ADB:Tschudi, Johann Heinrich

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Artikel „Tschudi, Johann Heinrich“ von Gottfried Heer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 746–748, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tschudi,_Johann_Heinrich&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 02:38 Uhr UTC)
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Tschudi: Joh. Heinrich T., Pfarrer, Historiker und Volksschriftsteller. Geboren 1670 zu Schwanden (Kanton Glarus) als Sohn eines wenig bemittelten, aber geachteten Beamten seiner Heimathgemeinde, genoß er den ersten Unterricht bei dem nachmaligen Zürcher Antistes Peter Zeller, der 1677–84 in Schwanden Helfer und als solcher auch Schullehrer war und dessen Einfluß den jungen T. für den geistlichen Stand gewann. Während 21/2 Jahren studirte er in Zürich und Basel. Nach Basel hatte ihn sein Vater nur ungern ziehen lassen, da er von dem dortigen studentischen Treiben gar bösen Bericht erhalten; der junge T. rief es deshalb vor den Thoren Basels sich und seinem mitreisenden Studienfreunde D. Weiß zu: „Wolle Gott, daß wir nicht schlimmer heraus als jetzt hineingehen“. Er benützte denn auch seine Zeit redlich zur Erweiterung seines [747] theologischen und allgemeinen Wissens, so daß er, trotz schwerer Krankheit, die ihn während längerer Zeit arbeitsunfähig machte, sein Examen (in Basel) mit bestem Erfolg bestand. Mit 22 Jahren wurde er Diacon seiner Heimathgemeinde Schwanden; es erwuchsen ihm aber aus dieser Stellung nicht bloß Freuden, sondern auch ein ziemliches Maaß von Verdruß, vor allem durch Schuld des damaligen Hauptpfarrers J. Balth. Pfändler, neben dem es seine beiden Vorgänger nur zwei und drei Jahre ausgehalten. T. seinerseits harrte in seiner dienenden, oft unangenehmen Stellung 27 Jahre aus, bis endlich 1719 Pfändler nach einem Proceß mit seiner Gemeinde seine Pfarrstelle gegen eine Pension vertauschte und T. sein Nachfolger wurde.

T. wird uns beschrieben als ein bescheidener und – was seine von Wahrheitsmuth zeugenden Schriften kaum verrathen – etwas furchtsamer Mann, der als Kanzelredner sich auszeichnete. In Gesellschaften sprach er wenig; um so mehr schrieb er zur Belehrung seiner Landsleute. Sein Hauptwerk, das bleibenden Werth hat, ist seine 1714 erschienene „Glarnerchronik“, welche nach einer geographischen Beschreibung des Kantons in behaglicher Breite die Landesgeschichte bis zum Jahr 1713 erzählt (am Schluß in einem besonderen Abschnitt den soeben zur Freude des evangelischen Pfarrers für die reformirten Stände siegreich beendeten „Toggenburgerkrieg“). „Bisher hatte sich niemand befunden, der nach dem Exempel etwan anderer Geschichtsschreiber bei andern löblichen Cantonen und Orten der Eidgenossenschaft ein Spezialhistorie unsers Vaterlandes zu entwerfen die Mühe genommen“; um so mehr fühlte sich T. bewogen, zunächst für sich und seine Freunde die Geschichte seines Heimathkantons zu schreiben und dann „nach Aufmunterung zahlreicher Freunde“ auch dem Druck zu übergeben: hatte er doch jederzeit die Historie nicht nur als eine „anmutige und lustiges Wüssenschaft“ betrachtet, sondern auch als eine Lehrmeisterin, die uns klug macht, es aber auch seltsam befunden, wenn man über die Geschichte fremder Städte und Länder, nicht aber auch über diejenige der nächsten Heimath Bescheid wüßte. Für die alte Glarnergeschichte war ihm natürlich Aegidius T., dessen Gelehrtenruhm noch kein Wölklein beschattete, unbedingt maßgebend; für die spätere Geschichte hat er seinen Stoff mit redlichem Eifer aus den verschiedensten Quellen zusammengetragen; Neid und confessionelle Bedenken scheinen ihm allerdings auch manche Quellen verschlossen zu haben. Der Rath von Glarus sprach ihm öffentlich den Dank für seine fleißige und verdienstvolle Arbeit aus; auch soll jedes Mitglied des Rathes, um den übrigen ein gutes Beispiel zu geben, ein Exemplar gekauft haben. Tschudi’s „Glarnerchronik“ befindet sich heute noch in manchem Glarnerhause als ein gern gelesenes Buch (es umfaßt 850 Seiten).

