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Ahrenshoop, Juni 1945

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
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Autor: Hans Brass
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Titel: Ahrenshoop, Juni 1945
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Entstehungsdatum: 1945
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Tagebuchauszüge zum Thema Ahrenshoop, Juni 1945
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Einführung

Der Artikel Ahrenshoop, Juni 1945 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Ahrenshoop vor und im Krieg“ zusammengestellten Tagebuchauszüge von Juni 1945. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung].

Tagebuchauszüge

[1]
Freitag, 1. Juni 1945.     

[...] [1]      Gestern Besprechung mit Herrn Schulrat Zelk. Ergebnis: Herr Deutschmann wird von Montag ab den Unterricht wieder aufnehmen. [...]

[2]      Gestern Abend Herr + Frau Partikel bei uns. P. malt unentwegt Stalin u. Lenin für die Russen, hat aber außer einem Stückchen Brot bisher keinerlei Entlohnung bekommen, obgleich der Kommandant vorher sehr große Versprechungen gemacht hat. [...]

[3]
Mittwoch, 6. Juni 1945.     

[3]      Der gestrige Tag verlief ausnahmsweise ohne besonderen Aerger oder Zwischenfälle. [...]

[4]      Spät Abends kam noch unser Lebensmittel-Auto von glückhafter Fahrt zurück u. brachte uns 50 Centner Kartoffeln u. ein Schwein, nachdem es schon gestern Schlachtvieh mitgebracht hatte. Die Kartoffeln wurden bei Reichert abgeladen u. über Nacht von unseren Hilfspolizisten bewacht. Heute werden sie verkauft. Das Auto ist heute wieder ausgelaufen, vielleicht bekommen wir Mehl u. nochmals Kartoffeln. [...]

[4]
Donnerstag, 7. Juni 1945.     

[4]      Der Tag gestern ohne besondere Ereignisse [...]

[4] Abends kam der arme Bauer Paetow u. berichtete, daß die Russen ihm eine Kuh von der Koppel gestohlen hätten. Er war völlig verzweifelt. Ich holte Dr. Hahn u. bat ihn, zum Kommandanten zu gehen, was er auch bereitwillig, aber völlig erfolglos tat. Paetow will heute Morgen selbst hingehen u. bat mich, mitzukommen, – ich hoffe, daß er darauf verzichtet, denn es ist zwecklos u. für mich sehr anstrengend. – Gestern brachte das Lebensmittel-Auto nochmals 100 Ctr. Kartoffeln. Auch die Wustrower Molkerei hat etwas Butter angeliefert.

     Abends hielt ich trotz aller Schwierigkeiten meinen Mittwoch-Vortrag. – Am Radio hörte ich, daß man die verkohlte Leiche Hitlers unter den Trümmern der Reichskanzlei gefunden hat. [...]

[4]
Sonnabend, 9. Juni 1945.     

[4]      Martha bekam gestern viel Blumen geschenkt u. von Gretel Neumann einen Obstkuchen, von Frau Ziel ein Näpfchen mit Schmalz usw. Auch Trude hatte einen Kuchen gebacken. Abends saßen wir mit Küntzels u. den Töchtern, aßen Kuchen u. ich holte die vorletzte Flasche Pommery. Nun ist nur noch eine da, die zu meinem Geburtstage dran glauben soll.

     Sonst hat sich nichts Besonderes ereignet. Unsere kleine Kosakken-Abteilung benimmt sich anständig u. es herrscht Ruhe, die Bevölkerung fängt an, wieder aufzuatmen. Morgen Nachmittag habe ich alle zum Baltischen Hof eingeladen, nachmittags 4 Uhr, um eine Rede zu halten über die allgemeine Situation. Heute Nachmittag sind wir bei Ziels zum Kaffee eingeladen, da Frau Ziel heute 70 Jahre alt wird. Heute früh habe ich meine Garderobe wieder aus dem Versteck hervorgeholt u. sie wieder in den Kleiderschrank getan, die Gefahr ist wohl [5] vorüber, daß die Sachen gestohlen werden. [...]

[5]
Sonntag, 10. Juni 1945.     

