Zum Inhalt springen

ADB:Wurstemberger, Ludwig von

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Wurstemberger, Ludwig (von)“ von Emil Blösch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 343–345, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wurstemberger,_Ludwig_von&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 04:24 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Wuerst, Richard
Nächster>>>
Wurster, Johann
Band 44 (1898), S. 343–345 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Ludwig Wurstemberger in der Wikipedia
Johann Ludwig Wurstemberger in Wikidata
GND-Nummer 101519990
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|44|343|345|Wurstemberger, Ludwig (von)|Emil Blösch|ADB:Wurstemberger, Ludwig von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=101519990}}    

Wurstemberger: Ludwig (v.) W. stammte aus einem alten Berner Geschlecht. Den Ursprung seines Namens führte dasselbe auf Simon Färber, genannt Wurstemberger, zurück, der nach einem etwas abenteuerlichen Leben in den unruhigen Zeiten der Reformation zu politischer Bedeutung gelangte und 1536, als Bern den nördlichen Theil von Savoyen eroberte, als erster Landvogt zu Thonon eingesetzt wurde. Die Familie zählte von da an zu den sogenannten patricischen. Ludwig’s Vater, Johann Ludwig, welcher erst Officier im Dienste von Piemont, dann in Bern „Landmajor“ und Mitglied des Kleinen Rathes war, ist 1819 gestorben. W. wurde am 25. Februar 1783 geboren und wuchs in vollster Ungebundenheit, nur durch Hauslehrer geleitet, auf dem Lande heran, sodaß er den größten Theil seines gelehrten Wissens als Autodidakt, nur seinem Bildungstrieb und seinem vorzüglichen Gedächtnisse verdankte. Neigung zu mathematischen und historischen Studien, sowie Leichtigkeit im Erlernen fremder Sprachen sollen sich schon früh gezeigt haben. Den Auftrag, der dem Vater zu Theil wurde, den im November 1797 von Genf her über Basel zum Congresse nach Rastatt reisenden General Bonaparte an der Grenze des damals noch Bernischen Waadtlandes, in Coppet, amtlich zu begrüßen, verschaffte dem noch nicht 15 Jahre alten Knaben die Ehre, den künftigen Weltbeherrscher in nächster Nähe zu sehen. Die Ereignisse der folgenden Monate verdrängten freilich bald [344] die jugendliche Begeisterung für den gefeierten Helden und machten W. zu einem unversöhnlichen Feinde Napoleon’s. In den Kämpfen gegen die eindringenden Franzosen, im März 1798, wurde der Vater Wurstemberger’s als Führer eines Milizbataillons verwundet und gefangen, und die Einnahme der vorher nie besiegten Vaterstadt machte tiefen Eindruck auf den Jüngling. Im J. 1804, jetzt selbst Officier geworden, hatte W. an einem Zuge zur Unterdrückung eines Aufstandes im Kt. Zürich theilzunehmen und erhielt hier ebenfalls eine Wunde, erwarb sich aber auch in hohem Grade das Vertrauen des eidgenössischen Generalquartiermeisters Finsler von Zürich, der ihn nun mit Vermessungsarbeiten in den östlichen Kantonen betraute und in seinen militärischen Anlagen förderte. W. trat in den eidgenössischen Generalstab, wurde bald Oberst und 1826 der Nachfolger seines Gönners in jener höchsten Würde, welche damals die eidgenössische Armee kannte. Von 1811–1817 führte er als Oberamtmann die Verwaltung des Bezirks Frutigen im Berner Oberlande, und bis heute lebt dort die Erinnerung fort an die äußerst originelle, aber echt volksthümliche, eben so gerechte als wohlwollende Art seines Regiments. Seine Gattin, Frl. Sophie de Larrey, die er als Hofdame in Berlin kennen gelernt und mit welcher ihn im J. 1808 der spätere Staatsminister Ancillon getraut hatte, unterstützte ihn hierbei aufs beste. Die Muße, welche ihm der Aufenthalt in dem einsamen Thale ließ, benutzte er dazu, sich die griechische Sprache nachträglich