ADB:Wachler, Ludwig

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Artikel „Wachler, Ludwig“ von Max Hippe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 416–418, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wachler,_Ludwig&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 09:50 Uhr UTC)
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Wachler: Johann Friedrich Ludwig W., Litterarhistoriker und Geschichtsforscher, geboren am 15. April 1767 zu Gotha, wo sein Vater Geheimer Regierungsrath und Assessor des Steuercollegiums war. Durch den Unterricht tüchtiger Hauslehrer und väterliche Unterweisung vorgebildet, besuchte er seit 1783 das Gymnasium seiner Vaterstadt, zeigte bereits als Schüler lebhafte litterargeschichtliche Interessen und erwarb sich schon früh durch ausgiebige Benutzung der herzoglichen Bibliothek reiche Belesenheit und Bücherkenntniß. Eigene Neigung wies ihn, als er die Schule durchlaufen hatte, auf das Studium der Medicin; da hierzu indessen der Vater seine Zustimmung versagte und W. andererseits für die juristische Laufbahn, welche er nach des Vaters Wunsch beschreiten sollte, keinen Beruf fühlte, so entschloß er sich, als er 1784 die Universität Jena bezog, Theologie zu studiren. Daneben beschäftigte er sich fleißig auch mit philosophischen und philologischen Studien, fand in verschiedenen wissenschaftlichen Gesellschaften, denen er beitrat, mannichfache Anregung und entsagte, als er infolge eines Duells die Universität Jena verlassen mußte und nach Göttingen ging, der Theologie überhaupt; um sich ausschließlich der Philologie und später dem Lehrberufe zu widmen. Die anregenden Vorlesungen Heyne’s, die W. in Göttingen neben denjenigen Spittler’s, Gatterer’s und Feder’s hörte, werden ihn in diesem Entschlusse noch bestärkt haben. Auch in Göttingen aber setzte er das flotte Studentenleben fort, gerieth in Schulden und nahm, durch die Verhältnisse gedrängt, im Sommer 1788 die Stelle eines Erziehers zu Rinteln an, wo er gleichzeitig Gelegenheit hatte, seine Studien zu Ende zu führen. Am 21. October 1788 wurde er hier auf Grund seiner „Dissertatio de Pseudo-Phocylide“ zum Doctor der Philosophie promovirt und hielt, als er gegen Ende desselben Jahres zum außerordentlichen Professor in Rinteln ernannt worden war, philologische und kirchengeschichtliche Vorlesungen. Schon nach kurzer Zeit aber (Januar 1790) folgte er, nachdem er sich mit Juliane Asbrand, der Tochter des Rintelner Theologen Asbrand, verheirathet hatte, einem Rufe nach Herford, wo ihm das Rectorat des Friedrichsgymnasiums angetragen worden war. Reiche Erfolge, aber auch manche trübe Erfahrung begleiteten hier seine pädagogische Wirksamkeit, die er im September 1794 aufgab, um nach Rinteln zurückzukehren und die dritte Professur in der theologischen Facultät zu übernehmen. War seine litterarische Wirksamkeit bisher wesentlich philologisch und pädagogisch gewesen, so fing er jetzt auch an theologisch zu produciren. Er veröffentlichte u. a. den „Grundriß einer Encyklopädie der theologischen Wissenschaften“ (Lemgo 1795), schrieb eine „Würdigung der Lehre von der Rechtfertigung“ (Rinteln 1801) und „Prolegomena zu einer christlichen Religionslehre nach den Bedürfnissen und Forderungen des Zeitalters“ (Zerbst 1801). Wichtiger war, daß er nach Hassenkamp’s Tode († 6. October 1797) die Herausgabe der „Neuen theologischen Annalen“ übernahm, einer Zeitschrift, die ein Vierteljahrhundert lang unter seiner Leitung verblieb und als eines der einflußreichsten und wissenschaftlich gediegensten Organe ihrer Art sich lange hoher Werthschätzung erfreut hat. Wie sehr man die Wirksamkeit Wachler’s auch als akademischen Lehrers zu würdigen verstand, geht daraus hervor, daß ihm im J. 1797 die erledigte Professur für Geschichte, verbunden mit der Aufsicht über die Universitätsbibliothek übertragen wurde, während andererseits die Anerkennung seiner Verdienste um die Wissenschaft in der Verleihung der theologischen Doctorwürde (23. Januar 1801) seitens der theologischen Faculiät zu Rinteln ihren Ausdruck fand.