[...] [5]      Gestern Nachmittag kam Dr. Hoffmann u. brachte mir 5000 Rm. in nagelneuen Scheinen für die Gemeinde. Das Geld stammt aus beschlagnahmtem Parteivermögen u. wurde uns von der politischen Polizei in Ribnitz überwiesen. – [...]

[5] Die Russen bauen, wie ich höre, die Eisenbahnstrecke Velgast=Prerow ab u. schicken die Schienen nach Rußland. Sie scheinen in dieser Weise alle Nebenstrecken abzubauen. Evi Niemann erzählte mir, daß das Fernsprechamt in Ribnitz völlig leer sei.

[5]
Montag, 11. Juni 1945.     

[5]      Gestern Nachmittag um 4 Uhr hielt ich meine Rede zu den Ahrenshoopern in Balt. Hof. Ich hatte den russ. Kommandanten davon unterrichtet u. er hatte mir sagen lassen, daß er persönlich kommen würde. – Der Saal war gedrängt voll, es waren alle da, die irgend nur konnten. Die Rede dauerte etwa eine Stunde u. obwohl ich mit den Nazis streng ins Gericht ging u. ihnen nichts schenkte, war der Beifall doch sehr groß. Nach der Rede kamen viele Demokraten u. drückten mir [6] mit freudiger Begeisterung die Hand. Der Kommandant hatte seinen Wachtmeister mitgebracht u. ließ sich die wichtigsten Stellen von ihm dolmetschen. Nach meiner Rede stand er auf u. äußerte den Wunsch, selbst etwas zu sagen. Frau Marie Seeberg dolmetschte. Ich hatte gesagt, daß der Krieg eine Auseinandersetzung zwischen Demokratie u. Diktatur gewesen sei u. der Kommandant griff das auf, indem er versicherte, auch Rußland sei eine Demokratie. Das war immerhin überraschend. Auch sonst sagte er Sachen, die offensichtlich von dem Bestreben diktiert waren, zu uns freundlich zu sein. So entschuldigte er gewissermaßen die gelegentlichen Uebergriffe russischer Soldaten mit der langen Kriegsdauer, durch welche die Moral gesunken sei. Jedenfalls wurde dadurch ein persönliches Verhältnis zwischen uns u. ihm hergestellt u. auch von dieser Seite her war meine Rede ein voller Erfolg.

     Herr Gläser ist gestern um 2 Uhr wieder zurückgekehrt. Es hat sich offenbar darum gehandelt, daß in Wustrow ein ehemal. SS=Mann verhaftet worden war, in dessen Hause man ein umfangreiches Hamsterlagen an Garderobe, Wäsche, Lebensmitteln, Gold u. Juwelen gefunden hat. Dieser SS-Mann soll ein Rechtsanwalt aus Berlin sein, der früher mit Dr. Hoffmann in Berlin eine Anwaltsfirma gehabt hat. Herr Dr. H. soll diesen Mann gedeckt haben. – Die Ribnitzer Kommunisten haben sich wohl hinter die russ. Staatspolizei gesteckt u. haben das gefundene Hamstergut beschlagnahmt u. nach Ribnitz entführt. Zugleich haben sie verlangt, daß ein Ribnitzer Kommunist namens Harder in Wustrow wohnen sollte, offenbar als Kontrolle. Der Bürgermeister von Wustrow, Hallier, der ein großes Kamel sein soll, hat sich seinerseits hinter den russ. Kommandanten, einen ständig betrunkenen Kosakken-Häuptling, gesteckt u. nun ist der Krieg losgegangen. Der Kosakken-Häuptling hat Dr. Hoffm. u. unseren Herrn Gläser verhaftet, diesen, weil er angeblich ein fazistischer Spion sein soll, dazu noch zwei Kommunisten aus Ribnitz. Alle mußten die Nacht in einem Keller zubringen. Am Sonntag-Morgen mußten sie nach Ribnitz fahren u. das Hamstergut wieder zurückbringen, erst dann war man zufrieden u. entließ sie wieder. – So ungefähr scheint sich die Sache abgespielt zu haben. Mittags war ein Wustrower Hilfspolizist bei mir u. brachte ein Schreiben vom sog. Bezirksbürgermeister Hallier u. dieser gute Mann schimpfte weidlich auf seinen Herrn u. nannte ihn einen unfähigen Dummkopf u. Trottel. – [...]

