Zum Inhalt springen

ADB:Zschokke, Emil

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Zschokke, Emil“ von Ernst Zschokke in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 446–449, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zschokke,_Emil&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 23:44 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Zschiesche, August
Nächster>>>
Zschokke, Heinrich
Band 45 (1900), S. 446–449 (Quelle).
Emil Zschokke bei Wikisource
Emil Zschokke in der Wikipedia
Emil Zschokke in Wikidata
GND-Nummer 139879277
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|45|446|449|Zschokke, Emil|Ernst Zschokke|ADB:Zschokke, Emil}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=139879277}}    

Zschokke: Jakob Friedrich Emil Z., Pfarrer, Schriftsteller, Philanthrop, 5. Juni 1808 bis 10. März 1889. Z. war der Sohn des Schriftstellers Heinrich Z. (s. u.), der zweite von 12 Brüdern. Der Rufname Emil war eine Erinnerung an Rousseau’s Emile. Den ersten Unterricht genoß er im Hause des Vaters in Aarau, größtentheils durch diesen selbst: alte Sprachen, Zeichnen, deutsche Sprache, nur nicht die französische; die müsse von selbst kommen, meinte der Vater. Die ersten bleibenden Eindrücke gewann er auf kleinen Reisen nach allen Seiten, beim Durchmarsche der Alliirten nach Frankreich, beim Bau des Hauses zur Blumenhalde (1816–1818). Mit 15 Jahren trat er in das Gymnasium der Vaterstadt ein, nicht ohne zugleich bei einem Zinngießer zur Lehre zu gehen: so wollte es der praktische Sinn des Vaters, wenn er auch gleich den Sohn zum Studium der Theologie bestimmt hatte. Nach einem kurzen Aufenthalt in Genf, der ihm die nähere Bekanntschaft mit dem damals noch von den freisinnigsten Ideen erfüllten Konstantin Siegwart-Müller brachte, bezog er 1827 die Universität in Berlin, wo er sich dem Studium der Theologie hingab, angezogen durch Männer wie Schleiermacher, Neander, „den gemüthlichen Johannes“; auch die ersten Größen anderer Facultäten, wie Ritter, Alexander v. Humboldt, Raumer hörte er. Die Zusammenkünfte mit andern schweizerischen Studirenden gaben Anlaß zu Betrachtungen über die heimathlichen Verhältnisse und vertieften den Wunsch nach einem starken Schweizerbunde an Stelle der lose gefügten Conföderation. Das Theater mit Wolf, Devrient, Rütling, Angely wirkte auf die Phantasie, sie zur Production anregend. Nach Beendigung der Studien hielt Z. seine erste Predigt in der Heimat seines Vaters, in Magdeburg. 1830 wurde Z. Vicar in Zofingen. Die Stürme dieses Jahres regten auch im [447] Aargau hohe Wogen auf und der für die fortschrittliche Entwicklung dieses Kantons, wie der Schweiz aufs höchste entflammte Z. verfolgte die Vorgänge mit größter Aufmerksamkeit: eine Predigt vaterländischen Inhalts, die ihm aber von oben ungnädig vermerkt wurde, und die Novelle „der Patriot“ (1844 unter dem Pseudonym Eulogius Ernst erschienen) legen Zeugniß davon ab. Die helvetische Gesellschaft wirkte in gleichem Sinne auf ihn ein. 1832 kam Z. in die basellandschaftliche Gemeinde Lausen, erst als Vicar, von 1833 an als Pfarrer, mitten in die Wirren, welche den Kanton Basel in Stadt und Landschaft trennten. Da er für die Sache der Landschaft eifrig eintrat, hatte er unter den Anfechtungen der zur Stadt neigenden Aristokratie anfänglich sehr zu leiden. Z. nahm sich namentlich des Schulwesens an, wurde mit der Ausarbeitung von Gesetzesentwürfen für Umgestaltung und Verbesserung des Schulwesens beauftragt. Von dieser Arbeit riß ihn die Erneuerung des Kampfes beider Basel hinweg. Unbewaffnet zog er mit und leistete in dem kurzen Feldzuge, der mit dem Siege der Landschaft und einer durch die Tagsatzung sanctionirten völligen Trennung der beiden Kantone endigte, als Secretär nicht unwesentliche Dienste. Als nach Herstellung der Ruhe die Consolidirung des neuen Kantons Baselland eifrig betrieben wurde, verfaßte Z. als Mitglied der Gesetzesrevisionscommission den definitiven Schulgesetzesentwurf. Zum Mitgliede des Erziehungsrathes ernannt, dem er bis 1845 angehörte, hatte er die Aufgabe, die Bezirksschulen des Kantons zu inspiciren, Lehrer für vacante Stellen zu suchen und ward so ein thätiger Förderer des gesammten Schulwesens. Doch auch in anderer Hinsicht suchte er bildend auf das Volk einzuwirken, getreu dem Wahlspruch seines Vaters: Volksbildung ist Volksbefreiung. Er gründete einen Volksbildungsverein, veranlaßte eine landwirthschaftliche Ausstellung, die zur Gründung eines landwirthschaftlichen Vereins führte. Wenn ihm auch Enttäuschungen und Anfeindungen, so namentlich durch Rolle, nicht erspart blieben, so fand er doch auch Anerkennung; so schenkte ihm der Kantonsrath das kantonale Bürgerrecht und die Stadt Liestal berief ihn 1838 an ihre Stadtkirche.

