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Ahrenshoop, Juli 1943

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: Ahrenshoop, Juli 1943
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Entstehungsdatum: 1943
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Tagebuchauszüge zum Thema Ahrenshoop, Juli 1943
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Einführung

Der Artikel Ahrenshoop, Juli 1943 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Ahrenshoop vor und im Krieg“ zusammengestellten Tagebuchauszüge vom Juli 1943. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung].

Tagebuchauszüge

[1]
Donnerstag, 22. Juli 1943.     

[1]      Nachdem vorgestern im Heeresbericht von einer „beweglichen Verteidigung“ Sizieliens die Rede war, wurde gestern gesagt, daß sich unsere Truppen „vom Feinde abgesetzt“ hätten, d.h. also: Rückzug.

     Gestern Abend war Dorfversammlung in Sachen Luftschutz. Ich habe Klaus mit Margret hingeschickt. Nach Margret's Erzählung hat Prof. Reinmöller eine gradezu groteske Rede gehalten, denn er ist Oberbefehlshaber für den Luftschutz im Dorf. Er ordnete an, daß alle Leute heute sofort zum Strande gehen sollen, um Sand zu holen. Das ist aber überall längst geschehen. Ferner ordnete er an, daß überall Wassereimer aufgestellt werden müßten, jedoch besitzt kein Mensch mehr Eimer, die er nicht unbedingt gebrauchte. Schließlich ordnete er an, daß überall Feuerpatschen bereit stehen sollten, jedoch besitzt kein Mensch mehr Scheuertücher oder andere geeignete Stoffe, nachdem durch die wiederholten Spinnstoffsammlungen auch der letzte alte Lappen längst abgegeben worden ist. Diese sämtlichen Anordnungen des Herrn Professor sind also Quatsch. – Dann aber hat dieser Mann, über den das ganze Dorf lacht, weil er unter dem Pantoffel seiner Hausdame steht, mit der er ein Verhältnis hat, eine blutdürstige Rede gegen die Engländer gerichtet, die in dem Ausrufe gipfelte: Der Tag der Rache kommt, – dann wird diese ganze Insel in Feuer u. Schwefel untergehen u. diese Schweine werden totgeschlagen werden bis zum Letzten. –

     Gewiß ist die Art des Luftkrieges, wie ihn die Engländer u. Amerikaner führen, eine Rohheit, die in der Weltgeschichte einzig dastehen würde, wenn wir uns nicht vorher desselben Verbrechens schuldig gemacht hätten. So teilen wir uns mit ihnen in diesen Ruhm. Natürlich konnten wir nicht Rom bombardieren, wie sie es jetzt getan haben, – dennoch sind wir die erste Ursache dazu. [...]

[2]
Sonntag, 25. Juli 1943.     

[2]      Nachts kurz nach 1 Uhr erwachte ich von einem eigentümlichen Geräusch im Hause. Ich glaubte, daß Klaus sich zur Abreise fertig machte bis ich bemerkte, daß es noch dunkel war, daß also dieser Grund nicht in Frage kam. Schließlich stand ich auf u. merkte daß alle Fenster von Zeit zu Zeit zitterten. Ich ging rückwärts auf die Terrasse, von wo ich dieses Zittern auch von den Seezimmer-Fenstern hörte, als ob starker Sturm die Fenster Zittern machte, doch war es ganz windstill. Bei angespanntem Lauschen vernahm ich dann auch ganz schwaches Donnern wie von Bomben, sah aber keine Lichtwirkungen. Ich begriff, daß es sich um einen sehr fernen Fliegerangriff handelte müsse. – Dr. K. sagte mir heute früh, daß Hamburg angegriffen worden sei, der Heeresbericht bestätigte es. Es muß wohl ein fürchterlicher Angriff gewesen sein, wenn die Lufterschütterungen bis hierher gewirkt haben, was ich nicht für möglich gehalten hätte. Martha hat versucht, ihren Bruder Otto anzurufen, doch war Verbindung mit Hmb. nicht zu bekommen. [...]

