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Ahrenshoop, Januar 1945

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Autor: Hans Brass
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Titel: Ahrenshoop, Januar 1945
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Entstehungsdatum: 1945
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Tagebuchauszüge zum Thema Ahrenshoop, Januar 1945
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Einführung

Der Artikel Ahrenshoop, Januar 1945 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Ahrenshoop vor und im Krieg“ zusammengestellten Tagebuchauszüge von Januar 1945. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung].

Tagebuchauszüge

[1]
Montag, 1. Januar 1945.     

[1]      Unsere Andacht gestern war schwach besucht. [...]

[1] Nachmittags Kaffee (Bohnen) mit Küntzels, Erika hatte eine sehr gute Torte gebacken. – Abends wieder mit Küntzels zusammen unter dem brennenden Weihnachtsbaum. Wir tranken eine Fl. Pommery mit Bordeaux, Aepfel. [...]

[2] Um 5 Min. nach 12 Uhr sprach der Führer. Erika verschwand dazu mit ihrem Kinde in ihre Wohnung, wir selbst wollten es nicht hören u. gingen dann bald schlafen. – [...]

[3]
Dienstag, 16. Jan. 1945.     

[...] [4]      Gestern war der Geburtstag des Pastors Martin Niemöller aus Dahlem, der nun schon seit 1938 im Konzentrationslager sitzt. [...]

[5]
Donnerstag 18. Jan. 1945.     

[5]      Gestern abend zu unserer großen Freude wieder Nachricht von Fritz vom 6. u. 7. Januar. Außerdem kam von ihm ein Expreßgut mit Konserven u. zwei Päckchen mit Büchern aus dem Alsatiaverlag. – Er teilt uns mit, daß er am 5. Jan. wieder von vorne aus der Stellung zurückgekommen ist. Gott sei Dank! Er war sechs Tage dort unrasiert u. ungewaschen, aber doch zufrieden u. glücklich, diese Zeit gut überstanden zu haben. Es scheint auch nicht allzu schlimm gewesen zu sein, denn er berichtet von nur neun Verwundeten, die es in dieser Zeit gegeben hat u. denen er erste Hilfe leisten mußte. Zwei davon sind gestorben. – Er ist nun wieder in Kolmar. Am 6. Jan. sei alles zurückgezogen worden u. das Regiment soll nun doch aufgelöst werden, sie sitzen in Kolmar u. warten, was werden soll. Feldw. Stegmiller hat meinen Brief erhalten u. hat sich gefreut. – Fr. berichtet von den zerstörten Ortschaften, die ein grauenhaftes Bild bieten. Die Jagdbomber richten die meiste Zerstörung an. In den noch unversehrten Kellern findet man oft noch große Fässer mit Wein. Es wird da viel getrunken, herrenloses Vieh wird geschlachtet, die Soldaten bereichern sich am [6] zurückgelassenen Eigentum der geflohenen Einwohner, werfen die Sachen dann wieder weg u. sie werden zertreten, verbrannt u. vernichtet. Was der Krieg nicht vernichtet, das vernichten die Soldaten u. wenn dann die früheren Besitzer kommen, um ihr zurückgelassenes Hab u. Gut zu bergen, so finden sie nichts mehr. Diese Leute haben meist nur das nackte Leben gerettet. Die Folge ist, daß diese Leute eine große Wut auf die Soldaten haben denn sie haben ja mit Recht erwartet, daß deutsche Soldaten das Eigentum ihrer deutschen Landsleute respektieren würden. – Das stimmt also mit dem überein, was man auch sonst hört. – So sieht Fritz wirklich, was der Krieg ist, u. das ist gut für ihn. [...]

[6] Heute starkes Schneetreiben aus Südost, Temperatur um den Gefrierpunkt.

     Mittags wird bekannt, daß die Russen gestern Warschau u. Tschenstochau eingenommen haben. Das sind große Erfolge. Sie werden dann auch Lietzmannstadt rasch nehmen, welche Stadt dann wieder ihren rechtmäßigen Namen Lodz zurück erhalten wird, sowie das oberschlesische Industrierevier. Wollte Gott, daß es nur rasch voran geht.

