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ADB:Snell, Christian Wilhelm

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Artikel „Snell, Christian Wilhelm“ von Wilhelm Sauer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 503–506, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Snell,_Christian_Wilhelm&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 20:50 Uhr UTC)
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Snell: Christian Wilhelm S., bedeutender Schulmann. Er gehörte einer durch Begabung und Tüchtigkeit hervorragenden nassauischen Gelehrten- und Beamtenfamilie an. Der Vater Johann Peter S., geboren am 25. Januar 1720 zu Braubach a. Rh., hatte seit dem Jahre 1741 zu Gießen studirt, wurde daselbst 1745 Magister und las als solcher daselbst in den Jahren 1746 und 1747. Seit 1749 verwaltete er das Diakonat zu Nassau, seit 1750 die Pfarrei Dachsenhausen bei Braubach (beide Patronatsstellen der Freiherrn vom Stein zu Nassau), erhielt dann die Pfarrei Klingelbach, wo er am 11. April 1797 als Metropolitan starb. Zu Dachsenhausen wurden den Eltern (Mutter Johanna Elisabeth Fresenius aus Niederwiesen) fünf Söhne geboren, unter diesen am 11. April 1755 Christian Wilhelm als zweites Kind. Die Erziehung der Kinder leitete der Vater, dessen ausgezeichnete Eigenschaften ebenso wie die sittlich strenge Lebensweise der mit nichts weniger als Glücksgütern gesegneten Pfarrersfamilie den Charakter des hochbegabten Knaben bildeten. Im J. 1776 bezog Christian Wilhelm die Universität Gießen, wo Vater und Großvater studirt und der Urgroßvater Joachim S. als Universitätsapotheker gelebt hatte. Nahe Verwandte, dem Gelehrtenkreise angehörig, wurden hier die Stütze des jungen Mannes, der sich den theologischen und philosophischen Studien mit einem solchen Erfolge widmete, daß er 1779 bei der philosophischen Facultät die Prüfung bestand. Im Januar 1780 wurde ihm die vierte, bald darauf die dritte und dann die zweite Lehrerstelle am dortigen Pädagogium übertragen. In diesen Stellungen war er vier Jahre thätig.

Es war ein glücklicher Griff des für die Hebung des Schulwesens außerordentlich thätigen Consistoriums zu Wiesbaden, Christian Wilhelm S. als Lehrer an das altberühmte, seit dem Jahre 1569 bestehende Gymnasium zu Idstein zu berufen. S. hat nicht wenig zu der Blüthe, welche diese Anstalt nochmals in der letzten Periode ihres Bestehens erreichte, beigetragen. Zahlreiche Söhne des Landes verdankten dem geliebten Lehrer hier sowie später in Weilburg ihre [504] wissenschaftliche Bildung und strenge, auf tiefempfundener Religiosität beruhende Gesittung. Mustern wir die Menge der sowohl durch Kenntnisse wie Charaktereigenschaften ausgezeichneten Beamten, Lehrer und Geistlichen, welche Christian S. zu Idstein und Weilburg gebildet hat, so werden wir leicht Treitschke’s rasch gesprochenes Wort von dem „elenden Beamtenthum Nassau’s“ auf sein richtiges Maß zurückführen können. Nassau’s begabtester und bedeutendster Verwaltungsbeamte, der Präsident Karl Ibell, der in den Jahren 1793–1797 Snell’s Schüler in Idstein war, hat bis in sein spätes Leben hinein dankbar dieser Zeit und seines trefflichen Lehrers gedacht. Am 16. Februar 1784 ward S. als Prorector nach Idstein berufen. Am 24. Juni 1797 folgte er dem verstorbenen Rector Rizhaub im Amte, erhielt den Charakter als Professor und Oberschulrath und wurde am 11. October 1809 zum Definitor des geistlichen Ministeriums ernannt. Gleichzeitig, am 3. September 1809, promovirte ihn die Universität Marburg zum Doctor phil. hon. causa.

