Zum Inhalt springen

ADB:Scherer, Alexander Nicolaus

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Scherer, Alexander Nicolaus“ von Ludwig Stieda in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 99–102, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Scherer,_Alexander_Nicolaus&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 18:00 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Scherer, Georg
Band 31 (1890), S. 99–102 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Alexander Nicolaus Scherer in der Wikipedia
Alexander Nicolaus Scherer in Wikidata
GND-Nummer 117218545
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|31|99|102|Scherer, Alexander Nicolaus|Ludwig Stieda|ADB:Scherer, Alexander Nicolaus}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117218545}}    

Scherer: Alexander Nicolaus S. erblickte das Licht der Welt zu St. Petersburg am 30. December 1771 (alten Styls). Sein Vater war ein in Straßburg geborener Elsässer, Dr. der Rechte Johann Benedict S., Beamter [100] des Collegiums für finnische, esthnische und livländische Rechtsangelegenheiten, seine Mutter stammte aus Riga. Al. Nicolaus mußte seine Jugend unter drückenden Verhältnissen verleben, offenbar deshalb, weil der Vater bald St. Petersburg verließ, ohne seine Familie mitzunehmen; 1775 befand sich der Vater Johann Benedict in Versailles als Beamter des auswärtigen Amts. Erst im J. 1783 kam der nunmehr 12jährige Knabe in eine günstigere Lage, insofern er nach Riga zum Bruder seiner Mutter übersiedelte: der wohlhabende Oheim sorgte väterlich für die Bildung und Erziehung seines Neffen. 18 Jahr alt verließ der junge S. die Rigaer Domschule und begab sich mit Unterstützung seiner Rigaer Verwandten nach Jena, um daselbst Theologie zu studiren (1789). Allein das Studium der Theologie sagte ihm nicht zu; er ging zum Studium der Naturwissenschaft, besonders der Chemie über – ohne Rücksicht, daß nun die heimathliche Hülfe aufhörte. Fleißig und eifrig in seinen Arbeiten, lenkte er die Aufmerksamkeit seiner Lehrer Göttling und Voigt auf sich. Voigt empfahl ihn durch Goethe dem damaligen Großherzog von Sachsen-Weimar zur geneigten Unterstützung. In Jena erwarb der junge Gelehrte im J. 1794 sich den Grad eines Doctors der Philosophie, wirkte mit bei Begründung der naturforschenden Gesellschaft und beschloß, sich der akademischen Lehrthätigkeit zu widmen. Er hat auch eine Zeit lang in Jena Vorlesungen über Chemie gehalten, muß aber dadurch mit seinen früheren Lehrern in Streitigkeiten gerathen sein. Weil auf dem Titel seiner umfangreichen Abhandlung („Grundzüge der neueren chemischen Theorie“, Jena 1795, 400 Seiten 8°) unter seinem Namen zu lesen war: „Privatlehrer der Chemie“, so ließ ihn der damalige Prorector kommen und ertheilte ihm – wie S. selbst erzählt – einen historisch-diplomatischen Verweis, obschon der Titel der Abhandlung von dem Decan der philosophischen Facultät gebilligt worden war. – Vom Großherzog durch ein reichliches Reisestipendium ausgezeichnet, ging der junge Gelehrte nach England und Schottland, um sich in Chemie und Technologie zu vervollkommnen. Nach seiner Rückkehr ließ er sich 1799 in Weimar bleibend nieder, erhielt vom Großherzog den Titel eines „Bergraths“ und begann hier öffentliche Vorlesungen zu halten. Er las auf Veranlassung des Großherzogs im großen Auditorium des Weimarer Gymnasiums vor einem gemischten Publicum über Experimentalchemie. Um die Anwendung der chemischen Lehrsätze im gewöhnlichen Leben darzuthun, wählte er die Lehre von den Gasarten zum besonderen Gegenstande seiner Vorträge und ließ im Anschluß daran drucken: „Kurze Darstellung der chemischen Untersuchungen der Gasarten. Für seine öffentlichen Vorlesungen entworfen“. Weimar 1799. Diese Anleitung ist später noch zwei Mal neu aufgelegt und auch ins Englische übersetzt worden. Daneben war S. auf litterarischem Gebiet sehr fleißig; er hatte bisher veröffentlicht: „Versuch einer populären Chemie“, Mühlhausen 1795, 318 S. 8°; „Nachträge zu seinen Grundzügen der neueren chemischen Theorie“, Jena 1796, 574 S. 8°; „Die neueste Untersuchung über die Mischung der Blasensteine“, Jena 1800; „Grundriß der Chemie“, Tübingen 1800, Cotta, 455 S. 8°. Ueberdies hatte er die Herausgabe eines „Allgemeinen Journals der Chemie“ begonnen: der erste Band erschien 1798. Durch seine wissenschaftliche Thätigkeit hatte sich S. sehr vortheilhaft bekannt gemacht, so daß er im J. 1800 als ordentlicher Professor der Physik an der Universität zu Halle angestellt wurde. – „Allein“, wie sein Biograph im Neuen Nekrolog der Deutschen sagt, „das Einförmige der Kathedervorträge und des auf seine Wissenschaft sich beschränkenden Professorlebens war ihm vom Haus zuwider.