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ADB:Sommer, Anton

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Artikel „Sommer, Anton“ von Bruno Haushalter in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 594–597, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sommer,_Anton&oldid=- (Version vom 13. November 2024, 23:42 Uhr UTC)
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Sommer: Anton S., Garnisonprediger in Rudolstadt (1816–1888), der Dichter der „Bilder und Klänge aus Rudolstadt“. Als Sohn des Concertmeisters S. wurde er am 11. December 1816 in Rudolstadt geboren und zwar in dem Hause Am Gatter Nr. 6. Seine Knabenzeit verlebte er indeß in der von ihm so humoristisch geschilderten Strumpfgasse, wo sein Vater 1817, als der Knabe etwa ein halbes Jahr alt war, das Haus Nr. 15 gekauft hatte. „War in d’r Strompfgasse wuhnt, dar kricht gerade nech völ zu siehn; war [595] noch partu dorch muß, dar hitt sich wul, denn ’s ös ä Flaster höng, daß mer kann an hallen, lichten Tage Arm un Bäne brache, un folgdersch in d’r Nacht, da ös änne Dinkelchen salt, daß mer kann ’n Kopf einrenne“ (Bilder u. Kl. I. 158). Schlicht bürgerlich, aber nicht ärmlich waren die Verhältnisse in Sommer’s Elternhause. Sie führten ihn schon wegen des Wohnens in der Strumpfgasse mit „kleinen Leuten“ zusammen und legten schon in der Jugend des Dichters den Grund zu der gründlichen Kenntniß der heimischen Mundart, die nirgends so rein und unverfälscht gesprochen wurde, als in der Altstadt und namentlich in der stillen, vom Verkehre kaum berührten Strumpfgasse. „Wenn de Schitzen ’n Vogel rommtrommeln, oder wenn se bei ’n Mästerstöcke ’n Ochsen romfihrn, oder wenn de Schiller änn Fackelzug bröng, oder wenn ä Barenfihrer in d’r Stadt rommziht – von dann allen kriecht mer da höng nischt zu siehn, höchstens daß mer ämal bei ’n Viehmarke ä paar Schweine hiert quickse, die se salt dorchzerren, oder wenn de Leite Möst fahren“ (B. u. Kl. I, 158). Aber die Verhältnisse des Elternhauses gestatteten doch auch, daß der Knabe das fürstliche Gymnasium seiner Vaterstadt besuchte und sich zum Studium der Mathematik in Jena entschließen konnte. Selbst in eine studentische Verbindung trat S. ein, in das von Rudolstädtern damals besonders gern aufgesuchte Corps der Thüringer. Die Burschenschaft gehörte damals in Jena, wie auf allen deutschen Universitäten infolge der Karlsbader Beschlüsse, zu den verbotenen Verbindungen. Der im höheren Alter fast ganz erblindete Dichter, den ich zehn Jahre lang als Vorleser und Freund besuchen durfte, hat mir öfters erzählt, wie einfach damals die geselligen Vergnügungen innerhalb seines Corps gewesen, welche Freude es jedesmal erregt, wenn die heimathliche Kiste mit Eßwaaren angekommen, wie die sogenannten Hoftage beim Herzog Tus von Lichtenhain dem so und so vielten in Jugendlust und -laune und stets in zwangloser Heiterkeit abgehalten worden seien. Die Aussicht auf eine gesicherte Zukunft bestimmte S. schon nach einem Halbjahr das Studium der Mathematik mit dem der Theologie zu vertauschen. Nach bestandenem Candidatenexamen ging er nach Berlin, wo er als Lehrer an einer Privatschule thätig war, und in Privatstunden auch die jetzige Gemahlin des Herzogs von Meiningen, Freifrau von Heldburg, unterrichtete. Von Berlin siedelte S. dann nach Blankenhain bei Weimar über und wirkte dort als Privatlehrer. An die Blankenhainer Zeit dachte er stets mit einer gewissen Wehmuth zurück: eine unglückliche Liebe hatte den Ort für ihn geweiht. Er hat niemals geheirathet. Von Blankenhain kehrte er nach seiner Vaterstadt zurück, um dort die Leitung der höheren Töchterschule zu übernehmen. Viele geistvolle Frauen der ersten Familien Rudolstadts sind seine Schülerinnen gewesen, die ihn verehrten und ihn bis ins Greisenalter an seinem Geburtstage jedesmal mit sinnigen Geschenken erfreuten. In Geschichte und Geographie unterrichtete er auch, und zwar trotz zunehmender Erblindung bis wenige Jahre vor seinem Tode, im fürstlichen Seminar. Im J. 1863 wurde ihm – dem 47jährigen! – das Amt eines Garnisonpredigers für das Rudolstädter Bataillon übertragen, das er auch behielt, als nach den Veränderungen von 1866 die Verwaltung des Bataillons in preußische Hände überging. Damit hängt es denn auch zusammen, daß seine Besoldung eine höchst bescheidene blieb: sie erreichte noch nicht ganz 400 Thaler. Besondere Geistliche für ein Bataillon kennt die preußische Heeresverwaltung nicht, er blieb also auf dem Gehalte stehen, mit dem er übernommen worden war; aus Rudolstädter Diensten war er aber ausgeschieden. „Im Alter müssen mich meine Kinder ernähren helfen!