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Ahrenshoop, April 1945

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Autor: Hans Brass
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Titel: Ahrenshoop, April 1945
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Entstehungsdatum: 1945
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Kurzbeschreibung: Tagebuchauszüge zum Thema Ahrenshoop, April 1945
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Einführung

Der Artikel Ahrenshoop, April 1945 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Ahrenshoop vor und im Krieg“ zusammengestellten Tagebuchauszüge von April 1945. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung].

Tagebuchauszüge

[1]
Ostersonntag, 1. April 1945.     

[1]      Heute eine sehr schöne Andacht, das Zimmer war brechend voll, darunter 2 Soldaten von der Batterie u. sogar Kapitänlt. Dr. Krappmann. Ich hielt eine Ansprache über die Not dieses Osterfestes die mir diesmal wirklich aus tiefstem Herzen kam u. die offensichtlich auf alle Anwesenden einen tiefen Eindruck gemacht hat. – [...]

[1]      Nachmittags beim Frisör Saatmann, der unheimliche Dinge erzählte. Er ist beim Zoll eingezogen, schon seit Kriegsbeginn, u. muß oft dienstlich nach Stralsund. So auch in der letzten Woche. In Velgast kam kein Zug u. er mußte warten. Da lief ein langer Güterzug ein, bestehend aus offenen Loren, auf denen Flüchtlinge lagen, die seit Tagen unterwegs gewesen waren. Die Leute sahen toll aus u. es war ein Gestank, der nicht zu ertragen war. Sie schrien verzweifelt nach Essen, aber es ließ sich kein Beamter keine NSV=Schwester sehen. Die Zollleute gaben den Flüchtlingen ihre Frühstücksstullen. Schließlich kam auch ein Parteimensch in Uniform, der aber natürlich machtlos war. Ein alter Mann schrie diesem Menschen zu: „Wenn Du uns nichts zu essen schaffen kannst, dann geh wenigstens hin u. besorge ein Maschinengewehr, um uns niederzuschießen!“

     Solche u. schlimmere Dinge hört man von allen Flüchtlingen. Und nun ist ein Anschlag an der Dorftafel, [2] daß die Ortelsburger Flüchtlinge sich bereit machen sollen, nach der Lüneburger Heide weiter transportiert zu werden. Eine Ortelsburgerin, die Sonntags an unseren Andachten teilnimmt, kam heute nach der Andacht zu mir, um mich um Rat zu fragen, was sie tun solle. Ich antwortete ihr, daß ich da keine Verantwortung übernehmen könne, daß ich aber selbst an ihrer Stelle hierbleiben würde. Ich sagte ihr: Unser Leben steht in Gottes Hand, u. wenn Er will, kommen wir auf der Flucht um, u. wenn er will, können 10000 Russen uns nichts tun. Sie antwortete: „dann will auch ich hier bleiben.“ –

     Gestern wurde in ganz Mecklenburg geworben zur Aufstellung eines Freikorps. Es fanden sich tatsächlich noch Dumme: in Althagen zwei: der Briefträger Vieck u. der Schlachter Schönfeld. – Ich sprach eben mit Dr. Krappmann darüber, er meinte, daß es für diese Leute überhaupt keine Waffen gäbe. Das dürfte wohl stimmen, aber diese Bande ist gewissenlos genug, die Leute trotzdem gegen die Panzer der Alliierten zu schicken.

     In Ribnitz sollen die Leute schanzen. Es ist nun schon so oft bewiesen worden, daß das überhaupt keinen Sinn hat; aber dennoch wird es befohlen. [...]

[2]
Ostermontag, 2. April 1945.     

[2]      Gestern Abend wurde im dt. Rundfunk ein Aufruf durchgegeben zur Bildung einer Widerstandsbewegung unter dem Namen „Werwolf“. Der Aufruf richtete sich an alle deutschen Männer u. Frauen, besonders aber den die Jugend: Jungens u. Mädchen u. forderte auf zum heimtückischen Widerstand in den besetzten Gebieten durch Ermordung feindl. Soldaten aus dem Hinterhalt, besonders unter Ausnutzung der nächtl. Dunkelheit. Aber nicht bloß gegen die feindl. Soldaten, sondern auch gegen deutsche Volksgenossen soll sich dieser Mordterror wenden, gegen alle, die nicht für einen Widerstand bis zum letzten Blutstropfen sind, die Aeußerungen gegen den Krieg oder den Nationalsozialismus tun oder die sich im besetzten Gebiet als Beamte oder Arbeiter für den Wiederaufbau einsetzen. Es ist also so, daß irgend ein Lausejunge von der Straße mich ungestraft niederknallen darf, wenn ich nach seiner Meinung ein „Volksschädling“ bin. So hat man es dieser Tage schon mit dem Bürgermeister von Köln gemacht, der erschossen worden ist u. mit vielen anderen Beamten u. Arbeitern. Das ist nun freilich das Allerletzte, was unserem Lande noch blühen konnte: es bedeutet die Verherrlichung des untermenschlichen Verbrechertums. [...]

