Absage (Kraus)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Karl Kraus
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Absage
Untertitel:
aus: Ausgewählte Gedichte, S. 57-58
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1920
Verlag: Verlag der Schriften von Karl Kraus (Kurt Wolff)
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]

[57]

Absage


Wo die Maschine mit dem Menschen rauft,
wo Blutverlust bedeutet Geld-Erraffen,
wo Hunger herrscht und Reichtum Nahrung kauft —
mit solcher Menschheit hab’ ich nichts zu schaffen!

5
Wo Männer ächten, was sie selbst begehrt,

und wo die Sinne zu der Sünde finden,
wo Liebe Schmach bringt und Natur entehrt —
mit solcher Mannheit kann mich nichts verbinden!

Wo Freigeborne jedem Schall und Schein

10
gehorchen, ewiger Menschenfurcht verschworen,

um als Tyrannen Sklaven noch zu sein,
in solchen Reichen hab’ ich nichts verloren.

Wo Druck in jeder Form die Geister lähmt
und wo die Phrase sich von selbst entzündet,

15
wo Technik sich dem Tode anbequemt,

in solcher Welt ist nicht mein Glück begründet.

Wo fauler Zauber allen Lebens Zweck
dem schnöden Mittel heimlich längst vermietet,
wie sehn’ ich mich aus dieser Wohnung weg,

20
in der ein Besen mir die Stirne bietet!


Wo Willkür, Wucher, Krankheit, Haß und Schmutz
als die Verbündeten des Schlachtruhms schalten,
da will ich kühn dem Vaterland zum Trutz
mich für den allergrößten Feigling halten!

25
[58] Wo Wissenschaft den Heldentod erfand,

in Gift und Gas die Glorie sich erneuert,
da hat sich mir das teure Vaterland,
denn Krieg ist Krieg, bedeutend noch verteuert.

Wo statt der Glocken die Kanonen nun

30
die frommen Christen zum Gebete rufen,

mit solchen hat der Teufel nichts zu tun,
da sie auf Erden schon die Hölle schufen.

Wo Ehre fällt und Schande aufwärts steigt
und heute gilt, wer gestern erst gestohlen —

35
gern hätt’ ich Jenem doch den Weg gezeigt,

daß er mir könnte diese Ordnung holen!

Wo sie vor jedem Sonnenuntergang
durch Wort und Tat ihr Seelenheil verfluchen —
mein Leben und mein weiteres Leben lang

40
hab’ ich bei dem Gelichter nichts zu suchen!