“ sprach er öfter aus: er meinte die „Bilder und Klänge“, die ihm bei neuen Auflagen einen bescheidenen Zuschuß zu seiner kärglichen Besoldung gewährten. Als Geistlicher war er bei seiner soldatischen Gemeinde sehr beliebt. Selbst als sein Augenlicht [596] immer mehr abnahm, versah er sein geistliches Amt mit derselben Unermüdlichkeit und Frische. Kannte er doch in seiner lieben Garnisonkirche jeden Schritt und Tritt, den er zu thun hatte. Wer es nicht wußte, der konnte es nicht wahrnehmen, daß er fast erblindet war und den Bibeltext nicht las, sondern aus dem Kopfe sprach. Doch endlich mußte er um seine Versetzung in den Ruhestand bitten, die ihm denn auch mit seinem vollen Gehalte gewährt wurde. Vorher hatte er schon die Freude gehabt, seine dichterischen Verdienste durch das Fürstl. Schwarzburgische Ehrenkreuz und preußischerseits durch den Rothen Adlerorden auch äußerlich anerkannt zu sehen. So verlebte S. noch einige stillere Jahre, wegen seiner Erblindung ganz an das Haus gefesselt, indes theilnahmevoll für alles, was Deutschland und seine Thüringer Heimath, namentlich sein liebes Rudolstadt anging, zu dessen Ehrenbürger er schon am 11. Dec. 1881 ernannt worden war. Auch dadurch ehrte ihn seine Stadt, daß sie eine der neuen Straßen, die der Schwarzburgerstraße parallel vom Ritter bis zur Stadtbrücke am Anger vorbei laufende Sommerstraße, nach seinem Namen nannte. Früher ein großer Freund heiterer Geselligkeit, konnte S. nun dieselbe nur im allerengsten Freundes- und Verwandtenkreise noch einigermaßen pflegen. Einen schmerzlichen Verlust sollte er noch durch den Tod seiner greisen Schwester erleiden. Seine Unterhaltung war, sich vorlesen zu lassen, wobei er mit besonderer Freude die von Bismarck handelnden Werke hörte. – Dem Tod ruhig entgegengehend starb er am 1. Juni 1888. Seine Wohnung in der Mauerstraße Nr. 27 bezeichnete die Stadt durch einen Stein von schwarzem Marmor mit der Inschrift: „In diesem Hause wohnte und dichtete Anton Sommer 1868–1888.“ Die ersten Nummern seiner „Bilder und Klänge aus Rudolstadt in Volksmundart“ sind bald nach 1848 entstanden, während die erste Gesammtausgabe erst 1881 erschien. Einige spätere Gedichte sind in seine Gesammtausgabe nicht aufgenommen, aber aus den 80er Jahrgängen der Schwarzburg-Rudolst. Landeszeitung zu ersehen. Auch bietet der Rudolstädter Hauskalender noch eine ganze Zahl von hübschen Sommer’schen Gedichten und Scherzen, sogenannten „Schnarzchen“. Wer kennte nicht in Thüringen und darüber hinaus Sommer’s „Hämwieh“ (B. u. Kl. I, 50; eine vom Dichter selbst stammende Composition ist dem VI. Bande angefügt). Die Liebe zu seiner schönen Heimath spricht der Dichter in immer neuen Zügen aus, so in den Gedichten „Off d’r Räse“ (B. Kl. I, 62) „Unsre Mägen“ (Mädchen; I, 165), „Unsre Faste“ (I, 170), „Mei Rudelstadt“ (I, 399), „’s beste Thäl“ (II, 1), „An de Rudelstädter“ (II, 78), „Einladung“ (II, 326). Rudolstädter Leben in seinen Hauptereignissen zeichnet S. in den Gedichten I, 18 „De Schlachtschössel“, I, 25 „De gruße Möttewoche“, I, 41 „Bei’n Feierwarke“, I, 74 „Das Zwackassen“, I, 142 „Off’n Vogelharde“, I, 151 „De Träbestatt“ (die Treibstätte beim Fischtreiben), I, 167 „’s Schittchenbacken“ (in Prosa) und I, 339 „De Schittchen“, einer Parodie von Schiller’s Glocke, I, 175 „’s Vogelschießen“, I, 279 „’s Usterwasser“, I, 364 „Weihnachten un was su alles noch dran romm bambelt“, I, 402 „Von Dorfe“ („De Kermse“, die Kirmes, Kirchweih), vgl. die köstliche, wenn auch etwas herbe Erzählung II, 104 „Ä Pachvogel“, I, 7 „De Buzelmänner“, II, 28 „Ä Koffeeklatsch“ (in Prosa), II, 244 „D’r Flurzug“, II, 311 „Unsre berachtigten Agenthimlichkäten“, wobei verglichen werden mögen II, 89, 285 u. 363 die von drei verschwundenen Eigenthümlichkeiten Rudolstadts reden, dem „Storchthurm“, dem „Wochenblatt“ und dem „Kanonenhaus“, II, 352 „Unser Wollmark“. Eine sehr ansprechende Art humoristischer Dichtungen bei S. sind die Parodieen, Travestien und komischen Beurtheilungen hochdeutscher, meist Goethe’scher und Schiller’scher Gedichte so köstlich philisterhaft altklug und dabei doch so harmlos, daß ihr Spott natürlich nicht die Originale, sondern nur das der Poesie gegenüber [597] begriffslose Spießbürgerthum trifft. Solche Dichtungen, meist in Prosa, sind: I, 30 „De Bärgschaft“, I, 115 „Drei Worte des Wahns“, I, 117 „De wandelnde Glocke“, I, 124 „Ritter Toggenburg, wie mirsch mei Nachbar Traugott in d’r Farsche erzöhlt hatt“, I, 145 „D’r Ring des Polykrates“, I, 214 „Erlkönig“, I, 301 „D’r Wassersprönger“ (Der Taucher), I, 339 „De Schittchen“, II, 131 „D’r Sänger, mit Glossen von meinen Nachber Hangärge,“ II, 291 „Von’n gehörnten Siegfried“ und endlich das schönste Stück von allen dieser Art, die überaus wohlgelungene Travestie „D’r Handschuh“, deren Schluß ich hersetzen will, um die ganze Art kurz zu kennzeichnen:

