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Ahrenshoop, Dezember 1944

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: Ahrenshoop, Dezember 1944
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Entstehungsdatum: 1944
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Tagebuchauszüge zum Thema Ahrenshoop, Dezember 1944
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Einführung

Der Artikel Ahrenshoop, Dezember 1944 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Ahrenshoop vor und im Krieg“ zusammengestellten Tagebuchauszüge von Dezember 1944. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung].

Tagebuchauszüge

[1]
Mittwoch, 6. Dez. 1944.     

[1]      Eben ruft mich der Bürgermeister an, daß er mir von dem erhaltenen Koks 10 Centner beschlagnahmen müsse, da andere keinen Koks erhalten hätten. Nur das Kurhaus, Frau Garthe u. wir haben voll unseren Koks bekommen. Man kann dagegen nichts machen u. ich habe mich einverstanden erklärt. Der Bürgermeister behauptet zwar, daß er bindende Zusage vom Landrat habe, daß noch ein Waggen Koks angeliefert würde, – aber auf solche Zusage ist kaum etwas zu geben. Zum Glück habe ich in den letzten Jahren viel Koks gespart, sodaß ich wohl hoffen darf, trotzdem mit dem Koks zu reichen, vor allem, wenn der Winter nicht viel schlimmer wird, als er bis jetzt ist.

Donnerstag, 7. Dez. 1944.     

     Gestern Abend Nachrichten von Fritz vom 21.11. – vom 24.11. – 25.11. – u. 27.11., alles zusammen in 2 Briefen, in kurzen Abständen fortsetzend geschrieben. Er teilt mit, daß sie seit dem 16.11. in eine Schlacht verwickelt seien, die diejenige vom September weit überbiete. Es hat also schon etwas früher angefangen, als ich wußte, da ich erst am 19.11. etwas davon notierte. Fritzens letzte Nachricht war vom 15.11., das war also der Vorabend des Beginnes u. er schrieb damals schon von dem Durchbruch der Franzosen im Nachbarabschnitt, also an der schweizer Grenze. Fritz schreibt jetzt, daß er der Gefangenschaft mit Mühe u. Not entronnen sei; aber er ist nun, Gott sei Dank, wieder beim Verbandsplatz u. nicht mehr als Krankenträger bei der Kompanie. Am Verbandsplatz arbeiten 4 Aerzte. Es ist sehr viel zu tun, zahlreiche Verwundete. Der Verbandsplatz

[2]
Sonnabend, 9. Dezember 1944.     

[2]      Gestern Abend Prof. Marcks. Sprachen über Politik u. die Möglichkeiten. Er ist ein sehr deutsch empfindender Mensch mußte aber zugeben, daß das Leben unter den Nazis unerträglich ist, – allerdings im Falle eines Bolschewismus noch unmöglicher. Ich versuchte, ihm klar zu machen, daß jedes Leben in Deutschland unmöglich sein würde, falls es nicht christlich ist. Er räumte wohl die Ueberlegenheit der röm. kathol. Kirche ein, meinte aber, daß der Protestantismus die christl. Ausprägung der nordischen Völker sei u. daß der Katholizismus sich erst von seinen römischen Einflüssen befreien müsse.

[3]
Montag, 11. Dezember 1944.     