Nicht weniger vielseitig als in Rinteln war Wachler’s Thätigkeit in Marburg, [417] wohin er im Herbste 1801 als Professor der Philosophie versetzt wurde. Er bekleidete auch hier nach Curtius’ Tode († 22. August 1802) den Lehrstuhl für Geschichte und wurde außerdem zum ordentlichen Professor der Theologie ernannt, ohne damit in den Verband der evangelisch-reformirten Facultät zu treten. Schwere Zeiten erwarteten W. an diesem neuen Orte seiner Thätigkeit. Zwar war sein Wirken als Lehrer und Gelehrter nicht minder erfolgreich und fruchtbar. Davon legte ein ehrenvoller Ruf, den er 1805 nach Heidelberg erhielt, aber ablehnte, seine Ernennung zum Consistorialrath und eine reiche litterarische Thätigkeit auf historischem, theilweise auch politischem Gebiete rühmliches Zeugniß ab. Aber die Jahre seines Marburger Lehramtes fielen in die verhängnißvolle Zeit, welche den deutschen Landen die tiefste Demüthigung brachte und der Universität Marburg durch die im J. 1807 erfolgende Errichtung des Königreichs Westfalen einen neuen Landesherrn aufzwang. W., den sein Leben lang die aufrichtigste und edelste Vaterlandsliebe beseelt hat, gehörte nicht zu denen, welche der neuen Regierung, der die Universität übrigens manches Gute zu danken hatte, zujubelten. Er blieb innerlich und äußerlich ein deutscher Mann, und er hat aus dieser seiner Gesinnung, trotz der schwierigen Lage, in der er sich zeitweilig befand – er war 1810 Prorector der Universität und hatte dieselbe als reichsständischer Deputirter in Kassel zu vertreten – kein Hehl gemacht. Das hatte für ihn begreiflicherweise vielfache Verdächtigungen und Nachstellungen zur Folge; gleichwol ist er kühn jederzeit für die deutsche Sache eingetreten ohne Rücksicht darauf, daß sein Freimuth ihn den französischen Behörden mißliebig machte, ja bisweilen in ernste persönliche Gefahr brachte. Die Freude an der im J. 1813 wiedergewonnenen Freiheit und der Rückkehr des Landesfürsten wurde W. durch manche trübe Erfahrung in Marburg, vor allem durch den Verlust seines vertrauten Freundes Wilhelm Münscher († 2. Juni 1814) verbittert, und es wurde ihm nicht schwer, einem Rufe, der im folgenden Jahre von der Universität Breslau an ihn erging, Folge zu leisten. Er bekleidete hier neben dem Amte als Consistorialrath den Lehrstuhl für Geschichte. Seine litterarische Wirksamkeit und Lehrthätigkeit waren in Breslau fast ausschließlich litterarhistorischen und geschichtlichen Gegenständen zugewendet. W. vollendete hier seine umfängliche „Geschichte der historischen Forschung und Kunst seit der Wiederherstellung der litterärischen Cultur in Europa“ (Göttingen 1812 bis 1820), schrieb das vielgebrauchte, in seinem Todesjahr in sechster Auflage erschienene „Lehrbuch der Geschichte zum Gebrauch bei Vorlesungen auf höheren Unterrichtsanstalten“ (Breslau 1816) und veröffentlichte neben vielen kleineren Publicationen und zahlreichen Aufsätzen in wissenschaftlichen und unterhaltenden Zeitschriften sein groß angelegtes „Handbuch der Geschichte der Litteratur“, das in dritter Umarbeitung 1833 zu Leipzig herauskam und durch eine holländische und russische Uebersetzung auch im Auslande Verbreitung gefunden hat. Seine aus akademischen Vorträgen erwachsenen „Vorlesungen über die Geschichte der teutschen Nationallitteratur“ (2. Auflage, Frankfurt a. M. 1834) geben ein lebendiges