Aesthetische Briefe für’s Haus

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Textdaten
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Autor: Lauckhardt
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Titel: Aesthetische Briefe für’s Haus
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Aesthetische Briefe für’s Haus.
1. Die Welt des Schönen.


Wenn uns das Leben müde macht mit seiner vielgestaltigen Arbeit und Sorge – den Mann durch die Anstrengungen des Berufs, die Frau durch die tausend kleinen Mühen und Pflichten, welche sie der Ordnung und dem Behagen des Hauses schuldet –: so sehnen wir uns nach dem Frieden einer reineren, höheren Welt, die uns Erquickung bietet und Stärkung zu neuen Anstrengungen. Denn das Leben ist ein Kampf, der unablässig an uns nagt und zehrt, der uns hinabzuziehen droht in die Trostlosigkeit des Kleinen und Gemeinen, wenn uns eine zeitweise Flucht nicht rettet in jenes ideale Reich, das über der Wirklichkeit liegt und ihrem verwirrenden Getöse, – in das Reich des Schönen. Dort kommen wir wieder zur Sammlung und Ruhe, dort kehren mit den zerstreuten Lebensgeistern Muth und Vertrauen zurück. Wie ein Wanderer sich der kühlen, grünen Waldnacht freut, zu welcher er sich stundenweit durch den Staub und Sonnenbrand geräuschvoller Straßen hindurcharbeiten mußte, so fühlt sich die ermüdete Seele erquickt in der stillen Einsamkeit der idealen Welt. Diese Zuflucht ist Niemandem verwehrt, der sie aufsuchen will; sie ist kein Phantom, kein Wahn und Traum, wie Manche wähnen mögen, sondern klare, sonnglänzende Wirklichkeit. Freilich ist jene Welt ein „Wunderland“, wie die Schönheit selbst ein Wunder und Geheimniß ist; aber an ihrer Existenz kann nur zweifeln, wer das falsche Ideal einer flüchtigen, phantastischen Begeisterung mit dem wahren, aus tiefer, reifer Weisheit des Dichters entsprungenen verwechselt, das jeden Augenblick im Fleisch erscheinen und leben und athmen könnte, wie ein sterbliches Geschöpf. Was die erhabensten Geister aller Zeiten Großes und Herrliches hervorgebracht, was die Poesie geschaffen und die Künste gebildet haben, das wandelt und lebt in jener reichen Welt: es sind die in schönen Schein gekleideten ewigen Ideen – wahrer und lebensvoller, als die dem Wechsel und der Unvollkommenst unterworfenen irdischen Dinge. Den Griechen lag die Welt des Schönen nah und erschlossen vor Augen; sie gehörte mit zu ihrer sichtbaren Welt, und sie selber fühlten sich mitten darin; uns aber, die wir älter und verständiger geworden, ist sie fern gerückt. Der Ernst des Gedankens, der Zweifel, der Kampf mit dem Irdischen hat uns geschieden von jener heitern, vollkommen glücklichen Welt. Aber es giebt einen Weg dorthin, und diesen Weg wollen wir suchen.