     Heute war Frau v. Achenbach hier, die erschütternde Sachen von ihrem Mann erzählte, der vor einiger Zeit als Halbjude zur Organisation Todt eingezogen wurde. Alle Eingezogenen sind in furchtbar engen u. verwanzten Barracken untergebracht. Herr v. A. liegt in einer Barracke mit 28 Mann, in der sich nur ein schmaler Tisch befindet, an dem nur 8 Mann gleichzeitig sitzen können. Außer ihm ist nur noch ein anderer Halbjude da, die anderen sind arische Männer, die jüdische Frauen haben. Sie werden beschäftigt mit [...] [7] schwerster Arbeit, die Ernährung ist völlig unzureichend, die Behandlung entehrend. Frau v. A. selbst, die eine überaus kuragierte Frau ist, hat in Bln. Beschwerde geführt, jedoch ohne Erfolg. Der höhere SS=Beamte, bis zu dem sie vorgedrungen war, war ein Vieh von Mensch, der sie bedrohte, um sie einzuschüchtern, was ihm aber nicht gelang. – Einer der Insassen des Lagers, wo Herr v. A. ist, ist Major a.D., Teilnehmer am Weltkriege u. Inhaber des Hohenzollern-Hausordens. Ein Ministerium hat sich bei der SS erfolglos bemüht, diesen Mann frei zu bekommen.

     Wenn nur bald die Russen kämen!

[7]
Freitag, 19. Jan. 1945.     

[7]      Gestern Abend erhielt Paul Nachricht vom Kreisleiter in Schneidemühl, er habe sich sofort dorthin zurück zu begeben. Paul erregte sich sehr. Es gelang uns, Dr. Meyer zu erreichen, der zufällig in Ahrenshoop war. Er kam noch um 10 Uhr Abends zu uns. Er wird nun eine Bescheinigung ausstellen, daß Paul krank u. nicht reisefähig ist. Diese Bescheinigung wird dann erst einmal nach Schneidemühl geschickt werden. Bis dann wieder eine Antwort hier ist, ist wieder etwas Zeit gewonnen u. die Russen sind näher. Wenn die Russen nur bis Bromberg kommen, so wird der Herr Kreisleiter ja ausreißen. Diese ganze Sache hat Paul jedoch so aufgeregt, daß er heute nicht imstande ist, das Bett zu verlassen.

     Gestern Abend hieß es, daß die Russen Lowitzsch genommen haben, also werden sie auch bald Lietzmannstadt, sprich Lodz, haben. Es macht nicht den Eindruck, als wäre unsere Front im Osten auch nur annähernd in der Lage, Widerstand zu leisten, es scheint vielmehr, als wäre jeder Wille zum Widerstand erloschen. Ich kann mir nur denken, daß dies die Antwort der Soldaten, besonders der Offiziere, auf die Politik seit dem 20. Juli ist. Die Partei hat sich seitdem die Führung über die Wehrmacht angemaßt. Man hat den Truppen politische Kommissare beigegeben unter dem Namen: NS=Führungs=Offiziere. Nachdem man den ganzen Krieg hindurch diese politischen Kommissare, wie sie in Rußland eingerichtet sind, verächtlich gemacht hat, kann man jetzt nicht gut erwarten, daß dieselbe Einrichtung bei uns freudig aufgenommen wird, zumal diese sog. „Offiziere“ teilweise einfach aus dem Mannschaftsstande entnommen sind u. ohne jede militärische Qualifikation sind. Nur ihre Parteizugehörigkeit ist Maßgebend. So schrieb ja auch Kurt schon vor langer Zeit, als wir noch garnicht wußten, was ein „NS=Führungsoffizier“ sein soll, daß er Aussicht hätte, ein solcher zu werden. Es scheint aber, daß er doch nicht genügend politisch sicher ist, denn er ist ja nicht PG., u. bei seinen Personalakten dürften ja die üblen Streitigkeiten, die er zu Anfang des Krieges mit seiner ehemaligen Prokuristin Moßgraber gehabt hat, eine nicht sehr empfehlende Rolle spielen. Wäre das nicht, dann würde der so völlig unmilitärische Kurt, der es gerade zum Obergefreiten gebracht hat u. keine Qualifikation zum Unteroffizier besitzt, jetzt gewiß solch ein politischer Offizier geworden sein. Es läßt sich denken, daß die Regimentskommandeure nicht erbaut sein werden, wenn man ihnen solche Leute vor die Nase setzt.