Bild seines sicheren litterarischen Urtheils, seiner umfassenden Belesenheit und seltenen Darstellungsgabe. Auch auf dem Katheder war Wachler’s Wirken ein außerordentlich erfolgreiches. Weit über die Kreise der Studirenden hinaus erstreckte sich die Zahl derer, die seine Vorlesungen besuchten. Lichtvolle Klarheit der Rede, freie Beherrschung erstaunlicher Stoffmassen, männlicher eindrucksvoller Ernst in Haltung und Vortrag, dabei die zündende Gewalt des Wortes machten ihn zu einem viel bewunderten und hoch verehrten Lehrer der akademischen Jugend. Daß W. sich in Breslau wohl fühlte, lag neben diesen äußeren Erfolgen auch in den erfreulichen geselligen Verhältnissen, die er hier [418] vorfand oder sich zu schaffen verstand. Ein Kreis von Gleichgesinnten, zu dem auch einige Marburger Freunde gehörten, hatte sich unter Wachler’s besonderer Mitwirkung 1818 zu einer engeren Gesellschaft zusammengeschlossen, die neben geselliger Unterhaltung und Anregung auch ernste wissenschaftliche Interessen mit Erfolg zu pflegen verstand. Besonders eng war W. mit Franz Passow, dem bekannten Philologen, verbunden, der im J. 1816 sich mit Wachler’s Tochter verheirathete und dadurch dem Herzen des ihm geistesverwandten W. noch näher trat. Wie Passow war auch W. bei der arglosen Offenheit, mit der er seine Ansichten zu äußern pflegte, infolge des Streites um die Turnsache manchen Verdächtigungen und Verfolgungen ausgesetzt. Sein Wirkungskreis als Consistorial- und Schulrath ward ihm genommen, aber das Wohlwollen der vorgesetzten Behörden blieb dem verdienten Gelehrten auch weiterhin erhalten. Er ward 1824 zum Oberbibliothekar der königlichen und Universitätsbibliothek ernannt und auch später noch durch mehrfache Zeichen der Anerkennung, so 1833 durch die Verleihung der großen goldenen Medaille für Wissenschaft und Kunst, geehrt.

Das letzte Jahrzehnt seines Lebens war für W. durch schwere körperliche Leiden, die er immer nur vorübergehend durch sommerliche Erholungsreisen zu lindern vermochte, und durch schmerzliche Erfahrungen in seinem Verwandten- und Freundeskreise getrübt. Der Tod einer Tochter, der Verlust seines alten Freundes und Collegen v. Coelln († 17. Februar 1833) und vor allem das plötzliche Hinscheiden Passow’s († 11. März 1833) erschütterte seine sonst so widerstandsfähige Natur in ihren Grundvesten. Rastlos thätig blieb er zwar bis ans Ende; aber die Heiterkeit des Geistes und die Freude am Leben und Schaffen waren ihm genommen. Er starb nach langen Leiden am 4. April 1838. – W. war ein Mann von seltener Gelehrsamkeit und vielseitigster Bildung; der Gang und die Arbeit seines Lebens bezeugen das. Auch über seine Eigenschaften als Mensch aber sind zeitgenössische Stimmen voll des Lobes. Sie rühmen an ihm den Adel seiner Gesinnung, den sittlichen Ernst und unerschrockenen Freimuth, der die Wahrheit nicht bloß sucht, sondern auch furchtlos verkündigt, vor allem jene Lauterkeit der Seele und edle, feste Männlichkeit, der allein es gegeben ist, die Herzen zu gewinnen und die Geister zu beherrschen.

Dr. Ludwig Wachler. Von Albrecht Wachler. Breslau 1838 (= Schlesische Provinzialblätter 1838, Band 107, S. 405–418). – Neuer Nekrolog der Deutschen. 16. Jahrgang 1838. I. Theil. Weimar 1840, S. 361 bis 373. – K. G. Nowak, Schlesisches Schriftsteller-Lexikon. 2. Heft. Breslau 1838, S. 154–164.