[6]      Von heute an soll es pro Woche 1000 gr. Brot geben, seit dem 1. Mai gab es nur 500 gr. Brot wöchentlich. Arbeitende Menschen sollen sogar 1400 gr. Brot bekommen. Das ist ein erheblicher Fortschritt. [...]

[6]
Dienstag, 12. Juni 1945.     

[6]      Gestern kam der Befehl vom Kommandanten in Wustrow, daß sich sämtliche Fischer mit ihren Booten in Wustrow einzufinden hätten, u. zwar sowohl von der Seeseite, wie von der Boddenseite. [7] Abgesehen von der Dummheit dieses Befehles, – da ja ein Fischer eben nur entweder mit seinem Seeboot oder mit seinem Boddenboot fahren kann u. nicht mit beiden zugleich, witterten wir sofort Unheil. Und mit Recht. Abends kamen unsere Fischer zurück u. erzählten, daß der Wustrower Kommandant von allen Althäger u. Ahrenshooper Fischern verlangt, daß sie von jetzt an ihre Boote u. Netze u. alles Geschirr in Wustrow stationieren u. nur noch dort fischen sollten. Wir werden auf diese Weise überhaupt keine Fische mehr bekommen u. Boote u. Netze werden wir nie wiedersehen. [...]

[7]      Die Erschwerung des Verkehrs wird immer lästiger. Wer nach Ribnitz will, muß zu Fuß gehen u. von hier bis Wustrow wird man dauernd von Posten angehalten, die nach Passierscheinen fragen. Die Folge ist, daß wir alle Leute, die nach Wustrow oder darüber hinaus wollen, zum Kommandanten schicken zwecks Ausstellung eines Passierscheins bzw. damit er denselben unterschreibt. Wir stellen die Scheine selbst aus u. haben eine Dolmetscherin angestellt, die alle Scheine ins Russische übersetzen muß. Dem Kommandanten ist es lästig geworden, daß die Leute ihm die Bude einrennen u. als ich ihn gestern Abend auf der Straße traf, kam er mit in die BuStu., bzw. in das Zimmer 4 im kleinen Hause u. erklärte mir durch seinen kleinen Burschen, der etwas deutsch spricht, daß er die Absicht habe, von heute an jeden Vormittag von 10 – 12 Uhr in meinem Büro zu sitzen. Ich weiß nicht, ob er damit noch irgend eine andere Absicht verfolgt.

     Die Leute sagen mir, daß das Ostseebad Ribnitz u. Dierhagen geräumt werden müsse. Alle dort Wohnenden müssen nach Wustrow. Man sagt, es käme dort Artillerie hin. Auch haben die Russen erneut befohlen, daß die Verdunkelungs-Vorschriften weiter in Kraft bleiben, besonders nach der See hin. Offenbar ist also die Spannung zwischen Rußland u. den Westmächten nach wie vor sehr groß u. sie wird wohl nicht nachlassen bis zu der neuen Konferenz zwischen Stalin, Churchill u. dem Amerikaner, die in den nächsten 6 Wochen stattfinden soll. – [...]

[7]
Mittwoch, 13. Juni 1945.     

[...] [8] Gestern war unser Kommandant von 10 – 12 Uhr im Amt. Er bekam viel zu tun mit Unterschriften von Passierscheinen. Es ist zwar unangenehm, die Russen da sitzen zu haben, aber andererseits ist es auch gut, wenn man gleich die Dinge mit ihnen besprechen kann. So konnte ich gleich die Entführung unserer Boote u. Netze nach Wustrow mit ihm bereden u. ihm klar machen, daß er selbst nun ebensowenig Fische bekommt, wie wir. Er sah das wohl ein, aber es scheint, daß er da nichts machen kann. Bauer Paetow klagte über Wildschaden durch Schweine. Auch das konnte ich ihm sagen u. ihn veranlassen, die Schweine abzuschießen. Er sagte es zu u. ich bat ihn gleich, auch uns ein Schwein abzugeben, was er mir auch versprach. – Am Nachmittag beschlagnahmten die Russen sämtliche Butter in der Molkerei, die heute hier verkauft werden sollte, sodaß wir nun wieder keine Butter haben. Die Brotrationen, die ab Montag auf 1000 gr. wöchentlich erhöht worden waren, sind wieder auf 500 gr. herabgesetzt worden. [...]