[8]
Montag, 22. Januar 1945.     

[...] [8]      Von morgen ab sind sämtliche D=Züge eingestellt, es wird immer katastrophaler. – Eben heißt es, daß ab morgen überhaupt keine Briefe mehr geschrieben werden dürfen, nur noch Postkarten. Wir riefen bei der Post an, wo es hieß, daß diese Verfügung, „noch nicht amtlich“ sei. – Ferner soll nun auch unser Telephon gesperrt werden, nachdem in letzter Zeit bereits viele Apparate eingezogen worden sind. Im ganzen Dorf sollen nur vier Telephone verbleiben. – Ja, das deutsche Volk würde schon gern sofort Frieden machen, aber wie sollen wir das? –

     Gestern Vormittag hat, wie Richard Spangenberg erzählt, zum ersten Male der Volkssturm unter Führung von Emil Gräff geübt. Es waren ganze fünf Mann. Diese fünf Mann haben zuerst die Kuhweide erstürmt u. nachher die Höhe des Paetow'schen Hofes „besetzt“. Es muß eine überaus erheiternde Angelegenheit gewesen sein. –

     Gestern Abend im Deutschlandsender Beethovens Heroika, Dirigent Furtwängler. Sehr schön. –

     Abends waren Grete u. Paul bei uns. Mittags aßen wir den von Rewoldt bekommenen Schweinebraten mit Kartoffelklößen. Es war eine große Sache. Nach langer Zeit wieder einmal ein richtiges Essen. Unsere gewöhnliche Nahrung besteht sonst fast nur noch aus Kohl. – [...]

[9]
Dienstag, 23 Januar 1945.     

[...] [9]      Ueber Nacht u. heute früh ist viel Schnee gefallen, bei Südwest. Ganzen Vormittag Schnee geschaufelt. Es schneit immer noch jetzt zur Mittags Zeit. [...]

[9]      Die Einstellung des Briefverkehrs in Deutschland scheint sich zu bewahrheiten, aber bis jetzt ist amtlich auf der Post noch nichts darüber bekannt. Nur Postkarten können dann geschrieben werden.

     Gestern versuchte ich vergeblich, Herrn Deutschmann aufzusuchen, um ihm mitzuteilen, daß ich den Kindern der Frau Sommerhof, des Kapitänleutnants Dr. Krappmann u. der Frau v. Achenbach Religionsunterricht geben würde. Ich traf ihn nicht an u. sagte seiner Frau, er möge doch heute zu mir kommen. Er kam, während ich Schnee schaufelte. – Zuerst tat er etwas beleidigt u. er sagte, er müsse dann der Schulbehörde Mitteilung davon machen. Ich erwiderte ihm, daß er das ruhig tun solle, ich würde trotzdem den Unterricht geben, da ich vom Bischof von Berlin durch den Pfarrer in Barth schriftlich dazu ermächtigt sei u. die Eltern der Kinder mich darum gebeten hätten. Er dachte daraufhin etwas nach u. meinte dann: „Ach, wissen Sie, – ich weiß von nichts!“ – Ich antwortete ihm lachend, daß ich das auch für das Richtigste hielte, u. damit war die Sache dann erledigt. Es war interessant zu sehen, wie dieser Mann feige kniff u. sich aus der Verantwortung zog. –

     Jetzt ist Mittag u. das Schneetreiben hat wieder verstärkt eingesetzt. Es ist schon wieder alles zugeschneit, was ich freigeschaufelt hatte.

[10]
Mittwoch, 24. Jan. 1945.     