Snell’s Wirksamkeit zu Idstein umfaßte 33 Jahre, von welchen 20 auf sein Rectorat kamen. In diesen Zeitraum fällt der Höhepunkt seiner wissenschaftlichen und pädagogischen Thätigkeit. Zu den frühesten damaligen Schriften gehören die 1785 geschriebenen Abhandlungen a) Ueber die Frage, wie soll der Ausspruch des Horaz Sapere aude in Ausübung gebracht werden, daß daraus das Wohl einzelner Menschen und ganzer Staaten entstehe; b) Welches sind die dauerhaftesten Mittel, den Menschen ohne äußere Gewalt zum Guten zu bringen, für welche er von der Münchener Akademie der Wissenschaften durch Verleihung einer goldenen und einer silbernen Medaille ausgezeichnet wurde. Seine Lehrmethode verfolgte vorwiegend praktische, die Vorbildung der Schüler für die Universität und das Leben besonders berücksichtigende Zwecke. Im philologischen Unterrichte beschränkte er sich niemals auf die grammatische Erläuterung, sondern legte wesentliches Gewicht auf die philosophische und ästhetische Auffassung der Schriftsteller. Snell’s akademische Studien hatten sich hauptsächlich auf Theologie und Philosophie erstreckt; der letzteren Wissenschaft blieb er sein Leben hindurch treu und suchte als strenger Kantianer für das Verständniß des Meisters zu wirken.

Der kleine Ort, in welchem S. so viele Jahre hindurch in treuester Pflichterfüllung wirkte, sah in dankbarer Verehrung zu dem Manne auf, der durch seinen tadellosen Charakter und sein umfassendes Wissen auf allen Gebieten Berather in öffentlichen Angelegenheiten und jedes Einwohners Vertrauensmann in privaten Dingen wurde. In Idstein bot sich ihm vielfach Gelegenheit, mit seiner Einsicht und seinem milden, versöhnlichen Sinne Gutes für den Ort zu wirken. Sein Aufenthalt daselbst fiel in jene trüben, unausgesetzt durch Kriegsstürme bewegten Jahre, in welchen das Fürstenthum Nassau-Usingen, sodann später das Herzogthum Nassau unter französischer, dem Lande die schwersten Opfer aufbürdender Botmäßigkeit stand, die von der Masse des Volkes mit Ingrimm und Unwillen getragen wurde. Snell’s ruhige, besonnene Entschlossenheit ebnete damals manchen schwierigen Einzelfall, manchen Zusammenstoß mit französischen Gewalthabern. Seine warm empfundene Vaterlandsliebe ließ niemals die Hoffnung auf die Befreiung Deutschlands von der Fremdherrschaft und die hierauf erfolgende durchgreifende Besserung der inneren Zustände sinken. Seine eigene patriotische Gesinnung pflanzte er tief in den Sinn seiner heranwachsenden Söhne. Bei der Reorganisation des höheren Schulwesens in Nassau wurden die bestehenden Gymnasien und Gelehrtenschulen aufgehoben, an deren Stelle das Landesgynmasium zu Weilburg und mehrere Pädagogien (gelehrte Elementarschulen) traten. Zum Director des Landesgymnasiums ernannt, siedelte S. im Frühjahr 1817 nach Weilburg über. Seine amtliche Thätigkeit endete hier in [505] Weilburg mit seiner unter dem 5. April 1828 erfolgten Versetzung in den Ruhestand. Daß hohes Alter und zunehmende Kränklichkeit die alleinige Ursache waren, welche den hochverdienten Mann zum Aufgeben seiner liebgewonnenen Thätigkeit bewog, wie dies officiell angegeben wurde, dürfen wir bezweifeln. Der mit der Uebersiedlung nach Weilburg beginnende Lebensabschnitt des allerdings schon alternden Mannes war eine ununterbrochene Kette schwersten Ungemachs und häuslicher Sorgen, so daß nur ein so tief philosophisch angelegter Charakter im Stande war, dem jahrelangen Ansturm des Unglücks die Stirn zu bieten. Seit jener Zeit lastete schwer auf ihm und seinem Hause das harte Geschick seiner Söhne, deren Grundsätze seine Lehre gebildet hatte. Besonders die beiden älteren Söhne Wilhelm und Ludwig hatten sich schon in ihrer Gießener Studienzeit den politischen Bestrebungen der dortigen Studentenschaft, die bekanntlich bald auf eine sehr abschüssige Bahn geriethen, angeschlossen. Später, zu amtlichen Stellungen gelangt, erscheinen beide Brüder als die eifrigsten unter den Urhebern einer freisinnigen Bewegung im Herzogthum Nassau, die besonders lebhaft wurde, als Herzog Wilhelm sich im J. 1818 entschlossen hatte, die in der Verfassung von 1814 vorgesehenen Landstände zum ersten Male zu versammeln. Der alte ehrwürdige Oberschulrath S., der Vater, leitete, zum Präsidenten der zweiten oder Deputirtenkammer ernannt, deren Verhandlungen, die bald einen erregten, sich immer mehr von den Intentionen der Regierung abwendenden Charakter annahmen und sogar bedenklich zu werden drohten. Die thatsächlich herrschende Verstimmung gegen die von dem Minister v. Marschall und dem Präsidenten Ibell geleitete Regierung wurde vermehrt durch eine der Ständeversammlung von mehreren Städten eingereichte Beschwerde über Verwaltungsmißbräuche. Als Verfasser dieser nicht ohne die intellectuelle Mitwirkung des Ministers K. F. vom Stein zu Stande gekommene Beschwerdeschrift wurde Wilhelm S., damals – 1818 – Criminalrichter zu Dillenburg, ermittelt. Wilhelm S. wurde kurzer Hand seines Dienstes entlassen und sah sich, als er später durch die Mainzer Central-Commission wegen der Anschuldigung demagogischer Umtriebe zur Untersuchung gezogen und verhaftet werden sollte, schließlich zur Flucht in die Schweiz gezwungen. Ludwig S., zunächst Conrector am Gymnasium zu Idstein, dann 1817 als Director des Gymnasiumes nach Wetzlar berufen, wurde, gleichfalls unter dem Verdachte demagogischer Umtriebe stehend, von der Mainzer Commission zur Untersuchung gezogen, dann seines Dienstes entlassen und mußte später Zuflucht bei dem Bruder in der Schweiz suchen. Das Schicksal dieser beiden Söhne, deren außerordentliche Fähigkeiten zu den glänzendsten Hoffnungen berechtigt hatten, lastete um so schwerer auf dem Vater, als jene für sich und ihre Angehörigen (Wilhelm war Familienvater) auf seine Unterstützung angewiesen waren.

