ADB:Spix, Johann Baptist von
Marcus und Schelling näher anschloß, prakticirte kurze Zeit in Bamberg, wurde 1811 durch den Einfluß des ihm nahe befreundeten Schelling als Adjunct der Akademie nach München gerufen, von wo aus er im Interesse der naturgeschichtlichen Sammlungen des Staates Reisen ans Mittelmeer unternahm. Zum Mitgliede der Akademie und Conservator der Zoologischen Sammlung ernannt, ward er 1815 gemeinsam mit Martius ausersehen, eine von der baierischen Regierung auszurüstende naturwissenschaftliche Expedition nach Südamerika zu führen. Martius, der 1812 von S., als dieser Erlangen zum Behufe der Erwerbung der Schreber’schen Sammlungen besuchte, veranlaßt worden war, als akademischer Eleve nach München überzusiedeln, betrieb die Vorbereitungen zur Reise in freundschaftlicher Uebereinstimmung mit S., und beide Forscher, S. als der in der akademischen Rangordnung höhere der Führende, schlossen sich dem wissenschaftlichen Gefolge der österreichischen Erzherzogin Leopoldina an, welche 1817 nach Brasilien fuhr, um neben Dom Pedro I. ihre Stelle auf dem jungen Kaiserthron Brasiliens einzunehmen. Beide Forscher, welche ihre letzten Vorbereitungen in Eile hatten treffen müssen, verließen am 6. Februar 1817 München, vervollständigten in Wien ihre Ausrüstung und schifften sich am 7. April in Triest in Gemeinschaft mit den österreichischen Gelehrten Natterer, Pohl, Schott u. a. auf der österreichischen Fregatte „Austria“ ein, verließen drei Tage darauf den Hafen und langten, nachdem noch in der Adria ein heftiger Borasturm sie mit dem Untergang bedroht hatte, am 15. Juli in Rio de Janeiro an. Ueber den äußeren Verlauf der Reise, die am 8. December 1817 von Rio aus angetreten wurde und nach der Reihe durch die Provinzen San Paulo, Minas Geraes, Goyaz, Bahia, Pernambuco, Piauhy und Maranhão führte, um am 16. April 1820 in Pará zu endigen, ist wenig dem zuzufügen, was in dem Artikel über Martius (A. D. B. XX) gesagt ist. Die beiden Reisenden trennten sich schon in Rio von den österreichischen Gefährten, da ihre Aufgabe die Erforschung eines möglichst großen Theiles von Brasilien auf möglichst langem Wege und die Beobachtung nicht bloß der Pflanzen- und Thierwelt, sondern auch des Völkerlebens umfaßte. Sie stellten viele Beobachtungen gemeinsam an. Längere Aufenthalte machten sie in Bahia Ende 1818, dann in San Luiz de Maranhão, wo sie die willkommene Nachricht von der Genehmigung der Fortsetzung ihrer Reise durch Gran Pará erhielten. Längs der Küste fuhren sie von hier nach Pará, wo sie die Vorbereitungen zum Eindringen in das Innere des Amazonas-Gebietes trafen. Am 21. August verließen sie Pará, wo nach Martius’ Bericht sie die glücklichsten Zeiten ihrer Reise, besonders auch in der Gesellschaft des Italieners Zany verlebt hatten, der ihnen als Führer ihres Schiffes auf dem Amazonas die wesentlichsten Dienste später leisten sollte. Am 18. September waren sie in Santarem und erhoben sich am 22. October aus den Niederungen des Amazonas auf das höhere Ufergelände des Rio Negro, um in Barra del Rio Negro (jetzt Manão) herrliche Tage der Erholung zu verleben, die mehr noch dem phantasievollen S. als Martius den Eindruck hinterlassen mochten, daß „diese Gegend für süße, herzzerschmelzende Wehmuth geschaffen, das Land philosophischer Beschaulichkeit, heiliger Ruhe, tiefen Ernstes“ sei. Von diesem fast in der Mitte des Aequatorialdurchmessers Südamerikas gelegenen Punkte aus begaben sie sich den Solimoes aufwärts, um die inmitten [232] der Einförmigkeit des mittleren Amazonas-Gebietes immer verlockender an sie herantretende Frage zu lösen, wo die Grenze zwischen dieser Natur und der von den Einflüssen der Anden bestimmten zu ziehen sei. In Villa Ega trennten sie sich, um zum Schlusse noch ein größeres Gebiet zu umfassen. S. fuhr am 7. Decbr. den Solimoes weiter aufwärts und überschritt am 9. Januar die brasilianische Grenze bei Tabatinga, während Martius und Zany den Yupurá befuhren. S. traf am 3. Februar in Barra del Rio Negro wieder ein, während Martius von seiner gefahren- und