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ADB:Vigneulles, Philipp von

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Artikel „Vigneulles, Philipp von“ von Georg Wolfram in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 39 (1895), S. 703–705, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Vigneulles,_Philipp_von&oldid=- (Version vom 30. November 2024, 07:19 Uhr UTC)
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Vigneulles: Philipp v. V. wurde als Sohn einfacher Landleute am 7. Juni 1471 zu Vigneulles bei Metz geboren. Sein Vater Jean Gérard schickte den heranwachsenden Knaben zunächst in die Schule des Klosters S. Martin-Devant-Metz und ein Jahr später zu einem Metzer Notar Jehan Jennat. Dann wurde der Knabe in der Schule zu Lorry, in der Priorei Amenge und bei einem Weltgeistlichen in Saulny weitergebildet, um schließlich bei dem Metzer Amann Jennat de Hainonville einzutreten „pour aprendre le stille“. Unwürdige Behandlung im Hause des Letzteren bringt bei V. den Entschluß zur Reife, in die Welt zu gehen. Nachdem er einen Reisegefährten gefunden hat, macht sich der 15jährige Knabe mit den kärglichsten Mitteln heimlich auf den Weg und wandert zunächst bis Genf, wo er bei einem Domherrn Aufnahme und Unterkunft findet. Mit einem kleinen Verdienst, das er sich hier erworben, zieht V. bald weiter und verweilt nun zunächst im Dienste eines Wappenheroldes des Herzogs von Calabrien, dann bei einem Kriegsmann, endlich bei einem neapolitanischen Musiker drei und ein halb Jahre ununterbrochen im sonnigen Süden. Die Sehnsucht nach dem Vater treibt ihn endlich zurück. Er tritt in Metz bei dem Kaufmann Didier Baillat in die Lehre, um den Tuchhandel und die Strumpfwirkerei zu erlernen. Mit seinem Lehrherrn besucht er die Handelsplätze Frankfurt und Antwerpen und nachdem er seine Lehrzeit beendet hat, läßt er sich in [704] Metz als Kaufmann nieder. Zwei Mal hat sich V. verheirathet. Seine erste Frau ist kaum ein Jahr an seiner Seite, als sie ihm durch den Tod entrissen wird; er reicht dann seine Hand einem Mädchen, Namens Zabellin, die ihm bis zu seinem Tode eine treue Gefährtin geblieben ist. Vigneulles’ Leben ist seit seiner Niederlassung in Metz schlicht und einfach verlaufen. Daß sein Gesichtskreis nicht ganz auf die Ereignisse in der Familie und der Vaterstadt beschränkt bleibt, davor schützen ihn seine alljährlich wiederholten Reisen zu der großen Messe, dem „Landi“ in Paris und Wallfahrten, die er nach Aachen, Köln, Coblenz und nach St. Claude unternommen hat. Dem Fleiße des Kaufmanns hat der Segen nicht gefehlt; im Laufe der Jahre erwirbt er mehrere Häuser und 1519 vermag er für 1000 Livres – 100 000 Mark nach unserem Gelde – Renten zu kaufen. Auch genießt er seiner Tüchtigkeit und seinem Wohlstande entsprechend unter den Bürgern seiner Vaterstadt das größte Ansehen. Man bietet ihm die Stelle eines städtischen Einnehmers an, aber V. verzichtet als vorsichtiger Kaufmann auf die Ehre und die reichen Einkünfte des Amtes, weil es die Stellung mit sich brachte, daß der Inhaber oft bedeutende Summen der Stadt vorzuschießen hatte. Ende 1527 oder im darauffolgenden Jahre ist V. gestorben.