Da die Brücke von hier dort hinüber in uns selbst Anfang und Befestigung findet, so können wir nicht von dort, wir müssen von hier, von uns selber ausgehen. Die Kunst zu leben verlangt viel Aufmerksamkeit, viel Geduld, Beharrlichkeit und Selbstverleugnung. Wenn man aber jeweilig sieht, daß man gegen die Beschränktheit, den bösen Willen oder die Gewöhnlichkeit vergeblich kämpft, und fühlt, wie man da und dort die Fehler, die man an Andern tadelt, selber gemacht und in der Uebereilung oder Leidenschaft verkehrt und thöricht gehandelt: so wird man verstimmt und verdrossen und hält in solchen Augenblicken das Leben für eine Last und das irdische Dasein für eine Kette von Ungemach. Zu Andern Zeiten dagegen ist unsere Stimmung freier, unser Geist heiterer und elastischer: das Schwere wird uns leicht und das Trübe und Verworrene klar. Was vordem für unser Verständniß keinen Zusammenhang hatte, gewinnt auf einmal Form und Gestalt vor unsern Augen; mit der helleren Einsicht wird auch unser Urtheil über die Menschen milder und gerechter. Gewiß erinnerst Du Dich auch solcher Sonnenblicke am Lebenshorizont – einzelner Tage und Stunden, welche Dich in der Arbeit rascher förderten, als sonst Wochen und Monate. Was solche glückliche Stimmungen herbeiführt, ist nicht bekannt; es mögen theils innere, theils äußere Verhältnisse, sowohl bürgerliche als geistige Veränderungen als Ursachen zu Grunde liegen. Oft ist es eine heitere Gesellschaft am vorhergehenden Abend, oft auch die Consequenz des ernsten Fleißes, so daß das Wort Goethe’s: „Tages Arbeit, Abends Gäste, saure Wochen, frohe Feste“ allerdings aus der Erfahrung stammt. Wenn wir aber in solchen Momenten eines gesteigerten Gemüths- und Geisteslebens schärfer sehen, wärmer empfinden und uns im ganzen Besitz all unserer Anschauungen und innern Erfahrungen fühlen, so schwinden die Nebel, welche jene höhere Welt uns verhüllten und in die Ferne rückten, und das Reich des Schönen tritt um so näher an uns heran, je empfänglicher wir für den Lichtstrahl geworden, der von dort zu uns herüber dringt. Es giebt noch einen andern Weg, die Brücke hinüber zu bauen, welcher ebenfalls von diesseits beginnt: die lebhafte Empfindung für das Naturschöne – von dem wir später umfänglicher zu reden haben. Ein kurzer Gang in’s Freie, oft nur ein Blick, der uns ein wenig Himmel, ein wenig Grün und ein Stückchen Ferne gestattet, reichen schon hin, die gestörte Harmonie der Seele herzustellen, alle Differenzen aufzulösen und das Gemüth wieder rein zu stimmen. Dann aber hören wir die „Harmonien“, die aus dem „Wunderland“ herüber klingen, und in den Saiten unserer Seele klingen sie leise nach.

Im Reiche der Schönheit begegnen wir jenen wunderbaren Gebilden, welche, von der Hand der Meister, der Poeten und Künstler, geschaffen, in unwandelbarer Jugend prangend, der Sterblichen Auge und Ohr entzücken und ihre Seele erheben über die Dürftigkeit dieser unvollkommenen Welt. Es sind die verkörperten [31] Ideen. Da wir beim Betrachten einzelner Kunstwerke auf das Innere und Aeußere desselben, auf die Form und Idee öfter zurückkommen müssen, so ist es nöthig, daß wir uns über den Begriff der Idee vor Allem ins Klare setzen. Dabei wollen wir aber von einer strengen Definition des Wortes absehen, weil wir nicht für die Wissenschaft, sondern „für’s Haus“ reden und uns mit einer Beschreibung der Sache begnügen können, wobei wir, wie ich hoffe, nichts verlieren werden.