anzueignen. Seit 1814 gehörte er auch dem Großen Rathe des Kantons an; allein der Regierungs- und Verfassungswechsel des Jahres 1830/31, der die Patricier aus ihrer politischen Stellung verdrängte, erfüllte ihn mit bitterem Unmuth und bewog ihn, sich vom öffentlichen Leben gänzlich zurückzuziehen. Indem er sich mit Seneca sagte: recipe te ad haec majora, meliora, tutiora, ergab er sich von da hinweg ausschließlich der Landwirthschaft auf seiner väterlichen Besitzung zu Wittikofen vor den Thoren der Stadt und der Beschäftigung mit historischen Studien, denen er nun mit großem Ernst und außerordentlicher Gründlichkeit oblag. Zuerst veröffentlichte er die Lebensgeschichte des Schultheißen Nicolaus Friedrich von Mülinen (s. A. D. B. XXII, 793) und die „Geschichte des Hauses Buchegg“, beides in dem damals in Bern erscheinenden „Schweizerischen Geschichtsforscher“. Es folgte die sonderbare Schrift: „Nachtgedanken eines Invaliden über Schweizerische Kriegerei“ (1841). Zu der großartigen Urkundensammlung zur bernischen Geschichte, welche Karl Zeerleder von 1853–1854 in drei Quartbänden herausgab, schrieb W. die Vorrede und die vorzüglich werthvollen Anmerkungen. Im J. 1851 erschien „Bernh. Emanuel von Rodt, ein Lebensbild“ (s. A. D. B. XXIX, 36) und 1857 ein „Nachruf an den Obersten Karl Ludwig Tscharner“. Sein Hauptwerk aber wurde: „Peter II., Graf von Savoyen, Markgraf in Italien (1203 bis 1268), sein Haus und seine Lande“, Bern und Zürich 1856–1858, in 4 Bänden, deren letzter den Abdruck von 938 Urkunden erhält, aus den Jahren 726 bis 1319. Dem Turiner Historiker Cibrario schrieb er die Anregung zu dieser Arbeit zu; ein längerer Aufenthalt in der Hauptstadt von Piemont hatte ihn mit den dortigen Archiven bekannt gemacht, und ein Orden, den ihm der König von Sardinien verleihen wollte, bot ihm die wohlverdiente Anerkennung. Im Anschluß an dieses die gesammte Westschweiz berührende Werk unternahm dann der bereits betagte Mann noch die „Geschichte der alten Landschaft Bern“. Im J. 1861 erschien der erste Band mit der Untersuchung der ältesten Zeiten; allein es war dem Verfasser nicht vergönnt, die Aufgabe ganz zu Ende zu bringen: er starb nach kurzer Krankheit zu Wittikofen am 15. Januar 1862. Einige seiner Freunde fügten die noch fehlenden Schlußcapitel bei und so ergänzt, kam dann der bis zum Jahre 1218 reichende zweite Band heraus. Häufige Besuche und ein fleißiger Briefwechsel hielten den durch vielseitige Sprachkenntnisse [345] ausgezeichneten Gelehrten trotz seiner freiwilligen Zurückgezogenheit in Verbindung mit der Welt; er stand im Verkehre nicht allein mit den Geschichtsforschern der deutschen und französischen Schweiz, mit Kopp, Heusler, Schnell, Zellweger, von Rodt, von Stürler, Matile, Hisely, de Gingins, Vulliemin u. s. w., sondern auch mit dem schon genannten Cibrario, mit Pertz, Menzel, Böhmer, Stälin. Ein Bewunderer des Freiherrn vom Stein, ein Gegner Bonaparte’s, dachte er „antirevolutionär nach unten und nach oben“, und war durch seine strengreligiöse Gesinnung, seine spartanische Bedürfnißlosigkeit und Einfachheit, neben großer Wohlthätigkeit, sein knorriges Wesen, verbunden mit gesellschaftlicher Feinheit, mit seinem abgehärteten Körper und seinem im Sommer und Winter unbedeckten Haupte eine schon in ihrer äußeren Erscheinung eigenthümliche typische Gestalt, die selbst ohne die dauernden historischen Werke nicht so leicht vergessen werden kann. Ein wohlgelungenes Bildniß ist dem zweiten Bande seiner Berner Geschichte beigegeben.

Allgemeine Zeitung (Augsburger) 1862, Beil. zum 6. Febr. – Eidgenössische Zeitung vom 17. Febr. 1862. – W’s. Geschichte der alten Landschaft Bern, Vorrede zum 2. Bande. – Speciell über die Begegnung mit Bonaparte, siehe Archiv des hist. Vereins von Bern, Bd. III.