Abrahams Kindheit

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Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Abrahams Kindheit
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aus: Zerstreute Blätter (Dritte Sammlung) S. 239–243
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Erscheinungsdatum: 1787
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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Quelle: ULB Düsseldorf und Commons
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[239]
Abrahams Kindheit.


In einer dunkeln Höle ward Abraham erzogen: denn der Tyrann Nimrod stellete ihm nach dem Leben. Aber auch in der dunkeln Höle war das Licht Gottes in ihm; er dachte fleißig nach und sprach zu sich: „wer ist mein Schöpfer?“

Als er nach sechzehn Jahren endlich hinaustrat und zum erstenmale Himmel und Erde sah; wie erstaunte er und freuete sich! Er fragte alle Geschöpfe rings umher: „wer ist Euer Schöpfer?“

Eben ging die Sonne auf und er fiel nieder auf sein Angesicht. „Das, sprach er, ist der Schöpfer Himmels und der Erde: denn seine Gestalt ist so herrlich!“ –

Die Sonne stieg hinauf und stieg hinab und ging am Abend unter. Da ging der Mond hinauf, und Abraham sprach zu sich: „das untergegangene Licht war nicht der Gott des Himmels; [240] vielleicht ists jenes kleinere Licht, dem dieses große Heer der Sterne dienet.“ Aber auch Mond und Sterne gingen unter und Abraham stand allein.

Er ging zu seinem Vater und fragte ihn: „wer ist der Gott des Himmels und der Erde?“ und Tharah zeigete ihm seine Götzenbilder. „Ich will sie prüfen,“ sprach er bei sich selbst und als er allein war, legete er ihnen die schönste Speise vor. „Wenn ihr lebendge Götter seyd: so nehmet euer Opfer.“

Aber die Götzenbilder standen da und regeten sich nicht. „Und diese, sprach der Knabe, kann mein Vater für Götter halten? Wohl! Ich will jetzt als ein Knabe handeln, vielleicht belehre ich ihn.“ Da nahm er seinen Stab und zerschlug die Götzen alle bis auf Einen, und legte seinen Stab in dieses Götzen Hand und lief zum Vater hin und sagte: „Erschrick nicht, Vater, dein oberster Gott hat alle seine Brüder getödtet.“ Und als nun Tharah zornig ward und spracht: „Du [241] spottest meiner! wie kann er es, da meine Hände ihn gebildet haben?“ siehe da nahm Abraham das Wort und redete zu ihm: „zürne nicht, mein Vater, und laß dein Ohr vernehmen, was dein Mund sagte. Trauest du deinem Gott nicht zu, daß Er vermöge was ich mit meiner Knabenhand zu thun vermochte, wie wäre Er der Gott, der mich und dich und Himmel und Erde schuf?“ – Tharah verstummte auf des Knaben Wort.

Bald aber kam die That vor den Tyrannen Nimrod; der foderte ihn vor sich und sprach: „Meinen Gott sollt du anbeten, Knabe; oder der brennende Ofen sei dein Lohn.“ Denn alle Weisen hatten bei Abrahams Geburt dem Könige geweissagt, daß Er die Götzen stürzen und des Königes Dienst vernichten würde im ganzen Königreiche. Darum verfolgete der König ihn.

[242] „Wer ist dein Gott, o König?“ sprach der unerschrockne Knabe.

„Das Feuer ist mein Gott, antwortete er, das Mächtigste der Wesen.“

„Das Feuer, sprach der Knabe, wird vom Wasser ausgelöscht: das Wasser wird von der Wolke leicht getragen: der Wind verjagt die Wolken und dem Winde besteht der Mensch. So ist der Mensch das Mächtigste der Wesen –“

„Und ich der Mächtigste der Menschen, sprach der König. So bete mich an; oder der glühende Ofen ist alsobald dein Lohn.“

Da schlug der Knabe sein bescheidnes Antlitz auf und sprach: „ich sah die Sonne gestern am Morgen auf- und am Abend’ untergehn; befiehl o König, daß sie heut am Abend’ auf und am Morgen untergehe: so will ich dich anbeten.“ Und Abraham ward in die Glut geworfen.

[243] Aber des Feuers Kraft beschädigte den Knaben nicht: ein Engel nahm ihn sanft in seinen Arm und fächelte die Flammen von ihm ab, wie einen Lilienduft. Schöner ging der Knabe vom Feuer hinaus und bald erschien ihm selbst sein Gott und rief ihn aus Chaldäa und weihete ihn zu seinem Freunde ein. Und Abraham ward Stifter des wahren Gottesdienstes des Einen Gottes Himmels und der Erde für alle Welt.