Adams Tod

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Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Adams Tod
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aus: Zerstreute Blätter (Dritte Sammlung) S. 226-228
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Erscheinungsdatum: 1787
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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Quelle: ULB Düsseldorf und Commons
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[226]
Adams Tod.

Neunhundert und dreißig Jahre war Adam alt, als er das Wort des Richters in seinen Gebeinen fühlte: Du sollt des Todes sterben. „Laß alle meine Söhne vor mich kommen, sprach er zur ängstigen Eva, damit ich sie noch sehe und segne.“ Sie kamen alle auf das Wort des Vaters und stunden vor ihm da, viel hunderte der Männer an der Zahl und weineten und flehten um sein Leben.

„Wer unter euch, sprach Adam, will zum heilgen Berge gehn? Vielleicht daß er für mich Erbarmung finde und bringe mir eine Frucht vom Baume des Lebens.“ – Alsbald erboten sich alle Söhne, und Seth, der frömmste unter ihnen, ward vom Vater selbst zur Botschaft auserwählet.

Sein Haupt mit Asche bestreuet, eilte er und säumte nicht, bis er vor der Pforte des Paradieses stand. „Laß ihn Erbarmung finden, Barmherziger (so betete er) und sende meinem Vater [227] eine Frucht vom Baume des Lebens.“ – Schnell stand ein Engel Gottes, der glänzende Cherub da; nur statt der Frucht vom Lebensbaume hielt er einen dreiblättrigen Zweig in seiner Hand. „Bringe deinem Vater ihn, so sprach er freundlich, zu seiner letzten Labung: denn ewiges Leben wohnet nicht für ihn auf dieser Erde. Darum eile: denn seine Stunde ist kommen.“

Schnell wie ein Engel des Trostes eilte Seth und warf sich nieder und sprach: „keine Frucht vom Baume des Lebens bringe ich dir, mein Vater; aber diesen Zweig hat mir der Engel gegeben, zu deiner letzten Labung.“ Der Sterbende nahm den Zweig und freuete sich. Er roch an ihm den Geruch des Paradieses: da erhub sich seine Seele. „Meine Kinder, sprach er, ewiges Leben wohnet nicht für uns auf dieser Erde: Ich sterbe und ihr folgt mir nach. Aber an diesem Gewächse athme ich den Hauch einer andern Welt, den Geruch eines höheren Paradieses.“ Da brach [228] sein Auge: sein Geist entfloh auf dem Zweige vom Baum des Lebens.

Adams Kinder begruben ihren Vater und weinten um ihn dreißig Tage; Seth aber weinte nicht. Er pflanzete den Zweig auf seines Vaters Grab zum Haupt des Todten und nannte ihn den Zweig des neuen Lebens, des Auferwachens aus dem Todesschlaf.

Der kleine Zweig erwuchs zum hohen Baum und alle Kinder Adams stärkten sich an ihm mit dem Trost des andern Lebens. So kam er auf die folgenden Geschlechter. Im Garten Davids blühete er schön, bis sein bethörter Sohn an der Unsterblichkeit zu zweifeln anfing; da verdorrete der Zweig, doch kamen seine Blüthen unter andre Völker. Und als an einem Stamm von diesem Baum der Lehrer der Unsterblichkeit sein heiliges Leben aufgab, siehe da streuete sich von ihm der Wohlgeruch der Auferstehung umher unter alle Völker der Erde.