Schon von seiner frühesten Jugend an hat V. künstlerische Anlagen und litterarische Interessen gezeigt. Als er seine Vaterstadt und sein Elternhaus zum ersten Male verläßt, da nimmt er in einem Gedichte von seinem Vater Abschied und hat sein eigenes Porträt in dem Scheidebriefe gezeichnet. Auch in Genf wird der Domherr, der sich seiner angenommen hat, auf sein schönes Zeichentalent aufmerksam und will ihn deshalb zum Goldschmied ausbilden lassen. Und wie den Zeichenstift, so hat er auch die Feder stets zur Hand; selbst in den schlimmsten Lagen seines Lebens vermag er seinen Gefühlen in gereimten Worten Ausdruck zu geben. Auch der Musik hat er sich zugewandt und so nimmt es nicht Wunder, wenn dieser begabte Mann nach der Rückkehr in die Vatetstadt manche Stunde seinem bürgerlichen Berufe abzugewinnen weiß, um sich der Ausübung seiner Talente zu erfreuen. Als Nachwirkung seiner italienischen Jahre werden wir in erster Linie die Novellensamn1lung, die er zusammengebracht hat, ansehen dürfen. Er berichtet uns selbst, daß er im J. 1515 100 Novellen aufgezeichnet habe. Das interessante litterarische Denkmal ist leider nicht veröffentlicht und da auch der gegenwärtige Besitzer der Handschrift unbekannt ist, so muß man sich mit dem Urtheile des Comte de Puymaigre und Michelant’s, die die Sammlung gekannt haben, begnügen. Beide stimmen darin überein, daß der Inhalt sich zumeist an entsprechende italienische Geschichten oder an die 100 Novellen Ludwig’s XI. anlehne; daß aber V. durch zahlreiche selbständige Zuthaten, Uebertragung der Ereignisse auf Metzer Boden und Einschiebung von Geschichten, die wirklich in seiner lothringischen Heimath entstanden sind, selbständige Verdienste um die Sammlung habe. In demselben Jahre hat V. le livre de la belle Biantris et celui du Lorrain Guérin in zeitgemäße Prosa übertragen. Auch dieses Werk, von welchem sich Handschriften in der Stadtbibliothek zu Metz und im Besitze des Grafen Hunolstein befinden, ist ungedruckt geblieben. Einen litterarischen Werth dürfte es kaum beanspruchen, seine Bedeutung besteht lediglich in dem Metzer Dialekt des 16. Jahrhunderts, den es bietet.

Ungleich bedeutender als diese Arbeiten ist das Gedenkbuch, das uns V. hinterlassen hat. Der Verfasser berichtet darin in erster Linie die Ereignisse seines eigenen Lebens, sodann Vorgänge in seiner Vaterstadt und endlich politische Begebenheiten aus Frankreich, Italien und Deutschland. So zuverlässig auch im allgemeinen seine politischen Nachrichten sind, so treten sie doch gegen die mehr persönlichen Theile seines Buches an Bedeutung zurück. Der biedere [705] Strumpfwirker und Kleinbürger mit seinen litterarischen und künstlerischen Interessen hat in naiver Art Alles aufgezeichnet, was ihm einigermaßen beachtenswerth erschienen ist. Er schildert mit derselben Genauigkeit die Aufführung von geistlichen Schauspielen, wie das Auftreten von Seiltänzern und Sängern, er berichtet über Feste in seiner Pfarrei wie über Verbrechen und Hinrichtungen, er erstattet seine Ernteberichte mit Angabe der Preise von Wein und Getreide und schildert die Kunstfertigkeit, die er in seinem Handwerk erlangt hat. Kurz, sein Buch vereinigt zahllose Bilder der Kleinmalerei, die für die Culturhistoriker eine Quelle von höchstem Werthe sind.

Nach Abschluß seines Merkbuches, das V. bis zum Jahre 1520 geführt hat, scheint er sich ausschließlich mit der Fertigstellung seiner großen Chronik befaßt zu haben. Da V. hierzu eine Reihe von Chroniken und Urkunden benutzt hat, die heute verloren sind, so liegt in diesem Werke die für Metz politisch werthvollste Geschichtsquelle des ausgehenden Mittelalters vor. Die Originalhandschrift Vigneulles’, die bisher nur in unkritischen Auszügen bekannt geworden ist, wird in der Stadtbibliothek zu Metz aufbewahrt. Das Concept zum größten Theile des Werkes besitzt das lothringische Bezirksarchiv.

Huguenin, Les chroniques de la ville de Metz. Metz 1838. – Th. de Puymaigre, Poètes et Romanciers de la Lorraine. Metz 1848. – Prost, Les Arts à Metz il y a trois siècles in der Union des Arts. Metz 1851. – Michelant, Gedenkbuch des Metzer Bürgers Philipp v. Vigneulles. Stuttgart 1852.