[...] [10]      Der Obergefr. Mehlis, der morgens vorbei kam, als ich beim Schneeschippen war, nahm mir diese Arbeit ab. Er schippte nicht bloß den Bürgersteig um das ganze Grundstück, u. zwar in 2 mtr. Breite, sondern er schaufelte auch noch das Dach der BuStu. frei Ein unglaublich anständiger Kerl, er hat über 2 Stunden gearbeitet u. bedankte sich dann noch für die Schachtel Cigaretten, die ich ihm gab. – Er erzählte mir, daß der Batteriechef bei der üblichen Lagebesprechung gestern gesagt habe, wir hätten den Krieg endgültig verloren, wenn wir das oberschles. Industrierevier verlören, denn es sei dort der größte Teil der synthetischen Treibstoff-Fabrikation. Ja, das ist natürlich allbekannt, aber daß der Batteriechef, der noch überdies ein Nazi ist, dergleichen offiziell sagen darf, deutet doch darauf hin, daß der Zusammenbruch bevorsteht. –

     Gestern haben die Russen Bromberg genommen. Mehlis sagte mir, daß offiziell mitgeteilt sei, wir hätten das Reichsehrenmahl von Tannenberg gesprengt, ehe wir es den Russen überlassen hätten, die Särge von Hindenburg u. den sonst noch dort Beigesetzten seien vorher geborgen worden. – [...]

[10]      Heute ist nun tatsächlich der Briefverkehr eingestellt, nur noch innerhalb von 75 km. können Briefe aufgegeben werden.

[10]
Donnerstag, 25. Jan. 1945.     

[10]      Gestern kam es leider infolge des Betragens Erikas wieder einmal zu einer höchst unerfreulichen Auseinandersetzung. Ich erzählte bei Tisch von der Lagebesprechung des Batteriechefs u. daß er gesagt habe, wir hätten den Krieg verloren, falls wir das oberschles. Industrierevier verlören. Ich erzählte das absichtlich, um Erika zu zeigen, daß Männer in verantwortlichen Kommandostellen, die noch dazu überzeugte Nazis sind, diese Tatsache, die ja im übrigen nicht bezweifelt werden kann, ihren Untergebenen mitteilen. – Erika erklärte darauf sehr schnippisch, es sei ja unerhört, daß der Batteriechef dergleichen sagen könne, die Soldaten würden doch diese Ansicht ihres Chefs weitererzählen. Ich antwortete ihr, daß der Batteriechef ja wohl selbst wissen müßte, was er sagen u. nicht sagen könne u. wenn die Soldaten das natürlich weiter erzählten, so diente das doch bloß der nun einmal unabänderlichen Wahrheit. Darauf antwortete sie noch schnippischer, daß man dergleichen eben nicht sagen dürfe, auch wenn es Wahrheit wäre. Nun wurde ich ärgerlich u. sagte mit betonter Schärfe, daß es nun endlich an der Zeit sei, die Dinge anzusehen, wie sie wirklich sind u. nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Erika stand daraufhin vom Tisch auf u. verließ das Zimmer. – [...]

[11] Paul sagte mir nachher, daß sich inzwischen eine neue Unannehmlichkeit ereignet habe: Erikas Mann hat einen SS=Mann auf Urlaub geschickt mit einem Paket für Erika. – Abgesehen davon, daß kein Soldat seit vielen Monaten mehr Urlaub bekommt, aber dieser SS=Mann des Herrn Oberleutnant mit einem Paket nach Ahrenshoop fahren kann, – ist es uns höchst unangenehm, einen solchen Menschen hier überhaupt zu sehen. Als Erikas Mann hier war, haben wir zur Bedingung gemacht, daß er in Civil ginge u. haben ihm zu diesem Zweck Fritzens Sachen zur Verfügung gestellt. Wir haben ausdrücklich zum Ausdruck gebracht, daß wir einen SS-Mann in Uniform keinesfalls in unserem Hause zu sehen wünschen, – u. nun schickt uns dieser Mensch noch einen SS-Mann extra auf den Hals, den Erika im Baltischen Hof untergebracht hat. Es ist das ein neuer Beweis dafür, daß weder Erika noch ihr Mann gewillt sind, unserer Ablehnung des Nationalsozialismus, u. vor allem der SS, die geringste Rechnung zu tragen. – [...]

