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Ahrenshoop, April 1943

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: Ahrenshoop, April 1943
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Entstehungsdatum: 1943
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Tagebuchauszüge zum Thema Ahrenshoop, April 1943
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Einführung

Der Artikel Ahrenshoop, April 1943 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Ahrenshoop vor und im Krieg“ zusammengestellten Tagebuchauszüge vom April 1943. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung].

Tagebuchauszüge

[1]
Ahr. d. 2. April 1943. Freitag.     

[...] [2]      Heute rief Margret an, – sie wird am 10. April mit ihrer Mutter herkommen u. wird bis zum 21. April bleiben. Die Mutter hat große Angst vor dem 20. April, dem Geburtstage des Führers, man glaubt, daß die Engländer an diesem Tage ganz Berlin kaput werfen werden. – [Margret war die Verlobte von Fritz Wegscheider]

[3]
Donnerstag, 8. Apr. 1943.     

[3]      Kaltes, stürmisches Wetter, gestern Schnee bei Ostwind, heute Nord-West, aber trocken. Bereitete gestern trotz des Wetters Stiefmütterchenbeet vor, weil ich Planzen bekommen sollte, aber sie kamen nicht.

[...] [3]      Die Engländer verwenden ihre Mußestunden, um Städte wie Paris, Rotterdam u. Amsterdam zu bombardieren. Paris haben sie am letzten Sonntag am hellen Tage bombardiert u. den Rennplatz Longchamps getroffen, wo eben ein Rennen stattfand, sowie einen anderen Sportplatz, wo grade eine Volksversammlung stattfand. Mehrere Hundert Tote sind die Opfer. In Rotterdam (oder Amsterdam ?) haben sie eine Volksschule getroffen, wobei 180 Kinder ums Leben gekommen [4] sind u. gestern hieß es, daß beim Angriff auf Amsterdam mehr als 2000 Tote zu verzeichnen seien. Das sind Brutalitäten, die zum Himmel schreien.

     Hier im Dorf ist jetzt auch eine Luftschutzwache eingerichtet worden. In der Nacht vom 16. zum 17. April soll ich dafür Dienst tun. Es ist das ein großer Quatsch, denn ein Fliegeralarm ist bei uns ja völlig zwecklos, weil kein Mensch einen Keller hat, außer einigen Villen, die etwas höher liegen, wie die unsrige, – u. dieser Keller bietet fast keinen Schutz, vor allem nicht gegen Gas. Ein Alarm hat höchstens den Sinn, daß die Leute auf Brandbomben aufpassen; aber neben meinem Hause liegen, außer dem Geschäftshaus der Bunten Stube, das mit Stroh gedeckt ist u. aus einem großen Holzanbau besteht, noch zwei strohgedeckte Häuser, die im Winter unbewohnt sind. Es ist ganz unmöglich, auf diese Häuser auch noch mit aufzupassen u. wenn sie abbrennen, dann brennen wir bestimmt mit ab. [...]

[5]
Sonnabend, 10. 4. 43.     

[5]      Gestern nachmittag Besuch von Oberlt. Groß mit seiner Frau. Er ist evang. Pastor von Beruf u. war in der ersten Zeit des Krieges Feldwebel bei unserer Batterie. Jetzt sitzt er irgendwo auf einer verlassenen, norwegischen Insel, zur Zeit nimmt er hier am Schießkursus teil. – An sich ist dieser Herr Groß ein recht belangloser Mann, davon, daß er Pastor ist, ist nicht viel zu merken. Seine Frau ist noch wesentlich belangloser. Interessant ist nur immer, mit welcher Selbstverständlichkeit diese Offiziere von der Aussichtslosigkeit des Krieges sprechen. Die Niederlage ist in ihren Augen unvermeidlich. Und ferner ist ihre politische Stellung interessant. Sie geben sich nicht die geringste Mühe, ihre entschiedene Ablehnung des Nationalsozialismus zu verbergen. – Sonst war Herr G. recht langweilig, er erzählte nur andeutungsweise, so erzählte er von einem SS Mann aus Norwegen, einem Norweger, welcher in der norwegischen SS ist u. an der Ostfront gewesen ist. Dieser Mann hat vom Leben in dieser SS erzählt u. Herr G. meinte, daß es das Schrecklichste gewesen sei, was er je gehört habe. Die Mitglieder dieser Truppe werden, „erzogen“ zur Kaltblütigkeit, indem man von ihnen verlangt, daß sie fünfzig Juden den Genickschuß verabfolgen. Ein Mann dieser Truppe habe eines Tages den Befehl erhalten, drei Juden irgendwohin zu bringen. Der Mann habe die drei Juden unterwegs kalt gemacht u. ihre Leichen verscharrt, dann sei er zu seiner Truppe zurückgegangen u. habe gemeldet, daß er den Befehl ausgeführt habe. Da aber der Mann viel zu früh zurückgekommen sei, habe sein Vorgesetzter Verdacht geschöpft, daß irgendetwas nicht stimmen konnte u. der Mann sei ins Verhör genommen worden. Er habe dann auch eingestanden, die drei Juden ermordet u. verscharrt zu haben. Dem Vorgesetzten ist das auch nicht weiter strafwürdig erschienen; aber daß der Mann den erhaltenen Befehl nicht richtig ausgeführt hatte, das war allerdings strafwürdig. Zur Strafe habe der Mann nun von seinem Vorgesetzten den Befehl erhalten, die drei Leichen wieder auszugraben u. sie an eine andere Stelle zu tragen u. sie dort von neuem zu begraben. Der Mann hat den Befehl auch ausgeführt, aber er ist darüber hin wahnsinnig geworden. Es wäre das wieder einmal eine Geschichte für Prof. Dubovy von der rächenden Strafe Gottes. – [...]

