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ADB:Siegemund, Justine

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Artikel „Siegemund, Justine“ von Franz von Winckel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 194–195, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Siegemund,_Justine&oldid=- (Version vom 20. November 2024, 09:17 Uhr UTC)
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Siegemund: Justine S., geb. Dittrich, Ende des 17. Jahrhunderts in Rohnstock bei Jauer in Schlesien geboren, als Tochter eines Geistlichen, und mit dem Rentschreiber Siegemund verheirathet, wurde als 20 jährige Frau für schwanger gehalten und 14 Tage lang als vermeintliche Kreißende von verschiedenen Hebammen gequält, bis sich endlich herausstellte, daß sie nicht schwanger war. Dadurch wurde sie veranlaßt, sich selbst dem Hebammenberufe zu widmen, um ihren Mitmenschen ähnliche Qualen, wie sie sie überstanden, zu ersparen. Wenn von irgend einer Frau gesagt werden kann, daß sie ihres Glückes eigner Schmied gewesen, so sicher von der Siegemundin, welche sich einen eigenen Unterricht verschaffte, durch Bücher und Abbildungen, und von ihrem 25. Jahre an zwölf Jahre hindurch armen Bäuerinnen beistand, bis ihr Ruf immer weiter drang, und sie erst als Hebamme nach Liegnitz und dann durch den Kurfürsten Friedrich Wilhelm als Hof-Wehe-Mutter nach Berlin berufen wurde. Von hier führte ihre Praxis sie bis nach Friesland und Holland. Ihre Erfahrungen legte sie in dem der medicinischen Facultät zu Frankfurt a. O. zur Censur unterbreiteten Werke „Die Kur-Brandenburgische Hof-Wehe-Mutter“ u. s. w. Cölln a. d. Spree nieder und erhielt von dieser ihre Approbation am 28. März 1689. Dieses Werk hat mehrere Auflagen 1692, 1723, 1756 – die letzteren unter dem Titel: Die Königl. Preußische und Kurbrandenburgische Hofwehemutter – erlebt und wurde schon 1691 von Cornelis Solingen in das Holländische übersetzt. Es enthält nur Originalabbildungen, welche in mancher Beziehung besser sind, als die der damaligen [195] Hebammenlehrbücher von Rößlin und Rueff. Sie schildert den Verlauf der Geburten trefflich, weiß auch, daß Gesichts- und Beckenendlagen ohne Kunsthülfe gut enden können; sie giebt genaue Schilderung der Untersuchungen, beschreibt die Wendung auf die Füße sehr gut; sie erfand ein Stäbchen zum Einführen von Wendungsschlingen; kannte auch bereits das Einleiten des vom Beckeneingang abgewichenen Kopfes durch innere Handgriffe und empfahl bei dem vorliegenden Mutterkuchen eine Behandlung, welche noch heutigen Tages oft mit Glück ausgeführt wird. In einem Streit mit dem Professor A. Petermann in Leipzig, welcher ihre Encheiresen absurde nannte, trat die Frankfurter Facultät auf ihre Seite. Zwar waren ähnliche Hebammenlehrbücher, wie das ihre, in Form von Fragen und Antworten zwischen zwei Hebammen geschrieben, schon früher erschienen, so von der Margarethe du Tertre 1677 , aber sie waren weit unter dem Werke der Siegemundin stehend, obwohl die du Tertre als Lehrerin im Hôtel Dieu jedenfalls bei weitem mehr Gelegenheit hatte, Erfahrungen zu sammeln, als die nur privatim prakticirende S.

Siebold, Versuch einer Geschichte der Geburtshülfe II, 201–205. – F. B. Osiander, Lehrbuch der Entbindungskunst. I. Theil: Geschichte. Göttingen 1799. S. 178.