ADB:Zedtwitz-Liebenstein, Clemens Graf von

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Artikel „Zedtwitz-Liebenstein, Clemens Graf von“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 756–759, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zedtwitz-Liebenstein,_Clemens_Graf_von&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 14:40 Uhr UTC)
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Zedtwitz: Clemens Graf von Z.-Liebenstein, Dialektdichter, wurde am 18. September 1814 zu Liebenstein in Nordwestböhmen geboren. Er gehörte zur älteren, katholischen Hauptlinie des seit lange in jenem Winkel ansässigen Gesammthauses Zedtwitz und war ein Sohn des bairischen Obersten Graf Peter Anton v. Z. und der aus Baiern stammenden Gräfin Maria Anna Holnstein. Am 26. August 1821 berührte Goethe, der sich damals Jahrelang für des Egerlandes Volksart, wie Bodenbeschaffenheit gleichermaßen interessirte, auf der Fahrt von Eger nach dem Plettenberg den Familienbesitz Schloß Liebenstein hart an der bairisch-österreichischen Staatsgrenze, und es mag vielleicht eine Spur von seiner Anregung und Theilnahme in dem späten litterarischen Debüt des volksthümlichen Poeten Z. nachgeklungen haben. Bis zum 9. Jahre unter der Leitung verschiedener Hofmeister auf dem väterlichen Herrensitz inmitten der herrlichen Natur und natürlichen Volksthums aufgewachsen, genoß Z. die höhere Erziehung im Theresianum, der bekannten „Ritterakademie“, zu Wien, 1823 bis 1829, sodann auf dem Gymnasium zu Eger und studirte darauf einige Zeit auf der Universität Prag, ohne ein bestimmtes Brotfach zu wählen. Er „versuchte es auch einige Jahre mit dem Militärleben“; da ihm „dieses aber nicht zusagte“, kehrte er 1836 in die engere Heimath zurück, um immer mehr unter der Verwaltung der ererbten Besitzungen mit feinem Ohr die Volksseele in all ihren Schwingungen zu belauschen und liebevoll in ihr Verständniß einzudringen. War er ja noch jung, jugendfrisch, aufnahmefähig und der urwüchsigen Art [757] seiner nächsten Volksgenossen noch nicht im Trubel der „großen Welt“, auf dem Parkett der Wiener und Prager hauptstädtischen Salons entwöhnt, als auf die Dauer alle Fasern seines Fühlens und Denkens in der Eger-Erde Wurzeln schlugen. Außer den dreißig Jahren, während welcher er die Wintermonate behufs besserer wissenschaftlicher Ausbildung seiner Kinder an den Moldauufern weilen mußte, hat ihn das politische Landescentrum nur wieder gerufen, um das Mandat als Abgeordneter des feudalen Großgrundbesitzes zum böhmischen Landtag auszuüben, und auch da gehorchte er nur einer „Pflicht“, nicht dem eignen Trieb, da auch ihm „die nationalen Zerwürfnisse immer unerträglicher wurden“. Sonach gehörte Z. also jener, jetzt fast ausgestorbenen Generation des deutschstämmigen Hochadels der österreichischen Monarchie, insbesondere Böhmens an, die unbeschadet ihres aufrichtigen conservativen Sinns in socialen Fragen die Ueberzeugung von der unvergänglichen und dort vorwiegenden Culturmission des deutschen Volkes nicht aus dem Herzen zu reißen vermögen und es auch nicht wollen, daher auch von der Betheiligung an der gegenwärtigen inneren Entwicklung des Kaiserstaates sich ganz zurückziehen. Wäre es auch bei einem Manne, der vom Wirbel bis zur Zehe mit Ideen deutscher bäuerlicher und kleinbürgerlicher Sphäre vollgesogen war, anders zu erwarten gewesen? Wer staunte auch darüber, daß er „seitdem ununterbrochen“ daheim blieb, wo ihm 1876, nach dem Tode seines Neffen Maximilian, einzigen Sohnes seines gleichnamigen Stiefbruders, die Stammgüter (seit 1426) Vorder- und Hinter-Liebenstein im böhmischen Kreise Elbogen zufielen. Als Chef der älteren Linie des Geschlechts Z. erlangte er 1879 für sich und seine Nachkommen den Doppelnamen „Zedtwitz-Liebenstein“, wie er sich fürder regelmäßig bezeichnete. Zwar führte er den Titel eines k. k. Kämmerers und war seit 1872 Comthur des Franz Josefs-Ordens, im übrigen aber übernahm er wie die meisten Mitglieder der ausgedehnten Familie kein Staatsamt. Auch folgte er darin einem bewährten, wol ökonomisch erklärbaren Brauche seines Hauses, innerhalb der Familie zu heirathen: er war zwei Mal mit Gräfinnen Z. vermählt gewesen, mit einer aus dem Zweige Schönbach und einer aus dem Ober-Neuberg. Er starb am 17. November 1896 zu Liebenstein.