[3]
Mittwoch, 4. April 1945.     

[3]      Gestern früh 7 Uhr fuhren wir mit Spangenberg nach Prerow. Das Wetter war unsicher u. recht kalt. Mit uns fuhren Herr + Frau Degener u. Andreas v. Walter, später stiegen noch Frau Triebsch u. Frau Hoppe, eine alte Dame aus Ortelsburg dazu. Deren Tocher Frau Kupzek (oder so ähnlich) u. Frl. Nickstedt fuhren per Rad. Als wir über die Kuhweide zum Darss fuhren, stand ein prächtiger, doppelter Regenbogen im Westen, dessen eines Ende gerade auf der Spitze des Hohen Ufers ruhte.

     Wir kamen kurz vor 9 Uhr in Prerow an. In der Kirche, die übrigens ein wenig schönes Innere hat, stand eine lange Schlange von Menschen von der Sakristeitür an bis an das gegenüberliegende Ende. Diese Leute wollten alle noch beichten. Der Pfarrer kam bald heraus u. machte bekannt, daß es technisch unmöglich wäre, alle diese Beichten zu [4] hören, – er hatte ja schon vor 8 Uhr angefangen. Hätte er alle diese Beichten gehört, dann würde es darüber Mittag geworden sein. So erklärte er, daß er allen vor der hl. Kommunion die General-Absolution erteilen würde, daß aber jeder verpflichtet sei, die Beichte bei passender Gelegenheit nachzuholen. – [...]

[5]      Abends kamen dann Herr + Frau Dr. Krappmann. Er brachte eine Flasche franz. Sekt mit, die uns sehr willkommen war. Wir sprachen die Stituation nach allen Seiten durch u. obgleich er noch immer unschlüssig ist, was er mit seiner Familie machen soll, ging doch so viel aus unserer Unterredung hervor, daß er die Absicht hat, eine Kampfhandlung hier auf jeden Fall zu vermeiden. Er ist außerordentlich vernünftig u. wird alles tun, was in seiner Macht steht. Es ist ja noch durchaus nicht sicher, ob die Russen wirklich hierher kommen, oder die Engländer. [...]

[6]
Sonntag, 8. April 1945.     

[...] [6]      Die Andacht heute sehr voll, Flüchtlinge aus Niehagen. – Nach der Andacht kam Frau Dr. Daubenspeck u. berichtete, daß die neuerdings im Hause Monheim einquartierten Nachrichten-Helferinnen einer Marine-Artillerie-Abteilung, die im Kurhause jetzt untergebracht ist, die Schränke erbrochen haben u. den Inhalt an Wäsche u. sonstigen Gegenständen herausgenommen haben.

[6]
Dienstag, 10. April 1945.     

[...] [6]      Es ist kein Strom, wir können weder kochen noch Radio hören. Paul baut eben im Hintergarten einen Kochherd, – wie bei den Zigeunern.

[7]
Donnerstag, 12. April 1945     

[7]      Heute ist wiederum kein Strom. Gestern hatten wir nur morgens von 7 – 9 Uhr Strom. Es ist nun schon so der dritte Tag. Der Erfolg ist, daß die ganze Milch, die die Bauern in der Molkerei abliefern müssen, verdirbt u. daß es keine Butter gibt. Ebenso kann der Schlachter keine Wurst machen, der Frisör kann keine Haare schneiden. So ist es in unserem kleinen Dorf, wie mag es erst in der Stadt sein. [...]

[7]      Heute morgen bei prächtigem Wetter im Garten das letzte Laub von der Straße im Rhabarber-Beet eingegraben u. nachher mit Paul die letzten schweren Buchenkloben, die wir kürzlich bekamen, nach hinten geschleppt. Holz haben wir nun sehr reichlich, es muß nun bloß gesägt u. gehackt werden. Am Gartenzaun [8] blieb Frau Pastor Kumpf stehen u. brach in großes Wehklagen aus über die Ereignisse. Ich habe ihr geantwortet, daß es zum Klagen jetzt zu spät wäre. Sie hätte das alles früher bedenken müssen, anstatt Hitler zu wählen u. ihre Söhne in die SS zu stecken. Sie fragte, ob ich denn hier bliebe? Ich antwortete: natürlich bleibe ich hier; aber Sie als Nazi laufen natürlich davon, nachdem Sie uns in diesen Dreck gebracht haben. Wir müssen jetzt alle diese Suppe auslöffeln, die Sie uns eingebrockt haben, – u. wir klagen darüber nicht einmal; aber Sie klagen nun um so mehr! – [...]

[9]
Sonnabend, 14. April 1945.     