“ S. gab seine Stellung in Halle auf und wurde chemischer Leiter der Fayencefabrik des Baron v. Eckartstein bei Potsdam. Wie lange er in der Fabrik thätig war oder ob er die Fabrik von Berlin aus leitete, ist mir unbekannt, jedenfalls hielt er sich [101] im August 1801 in Berlin auf, um von hier aus das Allgemeine Journal der Chemie bequem herausgeben zu können (Einleitung des VII. Bandes). Das genannte Journal, das sich einer gewissen Beliebtheit zu erfreuen gehabt hat, erschien anfangs bei Breitkopf & Härtel in Leipzig, später in Berlin bei Heinrich Frölich in regelmäßiger Folge bis zum Jahre 1803, um dann aufzuhören. – S. verließ endgültig Berlin und Deutschland, um einem Rufe nach Dorpat Folge zu leisten. Die Universität zu Dorpat war am 21. April 1802 eröffnet; unter den bereits ernannten Professoren befand sich auch Dr. Arzt (aus Sachsen) als der erste Lehrer der Chemie und Pharmacie: allein Prof. Arzt starb schon am 1. Aug. 1802, nachdem er eben erst seine Lehrthätigkeit begonnen; zu seinem Nachfolger wurde S. erwählt, der im Beginn des Jahres 1803 in Dorpat eintraf und vor allem die Gründung eines chemischen Laboratoriums sich angelegen sein ließ. Aber schon im nächsten Jahre siedelte er nach St. Petersburg über als Professor der Chemie und Pharmacie an der medico-chirurgischen Akademie. – Der jugendliche Gelehrte fand ein ausgedehntes Feld der Thätigkeit vor, um sich als Lehrer, als Schriftsteller, als Organisator bald auszuzeichnen. Am 11. März 1807 wurde er zum außerordentlichen, am 16. August 1815 zum ordentlichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg ernannt. Er unterrichtete nicht nur an der medico-chirurgischen Facultät (Bildungsstätte für Militärärzte), sondern auch am pädagogischen Institut (Bildungsstätte für Lehrer) und an dem Berg-Cadettencorps. An der letztgenannten Anstalt hatte er zuletzt die Stelle eines Inspectors inne. Daneben hielt er eine Zeit lang während der Wintermonate öffentliche Vorträge über Chemie und Physik vor einem gebildeten Publicum. Er war thätig als Mitglied verschiedener Verwaltungen, des Medicinalraths, des Manufacturcollegiums u. a. Ein ganz besonderes Verdienst hat sich S. um Pharmacie und die Pharmaceuten in Rußland erworben durch Gründung der noch heute in St. Petersburg existirenden pharmaceutischen Gesellschaft. Nachdem er bereits im October 1817 eine pharmaceutische Schule eingerichtet hatte, unterbreitete er am 21. September 1818 den versammelten Apothekern und Chemikern den Vorschlag zur Gründung einer pharmaceutischen Gesellschaft. Der Vorschlag wurde mit großem Beifall aufgenommen und S. wurde zum beständigen Director erwählt. Schon am 24. December 1818 wurden die Statuten der Gesellschaft durch den Fürsten Alexander Golizyn bestätigt und am 30. December die Gesellschaft feierlich eröffnet. Trotz dieser mannichfachen Beschäftigung fand S. noch Zeit, sich der Wissenschaft hinzugeben. Er begann zuerst die Herausgabe eines Journals „Nordische Blätter für die Chemie“, I. Bd. (4 Hefte), Halle 1817, 1818; dann aber mit mehr Erfolg die Veröffentlichung der „Allgemeinen Nordischen Annalen der Chemie“ (für die Freunde der Naturkunde und Arzneiwissenschaft, insbesondere der Pharmacie, Arzneimittellehre, Physiologie, Physik, Mineralogie und Technologie im Russischen Reiche). Von diesem für Rußland außerordentlich wichtigen Journal erschienen 8 Bände von 1819–22, – warum die Zeitschrift zu erscheinen aufhörte, ist unbekannt. Aber noch ein anderes für Rußland bedeutungsvolles Werk hat S. verfaßt: „Versuch einer systematischen Uebersicht der Heilquellen des Russischen Reiches.“ Mit 11 Karten. St. Petersburg 1820, XVIII u. 338 S. – In den letzten Jahren seines Lebens hatte S. mancherlei Widerwärtigkeiten zu erfahren. Sein oben genannter Biograph schreibt: „Bei seiner natürlichen Heftigkeit und unbiegsamen Streitsucht machte er sich jedoch so viel Feinde und Widersacher, daß er in den letzten Jahren die nachtheiligsten Folgen davon verspürte.“ Mit Rücksicht auf die Studien, die S. über die Heilquellen Rußlands gemacht hatte, war er ausersehen worden, die kaukasischen Quellen einer genauen Untersuchung zu unterziehen. Allein – nachdem alle Vorverhandlungen [102] fast beendigt erschienen, wurde nicht S., sondern einer seiner Schüler, Neljubin (nicht Neljäbin) in die Kaukasusländer abcommandirt. Neljubin führte den Auftrag aus und lieferte nach seiner Rückkehr eine vollständige, historisch-medico-topographische, physico-chemische und medicinische Beschreibung der kaukasischen Mineralwasser, St. Petersburg 1825. – S. empfand die Absendung Neljubin’s als eine sehr schwere Zurücksetzung, sah sich genöthigt, seine Stellung an der medico-chirurgischen Akademie aufzugeben, erkrankte an einer Leberentzündung und starb am 28./16. October 1824. Er hinterließ eine Wittwe und drei Kinder.

