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ADB:Tinne, Alexandrine

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Artikel „Tinne, Alexandrine“ von Friedrich Ratzel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 359–360, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tinne,_Alexandrine&oldid=- (Version vom 30. Dezember 2024, 18:57 Uhr UTC)
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Tinius, Johann Georg
Band 38 (1894), S. 359–360 (Quelle).
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Tinne: Alexandrine (Alexine) T., niederländische Reisende, wurde geboren am 17. October 1835 im Haag, wo ihr Vater, geborener Holländer und naturalisirter Engländer, mit der Tochter des holländischen Admirals van Capellen vermählt war. Das einzige Kind reicher Eltern empfing eine vorzügliche Erziehung, die besonders ein großes Sprachtalent früh entfaltete. Auf Reisen nach fast allen Ländern Europas erweiterte sich rasch ihre Anschauung und seit 1856 besuchte sie öfters den Orient und mit Vorliebe Aegypten. Sie schreibt sich selbst eine natürliche Neigung für das arabische Leben zu, das „das Malerische mit dem Anmuthigen, die Freiheit mit der Neuheit verbindet“. – Ihren Vater hatte sie als junges Mädchen verloren, ihre Mutter und ihre Tante, Adriana van Capellen, scheinen der unternehmungslustigen, thatkräftigen Jungfrau fast willenlos gefolgt zu sein. Sie siedelten 1861 aus dem Haag nach Cairo über und unternahmen 1862 die erste Reise nach dem oberen Nil bis Heiligkreuz mit einem Abstecher auf den unteren Sobat, der 1863 eine zweite in Gesellschaft v. Heuglin’s und Steudner’s von Chartum aus nach dem Bahr el Ghasal und Djur folgte. Frau Tinne, Dr. Steudner und zwei europäische Dienerinnen starben hier am Fieber und ihnen folgte 1864 die in Chartum zurückgebliebene Tante. Fräulein T. reiste über Suakim nach Cairo, wo sie mehrere Jahre zurückgezogen, immer mehr an orientalisches Leben und orientalische Umgebung sich gewöhnend, lebte. Als 1868 die Reiselust wieder in ihr erwachte, sprach sie in einem Briefe von dem unvergleichlichen Reize, den Afrika auf sie von Kindheit an geübt habe; „als ich Geographie lernte, war es ein großer leerer gelber Fleck in der Mitte der Karte von Afrika, wohin ich stets zu gehen wünschte. Ich bin schon einmal bis zu diesem leeren Fleck und weiter gekommen, kehre aber wieder dahin zurück, vielleicht instinctiv, wie eine Motte nach der Flamme“. Sie verließ Aegypten, lebte längere Zeit in Algier und drang bis zu den Wüstenstämmen im Süden vor, deren Feindseligkeit sie von weiterem Vordringen abhielt. Nach einem Besuch in Tunis trat sie am 28. Januar 1869 ihre letzte große Reise in die Wüste an, der der Gedanke eines Vordringens über Bornu nach Osten oder Nordosten zum oberen Nil zu Grunde lag, also ein ähnlicher Plan, wie der, den später Nachtigal ausgeführt hat. Fräulein T. reiste mit einer großen eigenen Karawane und traf in Mursuk mit Nachtigal zusammen. Beide wurden im Sommer, den sie, um eine günstige Reisegelegenheit nach Süden abzuwarten, in dem ungesunden Mursuk zubrachten, vom Fieber befallen, und Fräulein T. in gefährlichster Weise. Ihr kühner Plan, Tibesti zu besuchen, mußte aufgegeben werden. Dafür wollte sie versuchen, nach der Seite von Ghat vorzudringen. Während Nachtigal in Tibesti weilte, fiel sie wenige Tagereisen von Mursuk in dem Thale Aberdschûdsch unter den Schwerthieben verrätherischer Araber am Morgen des 1. August. Vor ihr, und zum Theil vor ihren Augen, waren ihre beiden holländischen Diener in derselben Weise ermordet worden und ihr ganzes übriges Gefolge benahm sich feige oder spielte mit den Tuareg, die den Mord angezettelt hatten, unter einer Decke und betheiligte sich an dem Raub. Für Nachtigal stand es außer Zweifel, daß Habsucht das alleinige Motiv dieser Blutthat bildete, der die Thäter und Hehler später den religiösen Fanatismus als ärmliches Mäntelchen umhängen wollten. „Wenn schon für den ärmlichst ausgerüsteten europäischen Reisenden eine gewisse [360] Gefahr in seiner Habe liegt, die trotz aller ihrer Bescheidenheit dem armen Wüstenbewohner reich und begehrenswerth erscheint, so mußte dies in ganz anderer Weise der Fall sein bei unserer holländischen Reisenden, welcher der Ruf eines märchenhaften Reichthums vorausging, … der Königstochter – Bent-el-Rê – wie sie die Küstenbewohner getauft hatten“ (Nachtigal). – Fräulein T. war eine einnehmende Erscheinung, aber zart gebaut; ihr Körper würde den Einflüssen einer längeren Wüstenreise und des sudanischen Klimas kaum haben widerstehen können. Ruhig, ernst, distinguirt nennt sie Nachtigal. Heuglin rühmt ihre staunenswerthe Ausdauer. Sie hat große Beweise von Kühnheit, Energie und Ertragungsfähigkeit abgelegt, beherrschte aber trotz ihres Eingelebtseins im Orient die Lage und Menschen durchaus nicht. Bei ihrem Tod hatte sie in ihrer Nähe keinen wahren Freund und keinen ergebenen Diener, wohl aber Verräther in ihrer nächsten Dienerschaft. Ihren großen Hund nennt Nachtigal den treuesten Freund in ihrer ganzen Mursuker Umgebung. Von den Mohammedanern wurde sie als einzeln reisende Frau argwöhnisch angesehen, von den meisten Europäern hielt sie sich mit fast krankhafter Scheu zurück.

Nekrolog und biographische Skizze von Freundeshand in den Geograph. Mittheilungen, 1870. – Heuglin, Die Tinne’sche Expedition, 1875. – Nachtigal, Sahara und Sudân I.