„Da machten se freilich gruße Agen
Un kröcht’n höng un vorne bei’n Kragen.
Un wie se su Complemente schneiden
Un de Köpfe recken off allen Seiten,
Da blinselt ’n de Mamsell schonne zu
Un will aben’s Maul offthu,
Ar keilt ’r aber ’n Handschuch ins Gesöchte.
Un’s Ende von d’r ganzen Geschöchte
War, wie’s nech annersch zu verlang:
Ar ös nech merre met ’r gang.“

Sehr hoch zu stellen sind die „Bilder“, die S. vom Rudolstädter Volksleben in Prosa gezeichnet hat. Die Stücke: I, 46 „A narrscher Tram“, I, 82 „Stromersch Gottlieb“, I, 250 „In Dussel“, I, 272 „Off’n Kugelläge“, I, 427 „Ä Hämwag met Höndernissen“, II, 263 „Iber’sch Tanzen“ – um nur einige anzuführen – sind wahre Meisterstücke in ihrer Art. Sie sind nicht erfunden, sondern wirklich erlebt; aber nicht nur so hin erzählt, sondern mit dem feinsten Verständniß für das wirklich Komische künstlerisch abgerundet. Als besonders schön seien noch folgende Gedichte genannt: I, 1 „D’r erschte Staar“, I, 197 „Sehnsucht“, I, 206 „Verbei“, echte Beweise für das tiefe Gemüthsleben des Dichters. Auch auf die Sinnsprüche unter der Ueberschrift „Gemätsche“ (kleine Sachen, Abfall) II, 217 machen wir ebenfalls noch besonders aufmerksam. Verschiedene dieser Sprüche echt volksthümlicher Weisheit stehen angeschrieben im sogenannten Gemeindezimmer bei „Boucher“ (Wohlfarth) am Anger, wo S. viel verkehrt hat, als er noch in Gesellschaft ging. Wir schließen mit dem Nachwort Anton Sommer’s zum II. Bande der „Bilder und Klänge“, S. 396:

 „Gih nune hönn, mei klänes Buch,
Du brauchst dich nech zu schame,
Du hast schonn draußen Freinde g’nug,
Die war’n dich garn offnahme;
Klingt deine Sprache a gemäne,
Dei Herz ös gut, dei Sinn ös räne.

 Woll’n wu de Leite lustig sei
Un garn änn Spas sich mache,
Da half derzu un sei derbei
Un laß se harzlich lache;
’s göbt in dar Welt ja su satt Plage,
Drom freit aich recht an guten Tage.“