[3]      Gestern sehr große Beteiligung an der Andacht. Auch Prof. v. Walter war da mit seinem Sohn Andreas, es waren zwölf Zuhörer. Wir feierten das Fest der Unbefleckten Empfängnis. Mittags wurde mir gesagt, daß bei den ostpr. Flüchtlingen ein Kind gestorben sei, die Familie sei katholisch u. wohnt im Hause Körthe. Ich ging am frühen Nachmittag hin u. traf die sehr sympathische, noch junge Mutter, die noch sehr unter dem Eindruck des ganz plötzlich u. unerwarteten Todes infolge Herzschwäche ihres Kindes, eines kleinen Mädchens von etwa 5 Jahren, stand, sich aber musterhaft beherrschte. Die Frau hat noch fünf andere Kinder, vier Buben u. noch ein kleines Mädchen, der Mann ist Tischler u. in Polen irgendwo in einem Rüstungsbetrieb. [4] Ich sprach lange mit der Frau u. ließ mir alles erzählen. Später kam noch eine andere Flüchtlingsfrau dazu mit ihren Kindern. Ich sah mir dann die kleine Leiche an, die in einer Halle zur ebenen Erde auf zwei zusammengestellten Bänken lag, ein hübsches Kind, wie schlafend. Es war alles sehr ärmlich, Frau Siegert hatte einige Blumen gebracht u. die Mutter hatte alles so schön u. gut hergerichtet, wie es unter diesen Umständen möglich ist. Die Frau hat an den Mann ein Telegramm geschickt, sie hofft, daß er bis Mittwoch hier sein wird. Am Donnerstag soll dann spätestens die Beerdigung sein u. es wird nichts anderes übrig bleiben, als daß ich diese Sache übernehme. –

     Die Russen sollen bei Budapest durchgebrochen sein. Heute haben wir die BuStu. auf zum Weihnachtsverkauf, von 12 Uhr an muß ich an der Kasse sitzen. Er hat Frost eingesetzt, – wenig erfreulich, besonders, da meine Winterjoppe nirgends zu finden ist. [...]

[4]
Mittwoch, 13. Dezember 1944.     

[...] [4]      Seit Montag ist das Geschäft zum Weihnachtsverkauf täglich von 10 – 1 Uhr offen u. ich sitze wieder mal an der Kasse. Es ist bitter kalt. Da der elektr. Strom aus Ersparnisgründen in dieser Zeit ausgeschaltet ist, kann man auch keinen Heizkörper einschalten. Es ist höchst widerlich. Dazu kommt noch, daß Nachmittags im Zimmer neben dem Atelier immer Kinderbetrieb ist. Im großen Hause sitzen ältere Damen im Eßzimmer u. machen irgend welche Weihnachtsarbeiten. Da ich das Atelier nicht gut verdunkeln kann, kann ich Nachmittags dort nicht gut sein. So habe ich, seit ich meine Wohnung an Küntzels abgetreten habe, keine Bleibe mehr u. sitze herum, ohne etwas Rechtes tun zu können. Martha ist viel im Geschäft, – so ist dieser Zustand wenig angenehm. – Spangenberg hatte mir Mist gebracht, den ich unter Rosen u. den Apfelbaum gebracht habe, auch in den Steingarten vor dem großen Hause.

     Der Gastwirt Holzerland war irgendwohin kommandiert worden, um als Ausbilder für den hiesigen Volkssturm ausgebildet zu werden. Gestern hat ihn aber das Militär eingezogen. – Dieser sog. Volkssturm ist sonst bisher hier noch nicht in Erscheinung getreten, außer bei der Vereidigung in Prerow. Es ist das alles Bluff, wenigstens hier bei uns – an der Front sollen ja schon seit längerer Zeit Abteilungen eingesetzt sein. [...]

[5]
Mittwoch, 20. Dezember 1944.     

[...] [5]      Heute morgen um 1/2 10 Uhr ging das Licht aus. [6] Es hieß dann allgemein, daß es bis zum Abend keinen Strom mehr geben würde, weil Rostock keine Kohlen mehr hätte. Dieser Zustand solle eine Woche lang dauern. Da wir nur elektrisch Kochen, fühlten wir uns aufgeschmissen, – es war ein Zustand eingetreten, den ich seit Monaten befürchtete u. der eines Tages unvermeidlich eintreten muß. Wir beschlossen, Mittags Kaffee zu trinken u. vielleicht Abends zu essen. Das Tolle ist, daß die Behörde nichts davon verlauten läßt, daß dergleichen zu befürchten wäre, damit man sich irgendwie vorher darauf einstellen kann; aber gegen 1/2 1 Uhr Mittags wurde ebenso unvermutet der Strom wieder eingeschaltet. Wie lange, weiß man nicht u. zum Kochen ist es nun zu spät. Wir werden, falls die Stromversorgung wirklich eingestellt werden sollte, in meinem Atelier auf dem Ofen kochen, was sicher ganz gut geht.

