ADB:Wetzer, Heinrich Josef
Leander van Eß, wo er das Pädagogium besuchte, warme Förderer und Schützer. Besonders letzterer ermöglichte ihm durch werkthätige Unterstützung die Fortsetzung seiner Studien und ebnete ihm die Wege auf die Hochschule, die er am 1. Mai 1820 in Marburg bezog. W. sollte sich der Theologie widmen, dorthin wies ihn sein geistlicher Freund. Eng verbunden mit dem Studium der streng theologischen Disciplinen ist jedoch das der morgenländischen Sprachen, die ja den Schlüssel zur Exegese der christlichen Theologie bieten. Ihnen wandte W. bald sein Hauptaugenmerk und seine Liebe zu. Die Uebersiedlungen auf die Universität Tübingen im Frühlinge 1823 und ein Jahr darauf nach Freiburg brachte ihn seinen Lieblingswissenschaften nur noch näher. Nach glänzend bestandenen Rigorosen zum Doctor theol. et philos. promovirt, war es ihm möglich gemacht worden, durch 1½ Jahre die berühmtesten Lehrer der arabischen und persischen, wie syrischen Sprache, einen de Sacy und einen Quatremère an der Pariser Universität zu hören. Die damals königl. Bibliothek zu Paris bot ihm in einer arabischen Handschrift, welche die Geschichte der koptischen Christen behandelte, Gelegenheit, durch Publicirung des Originaltextes sammt einer lateinischen Uebersetzung die reich angesammelten Schätze seines Wissens vor die Oeffentlichkeit zu bringen. Der Drang, diese Kenntnisse auch weiter zu verbreiten, ließ W. in der Erledigung der Lehrkanzel der orientalischen Sprachen an der Freiburger Universität einen willkommenen Anlaß erblicken, seine Kräfte in der Lehrthätigkeit zu versuchen. Im Mai 1828 als Privatdocent an der theologischen Facultät habilitirt, wurde er noch am Schlusse des Jahres zum a. o. Professor ernannt, um im Januar 1830, nachdem er vorher durch einen Ruf nach der Gießener Universität geehrt worden war, die Bestallung als o. ö. Professor zu erhalten. Dem bald darnach erfolgten Rufe an eine andere Hochschule (Marburg) leistete er keine Folge und so wirkte er zwei Jahrzehnte in dieser Stellung mit der ganzen Hingebung des Gelehrten und Lehrers, wie des ehrlichen Charakters. Eine akademische Ehrenstelle nach der andern wurde ihm durch die Wahl seiner Berufsgenossen zu theil und als die Stelle eines akademischen Oberbibliothekars erledigt wurde, berief ihn das Vertrauen seiner Amtsbrüder provisorisch auch auf diesen Posten, welcher ihm definitiv von der Regierung jedoch, post tot discrimina rerum erst im J. 1850 verliehen werden sollte. Unter den wissenschaftlichen Arbeiten Wetzer’s aus dieser Zeit sei außer kleinen Schriften vor allem erwähnt eine mit van Eß im J. 1840 gemeinsam herausgegebene Uebersetzung der hl. Schriften des alten Bundes, und dann vor allem jenes compendiöse encyklopädische Werk der katholischen Theologie und ihrer Hülfswissenschaften, welches als Wetzer-Welte’sches Kirchenlexikon in der gesammten Gelehrtenwelt Mitteleuropas eine dauernde Bedeutung zu erringen vermochte. Freilich war dieses Kind seines Fleißes und seiner Liebe der Ursprung nicht allein mancher kummervoller Stunden während seines Lebens, wo ihn die Beschäftigung mit ihm doch all die trüben Ereignisse hätte vergessen machen sollen, welche er Beginn der 40er Jahre auf der Universität erlebt hatte. Dieses Werk sollte ihm auch nach dem Tode noch Gegner schaffen. – W. war zwar im Grunde keine Kampfnatur, doch war er ein so ausgesprochener Charakter, dem das Gefühl für Recht und Billigkeit so stark im Blute saß, daß, wo er die thatsächliche Verletzung derselben gewahr wurde, er mit einer unnachsichtlichen Consequenz dem Uebel entgegentrat und keine jener Seitengassen [262] betrat, durch deren Begehung die Menschen so oft das sacrifizio del intelletto vollziehen, um sich der Stärke der Thatsachen zu beugen.