[9]      Gestern Brf. von Fritz, Nr. 17. vom 18.3.45. Er berichtet, daß der Stabsarzt den 2 Morgen großen Garten, der zu dem Zollhause gehört, in dem sie wohnen, bestellen läßt u. alle Mann sehr anstrengend beschäftigt sind. Nur er, Fritz, macht Innendienst u. holt das Essen mit einer Handkarre. Der Stabsarzt scheint wirklich ein recht vernünftiger Mann zu sein; zwar wird er nichts mehr aus diesem Garten ernten, aber diese Ernte wird anderen zugute kommen u. seine Leute sind nutzbringend beschäftigt u. lungern nicht herum. – Die Soldaten sind, – was mir schon bekannt war, instruiert worden, daß es als Fahnenflucht angesehen wird, wenn einer unverwundet in Gefangenschaft gerät, d.h. also, daß auch seine Familie in diesem Falle keine Unterstützung mehr bekommen soll. Diese Maßnahme ist aber glatter Unsinn. Es gehen jetzt täglich etwa 30000 Mann in die Gefangenschaft, – wie will man diese Fälle untersuchen? Es ist das genau so ein Bluff wie so vieles andere auch. – Fritz schreibt, daß die vielen Fahrzeuge, die die Divisionen früher abgeben mußten, jetzt im ganzen Schwarzwald verteilt im Walde stehen, weil man keine Unterstellräume mehr hat u. weil es weder Benzin noch Oel gibt. Die Fahrer sind als Schützen eingeteilt worden. [...]

[10]
Montag, 16. April 1945.     

[10]      Gestern Nachmittag Herr Deutschmann, ohne besondere Veranlassung. Vielleicht wollte er sich nur unsere Freundschaft sichern für die kommende Zeit. [...]

[10]
Dienstag, 17. April 1945.     

[...] [10]      Heute früh sind wieder neue Flüchtlinge eingetroffen, es sollen 165 Personen sein, u. zwar ärmstes Proletariat aus Stettin. Es ist unmöglich, diese Menschen unterzubringen. Martha ist mit Trude eben dabei, den Boden des kl. Hauses [11] frei zu machen, da man uns benachrichtigt hat, daß auch wir Flüchtlinge aufnehmen müssen. Man hatte sogar die Absicht, die Leute in der Bu. Stu. auf Stroh zu legen, doch scheint man davon zunächst abgekommen zu sein. [...]

[11]
Mittwoch 18. April 1945.     

[11]      Einem Gerücht nach soll gestern von 4 – 6 Uhr Morgens Strom gewesen sein. Wir versuchten es heute früh u. hatten tatsächlich Erfolg. Wir hörten wenigstens den Soldaten-Sender. Als um 6 Uhr der engl. Sender anfing, setzte der Strom wieder aus. – So hörten wir also, daß Leipzig eingeschlossen ist. Der Truppenkommandant wollte die Stadt übergeben, aber der Nazi-Bürgermeister verlangte, daß gekämpft wird. So liegt diese Stadt, die ohnedies nur noch ein Trümmerhaufen ist, jetzt unter dem pausenlosen Artilleriefeuer u. den Bomben aus der Luft. In Nürnberg, wo nach Ruth's letzter Nachricht Erich ist, um die Verkehrsanlagen zur Sprengung vorzubereiten, wird gekämpft. Dresden liegt nur noch 25 km. vor der Front, Chemnitz ist umgangen. In dieser Gegend haben die Amerikaner die Tschechoslowakische Grenze erreicht. Der Brückenkopf südl. Magdeburg ist erweitert in Richtung Berlin. Es scheint so, als hätten die Russen bei Frankfurt die Oder überschritten, ebenfalls in Richtung Berlin, aber das ist nicht ganz klar, jedenfalls steht die Vereinigung der West= u. Ostfront jetzt dicht bevor, u. zwar südl. Berlin. Man wird nun bald nicht mehr von einer West= u. Ostfront sprechen können. – Gegen Hambg. sind die Engländer ebenfalls weiter vorgekommen, aber nicht so weit, wie gestern Gerüchte wissen wollten, die von Kämpfen bei Ludwigslust sprachen. Die Engländer scheinen ihre größte Anstrengung in Holland zu machen, um dieses Land zu befreien. – Der Gauleiter von Hamburg, Kaufmann, soll erschossen worden sein, weil er die Stadt übergeben wollte. – [...]

[11]      Gestern zog also ein altes Ehepaar Meier im Boden des kleinen Hauses sein, mit ihrem Sohn, der etwa 45 Jahre alt sein mag u. einen etwas blöden Eindruck macht. Ich werde mich heute einmal um die Leutchen kümmern. [...]

[12]
Donnerstag, 19. April 1945.     

[12]      Nach wie vor haben wir nur von 4 – 6 Uhr Strom. Ich stand wieder auf, den Soldatensender zu hören, der über alle Dinge ganz merkwürdig gut unterrichtet ist u. dessen Sendungen überhaupt von einer sehr großen Lebendigkeit sind, – selbst die Tanzmusik, die er in den Pausen sendet, ist sehr amüsant. – Nach dieser Sendung hat ein Großangriff aus der Luft auf Helgoland stattgefunden, bei dem nicht weniger als 900 Flugzeuge beteiligt waren u. der eine Stunde gedauert hat. Der Angriff muß eine verheerende Wirkung gehabt haben. Ich nehme das als sicheres Zeichen, daß eine Landung über See nun unmittelbar bevorsteht. Vielleicht heute oder morgen, zum Geburtstage des Führers. [...]