[6]
Donnerstag, 21. Dez. 1944     

[6]      Gestern Abend brachten uns Maaß u. Mehlis einen Weihnachtsbaum, besonders hübsch im Wuchs. Leider lag Martha mit Kopfschmerzen infolge Ueberanstrengung in der Bustu im Bett, sodaß ich die beiden nur kurz sprach. Maaß erzählte aus der Gegend Bielefeld, wo er eine Woche lang war, seine geflüchtete Familie zu besuchen. Die Verkehrsverhältnisse sind arg zerrüttet, die Stimmung der Bevölkerung sehr düster. Er sagte, daß aus der Gegend dort die Raketenbomben V2 abgefeuert würden u. daß dauernd Fliegen in der Luft wären, um die Abschußstellen zu suchen. Maaß selbst wird jetzt sein Soldatentum beschließen u. wird wieder als Studienrat tätig sein, u. zwar in Gotenhafen=Gdingen. Anfang Januar wird er dorthin fahren. Damit verlieren wir einen treuen Verbindungsmann zur Batterie.

     Unsere Offensive macht in Belgien Fortschritte, doch scheint sich der amerikan. Widerstand langsam zu versteifen. In der Nacht ist u. a. auch wieder einmal Regensburg angegriffen worden. Sonst nichts von Bedeutung. Das Wetter ist sehr trübe, aber wieder etwas kälter.

     Der elektr. Strom funktioniert wieder; aber es scheinen in vielen Teilen Deutschlands Einschränkungen eingetreten zu sein infolge Kohlenmangels, der auf die Zerstörungen von Eisenbahnen u. Kanälen zurückzuführen ist. –

     Gestern aßen wir erst um 6 Uhr zu Mittag.

[7]
Sonnabend, 23. Dez. 1944.     

[7]      Heute Morgen von 10 – 1 Uhr Ausgabe der Weihnachtsgeschenke an die Einwohner. Die Sache war in wochenlanger, mühsamer Arbeit von Martha organisiert, sodaß sie seit Tagen völlig überanstrengt ist. Es war ja nicht möglich, einen normalen, freien Verkauf zu veranstalten, wenn man vermeiden wollte, daß einige Leute alles kauften u. die übrigen leer ausgehen würden. Es mußte also eine regelrechte Verteilung gemacht werden wie schon im vorigen Jahre, nur daß der Ort damals etwa 250 Einwohner hatte, diesmal aber 700. Es war eine enorme Arbeit, für jeden ein Paket zurecht zu machen. Dafür hat die Sache aber heute morgen vorzüglich geklappt. Es war ein furchtbares Gedränge u. meine Kasse stand nicht eine Minute still. So hatten wir die höchste Rekordeinnahme, seitdem die Bu-Stu steht, ich kassierte in diesen drei Stunden über 3000,– Rm. Dabei war es furchtbar kalt, denn der Frost ist seit gestern noch stärker geworden. Die Verteilung verlief bemerkenswert reibungslos; aber es ist noch nicht sicher, ob alle Leute zufriedengestellt sind, – wahrscheinlich nicht. Die Leute haben ja keinen Begriff von der Mühe u. Arbeit, die so etwas macht. – Von den Mithelfern sind vor allem Ilse Schuster, Carmen Grantz, Inge Meisner u. Erika Wollesen zu nennen; aber noch manche andere haben sich gleichfalls betätigt, auch Paul in den Tagen seines Urlaubs. Da seit einiger Zeit Trude Dade wieder bei uns ist, war uns auch diese eine große Hilfe. –

     Morgen soll nun die Geschenkverteilung an die ostpreußischen Flüchtlinge stattfinden, wofür Frau Lücke seit Wochen mit den Kindern gebastelt hat. Wir geben dafür nur den Raum her, aber es wird wohl noch manche Arbeit dabei herausspringen. [...]

[7]
Montag, 25. Dezember 1944.     