Man empfindet zuweilen eine Sache tief und mächtig, ohne im Stande zu sein, das Empfundene genügend auszudrücken. Solche Stimmungen der Seele geben sich etwa kund beim Anhören einer ergreifenden Musik, oder wenn man am schwülen Mittag einsam im stillen Walde verweilt, oder am Morgen früh einen Berg mit weiter Aussicht besteigt, oder in tiefer Nacht zum besternten Himmel aufblickt, oder im Herbst das bunte Leben auf der Landstraße oder die Schiffe und Kähne auf dem Strom beobachtet, oder auf die fliegenden Wolken, die wandernden Zugvögel oder das fallende Laub sieht, oder sich der Ruhe freut, die am Abend niedersinkt auf Stadt und Dorf und Haus und Hof. Dergleichen Empfindungen sind zuweilen nur schwach und vorübergehend, zuweilen aber auch tief und stark und von dauerndem Eindruck. Wenn wir uns aber darüber aussprechen wollen, so finden wir selten die bezeichnenden Worte: wir sagen damit entweder zu viel oder zu wenig und nie das, was wir ausdrücken möchten. Nun giebt es aber Menschen, welche von Natur die Gabe besitzen, jene Seelenstimmungen, die wir Ideen nennen wollen, nicht allein reicher und tiefer als Andere zu haben, sondern dieselben auch mit Leichtigkeit zum Ausdruck zu bringen, sei es in Worten oder Bildern oder Tongemälden, so zwar, daß Jeder sofort in jene Seelenstimmung versetzt und der Idee theilhaftig wird. Die gefundene Form aber ist keine umständlich beschreibende, die auf einem längeren Weg zum Ziele käme, sondern kurz und bündig wie ein Sprüchwort, treffend, zündend wie ein Blitz, der die Seele erleuchtet, wie ein bedeutsamer Accord, eine Fülle von Gefühlen erweckend, – und dabei anmuthig, lieblich zu sehen oder anzuhören. Die Menschen, welche dieses Talent besitzen, sind eben die Dichter und Künstler. Sie verstehen die Sprache, welche tief Empfundenes und innerlich Geschautes leicht und sicher ausdrückt, – der Maler thut es mit Farben, der Bildhauer mit Thon und Marmor, der Musiker mit Tönen, der Dichter mit Gedanken und Bildern. Die Ideen sind demnach die Seele der Gedichte und Kunstwerke, die Form ihr wahrnehmbares, äußeres Gewand. Ein Dichter- und Künstlergeist kann nur geboren werden, denn die Kunst läßt sich weder lehren noch lernen. Was wir aber lernen können, das ist das Verstehen und Genießen der schönen Kunstwerke, das ist das Unterscheiden des Trefflichen vom Schlechten, was uns die Mode der Zeit oder das unreife Urtheil oder der verderbte Geschmack als gut aufdrängen will. Wessen Sinn für das Schöne erschlossen, wessen Geschmack durch die Kenntniß des Besten, was Poesie und Kunst hervorbrachten, gebildet ist, dem wird das Unschöne und Unedle sich nicht nahen dürfen; das Häßliche und Schlechte kann in seinem Innern keine bleibende Stätte finden.

Aber – könnte man hier einwenden – wozu bedarf es so großer Vorbereitungen, wenn die Welt des Schönen in den Dichterwerken und den Kunstschöpfungen der besten Zeiten zu finden ist? was braucht es weiter, als zu lesen und die Augen aufzuthun? Allerdings, wenn es sich um das bloße Sehen und Kennenlernen handelt. Ein Anderes aber ist Sehen und ein Anderes Verstehen. Oder willst Du Dir anmaßen, das, was die Größten und Besten als das Resultat ihres Lebens, als die Blüthe ihrer Bildung in ihren Schöpfungen niedergelegt, woran sie ein halbes Leben gelebt und manches Jahr geschaffen, beim einmaligen Lesen zu erfassen, mit einem Blick zu übersehen? Wenn jene Touristen-Karawane vor den Ueberresten des Poseidontempels in Pästum vorbei defilirt und mit dem Augenglas hinübersehend blos die Worte findet: „very nice, very nice indeed!“ so werden diese Kunstfreunde auch nicht mehr Genuß gehabt haben, als die Besucher unserer Concerte, Theater und Gemäldegallerien, wenn sie sprechen: „entzückend, herrlich, außerordentlich schön!“ Wenn man auch von dem Freund der Kunst und Literatur nicht das Urtheil des Kenners fordern darf, so soll er doch von sich selbst eine gewisse Rechenschaft verlangen. Er muß wissen, warum ihm etwas schön oder unschön dünkt, wodurch das Schöne schön ist, worin der Reiz und Zauber seiner Wirkung auf die Leser oder Betrachter liegt, und durch welche Eigenthümlichkeiten ein schönes Kunstwerk sich von Werken anderer Art, die von gleichem Werthe sein können, unterscheidet. Der sicherste Weg, ein richtiges Urtheil und einen guten Geschmack im Gebiete des Schönen zu erlangen, ist, viel Gutes zu sehen und oft zu sehen. Da aber die Wenigsten hierzu Zeit, Lust und Gelegenheit haben, so müssen sie sich einem Führer in die Welt des Schönen anvertrauen, der sie vorbereitet, anleitet und orientirt.