[8]
Donnerstag, 14. Juni 1945.     

[...] [8]      Heute früh sandte Dr. Hoffmann einen Boten, es solle sofort eine Liste aller Parteigenossen an den Kommandanten nach Wustrow eingereicht werden zwecks Arbeitseinsatz. [...]

[9]
Sonnabend, 16. Juni 1945.     

[9]      Der gestrige Tag verlief ziemlich ruhig. Vormittags ging eine Anzeige ein gegen das Geschäft Reichert-Saatmann, daß dort noch Lebensmittel verborgen gehalten würden. Ich ging gleich am Nachmittag mit zwei Polizisten hin u. ließ den ganzen Schuppen durchsuchen, in dem die Strandkörbe stehen, der andere Polizist blieb im Hause, um zu verhindern, daß inzwischen Sachen beiseite gebracht würden. Im Strandkorb-Schuppen fand sich nichts u. auch die Hausuntersuchung war ergebnislos. Mithin ergibt sich, daß das immer wieder auftauchende Gemunkel über Saatmanns ohne Unterlage ist. Die Haussuchung kann also für Saatmanns nur nützlich gewesen sein, da auf diese Weise die Haltlosigkeit all dieses Geredes erwiesen ist, – oder die Leute haben die Sachen so gut versteckt, daß sie nicht zu finden sind. [...]

[10]      Gestern Nachmittag war Herr Söhlke bei mir u. fragte mich um Rat, was er tun solle. Da er aus geschäftl. u. berufl. Gründen s. Zt. genötigt gewesen war, der Partei beizutreten u. die Gefahr immer größer wird, daß die ehemal. P-G's verhaftet werden oder sonst unangenehme Dinge zu erwarten haben, ist er nun in großer Sorge; aber die Art, wie er vor diesen Gefahren steht, ist sehr anständig u. männlich. Er verzichtet auf einen Versuch zur Flucht, der ja auch ziemlich aussichtslos wäre u. will hier das Weitere abwarten. Inzwischen arbeitet er beim Bauer Rieck auf dem Felde u. pflanzt Wrucken. Ich konnte ihm nur bestätigen, daß diese Haltung m. E. nach das Beste wäre, – mit einer Flucht könnte er höchstens seine Familie in Gefahr bringen u. ein Gelingen der Flucht ist sehr zweifelhaft. [...]

[10]
Sonntag, 17. Juni 1945.     

[...] [11] Gestern sagte der Wachtmeister Joseph, der nun wirklich unser Freund geworden ist, zu mir im Gemeindeamt, daß er nie für möglich gehalten hätte, daß die Russen Deutschland besiegen würde. Er erklärte den russ. Sieg allein aus dem unsinnigen Terror unserer Soldaten. Er sei, sagte er, von Leningrad bis zum Kaukasus gereist u. er habe die Verwüstung Rußlands gesehen. Es gäbe keine Dörfer u. keine Städte mehr, die Menschen hausten in den Wäldern u. alte Frauen hätten ihm schreckliche Dinge erzählt. Dadurch hätten wir selbst einen Haß großgezogen, der an sich vorher garnicht vorhanden gewesen wäre u. es sei dadurch die Partisanen-Bewegung hinter unserer Front so groß u. so erfolgreich gewesen. – [...]

[12]
Mittwoch, 20. Juni 1945.     

[...] [13]      Auch gegen den Bäcker Hagedorn sind allerhand Gerüchte im Umlauf. Dieser Kerl fährt, wie ich jetzt höre, täglich mit unserem Lastauto mit, um unterwegs allerhand Schiebergeschäfte zu machen. Mit ihm im Bunde ist der Fahrer des Autos, sowie die ehemaligen Maate Buchholz u. Richter von der Batterie, die mir längst als Schieber bekannt sind. – Aehnliche Gerüchte gehen über Frau Holzerland, die aus dem Darss Holz abfahren läßt, ohne daß man weiß, wo das Holz eigentlich bleibt. Mit ihr im Bunde ist ein althäger Bauer, der sein Gespann dazu stellt u. ebenfalls Holz für sich stiehlt. So sind wir überall umgeben von Schiebern, Dieben u. Halunken, die alles an sich bringen, was die Russen übrig lassen. [...]