[7]      Gestern Vormittag die Weihnachtsbescherung für die Ostpreußen. Die gebastelten Sachen, vor allem eine sehr hübsche Puppenstube, waren sehr hübsch aufgebaut. Es war wirklich eine Leistung, sodaß selbst Frau Siegert ihre Bewunderung aussprechen mußte. Die NSV hatte von sich aus überhaupt nichts dazu beigetragen, die ganze Last hatte auf Marthas Schultern gelegen, die so wie so schon überbelastet war. Herr Deutschmann [8] hielt eine leere Ansprache in der formlosen Art, die ihm eigen ist [...]

[8] Von Neumanns bekamen wir wieder wie im Vorjahre Putenbraten mit Sauerkraut, ganz ausgezeichnet; aber wir mußten natürlich die für uns beide berechnete, sehr reichliche Portion mit Küntzels teilen, mit denen wir in der Diele aßen. So ging die Portion anstatt in zwei in fünf Teile. – Vorher, um 4 Uhr, waren unsere Soldaten da. Maaß, Mehlis u. Wolters. Martha hatte auch für sie u. für ihre ganze Stube ein Paket zurechtgemacht. Erika nahm uns zum Glück die Kaffee-Bewirtung ab u. hatte bei sich in ihrem Zimmer den Kaffeetisch gedeckt. Es gab sogar echten Bohnenkaffee. – [...]

[9]
Sonnabend, 30. Dez. 1944.     

[9]      Gestern Mittag Söhlke u. Frau. Er erzählte von der Erfassung der Halbjuden in Berlin u. derjenigen Arier, die Jüdinnen zur Frau haben, welche ebenfalls wie Halbjuden behandelt werden. Alle diese kommen zu den Leunawerken, wo sie mit Beseitigung von Trümmern beschäftigt werden. Auch der Mann der Frau v. Achenbach ist schon vor Wochen dorthin gekommen, während seine Mutter nach Theresienstadt gekommen ist, wo jetzt alle Volljuden konzentriert worden sind. [...]

[9]      Der Tod hält weiter reiche Ernte. Auch Scheinecke ist mit seinem Schiff untergegangen. Der Maler Oberländer, der in diesem Sommer sich mit Doris Seeberg verheiratete, nachdem er im vorigen Jahre Witwer geworden war, ist einige Wochen nach der Hochzeit zum Militär eingezogen worden. Er war 59 Jahre alt. Offenbar hat er die Strapazen nicht ausgehalten u. er ist in einem Lazarett in Schlesien gestorben. Ebenso ist der Gastwirt [10] Strauven, der in Prerow das Dünenhaus betrieb u. ebenfalls vor Kurzem zur Wehrmacht einberufen wurde, dort gestorben. Man muß erwarten, daß der hiesige Gastwirt Holzerland, der ebenfalls eingezogen ist, dasselbe Schicksal erleidet, – noch lebt er freilich. Wenn ich nicht mein zerbrochenes Bein hätte, wäre es mir schon längst so gegangen.

     Heute ist Schneetreiben bei starkem Südwest. [...]

[10]      Soeben, – es ist 3/4 10 Uhr, – kommt Grete zu mir u. sagt, Deutschmann sei eben dagewesen u. habe bestellt, daß der „Volkssturmmann Brass“ am 1. Jan. 1945 auf dem Bahnhof in Prerow zur Vereidigung zu erscheinen habe. Er habe hinzugefügt, daß jeder wisse, daß ich ein krankes Bein hätte u. nicht nach Prerow gehen könne u. daß ein Wagen nicht zur Verfügung stehe. So viel ich gehört habe, ist der bisherige Ortsgruppenleiter in Prerow, der Lehrer Köller, ebenfalls zur Wehrmacht eingezogen worden, – es scheint also ein anderer Ortsgruppenleiter jetzt dort zu wirken, vielleicht aus Barth oder Stralsund, der mit der Bahn eintreffen wird u. der deshalb den Volkssturm auf den Bahnhof kommen läßt. – Nun, wegen meiner Person kann sich dieser Mann die Reise nach Prerow sparen, ich werde dort nicht erscheinen.