„Graf Clemens Zedtwitz-Liebenstein“ – so formulirte der Patriarch die Unterschrift unter das Conterfei seines ehrwürdigen weißbärtigen Kopfes, das er 1893 A. John (s. u.) zur Verfügung stellte – hat sich mit wirklicher Begabung, nicht etwa als Gelegenheitsdilettant zu bestimmten actuellen Zwecken, der Dialektpoesie gewidmet. Er berichtet darüber selbst, an seine endgültige Niederlassung auf dem Heimathsboden anknüpfend: „daß ich in dieser langen Zeit Gelegenheit hatte, Land und Volk unseres Egerlandes genau kennen zu lernen und mich mit seiner Sprache vertraut zu machen, ist wohl nicht zu verwundern, um so weniger als ich es nie verschmähte, mit dem Volke in Berührung zu kommen, im Gegentheil stets gerne mit ihm verkehrte. Dies brachte mich also auf ganz natürlichem Wege auf den Gedanken, die Sitten, Lebensweise und Denkungsart der Egerländer zu schildern, wozu ich begreiflicherweise als passendes Ausdrucksmittel auch den Egerländer Dialekt, der mich stets anheimelte, gebrauchte. So entstanden die vier erschienenen Hefte meiner Gedichte in Egerländer Mundart, die zu meiner großen Freude vielseitig Anklang fanden. Der Hang zum Dichten plagte mich schon in meiner frühen Jugend, denn schon als Student bewegte ich mich mit Vorliebe auf diesem Felde“. Zedtwitz’ Verdienst ist es, die Volkssprache seines Geburts- und Wohnbezirks, des nordwestlichen Böhmen, litteraturfähig gemacht, ja, vermöge seines Standes sogar bis in die Kreise der Aristokratie zur Geltung gebracht zu haben, indem er das Aschenbrödel des Schriftthums, die Poesie in den Lauten der sogenannten untern Bevölkerungsschichten, [758] aus dem niedern Niveau an Gehalt und Ansehen erhob. Folgende Sammlungen dieser Gattung – die oben von ihm angedeuteten „vier Hefte“ – gab er heraus: „As da Haimat“ (1877), „Wos Funklnoglnais“ (1880), „Alladahand“ (1882), „Dau bring ih nou wos“ (1893); letzterer Titel wird einem voll verständlich, wenn man dran denkt, daß ihn ein 79jähriger hinsetzte, wie ja überhaupt Z. erst mit 63 Jahren auf den litterarischen Markt trat, kurz nachdem er Majoratsherr geworden war. Der litterarische – d. h. hier nicht eigentlich ästhetische im engeren Sinne – litterarhistorische und völkerpsychologische Werth dieser Gedichte ist beträchtlich, und das Urtheil zweier Männer möge dafür angerufen sein, welche völliger Unterschied der Neigung, des Ausgangs- und Standpunkts in ihrer Schätzung zusammengeführt hat: Alois John’s[WS 1], des begeisterten Verfechters deutschböhmischer Cultur volksthümlichen Schlags, und Oskar Brenner’s[WS 2], des germanistisch-dialektologischen Methodikers und gelehrten Agitators für das Recht fränkischer Mundart.

