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ADB:Staiger, Johann

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Artikel „Staiger, Johann“ von Gustav Roethe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 786–787, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Staiger,_Johann&oldid=- (Version vom 13. November 2024, 23:41 Uhr UTC)
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Staiger **): Johann St., Weber zu Ulm, verfaßte 1588 oder bald nachher ein dreißigstrophiges Lied, das von der chiliastischen Beunruhigung der Zeit beredtes Zeugnis ablegt. Hatten doch der Züricher Stuckius, der Königsberger Molitor, der Braunschweiger Nachenmoser und viele Andere scheinbar unabhängig durch abenteuerliche Berechnungen die Jahre 1586–1588 als fatale Entscheidungsjahre festgestellt, in denen der Anbruch des jüngsten Gerichts zu gewärtigen sei. Das Ausbleiben des fest erwarteten Weltuntergangs verstimmte fast die Gläubigen. Aus dieser Stimmung oder Verstimmung ist Staiger’s Lied erwachsen. Mit der Schärfe des Verdrossenen übt er eine bittre, allerdings sehr allgemeine und traditionelle Kritik an den vorhandenen Zuständen; durch die fromm abschwächende Einkleidung klingt das eine Leitmotiv durch: Alles, was besteht, ist werth, daß [787] es zu Grunde geht. Durch gehäufte Schilderung der verkommenen Zeit sucht St. gleichsam Gott selbst zu überzeugen, daß das tausendjährige Reich nahe bevorstehn müsse. Hinaus läuft das Ganze auf eine Mahnung an die Begüterten, sie möchten Christum in den Armen, den Hungernden und Frierenden ehren. Staiger’s Kunstmittel, so die massenhafte Personification der Tugenden in der achten Strophe, haben etwas Mittelalterliches. Er ist kein Meistersinger, von jeder Art poetischer Schulung weit entfernt. Er ist im Grunde rein volksthümlich; stellt er doch gar in der letzten Strophe seines Liedes die Volksliedfrage: „Wer ist der uns das Lied hat erdicht?“ Diese halb unbewußte Volksthümlichkeit, die leider auch in der flüchtigen Behandlung der Gedanken, des Rhythmus und der Reime zu Tage tritt, verräth sich nicht minder in der Wahl der Weise. St. wollte Adam Reußner’s Melodie „Ewiger Vater im Himmelreich“ seinem Texte zu Grunde legen, und er ahnte wol nicht, daß jene Melodie Reußner’s weiter nichts sei, als der einfache, alte, einst bänkelsängerisch populäre, aber jetzt aus der Mode gekommene Herzog-Ernst-Ton.


[786] **) Zu S. 411.