[12]      An der Ostfront scheinen die Russen nun im Raume östl. Berlins zum Großangriff übergegangen zu sein, doch ist nicht genau zu erkennen, wie weit sie vorgedrungen sind.

     Heute Abend um 815 Uhr wird Dr. Goebbels im Rundfunk zum Geburtstage des Führers sprechen, aber davon wird man nichts hören, weil kein Strom da ist. Es werden sich über diese Rede hauptsächlich die Deutschen in den besetzten Gebieten freuen.

     Der Führer hat wieder einmal ein Lebenszeichen von sich gegeben in Gestalt eines Tagesbefehls an die Wehrmacht der deutschen Ostfront. Darin heißt es, daß „die alten Männer u. Kinder (von den Russen) ermordet werden“, u. daß „Frauen u. Mädchen zu Kasernenhuren erniedrigt“ werden. „Der Rest marschiert nach Sibirien“. – Nach diesem Gefasel wird behauptet, daß alles geschehen sei, eine starke Front aufzubauen u. daß „eine gewaltige Artillerie“ den Feind empfangen würde, die Bolschewisten würden also diesmal vor Berlin „verbluten“. Sodann wird jeder ein Verräter genannt, wer „seine Pflicht nicht erfüllt“, Regimenter u. Divisionen, die das nicht täten, werden im voraus beschimpft. Hitler empfiehlt dann, auf verräterische Offiziere u. Soldaten zu achten u. er befiehlt, jeden Offizier, der Befehl zum Rückzug gibt, „sofort festzunehmen u. nötigenfalls augenblicklich umzulegen, ganz gleich, welchen Rang er besitzt“ – „Berlin bleibt deutsch, Wien wird wieder deutsch u. Europa wird niemals russisch“, – fährt er dann fort, um dann wenigstens mit einem Satz zu schließen, der wahr ist. Er lautet: „In dem Augenblick, in dem das Schicksal den größten Kriegsverbrecher aller Zeiten von dieser Erde genommen hat, wird sich die Wende dieses Krieges entscheiden.“ Das ist wahr. Sobald Adolf Hitler erledigt sein wird, wird auch der Krieg erledigt sein. [...]

[13]
Sonntag, d. 22. Apr. 1945.     

[...] [13] Heute früh um 4 Uhr hörte ich, daß die Russen unmittelbar vor Berlin stehen, u. zwar im Osten + im Süden. Es wird bereits in den Vororten gekämpft. Es heißt, daß bewaffnete Arbeiter in der Gegend Warschauer Brücke zum Aufruhr übergegangen seien. Polizeitruppen sind dagegen eingesetzt worden, doch sollen diese dann wieder zurückgezogen worden sein, wahrscheinlich, weil sie, wie ich annehme, sich geweigert haben werden, zu schießen. In Berlin u. überhaupt an der Ostfront sollen zahlreiche deutsche Offiziere, die sich bisher in russ. Kriegsgefangenschaft befanden, mit Fallschirm abgesetzt worden sein. Sie tragen ihre deutschen Uniformen u. organisieren den Widerstand gegen die Regierung. Weiter nördlich, besonders im Raume östl. Dresden sind die Russen ebenfalls mit starken Kräften vorgestoßen u. stehen dicht vor Dresden, sodaß eine Vereinigung mit den Amerikanern jetzt stündlich zu erwarten ist. Damit ist praktisch die Verbindung zwischen Nord + Süd unterbrochen. Für uns hier oben ist besonders wichtig, daß die Russen südl. Stettin die Oder überschritten haben. Man kann nun Wetten abschließen, wer zuerst hier bei uns sein wird, die Russen oder die Engländer. Die Engländer + Amerikaner müssen wohl erst ihren Nachschub organisieren, der schwierig sein muß, weil das Ruhrbecken die Hauptstraßen u. Eisenbahnen blockiert hat. Aber dieses Becken ist nun liquidiert. Im Süden sind die Amerikaner weiter vorgestoßen in den Schwarzwald hinein. Sie werden dort alles abschneiden, was noch am Oberrhein steht, also auch Fritz. Möge Gott ihn schützen. Eine Landung im Norden ist immer noch nicht erfolgt. –

     Gestern hat Kapitänlt. Dr. Krappmann seine Frau u. seine Kinder u. seine ganzen Habseligkeiten mit einem Lastauto von Bachmann abtransportieren lassen, irgendohin zwischen Kiel u. Lübeck. Er selbst ist gestern angeblich dienstlich nach Dänemark gefahren. Frl. Regina Treffer, die Nachrichten-Helferin, die heute wie meist in der Andacht war, erzählte, daß alle Helferinnen entlassen werden sollen; da aber alle ausgebombt sind u. ihre Familien irgendwo als Flüchtlinge leben, wissen sie nicht, wohin sie sollen. Von den Vorgesetzten sagte sie: „die reißen ja alle nach Dänemark aus“. Das ist der Eindruck, den die Leute haben, wenn ihre Offiziere jetzt plötzlich dienstlich in Dänemark zu tun haben. Immerhin wäre es ganz gut so, denn wenn die Soldaten führerlos sind, werden sie nicht kämpfen u. das wäre das Beste.