S. hat außer den bisher genannten Werken, noch eine Reihe größerer und kleinerer Abhandlungen, zum Theil in Journalen, zum Theil gesondert veröffentlicht; alle hier aufzuzählen, hätte keinen Zweck: ein vollständiges Verzeichniß gibt das Gelehrten-Lexicon von Recke-Napiersky (IV, 54–57). Wir können uns nicht enthalten, die Schlußworte des oben citirten Nekrologs (Neuer Nek. d. Deutschen 1824, S. 1216) hierher zu setzen: Er – (S.) – hat viel erlernt, weniger ergründet, weil es ihm an Stätigkeit und Beharrlichkeit fehlte; er hat das höchste Ziel seiner Wissenschaft gekannt und vor Augen gehabt, aber sich ihm nie gänzlich genähert, weil ihn so vieles reizte und auch auf Abwege führte, er hat viel gearbeitet, gekämpft, mit Stürmen und Brandungen gerungen, ist aber eigentlich nie in den Hafen eingelaufen und erst mit seinem Tode zur Ruhe gekommen.

Recke-Napiersky, Gelehrten Lexicon IV, 53–57. – Neuer Nekrolog der Deutschen, 2. Jahrg. 1824. – G. Merkel, Darstellungen, II. Bd., 1840, S. 144–147.