Wenn T. durch seine Chronik sich den wärmsten Dank seiner näheren Landsleute erworben, so hat er es verstanden, durch seine anderen volksthümlichen Schriften auch außer den Marken des Landes Glarus einen ausgedehnten und dankbaren Leserkreis sich zu sammeln. Schon 1704 war, in Basel gedruckt, ein erstes Büchlein von ihm erschienen: „Gemeine Vor-Urtheil oder irrige Meinungen und falsche Wähne, womit ungelehrte Christen sich selbst zu betriegen pflegen“. 1707 folgte „Kurtzer Begriff der Kirchenhistorie alten und neuen Testaments“, 1709 der „Sündennarr“ und 1710 das „Gesunde und lange Leben, oder schrifft- und vernunfftmäßige Diäta“. Von Jugend auf, wie er selbst erzählt, schwächlich, weswegen man ihm „zuweilen einen frühen Tod prognostizirt“, wurde er dadurch veranlaßt, „sich zuweilen auf die Arznei-Wüssenschaft zu appliziren“, und auf das, was nützlich oder schädlich wäre, Acht zu haben. Durch sein „Gesundes und langes Leben“ wollte er den Ertrag seiner Beobachtungen und Erfahrungen auch Anderen mittheilen und gibt er manche treffliche Winke, scheut sich auch nicht, langgehegten Vorurtheilen entgegenzutreten [748] und, wenn es ihm erforderlich erscheint, selbst dem vielberühmten Galenus zu widersprechen. So bekämpft er mit den Waffen der Wissenschaft und des Spottes das damals – und auch noch 100 Jahre später – so schwunghaft betriebene, auch von manchen Medici „sowohl Gesunden als Kranken“ als Universalmittel empfohlene Aderlassen. Von 1714 an gab er die „Monatlichen Gespräche“ heraus, die, gedruckt bei J. Jakob Lindinner in Zürich, „den Lehr- und Wißbegierigen zu erbauender Lust über allerhand geist- und weltliche Dinge“ (in Gesprächen der Freunde Timotheus, Bibliander und Philaret, etwa auch eines Alexander und Hektor) Bericht erstatteten und die für die Schweiz das erste Unternehmen dieser Art bildeten, während sieben Jahren die erste und einzige Zeitschrift der Schweiz waren. Sie machten Tschudi’s Namen weit herum bekannt und beliebt, überlebten auch die 1721 in Zürich erschienenen „Discourse der Mahlern“ und das 1722 ins Leben gerufene „Bernische Freytags-Blättlein“; sie erschienen 1714–26 (in zwölf Bänden). Durch einen Artikel über Bruder Klaus (im Juliheft 1723) hat er vor allem bei den Leuten von Unterwalden gewaltigen Staub aufgeworfen; er hatte zwar dem frommen, friedliebenden Charakter des Niklaus von Flüe alle Hochachtung bezeugt, dagegen einige Zweifel gegen dessen 20jähriges Fasten ausgesprochen. Deshalb ließen die Unterwaldner die Schrift öffentlich verbrennen und setzten einen Preis von 100 Thalern auf des Verfassers Kopf. Manche Freunde Tschudi’s fühlten sich dadurch beleidigt und wollten deshalb die Angelegenheit vor die Tagsatzung bringen. T. wehrte ihnen ab und rächte sich seinerseits an den übereifrigen Landsleuten des frommen Einsiedlers, indem er ihnen in einer Abhandlung des folgenden Jahrganges („Ueber Schriften, die man mit Unrecht verbrennt“) die Thorheit ihres Thuns vor Augen stellte.

Außer den schon aufgeführten Schriften Tschudi’s nennen wir noch „Irenicum Helveticum oder wohlmeinliche Friedens-Erinnerung an sämtliche Herren Eidgenossen“ (1712) und „Summa der Christlichen, Evangelischen Lehr und Religion“ (1714). Aus allen seinen Schriften tritt uns eine ernste, fromme Gesinnung, ein offener, der Belehrung stets zugänglicher Geist und rege Vaterlandsliebe entgegen. Er starb, 59 Jahre alt, am 19. Mai 1729, „treu dem Glauben, den er gepredigt und in seinen Schriften gelehrt“.

Blumer, Gemälde des Kt. Glarus, S. 326. – J. J. Bäbler, Festgabe für die vaterländische Jugend, IV. u. V. Jahrgang. – M. Schuler, Geschichte des Landes Glarus, S. 275 ff. – Strickler, Hilty’s politisches Jahrbuch, VI, S. 81 ff.