     Man kommt sich vor wie in einer Irrenanstalt, wenn man angesichts dieser Lage ausgerechnet gestern im Rost. Anzeiger die Rede von Dr. Goebbels zum Geburtstage des Führers liest u. die Wirkung beobachtet, die diese Rede auf einen Teil der Volksgenossen gemacht hat. Anstatt in schallendes Gelächter auszubrechen oder in empörte Wut, laufen die Weiber herum mit glänzenden Augen u. schwärmen wie brünstige Backfische von unserem Führer. „Die Frau des Bürger= u. Malermeisters“ Emil Gräff tut sich darin am lautesten hervor. Ich habe seit 1933 gelernt, daß dieses Volk wirklich unerlaubt dumm ist, aber wie dumm es ist, das sieht man erst heute. [...]

[14]
Dienstag, 24. April 1945.     

[14]      Gestern kursierten zwei Gerüchte: der Führer habe persönlich die Verteidigung Berlins übernommen u. Amerika hätte die Beziehungen zu Rußland abgebrochen u. Molotow, der auf dem Wege nach San Franzisko gewesen sei, sei zurückgerufen worden. Die Leute hier sahen bereits Amerikaner im Kampf gegen die Russen.

     Das erste Gerücht scheint sich zu bewahrheiten, der Soldatensender behauptete heute früh dasselbe. Goebbels u. Hitler seien in Berlin u. organisierten die Verteidigung. Die Russen sind jedoch bereits im Besitz der östlichen u. nördlichen u. südlichen Vororte: Weissensee, Lichtenberg, Lichterfelde usw. Weiter südlich sollen sie bei Mühlberg auch schon die Elbe erreicht haben. [...]

[14]      Das zweite Gerücht bestätigt sich bisher nicht u. wird sich wohl auch nicht bestätigen, wenngleich auch die Differenzen zwischen Amerika u. Russland sich sehr zugespitzt haben. [...]

[15] Gestern war Herr Gräff bei mir u. bat mich um die Anfertigung von zwei Schildern für eine „Panzer-Melde-Stelle“, die lt. Verfügung angebracht werden sollen. Dabei erzählte er mir eine mysterisöse Geschichte, die sich im Dorf ereignet hat. – Am Sonnabend ist der alte Garloff aus Born mit seinem Gespann nach Wustrow gefahren, um dort eine Kiste Butter abzuholen. Garloff hat sich zu seinem bisherigen Pferd ein neues zugelegt, das sehr wild sein soll. Garloffs Tochter war auch mitgefahren, aber auf dem Fahrrade. Auf dem Rückweg von Wustrow nach Born ist die Tochter vorausgefahren. Als sie im Darss in die Nähe der Drei Eichen kam, ist der Wagen mit den Pferden ohne den Vater u. auch ohne die Butterkiste ebenfalls dort angekommen. Die Tochter hat das Gespann angehalten, hat ihr Rad auf den Wagen geladen u. ist merkwürdigerweise nach Born weiter gefahren, ohne sich um den Verbleib des Vaters u. der Butterkiste weiter zu kümmern. – Prof. Reinmöller kam indessen von einem Spaziergang aus dem Darss zurück u. fand den alten Garloff tot am Wege liegen. Er benachrichtigte die Batterie, die die Leiche dann mit Fuhrwerk in den Schuppen auf unserem Friedhof brachte, von wo sie dann noch in der Nacht von Frau Garloff abgeholt wurde. Die Butterkiste blieb verschwunden. – Gräff benachrichtigte die Gendarmerie. Einer der Zollbeamten traf dann – ich weiß nicht wann – zwei Leute im Darss, die mit Geldzählen beschäftigt waren. Es kam ihm verdächtig vor u. da die Leute keine genügende Auskunft geben konnten, beschlagnahmte er das Geld, etwa 400,– Rm. Diese beiden Leute sind Flüchtlinge, die hier im Orte wohnen. Später sah derselbe Zollbeamte einen Althäger Fuhrmann mit einer Holzfuhre durch das Dorf kommen. Er hielt ihn an u. fand auf dem Wagen die Butterkiste, die der Fuhrmann mit seinem Rock zugedeckt hatte. Er gab an, dieselbe im Darss in der Gegend gefunden zu haben, wo die Ahrenshooper ihr Holz werben, wobei auffällig ist, daß der Althäger Fuhrmann in dieser Gegend nichts zu suchen hatte, da die Althäger in einer ganz anderen Gegend Holz werben. In der Butterkiste fehlten bereits etwa 8 Pfund Butter.