[6]
Freitag, 16. April 1943.     

[...] [6]      Das dauernd schöne Frühlingswetter lockt die Sommerhausbesitzer her. Hier aber wird ihnen vom Bürgermeister mitgeteilt, daß sie sich nur 6 Wochen lang in ihren Häusern aufhalten dürfen. Der Sinn dieser Maßnahme ist, wie sooft, völlig unbegreiflich, denn es hat doch niemand einen Nutzen davon, wenn diese Sommerhäuser leer stehen. – [...]

[7]
Sonntag, den 18. Apr. 1943     
Palmsonntag.     

[...] [7]      Heute Morgen 8 Uhr waren alle Männer aufgeboten, am Grenzweg einen Luftschutzgraben auszuheben. Auch ich war aufgefordert, bin aber nicht hingegangen. Solche Arbeiten kann ich mit meiner Hüfte denn doch nicht mehr leisten. [...]

[8]
Montag, 19. April 1943.     

[...] [8]      Nachmittags Frau Prof. Heydenreich. Der Mann ist nun doch als Dozent nach Mailand gekommen, nachdem diese Berufung bereits über ein Jahr alt ist, aber bisher von den italienischen Behörden verschleppt wurde. Die Frau war inzwischen in Berlin, wo sie in der Insbruckerstr. eine Wohnung hat. Gerade diese Gegend Berlins ist bei dem großen Angriff am 1. März schwer mitgenommen worden, [...]

[...] [8] Die Frau erzählte allerhand Interessantes. Die schönen Villen am Rande des Schöneberger Stadtparkes sind teilweise vernichtet u. mit ihnen sehr bedeutende Kunstwerte, die die Besitzer der Villen besaßen. Erschütternd aber soll die Stimmung in der Bevölkerung sein, man verbirgt seine Meinung nicht mehr. Dazu kommt die Wirkung der haarsträubenden Hetzreden, die Herr Goebbels vor den Rüstungsarbeitern gehalten hat u. die nichts sind als Aufreizung zum Klassenhaß, – obgleich doch die Nazis behaupten, die Klassen längst abgeschafft zu haben. [...]

[9]
Mittwoch, 21. April 1943     

[...] [9] Um 1 Uhr 45 weckte mich der Nachbar Papenhagen, indem er an mein Fenster pochte. Ich hörte die Flak, die seit einiger Zeit am Hohen Ufer steht, heftig schießen u. sehr starkes Motorengeräusch. Ich zog mich an u. ging zu Martha rauf, die schon auf war. Wir sahen vom Fenster aus bei hellem Vollmond Flugzeuge in etwa 20 mtr. Höhe, die von unserer Flak beschossen wurden u. die mit Maschinengewehren antworteten. Weiterhin sahen wir über Rostock starkes Flakfeuer. Die ganze Geschichte dauerte bis 3 Uhr Morgens. Heute früh wurde bekannt, daß Rostock angegriffen worden ist, der Rundfunk berichtete heute von schweren Angriffen hauptsächlich gegen Stettin. Auch Tilsit ist in der Nacht von den Russen angegriffen worden. [...]

[10]
Müritz, Karfreitag, den 23. Apr. 1943.     