[2]      Am frühen Nachmittag gegen 4 Uhr war wiederum starkes Motorengeräusch hörbar, u. zwar vom Bodden her. Bald darauf hörte man sehr starke Detonationen. In diesem Augenblick kam Frl. von Tigerström per Rad aus Wustrow u. erzählte, sie habe sechs englische Bomber gesehen, die in der Gegend von Pütnitz Bomben geworfen hätten. Das wurde später von Frau Gr. Noelle bestätigt, die am Abend bei uns war. Die Batterie hatte Fliegeralarm gegeben u. die Menschen waren ziemlich erregt, es gab einige wilde Gerüchte. [...]

[3]
Dienstag, den 27. Juli 1943.     

[...] [3]      Die Flieger, die am Sonntag hier waren, haben Brandbomben geworfen, doch sind diese infolge des sehr starken Windes, der zu dieser Zeit grade herrschte, in den Bodden gefallen. Spangenberg will gesehen haben, daß sie auf dem Wasser gebrannt haben. Möglicherweise haben diese Brandbomben der Batterie gegolten. Wenn sie getroffen hätten, dann wäre bei dem starken Winde ganz Althagen vernichtet worden. Es ist wie ein Wunder, denn kurz vor dem Angriff war es noch fast Windstill u. später flaute der Wind wieder ab. – Der Dampfer Ribnitz-Wustrow hat den Betrieb wieder eingestellt, weil Gefahr besteht, daß auch Minen geworfen sind, was indessen unwahrscheinlich ist. [...]

[...] [4] Gauleiter Hildebrandt, hat gestern sämtliche Mecklenburgischen Bonzen zusammengetrommelt, um, wie es heißt, „ein glühendes Treuebekenntnis zum Führer“ abzugeben. Nun beginnen diese Leute ernstlich Angst um ihre Futterkrippen zu bekommen. [...]

[4]
Mittwoch, 28. Juli 1943.     

[4]      Die Nervosität ist sehr groß, es war heute im Geschäft deutlich zu spüren, zumal heute Nacht wieder sehr große Massen von Fliegern über uns hinweg geflogen sind. Am Nachmittag wurde durch den Heeresbericht bekannt, daß wiederum ein sehr starker Angriff auf Hamburg stattgefunden hatte. Mit Hamburg selbst ist keine Verbindung zu bekommen. Da viele Hamburger hier sind u. sehr viele ihre Verwandten in Hamburg haben, ist natürlich die Besorgnis sehr groß, auch bei Martha. Von Otto Wendt bekamen wir jedoch heute eine Karte, in der er mitteilt, daß sie „bis jetzt“ noch leben, da Blankenese bisher verschont geblieben sei, sonst aber sei Hamburg eine erledigte Stadt. Es gibt kein Gas, an vielen Stellen kein Wasser u. kein Telephon, ob noch ein Bahnhof steht, weiß er nicht, ebenso wenig weiß er, ob die Häuser von Max u. Emma Wendt noch stehen, von den weiteren Verwandten weiß er es natürlich ebensowenig. Sein Kontor u. Lager ist niedergebrannt. Bahnverbindung nach Hmb. gibt es noch nicht. Die Karte ist vom 26. 7. datiert, also am Montag u. um 19 Uhr in Blankenese aufgegeben, sie ist also überraschend gut hier eingetroffen. – [...]

[5]
Donnerstag, 29. Juli 1943.     

[5]      Heute Vormittag 11 Uhr haben wir die Kinder nach Ribnitz geschafft, Frau Matusch holte sie ab u. nahm sie im Wagen mit. Eine Stunde vorher kamen eine große Anzahl Flugzeuge in großer Höhe über unseren Ort, man will bis zu 60 Apparate gezählt haben. Gleich darauf setzte starkes Abwehrfeuer in Rostock ein. Wir hörten, daß an der ganzen Küste bis Stettin Fliegeralarm war. [...]

[5]      Es ist überaus heiß u. trocken. [...]

[5] Im Kurzwellensender entdeckte ich heute einen offenbar illegalen Sender deutschnationaler Richtung, der sich vom Nationalsozialismus abzusetzen versuchte u. dazu die abgeleierten Platten von Deutschlands Ruhm u. Ehre u. nationaler Kraft neu aufgelegt hat. Man will sich also vom Sozialismus trennen u. nur noch national sein, wobei man darauf spekuliert, daß es ja grade die Deutschnationalen um Hugenberg gewesen sind, die Hitler ans Ruder gebracht haben. Man kann sich nur über solch dummdreiste Unverfrorenheit wundern. [...]