     Es kann nun ganz gut so sein, daß der alte Garloff einen Schlaganfall bekommen hat u. vom Wagen gefallen ist. Oder es kann auch sein, daß das neue, sehr wilde Pferd durchgegangen ist u. Garloff heruntergestürzt ist u. sich das Genick gebrochen hat. Es könnte dann die Kiste herabgefallen sein, irgend jemand hat sie gefunden u. versteckt, um sie später zu holen. Woher die Leute mit dem Gelde aber zu diesem Gelde gekommen sind, weiß man nicht. Jedenfalls ist die Geschichte noch sehr unaufgeklärt. [...]

[16]      Die NSV u. die Partei haben gestern das letzthin gesammelte sog. Volksopfer, dessen Ertrag bisher auf der Gemeinde lag, weil niemand es abtransportieren konnte, der Bu Stu übergeben, damit die Sachen in der von Martha eingerichteten Schneiderstube für die notleidenden Flüchtlinge verwendungsfähig gemacht werden sollen. Das ist für Martha wieder eine neue, sehr umfangreiche Arbeit, bei der Paul sehr gut helfen kann, damit alles ordnungsmäßig organisiert wird. Die NSV versagt ja vollständig, da Frau Booth der Sache nicht gewachsen ist u. Geld ist auch nicht vorhanden. Das Elend unter den Flüchtlingen ist teilweise furchtbar. Martha hat da schon längst von sich aus angefangen, praktisch zu helfen u. zwar mit so gutem Erfolg, daß die NSV sich nun endlich entschlossen hat, ihr diese ganze Sache zu übergeben. Der einzige der hier wirklich etwas für die Flüchtlinge tut, ist Herr Deutschmann u. er ist wohl auch die treibende Kraft dafür, daß man Martha die Sache übergeben hat. Diejenige von all diesen Nazi=Weibern, die in all diesen Jahren den Mund am weitesten aufgerissen haben, die Frau Siegert, ist jetzt, wo es sich um tatkräftige Hilfe handelt, überhaupt nicht mehr zu sehen. –

[16]
Mittwoch, 25. April 1945.     

[17]      Der Gauleiter von Stettin, Schwede-Coburg, eine der widerlichsten Typen dieser ganzen Bonzen, hat für sich u. seine Familie hier im Kurhause Zimmer bestellt. Es sollte zwar geheim bleiben, aber der ganze Ort weiß es. Vielleicht hat Ahrenshoop die Ehre, diesen Kerl an einem seiner Straßenbäume hängen zu sehen. [...]

[17]
Donnerstag, 26. April 1945     

[...] [18]      Heute baut uns ein Soldat einen Kochofen in der Waschküche. Deutschmann hat uns die eiserne Platte u. die sonstigen Zubehörteile beschafft, natürlich altes Material, doch ist es noch brauchbar. Nur fehlen uns leider noch die Ringe für die Kochlöcher. [...]

[18]
Freitag, 27. April 1945.     

[...] [18]      Unser Ofen in der Waschküche ist heute morgen fertig geworden. Wir haben nun auch Ringe für das kleinere Ofenloch bekommen, nur für das größere fehlen sie noch.

     Heute früh hörten wir als Wichtigstes, daß Hermann Göring wegen „Herzkrankheit“ seine Aemter niedergelegt [19] hat. Damit ist also, der „beste Mann“ u. „der getreueste Vasall“ u. „mein Freund Goering“ ausgeschieden; aber er wird sich damit nicht retten. Hitler scheint tatsächlich in Berlin zu sein, ebenso Goebbels. Wo Himmler steckt, weiß man nicht. Nachdem er jetzt seine SS u. Gestapo u. die Polizei nicht mehr besitzt, ist er eine bedeutungslose Figur geworden. Bormann, Ley u. einige andere sollen in Süddeutschland sein, wo überhaupt die Masse der prominenten Pg's. zu stecken scheint, aber die Bevölkerung ist sehr unsicher geworden. [...]

[19] Gestern Nachmittag war Frau Korsch da u. erzählte mir, daß ihr Herr Wituchter folgendes aus eigener Erfahrung berichtet habe: irgendwo im Osten sind einige Krankenschwestern zurückgeblieben u. in russ. Hände gefallen. Alle sind von den Russen höflich u. respektvoll behandelt worden, keiner ist ein Haar gekrümmt worden, auch wurde ihnen nichts gestohlen, sondern sie sind von den Russen gut verpflegt u. in jeder Weise versorgt worden. [...]

[19] Die Stadt wurde dann für kurze Zeit wieder von den Deutschen zurückerobert. Die Russen haben sich freundlich von den Schwestern verabschiedet. Als dann die Deutschen kamen, mußten die Schwestern zu Fuß nach dem Westen abmarschieren, – sie wären viel lieber dort geblieben. [...]

[19]
Sonnabend, 28. April 1945.     