Zwar steigerten sich die Anforderungen an seine berufliche Thätigkeit; doch behielt er stets die allgemeine Volkswohlfahrt im Auge. Er verfaßte 1842 den „Aufruf an alle Eidgenossen zur Bildung des Grütlivereins“, dessen Tendenz die Hebung des Wohles der unbegüterten Classen ist. Er hatte auch in jener Zeit schon den Gedanken einer Wiedervereinigung der beiden Basel gefaßt. Er verlieh diesem Gedanken anläßlich des eidgenössischen Schützenfestes, das 1844 in Basel stattfand, in einer Rede Ausdruck; denn er erkannte schon damals, daß die Trennung auf alle Zeiten weder im Interesse des einen, noch des andern Theiles sei.

1845 ließ er sich, um seiner Heimath und dem alternden Vater näher zu sein, als Pfarrer nach Kulm im Aargau wählen. Auch hier wendete er sich wieder der Förderung des allgemeinen Wohles zu, indem er sich der von seinem Vater gegründeten Gesellschaft für vaterländische Cultur anschloß, deren Präsident er bald wurde. Von ihm gingen mannigfache Anregungen zur Verbesserung der Landwirthschaft aus; er rief die Einrichtung der Sparsuppenanstalten ins Leben. Daneben wirkte er in den verschiedenen Schulbehörden des Bezirkes, lehnte dagegen das Inspectorat an der Kantonsschule ab, da zwei seiner Brüder Lehrer der Anstalt waren.

In diese Zeit fiel der Sonderbundskrieg, der den südlichen Thälern des Aargaus häufige Einquartirungen brachte. Große Bestürzung verursachte der Plan des Sonderbundes, einen Ausfall in den Aargau zu wagen; die Ausführung scheiterte bekanntlich und befreite die Kulmer von einer großen Sorge. Als aber der Kampf ausgefochten war, da war Z. einer der ersten, die das glückliche [448] Ergebniß feierten, und in zündender Rede pries er den glücklichen Erfolg des kurzen Kampfes und die bedeutsamen Umgestaltungen, die aus ihm hervorgingen. Diese Rede hatte seine Berufung zum Stadtpfarrer nach Aarau zur Folge. Von 1849–1886 hat er dem neuen Amte vorgestanden. Hier eröffnete sich ihm nun ein weites Feld für seine gemeinnützigen Bestrebungen. Auch hier war es vornehmlich die Schule, in deren Dienst er unermüdlich thätig war. Fast allen städtischen und kantonalen Schulbehörden gehörte er an, vielfach als Präsident wirkend, selbst als Lehrer der Religion an der aarg. Kantonalschule unterrichtend. 1872 half er das aarg. Lehrerinnenseminar gründen und war während einer Reihe von Jahren der Präsident der Direction. Die Fragen des öffentlichen Wohles beschäftigten ihn auch hier in hervorragender Weise. Zahlreich sind die gemeinnützigen Anstalten, die er in Verbindung mit andern, gleichgesinnten Männern ins Leben rief: als Mitglied der kantonalen Armencommission trat er namentlich für die Versorgung armer Kinder, denen ein geordnetes Familienleben fehlte, ein. Doch beschränkte sich seine Thätigkeit hauptsächlich auf den Bezirk Aarau, dessen Armenwesen er auf eine andere Bahn brachte, indem er den sog. Fünfrappenverein ins Leben rief, dessen Mitglieder sich zu wöcbentlichem Beitrage von 5 Rappen verpflichteten. Aus der so gewonnenen Summe bestritt man das Kostgeld der in ländlichen Familien untergebrachten Kinder. Zur Aufnahme der verwahrlosten Jugend wurde eine Rettungsanstalt auf ähnlicher Grundlage auf Schloß Kastelen errichtet. Die Aufsicht über die aus dem Zuchthause entlassenen Sträflinge übernahm ein von Z. gegründeter Schutzverein. Eingehende Fürsorge trug er auch für die Taubstummenanstalt, deren Direction er seit 1849 ununterbrochen angehörte. Die städtische Lehrerschaft vereinigte er zu einem Pensionsverein.