[11]
Freitag, 26. Januar 1945.     

[...] [12]      In Rostock sollen 21000 Flüchtlinge aus dem Osten eingetroffen sein, die nun aufs Land verteilt werden. Wustrow, Alt= u. Niehagen werden vollgelegt in Schulen u. Sälen, auch bei uns soll Holzerland belegt worden sein. [...]

[12] Es wird jetzt mit dem Hunger erst richtig losgehen. Wovon sollen all die Flüchtlinge ernährt werden? Woher Kohlen nehmen? Eisenbahnen fahren kaum noch. Bei uns mag's noch angehen, aber die Städte! Berlin soll jetzt schon voller Flüchtlinge sein. Bisher gab es noch reichlich Milch, das wird aufhören. Den Bauern wird das Futter für das Vieh abgenommen, sie werden alles schlachten müssen. Das große Elend wird nun hereinbrechen. Die letzte Rettung besteht darin, daß die Armee meutert. – Zum Überfluß hat wieder starkes Schneetreiben eingesetzt, es wird der letzte Verkehr im Schnee stecken bleiben. Die Ostflüchtlinge erzählen grauenvolle Sachen. Sie haben nichts mitnehmen können, keine warme Kleidung, Kinder sind zerquetscht u. zertreten worden. Herr Johow ist aus Posen eingetroffen, 48 Stunden Fahrt nach Berlin, der Zug so voll, daß die Menschen bewegungslos aneinandergepreßt gestanden haben. Eine Frau war im Zuge, deren Kind gestorben war, sie trug die Leiche 48 Stunden lang auf dem Arm.

[12]
Sonnabend, 27. Januar 1945.     

[...] [12] Die Front ist jetzt von Berlin u. Stettin nur noch 200 km. entfernt. Die Leute sind sehr aufgeregt. Unsere Propaganda hat uns seit Jahren mit so furchtbaren Geschichten über die blutgierige Grausamkeit der Russen unterhalten, daß jetzt eine panikartige Angst herrscht. – [...]

[13]
Sonntag, 28. Januar 1945.     

[13]      Heute sehr große Beteiligung an der Andacht es waren 11 oder 12 Personen, davon drei aus Wustrow, was angesichts des Wetters wirklich erstaunlich ist, denn es schneit unentwegt. Draußen, wo es stärker weht, muß der Schnee teilweise sehr hoch liegen, nachdem man schon hier im Dorf nur mühsam gehen kann. Diese starke Beteiligung wirkte sich wundervoll aus, sodaß auch meine Ansprache ganz besonders gut gelang. [...]

[14]
Montag, 29. Januar 1945.     

[14]      Heute vor 24 Jahren begegnete ich Martha zum ersten Male auf dem Ball der Sozialistischen Monatshefte im Rheingold in Berlin –

     Gestern Abend waren wir wie alljährlich einmal bei Neumanns im Kurhaus. Der alte Neumann lag krank u. das war im Interesse der Gemütlichkeit nicht schlecht. Es gab eine vorzügliche Suppe, dann Hasenbraten mit Rotkohl u. Kartoffeln, zum Schluß Apfelmuß. Frau N. legte mir, wie üblich, auf u. ich aß unwahrscheinlich viel. Später gab es dann noch echten Thee u. vorzüglichen Streuselkuchen. Das Gespräch drehte sich natürlich vorwiegend um die politische u. wirtschaftliche Zukunft. Alle haben Angst vor den Russen, deren barbarische Grausamkeit von unserer Propaganda nun seit Jahren in allen Farben geschildert worden ist, wozu noch das Bewußtsein kommt, daß unsere Nazis sich seit 1933 Verbrechen über Verbrechen geleistet haben, die nun in irgend einer Weise gebüßt werden müssen. Man fürchtet die furchtbare Rache. [...]