Wetzer: Heinrich Joseph W., geboren zu Anzefahr in Kurhessen am 19. März 1801, † am 5. November 1853 zu Freiburg i. B. Einer mit Kindern reich gesegneten Ehe eines Schullehrerpaares entsprossen, fand der aufgeweckte junge W. zunächst an dem Ortsgeistlichen, dann an dem Stadtpfarrer in Marburg i. H.Die friedlichen Verhältnisse religiöser Duldung an der Freiburger Universität, wie ja überhaupt in Deutschland, begannen sich bereits während der 30er Jahre zu trüben. Die anfänglich katholische Universität Freiburg ward ihres confessionellen Charakters durch Aufnahme protestantischer Professoren immer mehr entkleidet. Die ursprüngliche Mehrheit katholischer Lehrkräfte wehrte sich gegen diesen, wie sie meinte, stiftungswidrigen Vorgang. Doch alles umsonst. Als nun gar der Landtag des Großherzogthums Baden im J. 1844 die Frage der Aufhebung der Universität überhaupt aufwarf, war es W., welcher durch eine anonym erschienene Schrift „Die Universität Freiburg nach ihrem Ursprunge, ihrem Zwecke, ihren Mitteln und Stiftungsfonds, ihre Eigenschaft als geistliche Corporation und fromme Stiftung ….“ (Freiburg 1844) für die Existenz der Hochschule in wärmster Form eintrat; Sie blieb zwar erhalten, doch verschlimmerte sich die Stellung der katholischen Professoren daselbst immer mehr und mehr. Gar das Jahr 1848 mit seinen wechselvollen Ereignissen schuf für W. Situationen voller Conflicte. Ein überzeugungstreuer Kämpe für Thron und Altar kam er gerade dadurch in die peinliche Lage, daß er mit einem Arme sich gegen jene wehren mußte, welche die Autorität des Fürsten heftigst angriffen, während er mit der anderen seine Kirche, deren treuester Sohn er war, gegen die Uebergriffe gerade jener von ihm vertheidigten Staatsautorität zu schützen suchte. So erntete er auch seitens der Regierung nur Undank, ein Schmerz, den er nie recht verwinden mochte. Um so größere Befriedigung verschaffte ihm seine Lieblingsbeschäftigung, die Redaction des Kirchenlexikons. Welche Kenntnisse nothwendig sind, um für ein so monumentales Werk die Nomenclatur zu verfassen, welch aufreibende Thätigkeit die Durchsicht und Correctur so vieler, aus den verschiedensten Federn geflossener Artikel beansprucht, und welch’ ausgebreitete Studien zumal erforderlich sind, um durch Beherrschung der verschiedensten Disciplinen all diesen Artikeln das Gepräge einer gewissen Einheitlichkeit zu geben, wird jeder nur einfach gerecht Urtheilende zugeben. Wenn daher in neuester Zeit in gerade parteipolitisch nahestehenden Kreisen der Versuch gemacht wurde, die Bedeutung dieser Arbeit Wetzer’s herabzumindern, um dadurch die doch rein geschäftliche Thätigkeit Anderer an dem Unternehmen allzu stark in den Vordergrund zu drängen, so mag das eben entweder der Geneigtheit der Menschen zur Parteilichkeit, selbst unter Gesinnungsgenossen, zugeschrieben werden oder der häufigen Unkenntniß der Epigonen mit den Vorgängen zur Zeit ihrer unmittelbaren Vorderen. – Einen reichen Trost in seinem oft angefeindeten Wirken bot W. im J. 1853 seine Reise nach Wien zur Generalversammmlung des katholischen Vereins in Deutschland. Hier war der vielgeprüfte und dennoch ungebeugte Mann der Gegenstand zahlreicher Huldigungen, die ihm zeigen sollten, wie edle Gesinnung und fester Charakter schließlich doch die gebührende Anerkennung finden.
Nach der Heimath zurückgekehrt wurde W. bettlägerig und bald machte ein Nervenschlag diesem thatenreichen Leben ein Ende. Allzufrüh starb W. für die Wissenschaft, zu früh für seine Freunde, am größten war der Verlust für seine Familie, die er sich durch seine Vermählung mit Philippine Schindler im J. 1831 gegründet hatte – ein Muster häuslichen Glückes. Doch sein Forschungsgeist, seine makellose Rechtschaffenheit, Eigenschaften, denen auch seine Gegner ihre Anerkennung nicht versagen konnten, sollten sich durch die gütige Fügung des Geschickes vererben. Der beim Tode Wetzer’s noch im zarten Jünglingsalter stehende Sohn Leander ward ein treues Ebenbild seines Vaters. In jüngeren Jahren auf sich selbst angewiesen kämpfte er sich durch die Mühsale [263] des Lebens mit soviel Thatkraft und Fleiß durch, daß Oesterreich-Ungarn heute mit Stolz sein Kriegsarchiv und dessen kriegsgeschichtliche Abtheiltung dank der reorganisatorischen Thätigkeit des auch als Militärhistoriker rühmlichst bekannten Feldmarschalllieutenants v. Wetzer den ersten kriegswissenschaftlichen Instituten dieser Art in der Welt ebenbürtig anreihen darf. Der Geist vom Vater, er lebt fort im Sohne, möge er auf weitere Generationen sich verpflanzen.