Den Vorsitz in der Deputirtenkammer führte Christian Wilhelm S. nur in dem für seine Familie so verhängnißvollen Jahr 1818, bei der folgenden Tagung der Landstände im Jahr 1819 wurde er nicht wieder ernannt. Theils mag dies seinem eigenen Wunsche entsprochen haben und wird die Rücksicht auf die Verwicklungen, in welche sein Sohn Wilhelm durch die Vorkommnisse des Vorjahres gerathen war, hierfür maßgebend gewesen sein. Andererseits aber war er der ausgesprochen freisinnigen Majorität der Kammer durch seine entschiedene Stellungnahme auf der Seite der Regierung, insbesondere in dem damals in seine ersten Stadien getretenen Domainenstreite, mißliebig geworden, so hoch auch allseitig sein ehrenhafter Charakter geschätzt wurde. Es mag dieses Jahr 1819 das am meisten mit Bitterkeit gefüllte seines langen Lebens gewesen sein. Am 1. Juli dieses Jahres unternahm sein Schüler Karl Löning aus Idstein, der außerdem seinem Hause von Jugend auf befreundet war, den Mordversuch auf den Präsidenten [506] Ibell, angeblich, um die im Vorjahre von Ibell verfügte Dienstentlassung des Criminalrichters Wilhelm S. zu rächen. In die Untersuchung, auf welche wir hier nicht eingehen können, wurden zum größten Kummer des alten, schon so schwer geprüften Mannes, seine eigenen Angehörigen verwickelt. Sorgend und bangend um das Geschick zweier geliebter Söhne, denen Heimath und Vaterhaus verschlossen, kämpfend gegen Ungemach und den Verfall der geistigen Kräfte, hat Christian Wilhelm S. noch fast zehn Jahre die Direction des Gymnasiums zu Weilburg geführt. Endlich erlahmten die Kräfte des sonst rastlos thätigen Mannes; am 5. April 1828 erhielt er vom Herzog Wilhelm, der ihn persönlich hochverehrte, die Dienstentlassung unter Verleihung der goldenen Verdienstmedaille und Zubilligung einer über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehenden Pension. In einem feierlichen Schulactus verabschiedete er sich von seinem Gymnasium, dessen Schüler ihm ein werthvolles Andenken überreichten. Darauf zog er sich nach Wiesbaden zurück, wo ihn am 31. Juli 1834 ein sanfter Tod von seinen Leiden erlöste. Dankbare Schüler schmückten im Herbste 1836 sein Grab durch ein würdiges Denkmal.

Strieder, hessisches Gelehrtenlexikon s. v. Snell. – Friedemann, Andenken an Dr. Chr. W. Snell (mit Verzeichniß seiner Schriften), in dessen Beiträgen zur Kenntniß des Herzogthums Nassau, II. – Zur Erinnerung an Dr. Chr. W. Snell, Wiesbaden 1840. – Sauer, K. F. vom Stein und die Entstehung der nassauischen Verfassung, in den Annalen des nassauischen Alterthumsvereins 1890, XXI. – Meinecke, die deutschen Gesellschaften und der Hoffmann’sche Bund. – Akten.