ADB:Werthern, Georg Graf von (preußischer Diplomat)

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Artikel „Werthern, Georg Freiherr von“ von Wilhelm Wilmanns in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 130–132, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Werthern,_Georg_Graf_von_(preu%C3%9Fischer_Diplomat)&oldid=- (Version vom 24. April 2024, 19:17 Uhr UTC)
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Werthern: Georg Freiherr von W., später Graf und Herr von Werthern-Beichlingen, wurde am 20. November 1816 auf dem Schlosse seines Vaters, Beichlingen in Thüringen, geboren. Sein Vater war der spätere Großherzoglich sächsische Oberkammerherr Ottobald Freiherr v. W., seine Mutter eine geb. v. Rotberg aus Baden. Seine erste Ausbildung erhielt W. im elterlichen Hause zu Beichlingen und Weimar, dann wurde er der Landesschule Pforta anvertraut und verließ dieselbe 1836. Er studirte auf den Universitäten Bonn und Berlin, arbeitete als Auscultator beim Stadtgericht in Berlin und als Referendar bei den Regierungen zu Potsdam und Merseburg, und verließ im J. 1845 den Staatsdienst, um mehrere Jahre auf Reisen und auf dem Lande zu verbringen. Im Februar 1848 wurde er der preußischen Gesandtschaft in Turin als Attaché beigegeben und traf zur selben Zeit dort ein, als der Gesandte Graf Redern wegen des Ausbruches des Krieges gegen Oesterreich seinen Posten verließ. W. hatte sofort die Vertretung des Gesandten zu übernehmen und bewährte sich so gut, daß er unter Entbindung von der Prüfung sehr bald zum Legationssecretär und Geschäftsträger ernannt wurde und noch 11/2 Jahre in letzterer Eigenschaft verblieb. Dann wurde er nach einander Legationssecretär in Madrid, Wien und St. Petersburg. Im J. 1859 wurde er Ministerresident, bald darauf Gesandter in Athen, 1862 in gleicher Eigenschaft nach Constantinopel und zu Ende desselben Jahres nach Lissabon versetzt und vermählte sich 1863 mit Gertrud [131] v. Bülow. 1864 vertauschte er Lissabon mit Madrid und erhielt im J. 1867 seine Ernennung nach München.

Die Aufgabe des preußischen Gesandten war damals nach den Ereignissen von 1866 keine leichte. Es kam darauf an, die weitverbreitete, durch den Krieg geschärfte Abneigung gegen Preußen zu überwinden, die Herstellung aufrichtiger Freundschaft anzubahnen und der künftigen politischen Einigung den Weg zu ebnen. W. erfaßte seine Aufgabe mit Begeisterung und widmete ihr 20 Jahre lang seine besten Kräfte. Durch seine Mutter hatte er selbst viel von der lebhafteren und gemüthvollen süddeutschen Art und gewann schnell ein feines Verständniß für den bairischen Volkscharakter. Diese Eigenschaften machten ihn zum geeigneten und erfolgreichen Vertreter der preußischen Politik. Seine amtliche Thätigkeit im einzelnen darzustellen, wozu seine Aufzeichnungen das Material bieten würden, ist die Zeit noch nicht gekommen. Es gelang ihm, durch Offenheit und Geradheit in hohem Maße das Vertrauen der bairischen Staatsmänner zu gewinnen und der deutschen Sache wichtige Dienste zu leisten. Aber auch über die amtlichen und höfischen Kreise hinaus suchte er unablässig für die nationale Idee zu wirken und namentlich auch mit den Kreisen der Gelehrten, Künstler und des Bürgerthums Beziehungen anzuknüpfen. Hochgebildet und von idealer Gesinnung erfüllt nahm er an allen wissenschaftlichen und künstlerischen Bestrebungen regen Antheil. Seine hohe Stellung und ungemeine Liebenswürdigkeit im persönlichen Verkehr machten es ihm möglich, in kurzer Zeit mit den meisten der bedeutenden Künstler und Gelehrten, die damals in München wirkten, Beziehungen anzuknüpfen, und mit mehreren schloß er enge Freundschaft. Sein Haus wurde einer der besuchtesten Mittelpunkte für das geistige Leben Münchens, und die Rückwirkung dieser Beziehungen auf die politische Stimmung war bedeutend, da in der damaligen politischen Zerrissenheit die Einheit in Wissenschaft und Kunst eines der wirksamsten Bindemittel für die nationale Zusammengehörigkeit war.