Z. wußte, als er nach Dr. Lorenz, dem Senior der Egerländer Dialektdichter (1870), Dr. Urban u. a. und neben G. N. Dümmel, Krauß, Hofmann hervortrat, genau, wie sehr er etwas „Funklnoglnais“ brachte. Deshalb enthält das erste Bändchen „As da Haimat“, erst bloß „Graf Clemens Zedtwitz“ gezeichnet, noch Erläuterungen, die andern nur noch alphabetische Glossare, namentlich um die Gedichte durch Aufhellen specifisch Egerländer Formen, Ausdrücke, Wendungen dem Fremden zugänglich zu machen. Dies ist auch in der That recht nöthig; denn Z. hat sich auch um eine getreue Transscription des provinziellen Lautstandes bemüht, und so sehr der Philolog solche Sauberkeit loben und bedanken muß, den genußfreudigen Leser stören die phonetischen Zeichen in der Resonanz von Ernst und Scherz. Leider hat sichs der verstorbene gründlichste Kenner des Egerländer Dialekts, Gradl, in dessen ausführlicher Darstellung in Brenner’s und Hartmann’s Zeitschrift „Bayerns Mundarten“ I, S. 107 und weiterhin, die zum vollen Verständnisse der Zedtwitz’schen Muse sehr viel beiträgt, ebenso entgehen lassen, diese Erzeugnisse gleichsam zur Illustration heranzuziehen wie eine andere Autorität, Prof. Joh. Neubauer in Elbogen, der Verfasser der Schrift „Altdeutsche Idiotismen in der Egerländer Mundart“ (1888), in seinem Aufsatze „Zur Egerländer Wortforschung“ und Schiepek in dem „über den Satzbau der Egerländer Mundart“, die beide in J. W. Nagl’s Zeitschrift „Deutsche Mundarten“ I. Bd. 1. Heft (1896) abgedruckt sind; auch bei Ferd. Mentz, Bibliographie der deutschen Mundartenforschung bis Ende 1889 (1892), wo gemäß „Vorwort“ S. V „diejenigen Dialektproben selbstverständlich erwähnt“ sein sollen, „welche durch grammatische Einleitungen oder Glossare von wissenschaftlichem Werthe zugleich zu den Schriften über deutsche Mundarten gehören“, fehlen sie auf S. 64 f. s. v. Egerland. Nun aber muß man Zedtwitz’ Dichtungen nicht bloß mit Brenner „unverfälscht in der Sprache“ nennen, sondern, was ihnen einen allgemeineren und dauerhafteren Rang verleiht, sie bringen, John’s (S. 26) sachkundigstem Votum zufolge, für ihr zwar etwas begrenztes Feld „eine erste in sich abgeschlossene Epoche, die eine litterarische Analyse ermöglicht“. Letztere hat John mit Liebe und Glück doppelt unternommen, einmal im Zusammenhange der Egerländer Territorialphysiognomie und Dialektdichtung, zweitens für Zedtwitz’ (den er übrigens beharrlich ohne t schreibt) Persönlichkeit besonders: in seinem „Literar. Jahrbuch. Central-Organ f. d. … Interessen Nordwest-Böhmens u. s. w.“ IV (1894), S. 26 f. u. 29 f. bezw. S. 34–42, bes. S. 37–40. Er stellt Z. in die Evolution dieses Stückchens deutscher Civilisation mitten hinein, kennzeichnet ihn als eine Säule deutschen Volksthums in echt conservativem Sinne, als einen Träger deutscher Dialektpoesie auf natürlichstem Untergrunde, einen prächtigen Realisten, einen [759] witzsprudelnden Schilderer, einen Geist, der mit klarem Dichterauge – man vergleiche des alten Grafen Porträt davor – die unüberbrückbaren Gegensätze von Einst und Heute im Egerländer Bauerndasein wie im Weltenlaufe überhaupt durchschaut und durchleuchtet. Wer in Zedtwitz’ eigentliche Dialektpoesien sich eingelesen