Nach Beseitigung des erhobenen Einwandes kehren wir zu der Vorstellung, die wir uns von der Idee gebildet, zurück und betrachten ihre Fortentwicklung zum Ideal. Ich halte diesen Gedankengang darum ein, weil ich glaube, daß man einen Gegenstand am besten begreift, wenn man seine Entstehung verfolgt. Aus der Idee, jener Stimmung der Seele an sich, geht noch kein Kunstwerk hervor, weder ein Gedicht, noch ein Drama, weder ein Gemälde, noch eine musikalische Production, obgleich die Seelenstimmung des Künstlers während seines Schaffens in ihrer Tiefe und Kraft fortwirken muß. Aber nach und nach gestalten sich jene Empfindungen zu einem Bild von Figuren, Gestalten, Handlungen, zu einem innern Gemälde, welches klar und lebendig vor der schöpferischen Phantasie des Künstlers steht. Dieses Bild, welches das Ideal genannt wird und vermöge der Empfindung zu Stande kommt, bildet gleichsam den zweiten Act des Vorgangs der Entstehung eines Kunstwerkes. Der dritte Act, der am meisten Zeit erfordert, ist dann die Ausführung mit den Mitteln, welche der besondern Kunstgattung zu Gebote stehen, – die äußere Darstellung für den Leser, Hörer oder Beschauer. Hier liegt die Frage nahe, ob nicht diejenige Ausführung die vollendetste sein wird, welche die Natur am treuesten wiedergiebt. Diese Frage muß verneint werden, sonst würden die Portraits von Denner, welche so genau waren, daß man jedes Härchen und jeden kleinen Riß in der Haut mit der Lupe nachweisen konnte, die vollkommensten sein; aber sie machen keineswegs einen großen Effect der Wahrheit; sonst müßten die Photographieen die ähnlichsten Bilder sein, eine Theatervorstellung bei Tage und zwischen wirklichen Bäumen und Häusern eine größere Wirkung haben, als das Spiel bei Lampenlicht mit Coulissen von Papier und Leinwand; – sonst müßten weiße Marmorstatuen, mit den Farben des Lebens angestrichen, schöner und vollendeter aussehen. Allein die Aufgabe der Kunst ist nicht, die Natur nachzuahmen, – das kann sie nur bis zu einem gewissen Grad, – sondern das Ideal in der Sprache und mit den Mitteln der Natur zur Darstellung zu bringen. Ein Kunstwerk darf der Natur nicht widersprechen, es muß das genaueste Studium derselben verrathen, aber es darf sie nicht erreichen wollen. Die Naturnachahmung ist nur ein Mittel zum Zweck. Das Schöne ist immer nur ein Schein, eine Täuschung, deren wir uns beim Betrachten desselben wohl bewußt sind, aber dieser Schein redet in der ergreifendsten Sprache zu uns, vermittelt uns das Höchste und Tiefste, was die Brust des Künstlers bewegt hat.

Jene scheinbare Unvollkommenheit bei der Ausfüllung ist aber keineswegs ein Verlust, sondern ein Gewinn für das Kunstwerk. Wenn ein photographisches Portrait nur den Moment geben kann und diesen in einem todten Abklatsch der Natur, so steht es in den meisten Fällen einer einfachen Stiftzeichnung – wenn auch nur in leichtem Umriß – von Künstlerhand weit nach; denn hier ist Auffassung, Geist, Allgemeines, – dort die Arbeit der vernunftlosen Maschine, welche nur wiedergeben kann, was der Augenblick ihr bietet; also muß es ein Vorzug sein, wenn der nachzubildende oder darzustellende Gegenstand durch den Geist des Künstlers geht („die Feuertaufe des Geistes erhält“), und dies ist in der That eine unabweisbare Bedingung alles Kunstschönen, wie bei den Gesetzen des Schönen weiter gezeigt werden soll.