[19] In Berlin wird immer noch gekämpft. Das Linden=Viertel, Leipzigerstraße, Tiergarten scheinen noch in unserem Besitz zu sein. Das Elend unter der Bevölkerung, die keine Nahrungsmittel hat, nicht kochen kann u. das Wasser aus der verseuchten Spree u. dem Landwehrkanal nehmen muß, ist furchtbar, aber diese gewissenlose Bande kämpft weiter. – Bremen ist jetzt gefallen. Im Süden dringen die Amerikaner weiter auf München vor, Regensburg soll genommen sein. Sie sind bereits [20] über Passau hinaus u. gehen auf Linz los, wo die Grenze ungefähr zu liegen scheint, bis wohin die Russen gehen wollen. Die Italienfront ist völlig zusammengebrochen, die Amerikaner, bzw. ital. Partisanen sind bis zum Gardasee durchgestoßen u. haben unsere Truppen südlich der Schweiz abgeschnitten. Nur was im Raume Venedig steht, hat noch Verbindung nach Süddeutschland. Hier oben sind die Russen in Prenzlau u. Angermünde. Am Gardasee sind Mussolini, Graziani u. die anderen fazistischen Führer von den Partisanen gefangen genomen worden. –

     Bei uns beginnt nun das große Sterben unter den Nazis. Der Gauleiter von München soll sich erschossen haben, weil er den Kampf einstellen wollte, während die übrigen Führer der Partei weiter kämpfen wollen. Der Reichsprotektor der Tschechei Frick hat seinen Rücktritt von seinem Posten angemeldet, ebenso die Reichsminister: Wirtschaftsminister Funk u. Herr Lammers. Auf Herm. Goering wird jetzt tüchtig geschimpft: er habe ein Wohlleben geführt, anstatt sich um die Luftwaffe zu kümmern. Von Herrn Himmler hört man überhaupt nichts mehr. Bis jetzt haben wir hier noch keine Lebensmittelkarten für die neue Periode bekommen, ab Montag haben wir kein Brot mehr.

     Die Familie des Gauleiters Schwede-Coburg soll gestern per Auto hier eingetroffen sein. Es mußte für sie das Haus von Dr. Lewerenz geräumt werden, die dort wohnenden Flüchtlinge mußten raus u. anderwärts notdürftig untergebracht werden. Eben sagt mir Martha, daß der Ortsgruppenleiter im Dorfe sein soll, um sämtliche Häuser selbst nachzusehen u. um festzustellen, wo seiner Meinung nach noch Platz ist für neue Flüchtlinge. Selbstverständlich würde im Hause Dr. Lewerenz noch Platz sein, wenn die Familie des Herrn Gauleiters zusammenrückte, aber dort wird dieser Lümmel schon nicht hingehen. – [...]

[20]      Unser neuer Ofen in der Waschküche scheint gut zu funktionieren. Es wird eine erhebliche Erleichterung sein.

     Kapitänlt. Dr. Krappmann ist von seiner Dienstreise noch nicht zurück. Er wollte am Donnerstag schon hier sein. Man beobachtet das natürlich argwöhnisch. – [...]

[20]
Sonntag, 29. April 1945.     

[20]      Heute früh gab der Soldaten-Sender bekannt, daß Himmler der engl. u. der amerikan. Regierungsvertretung auf der Konferenz in San-Franzisko die bedingungslose Kapitulation Deutschlands angeboten habe. Das Angebot ist über das schwed. Rote Kreuz in Stockholm vermittelt worden. England + Amerika haben das Angebot zur Kenntnis genommen u. geantwortet, daß ein solches Angebot nur Berücksichtigung finden könne, wenn es zugleich auch an Rußland gerichtet würde. [...]

[21]      Ich habe heute in der Andacht, die so überfüllt war wie noch nie, zu Beginn meiner Ansprache die Sache verkündet. [...]

[21] Die Begeisterung war ganz groß u. wir schmetterten zum Schluß das Lied: „Ein Haus voll Glorie schauet ...“ [...]

[21]      Gestern war der Ortsgruppenleiter von Prerow hier, um für neue Flüchtlinge Quartiere zu suchen. Der Kerl hatte den Mut, in seiner Erbswurstfarbenen Uniform zu erscheinen u. sogar auf der Dorfstraße eine Ansprache an das Volk zu halten. Der Kerl ist Bahnhofs-Vorsteher in Prerow. Die Wohnungs-Suchkommission, bestehen aus diesem „Goldfasan“, Herrn Deutschmann, Frau Gräff u. Frau Booth, hat aber unser Haus nicht betreten, woraus hervorgeht, daß wir uns doch eines sehr großen Wohlwollens im Orte erfreuen. Ohne dieses wären wir ganz bestimmt noch belegt worden.

     Prof. Reinmöller machte sich gestern an Martha auf der Straße heran, um ihr mitzuteilen, daß er eine besondere Hochachtung vor mir habe, weil ich in diesen 12 Jahren niemals meine Einstellung gegen den Nationalsozialism. geändert oder auch nur verborgen hätte. Es scheint, daß dieser Schwätzer jetzt sich anbiedern will. [...]

[22]
Montag, 30. April 1945.     