[13]
Donnerstag, 21. Juni 1945.     

[...] [13]      Gestern Mittag brachte Dr. Hoffmann eine Anordnung des Oberbürgermeisters von Rostock, nach der sämtliche Flüchtlinge u. Evakuierten den Landkreis Rostock sofort zu verlassen haben. In Wustrow war diese Anordnung bereits durchgeführt worden, bis Dienstag war dort der Abtransport durchgeführt. Nun geschieht dasselbe hier. Alle haben bis Sonnabend Nachmittag Ahrenshoop zu verlassen. – Diese Maßnahme bedeutet natürlich für viele alte kranke u. schwächliche Leute eine fast unmenschliche Härte, denn Ausnahmen dürfen nur gemacht werden bei offenkundiger Transportunfähigkeit oder wenn ein Flüchtling in einem Betrieb angestellt ist, dessen Weiterbestehen durch einen Abtransport gefährdet wäre. So können wir die Leute behalten, die in der Gemeinde tätig sind u. auch in der Notgemeinschaft. Unsere alten Meyers müssen auch fort, was mir ganz besonders leid tut, u. mit vielen alten Mütterchen ist es nicht anders. Es kann einem das Herz zerreißen. Ich will wenigstens versuchen, Gespanne zu organisieren, die das Gepäck u. die ältesten u. schwächsten Leute nach Wustrow transportieren können. Von dort soll am Sonnabend um 930 Uhr ein Dampfer gehen. Von Ribnitz sollen nach beiden Richtungen Eisenbahnen verkehren, aber das alles ist sehr ungewiß. [...]

[14]
Sonnabend, 23. Juni 1945     

[...] [14]      4 Uhr Nachmittags. Heute früh um 6 Uhr begannen wir mit dem Abtransport der Flüchtlinge. Unser Lastauto fuhr zweimal nach Wustrow, außerdem vier Pferdefuhrwerke. Wir haben gestern noch viel Arbeit damit gehabt. Jeder mußte einen Passierschein in deutsch u. russisch haben, dazu Marschverpflegung, die schwer aufzutreiben war. Die Leute selbst machten viel Schwierigkeiten, weil viele von ihnen nicht fort wollten. Viele waren krank u. alt usw. Aber schließlich war's geschafft. [...]

[15]
Sonntag, 24. Juni 1945.     

[15]      Gestern kamen also wirklich alle Flüchtlinge wieder zurück, u. zwar wurden sie in Ribnitz auf der Straße von Hilfspolizisten gesammelt u. aufgefordert, wieder zurückzufahren. Es muß also der Stadtverwaltung eine diesbezügliche Anordnung aus Rostock zugekommen sein, erst nachdem der Dampfer dort angekommen war, denn sonst hätte man die Leute ja schon am Dampfer benachrichtigen können. Ein Grund für den Befehl wurde nicht angegeben aber es entstand nun das Gerücht von einem neuen Krieg Polens gegen Rußland. Ich ging gleich zum russ. Kommandanten, der mir aber keine Aufklärung geben konnte u. selbst nichts wußte. Die Zurückgekehrten waren zwar sehr müde u. erschöpft, aber schließlich doch froh, daß sie nicht noch weiter gefahren waren. [...]

[15]      Heute früh begann der Tag mit einer Haussuchung beim Bäcker Hagedorn, wo so viel verschobenes Mehl u. andere Waren – Schinken, Waschpulver, Nährmittel usw. – gefunden wurde, daß unser Lastauto in Anspruch genommen werden mußte, uns das alles abzufahren. Die Haussuchung wurde von der polit. Polizei aus Ribnitz durchgeführt, nachdem ich gestern Dr. Hoffmann mitgeteilt hatte, daß Hagedorn gestern nach Ribnitz gefahren sei, obwohl ihm grade am Tage vorher von Dr. Hoffmann diese Fahrten streng verboten worden waren u. er dadurch verhinderte, daß sein Geselle, der gestern mit den Flüchtlingen fortgehen sollte, abreisen konnte. Es fand dann im Gemeindeamt eine Vernehmung statt. Hagedorn hat, wie sich ergab, allein in diesem Jahre schon vier Schweine geschlachtet. Wir beschlagnahmten drei Schinken u. fünf Speckseiten. – Trotz dieses Ereignisses konnte ich dann doch noch die Sonntagsandacht abhalten mit nur 1/4 stündiger Verspätung. – [...]