Im Jahre vor dem Ausbruch des Krieges gegen Frankreich erlebte W. einen politisch bedeutsamen Zwischenfall, der nach seinen Aufzeichnungen dargestellt werden soll. Im September 1869 erschien bei ihm der ihm von Madrid her bekannte spanische Staatsrath und Deputirte Don Eusebio de Salazar y Mazaredo und erinnerte ihn an eine Unterredung, die im J. 1866 in Biarritz stattgefunden hatte. Damals war in einem Kreise spanischer Politiker erörtert worden, wen man nach dem voraussichtlichen Sturz der Königin Isabella auf den Thron setzen solle. Alle vorgeschlagenen Candidaten fanden Bedenken, da sagte zum Schluß der mitanwesende W., auf den einzigen geeigneten wäre keiner der Herren verfallen; das sei, aus den bekannten Gründen, der Erbprinz von Hohenzollern. Diese Aeußerung war Salazar im Gedächtniß geblieben und als in der That alle andern Pläne gescheitert waren, hatte er die Zustimmung des Marschalls Prim gewonnen und sich nach München begeben, um W. zu bitten, ihn beim Fürsten Hohenzollern einzuführen. W. begleitete ihn am folgenden Tage nach der Weinburg, stellte ihn dem Fürsten vor und es entspannen sich daraus die bekannten Verhandlungen, an denen W. übrigens keinen Theil mehr nahm. Allem Anschein nach hat W. den Gedanken der hohenzollernschen Candidatur, der so gewaltige Folgen haben sollte, zuerst ausgesprochen.

Beim Ausbruch des Krieges zeigte es sich, wie gründlich die Stimmung in Baiern seit 1866 verwandelt war. Durch den hochherzigen Entschluß des Königs trat Baiern ohne Zögern an die Seite seines Verbündeten und die im Lande ausbrechende Begeisterung bewies, daß der Sinn des großen Kampfes in Baiern wohl verstanden wurde. Durch den Eintritt Baierns wurde der Bau des neuen Reiches zum Abschluß gebracht; W. hatte an diesen schwierigen Verhandlungen [132] selbstverständlich wichtigen Antheil und hatte das Glück, die Ideale seiner Jugend verwirklicht zu sehen und selbst an bedeutender Stelle daran mitarbeiten zu können, ein Bewußtsein, welches ihn für den Rest seines Lebens mit Freude und Dank gegen Gott erfüllte. Nach dem Kriege folgten ruhige Jahre, die dem Ausbau der neuen Einrichtungen gewidmet waren. W. blieb noch 17 Jahre auf dem ihm lieb gewordenen Posten, mehrfach angebotene Beförderungen ausschlagend, und stets unablässig bemüht, die Entstehung von Verstimmungen zu verhüten und die Opfer, die für die Einheit zu bringen waren, so wenig als möglich fühlbar zu machen. Daß sich in diesen Jahren das Verhältniß Baierns zum Reiche wahrhaft bundesfreundlich und zu beiderseitiger Befriedigung gestaltete, daran hatte er, wie von den berufensten Beurtheilern anerkannt wurde, ein wesentliches Verdienst.

Nachdem W. im J. 1878 durch den Tod seines Vaters Erbe des Familienbesitzes und des damit verbundenen Grafentitels geworden war, wurde er im J. 1888 durch den Tod seines Bruders veranlaßt, seinen Abschied zu erbitten, und die Verwaltung seines Besitzes zu übernehmen. Dort lebte er noch sieben Jahre in kaum verminderter Frische des Geistes und Körpers, lebhaft theilnehmend an allen Vorgängen der Politik und des geistigen Lebens, als Jäger und Freund der Natur seine Erholung suchend. Am 2. Februar 1895 setzte ein plötzlicher sanfter Tod seinem Leben ein Ende.