ADB:Turban, Ludwig
Turban: Ludwig Karl Friedrich T., badischer Staatsminister, wurde am 5. October 1821 zu Bretten als Sohn des Stadtpfarrers Karl Friedrich Turban und seiner Ehefrau Friederike geb. Sauerbeck geboren. Nach dem im J. 1828 erfolgten Tode des Vaters im großelterlichen Hause in Karlsruhe erzogen, besuchte er daselbst das Lyceum und bezog 1839 zum Studium der Philologie die Universität Heidelberg. Er hörte philologische und archäologische Vorlesungen, wandte sich aber 1840 der Rechtswissenschaft zu und verließ im Frühjahr 1843 die Universität Heidelberg, unternahm eine längere Auslandsreise in Italien und Frankreich, trat nach weiteren Studien in Heidelberg und Berlin und abgelegtem juristischen Staatsexamen in den badischen Verwaltungsdienst ein. Eine Einladung des mit seiner Familie befreundeten russischen Staatsraths v. Beck führte ihn nach St. Petersburg. Daselbst vermählte er sich 1853 mit Sophie Heyse und begründete nach Ernennung zum Assessor bei der Regierung des Unterrheinkreises seinen jungen Hausstand in Mannheim.
Auf Grund seiner Fähigkeiten und der im Ausland erworbenen Sprachkenntnisse wurde er schon im folgenden Jahre einer außerordentlichen Mission an den päpstlichen Stuhl als Secretär beigegeben und fungirte im Anschluß hieran ebenfalls als Secretär bei den Conferenzen der zur oberrheinischen Kirchenprovinz gehörigen Staaten. Im J. 1860 wurde er Ministerialrath in dem neu begründeten Handelsministerium. Seine Thätigkeit erstreckte sich daselbst auf alle Gebiete der praktischen Volkswirthschaft, inbesondere aber auf das Gemerbewesen, für welches er von 1861 auf allen Landtagen als Regierungscommissar thätig war.
Das Vertrauen Großherzog Friedrich’s berief ihn sodann 1872 zum Präsidenten des Handelsministeriums und am 25. September 1876 zum vorsitzenden Staatsminister mit dem Auftrage, „auf der Grundlage der bisher maßgebend gewesenen Richtung der Regierung sowohl in Betreff der inneren Politik als auch in Bezug auf die nationalen Entwicklungsaufgaben ein freisinniges Ministerium neu zu bilden“. Als bei einer Organisationsänderung im J. 1881 das Handelsministerium mit dem Ministerium des Innern verschmolzen wurde, übernahm T. dieses Portefeuille und behielt es bis 1890. In diese 15jährige Periode fällt Turban’s Hauptwirksamkeit.
Auf dem weiten Gebiet der inneren Verwaltung wurden unter seiner Leitung eine Reihe von Einrichtungen und Gesetzen geschaffen, die für die Entwicklung des Landes von weittragender Wirkung waren. Eine große Anzahl von Gewerbe- und Fachschulen sowie die Kunstschule in Karlsruhe wurden gegründet und im J. 1878 das Institut der Handelskammern errichtet. Das Landesculturwesen wurde durch Errichtung der Cultur-Inspectionen, welche eine sehr segensreiche Wirksamkeit entfalteten, gefördert und Gesetze über Gewerbewesen, Wasserbenutzung, Fischerei, Jagd und Verwaltungsrechtspflege, sowie das Beamtengesetz von 1888 und wichtige Maßnahmen auf dem Gebiet der Viehzucht, Seuchenpolizei, des Verkehrswesens und der Gesundheitspolizei sind Marksteine seiner Thätigkeit. Eine besondere Hervorhebung verdient die [716] 1879 erfolgte Schaffung der Fabrikinspection, deren Thätigkeit für die Wohlfahrt der arbeitenden Classen und sociale Versöhnung auch über die Grenzen des badischen Landes hinaus verdiente Anerkennung gefunden hat. Neben seiner amtlichen Wirksamkeit beriefen eigener Thätigkeitsdrang und das Vertrauen seiner Mitbürger ihn zu einer Reihe von Ehrenämtern; so gehörte er dem evangelischen Kirchengemeinderath als treues Mitglied der evangelischen Landeskirche während 26 Jahren an.