Zahlreich sind seine Vorträge und Anregungen in all diesen Behörden und Vereinen, wie jene Referate über Blindenasyl und Blindenbildung im Aargau, gehalten in der Gesellschaft für vaterländische Cultur; zahlreich auch die Schriften, die er zur Aufklärung über die angestrebten Einrichtungen und Verbesserungen verfaßte. So stammt von ihm ein Aufruf an die Aargauer zur Gründung einer Irrenanstalt (1851), die auch bald darauf in Königsfelden errichtet wurde. Anziehend mochte es für ihn sein, rückwärts schauend die Entwicklung so vieler Anstalten, die er gegründet oder gefördert hatte, zu ermessen, und so entstanden nicht nur jene vielen Jahresberichte der Taubstummenanstalt, des Armenerziehungsvereins u. a. m., als deren Verfasser er nicht ausdrücklich genannt ist, sondern auch umfassendere Arbeiten, wie die Geschichte der Aarg. Culturgesellschaft, 1883. Daneben trieb ihn die Sorge, die Schriften seines Vaters in ihrer Frische zu erhalten; zu erneuern, was den Anschauungen einer fortgeschrittenen Zeit nicht mehr entsprechen mochte, zu ergänzen, was nicht mehr vollständig war. 1871 unterzog er die „Stunden der Andacht“ einer genauen Durchsicht und fügte in jedem Bande neue Betrachtungen hinzu. Die einleitenden Verse rühren alle von ihm her. Des Schweizerlands Geschichte, die nur bis 1834 reichte, führte er fort bis zur Umgestaltung des Schweizerbundes im J. 1848. Durch die Arbeit angeregt schrieb er in populärem Tone die Geschichte der Entstehung des Kantons Aargau. Zeigt sich also hier, daß seine Schriften der Anregung bestimmter Gelegenheiten entsprungen, so ist das in noch erhöhtem Maße der Fall bei seinen ungezählten poetischen Producten. Kein Fest der eigenen oder befreundeten Familie, der Gemeinde, der gemeinnützigen Gesellschaften, an dem er nicht die Muse zur Freude der Theilnehmer herbeirief und seinen Gedanken in dichterischem Gewande Ausdruck verlieh. Eine Anzahl dieser Gedichte, mit andern vermischt, ist von Rob. Weber im 14. Bändchen seiner Schweizerischen Nationallitteratur (Aarau 1886 u. 1887) herausgegeben worden. Größere dramatische [449] Gelegenheitsdichtungen verfaßte er für eidgenössische Feste, die in Aarau stattfanden; so vor allem „Die Waisen in Stans“, welche Dichtung 1884 vor der Versammlung der schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft aufgeführt wurde. Zschokke’s größtes litterarisches Werk ist „der heilige Gral“ 1868–70 verfaßt und 1872 erschienen, die Parzival- und Gralsage in freier Stanzenform vorgetragen.

Z. feierte 1880 sein 50jähriges Pfarrerjubiläum, 1883 die goldene Hochzeit und trat 1886 von seiner öffentlichen Thätigkeit zurück. Er starb am 10. März 1889 an Altersschwäche.

Zschokke’s Hauptbedeutung liegt nicht auf dem Felde der engeren Berufsthätigkeit, der er allerdings mit dem größten Ernste nachging und in der er von einer nicht gewöhnlichen oratorischen Begabung gefördert wurde. Die Wahl des Berufes hatte eigentlich der Vater getroffen, dem es als Omen erschien, wie der Knabe zur Welt kam, als eben die Pfingstglocken zur Kirche läuteten. „Der Bursche muß einmal Pfarrer werden!“ hieß es da. Seinem theologischen Denken gab Schleiermacher die Richtung, den er bis ans Ende hoch verehrte. Das Leben Jesu von Strauß, das in Zschokke’s erster Amtsthätigkeit erschien, erregte in ihm einen mächtigen Sturm und erst nach hartem Kampfe fand er seine Ueberzeugung wieder. Im Laufe der Jahre neigte Z. immer freieren Anschauungen zu, und wenn er auch nicht der Reformtheologie sich anschloß, so gehörte er noch viel weniger der Orthodoxie an. Ihm war die praktische Ausübung des Christenthums Hauptsache: sein natürliches tief innerliches Wohlwollen trieb ihn dazu; und was er da im Kampfe gegen die Noth Anderer geleistet hat, entzieht sich, soweit es nicht jener öffentlichen Wirksamkeit angehört, der allgemeinen Kenntniß. Dann aber vor allem war die Schule sein Gebiet. „Mein Vater hat mir Richtung und Bestimmung für mein Amt gegeben, indem er mir namentlich die Sorge für die Bildung der Jugend zur Hauptaufgabe machte“, erklärte er an seinem Jubiläum; die Treue, mit der er an dieser Aufgabe hing, die Kraft und die Einsicht, die er für sie einsetzte, drücken seinem Wesen den eigenartigen Stempel auf.

Biogr. Skizzen: Rob. Weber im 14. Bändchen der Schweiz. Nationallitteratur, Aarau 1886. – Pfr. R. Wernly: Nekrolog 1889.