wird ein verehrungsvolles Andenken behalten bei Allen, die ihm im Leben je nahe getreten sind.

Pagel, Biographisches Lexikon, Berlin-Wien 1901, S. 1482. – Hirsch-Gurlt, Biograph. Lexikon 1888, Band VI, 994. – Gurlt, Nekrologe, Virchow’s Archiv Bd. CXXVII, 528. – Winckel, Deutsche med. Wochenschrift 1891, Nr. 30.