[14]
Dienstag, 30. Januar 1945     

[14]      Heute ist der 12. Jahrestag der Machtübernahme durch die Nazis. Das 13. und letzte Jahr ihrer sog. Macht hat damit begonnen. Zwölf Jahre von Verbrechen über Verbrechen liegen hinter uns. Wenn ich auch nie daran gezweifelt habe, daß diese Leute großes Unglück über uns bringen würden, so übersteigt das, was nun ist, doch alle Vorstellungen, die ich mir früher gemacht habe. Heute, am Beginn des 13. Jahres, stehen Engländer, Amerikaner u. Franzosen im Westen auf deutschem Boden u. es ist nur eine Frage von Tagen oder wenigen Wochen, wann unsere Abwehr dort zusammenbrechen wird. Die Russen aber haben im Osten nun überall die Reichsgrenzen überschritten. Ostpreußen ist jetzt fast ganz in ihrer Hand, Königsberg liegt unter russischem Artilleriefeuer. Nördlich Posen haben sie nun auch die pommersche Grenze überschritten u. haben den großen Knotenpunkt Kreuz eingenommen, wodurch Danzig von Berlin abgeschnitten worden ist. Damit dürfte nun der Moment gekommen sein, wo auch unser Volkssturm an die Front geschickt werden wird. Das oberschlesische Industrierevier ist ganz in russischer Hand u. dort haben die Russen bereits die Oder überschritten, Breslau ist von drei Seiten eingeschlossen. Dort ereignete sich wieder ein neues Verbrechen, dessen Urheber Himmler direkt ist. Als vor einigen Wochen der Volkssturm aufgerufen wurde, hielt dieser Kerl eine Rede, in der er sagte, es müsse jeder Feigling sofort u. ohne Gericht erschossen werden, er würde eine jede solche Tat [15] decken, auch wenn sich ergeben sollte, daß man darin zu weit gegangen sei. Nun ist der Bürgermeister von Breslau „wegen Feigheit vor dem Feinde“ in Breslau auf dem Marktplatz öffentlich erschossen worden. Näheres ist nicht bekannt, aber man wird wohl nicht fehlgehen, wenn man annimmt, daß dieser Bürgermeister sich dem Befehl widersetzt haben wird, Breslau zur militär. Festung zu erklären. – [...]

[15]      Abends feierten Martha u. ich unseren 24. Jahrestag bei einer Flasche sehr gutem Rheinwein, den wir im vorigen Jahre von Frau v. Paepke geschenkt bekamen. [...]

[15]
Mittwoch, 31. Januar 1945     

[...] [15]      Gestern Abend um 1015 Uhr hielt der Führer ganz unerwartet eine Rede zum 12. Jahrestag der Machtergreifung. Er sprach nur kurz, seine Stimme klang müde u. er sprach wie einer, der böse ist. Er stellte zuerst seine sogenannten Erfolge seit der Machtergreifung in den Vordergrund, in der Hauptsache also die Aufrüstung, u. sprach dann vom jüdischen Bolschewismus, der seiner friedlichen Aufbauarbeit nur 6 Jahre Frieden gegönnt habe u. vom Haß der Plutokratien. Dann schimpfte er auf die „Pazifisten“, die er Strohköpfe nannte u. mit Schafen verglich usw., u. er schloß mit der Erwartung, daß die wehrfähigen Männer tapfer kämpfen, die Kranken aber um so mehr arbeiten sollten, besonders Frauen, Mädchen u. Kinder. Zwischendurch sagte er auch, daß jeder, der sich dieser Politik des Weiterkämpfens widersetze, erschossen [16] werden würde. Auch den Herrgott u. die Vorsehung bemühte er ausgibig; aber leider wußte er außer dem schon so oft ausgesprochenen Argument, daß die Vorsehung uns bestimmt helfen würde, nichts zu sagen, wie dieser Krieg für uns siegreich zu beenden sein würde. Es war das wohl die flachste u. schwächste Rede, die er überhaupt je gehalten hat. Er sprach aus dem Führerhauptquartier am Mikrophon, offenbar aus einem großen, leeren Saal, was deutlich an der Akustik zu hören war. So hatte diese ganze Rede etwas Gespenstisches, erhöht durch den dumpfen u. bösen Ton seiner Stimme. Man hatte den Eindruck, daß der Mann völlig allein in einem großen, leeren Saal stand u. seinen bösen Groll in's Leere rollen ließ. – [...]