abenteuerreichen[WS 1] Reise erst am 11. März zurückkehrte. Briefe aus Pará, welche die baldige Abreise eines brasilianischen Geschwaders nach Lissabon meldeten, bewogen die Reisenden, mit einem Abstecher zu den Mundrucu’s direct nach Pará zu fahren, wo sie am 16. April eintrafen. Die Verpackung der Thiersammlungen, welche das Münchener Museum mit 85 Arten von Säugethieren, 350 Vögeln, 130 Amphibien, 116 Fischen, 2700 Insecten, 80 Arachniden und ebensoviel Crustaceen bereicherten, während Martius 6500 Pflanzenarten mitbrachte – 57 Thiere, besonders Affen und Papageien, kamen lebendig in München an – bereitete S. große Schwierigkeiten; am 13. Juni war sie vollendet, am 18. Juni stach die „Nova Amazona“ in See. Nach einer durch die Leiden der schlechten Behandlung durch den geizigen Capitän und die Furcht vor nordamerikanischen Capern unerfreulichen Ueberfahrt, auf der ihnen zwei indianische Begleiter starben, betraten sie am 24. August portugiesischen Boden, sandten ihre Sammlungen über Triest und eilten über Madrid und Lyon der Heimath zu, wo sie am 10. December wieder eintrafen. Beide Reisende wurden vom König und der Akademie hoch geehrt. Aber S., der schon auf der Reise viel von Fiebern zu leiden gehabt hatte und mit geschwächter Gesundheit zurückgekehrt war, war kein langes an Ehren reiches Leben beschieden wie seinem treuen Gefährten; er starb schon 6 Jahre nach der Rückkehr im 45. Jahre seines Lebens als k. b. Hofrath, Ritter des Civilverdienstordens der b. Krone etc. In S. tritt keine abgeschlossene wissenschaftliche Persönlichkeit vor uns hin. Eine phantasievolle, bis auf die Wurzel von den Principien der Naturphilosophie durchdrungene Natur, wie ihn Martius genannt hat, schlug er zur Bewältigung des riesigen Thatsachenmaterials seiner Wissenschaft nicht mit Vorliebe den Weg zur Einzelerforschung eines engen Gebietes ein, sondern entwarf große Pläne, die in einem so kurzen Leben auch sein Fleiß und seine Begeisterung nicht zu vollenden vermochten. Seine 1815 erschienene Cephalogenesis, welche den Bau des Schädels durch alle Classen des Thierreiches verfolgte, um aus den oft sehr gewagten Vergleichen leges simul psychologiae, cranioscopiae et physiognomiae abzuleiten, hat die Wissenschaft nicht wesentlich gefördert, weil die Vertiefung in das Material für einen so großen Entwurf zu gering, zumeist überhaupt damals noch nicht möglich war. Von seiner ebenso groß gedachten unterirdischen Zoographie und Phytographie von Bayern, für die er große Sammlungen angelegt hatte, wurde er durch die brasilianische Reise abgelenkt. Als er heimgekehrt die Ordnung und Bekanntmachung seiner Sammlungen in Eile betrieb, um noch einmal nach Brasilien behufs Ausarbeitung einer allgemeinen Encephalogenesis zurückzukehren, stürzte ihm der Tod diesen Plan um. Seine erste größere Schrift „Geschichte und Beurtheilung aller Systeme in der Zoologie“ rühmt Martius als Werk eines gelehrten und geistvollen Forschers. Außer einer kleinen gehaltvollen Schrift über die Entwicklung Brasiliens (1822) hat er zur Kunde der Geographie und Ethnographie Brasiliens leider nichts beigetragen, wogegen ihm die Fauna Südamerikas die Feststellung einer großen Anzahl von Thierformen verdankt.
Spix: Johann Baptist v. S., geboren am 9. Februar 1781 in Höchstadt a. d. Aisch, † am 15. Mai 1826 in München (die Angabe des 13. Mai im Neuen Nekrolog der Deutschen ist unrichtig). S., Sohn eines Stadtchirurgen und Bürgerrathes, war anfangs zum Studium der Theologie bestimmt, welchem er in den Seminarien von Bamberg und Würzburg oblag, wandte sich aber 1804 der Medicin zu, die er im ausgesprochensten naturphilosophischen Geiste zu erfassen suchte, doctorirte in Würzburg, wo er sich- Die gemeinsam mit Martius herausgegebene Reisebeschreibung. – Neuer Nekrolog der Deutschen, 1826 (wenig genauer Nekrolog nach Zeitungsangaben). – Martius, Erinnerung an Mitglieder der m.-ph. Klasse der K. b. Akadamie, 1859. – Schramm, Martius’ Lebens- und Charakterbild, 1869.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Im Original: aberteuerreichen