Auf litterarischem Gebiet war T. für verschiedene juristische und verwaltungssrechtliche Zeitschriften Mitarbeiter; zu dem badischen Gewerbegesetz von 1862, dessen Schöpfer er war, verfaßte er einen Commentar und gab die Deutsche Gewerbeordnung mit den badischen Vollzugsgesetzen heraus. – Als Abgeordneter der nationalliberalen Partei wurde er mehrmals in den Landtag gewählt. In besonderer Würdigung seiner Verdienste ernannte die Universität Heidelberg aus Anlaß der fünfhundertjährigen Jubelfeier T. zum Ehrendoctor der Philosophie. – Als mit dem Eintritt in das 70. Lebensjahr im Juli 1890 seine Kräfte nachzulassen begannen, suchte T. um Enthebung von der Leitung des Ministeriums des Innern nach; diesem Wunsch wurde entsprochen und T. das Präsidium im Staatsministerium in besonderer Würdigung der bisher geleisteten Dienste unter Verleihung des Großkreuzes des Bertholdordens belassen. Drei Jahre später nöthigte ihn zunehmendes Alter, auch von dem verantwortungsvollen Amte des leitenden Ministers zurückzutreten und am 7. März 1893 wurde er zum Präsidenten der Oberrechnungskammer ernannt, nachdem ihm ein Jahr vorher die höchste badische Auszeichnung – der Hausorden der Treue – als Zeichen der hohen Gnade seines Landesherrn zu Theil geworden war. – Fünf Jahre eines ruhigen, wenn auch durch Krankheit zeitweilig getrübten Lebensabends im Kreise seiner Familie waren ihm dann noch vergönnt, bis er nach kurzem Leiden am 12. Juni 1898 sanft verschied.
Diese äußeren Umrisse seines Lebens erweisen, ein wie arbeitsfreudiger und von unermüdlichem Streben erfüllter Geist T. beherrschte. Eine anpassungsfähige, im Grunde weiche und versöhnliche Natur, eignete er sich schon in der Ausbildungszeit Elemente weltbürgerlicher Bildung an, und Anlage und der Geist der Zeit führten ihn auf die Bahn eines gemäßigten dogmatischen Liberalismus, der die Richtschnur seines ganzen dienstlichen und politischen Handelns dauernd blieb. Als im J. 1876 Großherzog Friedrich dem Schulgesetz des Ministers Jolly – das für gemischte Gemeinden Communalschulen anordnete – nur widerstrebend zugestimmt hatte, berief er unmittelbar nach Unterzeichnung des Gesetzes T. als leitenden Minister, der das Einvernehmen mit der Kammer wieder herstellen sollte, und der ihm geeignet erschien, das Verhältniß zur katholischen Kirche in friedlichere Bahnen zu lenken. Mannichfachen Befürchtungen, daß mit dieser Berufung eine Aenderung in der Haltung Badens zum Reich eintrete – Jolly hatte die opfervolle badische Militärconvention abgeschlossen und war ein glühender deutscher Patriot –, trat der Großherzog bei nächster Gelegenheit in einer Kundgebung, welche die nationale und liberale Richtung seiner Regierung betonte, entgegen. Es gelang der badischen Regierung in der Folgezeit auch in einem ehrenvollen Versöhnungswerke die Hauptstreitpunkte mit der Kirche zu beseitigen und die durch die Kampfgesetze geschaffenen Lücken in der Seelsorge wieder zu beseitigen.