[6]
Sonnabend, 31. Juli 1943.     

     Gestern Abend waren bei uns zu Gast: Erzpriester Feige, Pater Dubis S. J., – u. uneingeladen kamen zu kurze Zeit dazu Dr. Krappmann u. Frau. Wir tranken den Nahewein, den Vater Bohner zu Fritzens Hochzeit besorgt hatte u. von dem noch ein paar Flaschen übrig waren. Bei der gegenwärtigen Hitze war das ein großer Genuß. – Die Gespräche galten natürlich ausschließlich der politischen Lage. Dr. K. gab dabei zum ersten Male einen auf wirklicher Beobachtung fußenden Bericht über den Fliegerangriff am letzten Sonntag. Danach sind es etwa 50 Flugzeuge gewesen, die sich über uns teilten u. in verschiedenen Richtungen weiterflogen. Eta 28 Flugzeuge flogen in Richtung Althagen u. warfen dort Brandbomen, die sämtlich in's Wasser fielen. Der Sinn dieses Abwurfs ist völlig unklar. Die Maschinen flogen dann nach Rostock-Warnemünde weiter, wo sie hauptsächlich auf die Arado-Werke Bomben warfen. Diese Detonationen, sowie die Flakabwehr waren die starken Detonationen, die wir hörten. Während dieser ganzen Zeit u. schon lange vorher lag im Süden eine schwere, gelbschmutzige Dunstschicht, die ich für ein Gewitter gehalten habe, die aber in Wahrheit der Rauch des brennenden Hamburg war.

     Inzwischen, besonders heute, sind Flüchtlinge aus Hamburg hier eingetroffen. Herbert Westerich, der z. Zt. in Dänemark irgendwo als Obergefreiter bei der Wehrmacht ist, hatte sich auf die Nachricht von dem Unglück Urlaub geben lassen u. war per Auto nach Hamburg gefahren. Er kam dann Mittags hier an u. verhinderte so rechtzeitig, daß seine Frau, die hier beim Bauunternehmer Helms wohnt u. natürlich sehr aufgeregt war, nach Hamburg fuhr. Zwar hatte sie ein Telegramm aus Bln. bekommen von ihrer Schwester, die gleich nach dem ersten Angriff nach Hmb. gefahren war u. den alten Vater von dort abgeholt hatte. Beide waren also vorläufig in Sicherheit. Aber nun glaubte Frau W. ihren Mann Herbert in Hmb. Als er ankam, war Frau W. grade bei uns. Herbert W. sah sehr verdreckt u. übermüdet aus. Er hatte in Hmb. festgestellt, daß alle Familienangehörigen in Sicherheit waren u. daß sein Engros=Lager zu den ganz wenigen, bis jetzt noch unbeschädigten Häusern gehörte; aber sonst ist nach seinem Bericht ganz Hamburg ein einziger Schutthaufen. Er erzählte grauenvolle Dinge. Am Nachmittag waren noch andere Flüchtlinge eingetroffen, die alle nur das nackte Leben gerettet haben u. die bei uns im Geschäft alle dasselbe erzählten. Es muß grauenvoll sein. Dazu geht hartnäckig das Gerücht um, daß im englischen Sender unserer Regierung ein auf Montag-Vormittag 11 Uhr befristetes Ultimatum gestellt worden sei, zurückzutreten, widrigenfalls Berlin dasselbe Schicksal treffen solle. – Unsere Nazis, – besonders Frau Siegert, sind plötzlich sehr klein geworden u. trauen sich nicht mehr, „Heil Hitler“ zu grüßen. Die Erbitterung im Publikum ist maßlos gestiegen, denn niemand glaubt daran, daß Hitler abdanken wird, sondern jedermann ist überzeugt, daß er u. alle übrigen Bonzen ihre Stellungen bis zum letzten Deutschen halten werden. – Und das ist in der Tat ein Verbrechen, das alle Vorstellungen übersteigt, denn es ist sonnenklar, daß wir diesen Krieg verloren haben. Diese Leute aber, die alles zu verlieren haben, [7] opfern das ganze Volk, um ihre eigene Katastrophe noch etwas hinauszuzögern. – [...]