hat, wer seine vierzeiligen Gstanzln im Schnaderhüpflton, wo er „ganz besonders bedacht war, die echten Kernausdrücke der egerländer Mundart einzuflechten“ (insbesondere hinter dem 1880er Bändchen) vornimmt, stimmt dem bei: gesund und zwanglos, im Thema eher bisweilen etwas zu derb – so in den Schnapsliedern von 1893 und den, bei Zedtwitz’ politischer und gesellschaftlicher Stellung überraschenden freimüthigen Versen wo geistliche Dinge und der Herr Pfarrer zur Sprache kommen – worauf Brenner’s (anonymes) knappes Referat über die Sammlung „Dau bring ih’“ in seiner obgenannten Zeitschrift II, 299 aufmerksam macht. Ueber die „flüchtig zusammengerafften losen Stoffe“ seiner Vorgänger findet John (a. a. O. S. 26) ihn wesentlich hinausgeschritten. John’s ‚Schildereien aus dem Egerlande‘ „Im Gau der Narisker“ (1888) bieten, ohne Z. zu erwähnen, mannichfach einen Hintergrund für die Zedtwitz-Lectüre, vor allem Capitel IV, V, VI, XI, XV.

Z. lieferte auch zwei Folgen hochdeutscher „Vermischter Gedichte“ (1893 bez. 1894), die (vgl. John a. a. O. Bd. V, S. 88 f.), ohne seinem Charakterbilde merklich neue Züge hinzuzufügen, launigen und spöttischen Humor, ehrenfest-altväterische wie weitblickend-zeitverständige Gedanken aussprechen. Nach diesen beiden Kehrseiten nüancirt Zedtwitz’ Poesie, und somit würde die Aufschrift eines Bändchens, das allein Brümmer’s kurzer Artikel über ihn (Lex. d. dtsch. Dchtr. u. Pros. d. 19. Jhs.4 IV, 405) anführt, „Humoristisch-satirische Gedichte und triste Lieder“ (1880), vortrefflich das Janusgesicht dieses echten Dichterkopfes widerspiegeln. Ferner soll 1894 ein Werkchen erschienen sein, das Z. selbst „Skandinavische und deutsche Sprichwörter, metrisch bearbeitet“, Brümmer „Parodien und gereimte deutsche Sprichwörter, metrisch bearbeitet“ benennt. In den Buchhandel ist es wol ebensowenig als mehrere andere seiner Gedichtbändchen gelangt; die Bücherlexika kennen sie nicht und auch dem Unterzeichneten blieben sie theilweise unzugänglich. Jedenfalls betrachtet man nach Gebühr den Grafen Z. als einen modern gebildeten, deutsch und volksthümlich empfindenden Aristokraten, welcher der Vergangenheit wie der Gegenwart ihr Recht zubilligt und allen Stimmungen, wie sie aus dem Nachdenken in diesen Richtungen hervorwachsen können, poetisches Gewand umzuhängen weiß. „Auch finden wir einen Clemens Zedtwitz als Compositeur einer bei Hofmann in Prag erschienenen ‚Adelen-Polka‘, allem Anscheine nach von dem in Rede stehenden Grafen“, bemerkt Wurzbach, Biogr. Lex. d. Kaiserth. Oesterreich, 59. Bd. S. 262, hinter seiner Lebensskizze: wir trauen dem lustigen Gemüthe des Dichters mit wahrhaft musikalischem Ohre diese Leistung gar wohl zu. – Die oben in Anführungszeichen gegebenen Notizen über Z. stehen in dem Briefe, den er am 21. Juni 1893 auf Begehr an A. John richtete (s. dessen „Liter. Jahrb.“ IV, 38 f.); seinen Tod verzeichnet das Gothaische Gräfliche Taschenbuch, das die nackten Personalien controlliren läßt, im 70. Jahrg., S. 1318.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Alois John (1860–1935), böhmischer Schriftsteller und Volkskundler
  2. Oskar Brenner (1854–1920), deutscher Germanist; Philologe, Hochschullehrer