Turban’s Streben war auf sorgsame Pflege aller wirthschaftlichen und culturellen Interessen gerichtet, aber stärkere Einwirkungen entsprachen nicht seinen politischen Grundsätzen, wie ihm auch das Erfassen höher gesteckter, politischer Ziele fern lag. Er huldigte dem Standpunkt, daß die einzelnen [717] Interessengruppen im Staat sich gegeneinander durchsetzen müßten. Demgemäß war er jeder durchgreifenden Zoll- und Handelspolitik abgeneigt, und er half mit, das Tabakmonopol zu Falle zu bringen, wenn auch diese Stellungnahme dem Minister eines nicht bloß am Tabakbau, sondern namentlich auch am Tabakhandel und der Tabakindustrie besonders betheiligten Landes nicht verdacht werden kann. Durch seine Politik geht überhaupt ein Zug starker Betonung der Landesinteressen gegenüber dem allgemeinen Reichsinteresse, ohne daß indeß der Vorwurf des Particularismus gerechtfertigt wäre. Es war eben die Zeit der unbewußten Gegenströmung, die im Lande durch die 1870 erfolgte Aufgabe wichtiger Hoheitsrechte und einige unliebsame Vorkommnisse infolge nebensächlicher Bestimmungen der Militärconvention erzeugt worden war.
Nähere Berührungspunkte mit Berlin und dem Bundesrath fehlten T.; dies erscheint verständlich für jene Zeit, wo die Reichsgesetzgebung noch nicht so tief wie heute in das Wirthschaftsleben der Einzelstaaten eingriff. Zu Bismarck hatte er keine persönlichen Beziehungen; eine aus Anlaß eines Einzelfalls erhobene preußische Vorstellung, die eine straffere Beamtendisciplin in Baden als wünschenswerth bezeichnete, beleuchtet durchaus den Gegensatz zwischen der Gewaltnatur eines Bismarck und dem zum „laissez faire“ geneigten badischen Minister.
Turban’s Stellung zum Landtag war im Grund eine einfache; er stützte sich auf die herrschende nationalliberale Partei, aus der er selbst hervorgegangen war, und er suchte sich – dem Gedanken einer parlamentarischen Regierung innerlich zugeneigt – seine ersten ministeriellen Hülfsarbeiter unter den Abgeordneten, wobei er aber keine besonders glückliche Hand bewies und baldige Veränderungen nothwendig wurden. Er beeinflußte auch durch den Regierungapparat – wenngleich in discreter Weise – die Wahlen im Interesse der nationalliberalen Partei, und diese Stellungnahme hat ihm wohl am meisten die Ungunst andersdenkender Kreise eingetragen und ihm den Stempel eines entschiedenen Parteimanns aufgedrückt, der er im Grunde nicht war. – In seiner administrativen Thätigkeit bevorzugte er als sein eigentliches Arbeitsgebiet nach wie vor die Volkswirthschaft sowie Handel und Gewerbe; die eigentliche innere Verwaltung wurde in seiner späteren Amtszeit von dem Ministerialdirector August Eisenlohr, dem nachmaligen Minister des Innern, besorgt. Turban’s Verhältniß zu seinem Landesherrn war ein inniges und warmes Vertrauensverhältniß, das durch viele Auszeichnungen und mehrfache Handschreiben auch dem Lande kundgegeben wurde. Großherzog Friedrich schätzte den feingebildeten, feinsinnigen und versöhnlichen Rathgeber, der jenem Geist, in welchem der Fürst selber groß geworden war, so nahe stand, und der alle Anregungen in seinem Sinne zu gestalten wußte, außerordentlich; – die jetzt einsetzende Geschichtschreibung wird zeigen, daß Großherzog Friedrich I. eine viel stärkere Persönlichkeit war, als die milde Greisengestalt seiner letzten Jahre ihn der Jetztzeit überliefert hat, und in der Hingabe und unerschütterlichen Loyalität seines langjährigen treuen Dieners wird vor allem die psychologische Wurzel des dauernden und ungetrübten Einvernehmens zwischen Fürst und Minister und das Hauptmoment der erfolgreichen Lebensarbeit Turban’s gefunden werden können.
- Vgl. Biogr. Jahrbuch u. Deutscher Nekrolog III, 319. – Bad. Biographien, Theil V, Bd. II, S. 765.