Denken wir uns einen Maler, welcher, vielleicht durch irgend eine hübsche Landschaft, welche die Natur ihm bietet, zu der Idee einer beschaulichen Ruhe und Stille in der Einsamkeit angeregt wird. Er will ein Bild schaffen, welches diese Stimmung ausdrückt. Wird es ihm aber gelingen, wenn er sein Vorbild bis in’s Kleinste abschreibt und nachahmt? Gewiß nicht. Er muß das Vorhandene in sich aufnehmen und durch Wegnehmen und Zuthun, durch die geeignete Beleuchtung und Lichtvertheilung, durch ein glückliches Arrangement überhaupt den Gegenstand für seinen Zweck zurecht machen. Dann erhält er ein Bild, welches seine Stimmung klar ausdrückt, ohne das Vorbild so zu verändern, daß es unkenntlich würde. Es ist dieselbe Gegend, es sind dieselben Objecte, aber in einer geistigern, verklärten Weise; es ist die Wahrheit im schönen [32] Schein, welche den Charakter der Sache weit bestimmter ausdrückt, als in der gewöhnlichen Wirklichkeit. Selbst bei Uebertreibungen in’s Phantastische kann die höhere, poetische Wahrheit, die Sprache der Natur und des Lebens auf’s Treueste wiedergegeben werden. In den Volks- und Kindermärchen finden wir daher trotz der naiven Caricaturen, welche Nebensachen sind, eine Wahrheit, welche rührend und ergreifend ist. Läßt sich der Künstler oder Dichter verleiten, aus Liebe zu seinen sorgfältigen Beobachtungen der Natur und des Lebens, oder aus Eitelkeit, um sein Geschick zu zeigen, die äußere Darstellung zu sehr zu bevorzugen, so geräth er in die realistische Richtung und kommt in Gefahr, durch Vernachlässigung der idealen Komposition platt und gewöhnlich zu werden, während der Idealismus, in’s andere Extrem fallend, seine innere Conception zur Geltung bringen will, ohne den Formen und Zügen der Natur in der Ausführung ihr Recht zu geben, wodurch er leicht rhetorisch, hohl und phrasenhaft wird. Die realistische Richtung in der Malerei und theatralischen Kunst der Gegenwart giebt, obgleich vielfach bewundert und gepriesen, deutlich Zeugniß von dieser einseitigen Geschmacksverirrung.

Bei einer der reizendsten keinen Dichtungen Goethe’s, dem „Fischer“ („das Wasser rauscht, das Wasser schwoll“ etc.), lassen sich, wie mir scheint, Idee, Ideal und Ausführung sehr leicht erkennen, daher ich dieselbe als erläuterndes Beispiel für jene Begriffe für sehr geeignet halte. Die Idee zu dieser Ballade scheint dem Dichter gegeben zu sein durch das unheimliche Gefühl, welches uns beim Bade in einem tiefen Flusse, ober beim Hinunterblicken von einer Brücke in einen rasch dahineilenden Strom ergreift. Die dämonische Gewalt des Elements, welches den Menschen verlockend zu sich hinab ziehen möchte, ist die ursprüngliche Stimmung, welche auch in der Ausführung, im Rhythmus, in Bild und Wortklang fortwährend, bald in süßen, bald in unheilvollen tiefen Tönen sich geltend macht. Die Erfindung ist einfach: das Bild ist ein Fischer, unbefangen („kühl bis an’s Herz hinan“), den die Wasserfrau mit zauberischen Worten und Bildern bethört und in die Tiefe zieht. Die Ausführung ist meisterhaft, man braucht sich nur diese Verse laut vorzulesen, um ihre Musik und die Sirenengewalt der Gesänge jenes „feuchten Weibes“ zu empfinden.

Goethe entnahm die Idee zu seinen Schöpfungen aus den Erscheinungen der Wirklichkeit, um sie vertiefend und verklärend poetisch zu gestalten. Schiller ging den entgegengesetzten Weg. Sein gewaltiger Geist, welcher sich nicht in dieser Weise an die Wirklichkeit hingeben konnte, schöpfte die Idee aus seinem innersten Leben und suchte dann erst – oft mühsam und mit Anstrengung – die passende Erfindung und Form. – –

Dies möge genügen über die Welt des Schönen, welche uns hinaushebt über die Gewöhnlichkeit, diese nothwendige Zugabe zum Leben der Sterblichen, die uns oft lästig, aber vielleicht noch öfter gefährlich wird, weil sie uns niederziehen will, wie die Nixe den armen Fischer, in den Tod des höheren geistigen Lebens.

Lauckhardt.