[22]      Gestern am späten Nachmittag große Aufregung: es wurde bekannt, daß in Althagen ausgeklingelt worden war, daß das ganze Fischland innerhalb von 5 Std. geräumt werden solle. Nur wehrfähige Männer sollten dableiben. Diese Nachricht war einfach unfaßlich, denn es war ja nicht einzusehen, wohin diese Leute gehen sollten. Dennoch bewahrheitete sich die Nachricht. Zwar hörte ich, daß Leute wie Koch-Gotha, Frau Müller-Bardey u. Frau Noelle sich weigern wollten, der Anordnung Folge zu leisten u. ich kann mir schlechterdings nicht vorstellen, daß die Bauern u. Büdner der Anordnung nachgekommen sein sollten; aber man kann nicht wissen, mit welchen Gewaltmaßnahmen die Leute gezwungen werden. Jetzt eben ist es 1/2 10 Uhr u. unsere Trude ist noch nicht hier, sie kommt sonst spätestens um 1/2 9 Uhr. Sollten die Menschen wirklich zum Verlassen ihrer Heime gezwungen worden sein, so wäre das noch zum Schluß das größte Verbrechen, das von diesem idiotischen Gauleiter Hildebrand begangen worden ist. Die Leute würden auf die Landstraßen getrieben als wehrlose Beute der Tiefflieger u. es wäre nirgends auch nur die Möglichkeit, diesen Leuten eine neue Unterkunft zu geben. Der Obergefr. Mehlis war bei uns u. berichtete, daß man in der Batterie von dieser Maßnahme der Partei nichts gewußt hätte. Er berichtete aber auch weiter, daß ab heute der Darss von der SS vollständig abgesperrt sei, sodaß niemand von hier nach Born oder Prerow gelangen kann. Auch davon wußte die Batterie nichts, es ist ihr nichts mitgeteilt worden. Es ist offenbar, daß im Darss schon seit längerer Zeit geheimnisvolle Dinge vor sich gehen. – [...]

[23]      Um alle Aufregungen voll zu machen, erschien gestern Herr Dr. Ziel bei mir grade in dem Augenblick, als hier die Evakuierung des Fischlandes bekannt wurde. Er wollte mich allein sprechen. Er teilte mir mit, daß einige Leute in Ahrenshoop, unter ihnen Herr Dr. Hahn, die Absicht hätten, unsichere Elemente wie Prof. Reinmöller, Siegert u. a. im Falle, daß die Russen anrücken sollten, dingfest zu machen. Sie wollten in diesem Falle in deren Häuser eindringen u. sie mit vorgehaltenem Revolver zwingen, untätig zu bleiben, da sie besorgt sind, daß diese Leute irgendwelche Dinge gegen die Russen unternehmen könnten, die dann für das ganze Dorf schlimme Folgen haben könnten. Die Absicht ist gut gemeint, aber nicht weniger töricht als das, was diese Leute verhindern wollen. Ein Reinmöller wird sich keinesfalls von einem vorgehaltenen Revolver imponieren lassen u. es ist dann unvermeidlich, daß daraus Folgen entstehen, die garnicht abzusehen sind. Das ist um so schlimmer, als es höchst unwahrscheinlich ist, daß diese Leute wie Reinmöller, Siegert usw. überhaupt etwas unternehmen werden. Die ganze Sache ist Torheit u. eine Idee, die aus Angst u. Aufregung geboren ist. Ich habe Herrn Dr. Ziel gebeten, zu Herrn Dr. Hahn zu gehen u. ihn so eindringlich wie möglich zur Vernunft zu rufen. Ich habe ihm gesagt, daß ich, falls Herr Dr. Hahn sich von diesem törichten Plan nicht abbringen lassen würde, leider darauf verzichten müsse, ihn weiterhin bei meinen Mittwoch-Vorträgen zu sehen. Ich bin nämlich besorgt, daß, wenn diese Aktion fehl schlagen sollte, womit sehr zu rechnen ist, alle Vernünftigen sich gegen diese Leute stellen werden, ja daß dann Leute wie Deutschmann sogar gezwungen sein werden, gegen sie Maßnahmen zu ergreifen. Sollte durch irgendeinen unglückl. Zufall bei der Sache Blut fließen oder gar ein Leben verloren gehen, dann wird sich die Stimmung gegen diese Leute richten u. damit wären dann alle gefährdet, die mit diesen Leuten irgend welche Beziehungen unterhalten. In meinem Falle würde man sofort sagen: aha, die Katholiken! u. alle Katholiken kämen in Gefahr oder mindestens in Unannehmlichkeiten. – [...]

[24]      Eben höre ich, daß der Evakuierungs-Befehl für das Fischland gestern Abend noch rückgängig gemacht worden ist u. alles beim Alten bleibt. Das Ganze war also wieder mal nichts weiter als alberner Quatsch des Gauleiters Hildebrand, der nichts weiter zur Folge hatte, bis jetzt noch ruhige Menschen in Aufregung zu stürzen.