[...] [10]      Churchill soll eine Rede gehalten haben, in welcher er [11] eine eindringliche Warnung an Deutschland ausgesprochen haben soll, keinen Gaskrieg zu beginnen. Er soll gesagt haben, er hätte genaue Nachrichten darüber erhalten, daß große Mengen von Gas=Munition an die Ostfront geschafft worden seien. Das würde sich genau mit dem decken, was ich auch sonst aus Offizierskreisen gehört habe. Man sagt, – u. das ist sehr wahrscheinlich, – daß wir nur noch auf diese Weise eine Offensive gegen Rußland durchführen können, – u. eine Offensive müssen wir durchführen, weil sonst unsere hoffnungslose Schwäche vor aller Augen offen liegt. Es ist diesen Leuten absolut zuzutrauen, daß sie nun auch noch dieses Verbrechen begehen u. damit die wehrlosen deutschen Städte englichen Gasangriffen ausliefern. – [...]

[11]
Müritz, Karsamstag, 24. April 1943.     

[...] [11]      Das Wetter ist heute wieder sommerlich, wenngleich auch einzelne Wolken am Himmel sind. Der Rektor machte uns heute früh Sorge mit der Mitteilung, daß gestern Abend in Richtung Ahrenshoop viel geschossen worden sei u. daß Leuchtkugeln am Himmel gestanden hätten, doch ergibt sich aus näherer Beschreibung durch Schw. Katharina, daß es ein Uebungsschießen unserer Batterie gewesen sein muß. [...]

[12]
Müritz, Ostersonntag, 25. April 1943.     

[...] [12] Nachmittags in der Veranda mit Familie Blümel aus Rostock zusammengesessen, auch der Rektor war dabei. Angeregte Gespräche, natürlich über Politik. Das Gespräch wurde so lebhaft, daß Schw. Oberin kam u. warnte, weil eine von den alten Frauen aus den Bombengeschädigten, welche sehr nationalsozialistisch ist, in der Nebenveranda saß, wo man leicht hören kann. Herr Blümel ist ein intelligenter u. kultivierter Mann, sehr viel mehr, als man es von einem Fahrradhändler erwarten sollte. [...]

[13]
Müritz, Ostermontag 26. April 1943.     

[...] [14] Ich hatte Dr. T. vor einiger Zeit eine Abschrift des Briefes des Kaplans u. Divisionspfarrers aus Stalingrad gesandt, er schreibt mir, daß er ihn im Gottesdienst am selben Sonntag noch vorgelesen habe. Auch habe er ihn weiter verbreitet u. der Brief sei bereits mehrfach in Predigten behandelt worden. Dasselbe schrieb mir s. Zt. Pfr. Feige aus Bln-Pankow, dem ich ebenfalls eine Abschrift gesandt hatte. – [...]

[15]
Ahr. Donnerstag, 29. 4. 43.     

[15]      Heute war also hl. Messe. Pfr. Dobczynski kam bereits um 8 Uhr. Zum Glück war schon alles gestern Abend vorbereitet. Um 9 Uhr kam Frau Monheim mit Berni, dann Frau Beichler, Schwester von Frau Knecht, zuletzt Frau Oblt. Dr. Krappmann mit Lothar. Ihr Mann mußte leider schießen u. deshalb konnte auch sonst niemand von der Batterie kommen. So konnten wir ziemlich pünktlich um 9 Uhr beginnen. Ich ministrierte. Der Pfarrer hielt eine gute Predigt. Zur hl. Kommunion waren Martha, ich u. der kleine Berni Monheim. Im Augenblick der hl. Kommunion begann die Batterie ihr Schießen mit schwerem Kaliber. –

     In der Nacht vorher Fliegeralarm. Die Engländer flogen wieder sehr tief, aber es war zum Glück sehr dunkel, sodaß unsere leichte Flak diesmal nicht schoß. Bomben wurden nicht geworfen, nur die Flak in Rostock hat geschossen. Dort sollen auch Bomben geworfen worden sein. Ich war draußen auf der Brücke, doch war nicht viel zu sehen. –

[...] [15]      Kaum war Pfr. D. um 4 Uhr mit dem Rade abgefahren, als Frau Hülsmann aus München, Gattin des Malers, kam, um guten Tag zu sagen. Sie ist seit Ostermontag hier u. wohnt in Althagen bei Frau Geh-Rt. Miethe. Sie erzählte vom letzten Fliegerangriff auf München, der offenbar sehr schwer gewesen ist. Staatsbibliothek völlig ausgebrannt, viele Wohnhäuser u. a. öffentl. Gebäude vernichtet, auch das Braue Haus hat gebrannt, ist aber bald gelöscht worden. Die anderen Gebäude hat man anscheinend brennen lassen, da nicht genug Feuerwehr vorhanden war, die sich teilweise in Nürnberg befand, wo vorher ein Angriff gewesen war. Sie erzählte ferner von den Vorkommnissen in der Münchner Universität u. der Hinrichtung der drei Studenten, unter ihnen eine Studentin. [...]