[15]
Montag, 25. Juni 1945.     

[15]      Unser Kommandant war, wie mir gestern Abend Frau Kahl sagte, sehr ungehalten, weil er bei der Haussuchung bei Hagedorn nicht zugezogen worden war. Er war der Meinung, daß er hätte verhindern können, daß Althagen u. Wustrow an den beschlagnahmten Sachen beteiligt wurden, es hätte s. M. nach alles nur Ahrenshoop zu Gute kommen müssen. Auch fühlte er sich an u. für sich übergangen, denn s. M. nach müsse er als Kommandant von dergleichen Sachen in Kenntnis gesetzt werden. Da mir viel daran liegt, mit diesem trefflichen jungen Menschen auf bestem Fuße zu stehen, ging ich nach abends zu ihm hin. Ich traf ihn glücklicherweise vor dem Hause der Dolmetschers Dalschewsky, sodaß ich in der Lage war, ihm in dessen Hause [16] die Sache darzustellen. Ich konnte ihm sagen, daß ich selbst von der Sache erst unterrichtet wurde, nachdem die Haussuchung durchgeführt worden war. Als Dr. Hoffm. mich benachrichtigte u. als ich zum Gemeindeamt kam, stand das Lastauto mit den beschlagnahmten Sachen bereits dort. In meiner Gegenwart wurde nur die Verhandlung gegen Hagedorn geführt u. die Sachen wurden an die drei Gemeinden verteilt. Der Kommandant bestand darauf, künftig in allen ähnlichen Fällen zugezogen zu werden, aber er sah ein, daß mich selbst hier kein Vorwurf treffen konnte u. wir schieden nach sehr langem Gespräch, als gute Freunde, ja, wie mir schien, als bessere Freunde wie vorher. [...]

[17]
Mittwoch, 27. Juni 1945.     

[17]      Gestern suchte mich Frau Hagedorn auf, um nochmals über die Beschlagnahmung zu sprechen. Ich erfuhr von ihr, daß die beiden Herren von der polit. Polizei in Ribnitz bereits am Sonnabend Nachmittag dort gewesen waren u. das Haus durchsucht hatten. Dabei haben sie sechs oder acht harte Mettwürste in einen Koffer getan, der Hagedorn gehörte sowie andere Kleinigkeiten wie Nudeln u. auch 1/2 Pfund Bohnenkaffee, sowie Cigaretten u. Cigarren. Abends haben sie dann von Frau Hagedorn Abendessen verlangt u. haben drei Weizenbrote bestellt. Am Sonntag früh haben sie dann die eigentliche Haussuchung durchgeführt, wobei das Mehl u. das Rauchfleisch usw. beschlagnahmt wurde, während die anderen Sachen vom Abend vorher, darunter auch Spirituosen, verschwunden blieben. – Schon vorher hatte ich durch Rückfrage beim ehem. Schöffen Voss festgestellt, daß es mit den Schlachtscheinen seine Richtigkeit hatte u. Hagedorn rechtmäßig drei Schweine geschlachtet hatte. Mithin war die Beschlagnahmung des Rauchfleisches zu Unrecht erfolgt u. ich ließ es durch Leplow wieder ausliefern. Es ist ganz offensichtlich, daß diese beiden Kerle von der polit. Polizei in Ribnitz ganz gewöhnliche Gauner sind, die nur die Absicht der eigenen Bereicherung haben. Es ist das ein Skandal erster Güte. Ich werde sofort Dr. Hoffmann verständigen.

     Unsere Fleischversorgung ist ernsthaft gefährdet. Leplow hat stets in der Umgegend von Damgarten Fleisch gekauft. Jetzt hat der Bürgermeister von Damgarten im Verein mit dem dortigen russ. Kommandanten den Viehverkauf nach auswärts gesperrt u. da der Kommandant in Wustrow niemanden durchläßt, ist es nicht möglich, in Damgarten zu verhandeln. –

     Rührend sind einige Ahrenshooper Kinder, welche jetzt täglich ein Kasperle-Theater veranstalten, wobei sie Eintritt erheben. Den Betrag liefern sie dann an die Notgemeinschaft aus. – [...]