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Ahrenshoop, Mai 1943

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: Ahrenshoop, Mai 1943
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Entstehungsdatum: 1943
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Tagebuchauszüge zum Thema Ahrenshoop, Mai 1943
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Einführung

Der Artikel Ahrenshoop, Mai 1943 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Ahrenshoop vor und im Krieg“ zusammengestellten Tagebuchauszüge vom Mai 1943. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung].

Tagebuchauszüge

[1]
Ahr. Mittwoch den 5. Mai 43.     

[...] [1]      Gestern nachmittag Besuch Dr. Krappmann, der mir ein Buch: „Stalin", von Essad Bey, mitbrachte, welches im Jahre 1931 bei Kiepenheuer erschienen ist. Es ist eine Biographie u. – so weit ich bis jetzt darin gelesen habe, sehr interessant.

[...] [2]      Das Stalin-Buch ist ungemein interessant, besonders, wenn man diesen Menschen mit unserem Hitler vergleicht. Dort ein skrupelloser, von keinem Gefühl u. keinem spekulativen Gedanken gehemmter Bandit, – hier ein sentimentaler Spießer, der toll geworden ist u. aus dieser Tollheit heraus nicht weniger skrupellos, jedoch viel weniger ein brutaler Tatmensch wie Stalin, sondern ein gerissener Gauner, der seine Schurkereien selbst noch vor sich selber mit idealistischer Sentimentalität verkleidet.

[3]
Mittwoch, 19. Mai 1943.     

[...] [3]      Heute Vormittag habe ich zum ersten Male in diesem Jahre im Geschäft gearbeitet. Ware ausgezeichnet, besonders Ware von R. Weckmann, fast alles grauenhafter Kitsch zu horrenden Preisen. Bisher haben wir an Waren weniger als die Hälfte von dem bekommen, was wir voriges Jahr hatten u. es scheint, als wollte dieser Warenschwund noch weiter zunehmen. Es wird schwer sein, in diesem Jahre einen Verdienst aus dem Geschäft zu gewinnen. – Heute Abend brachte Fritz die Nachricht, daß vom 1. Juni an die Telephongebühren um 50% teurer werden sollen, die Fahrpreise der Eisenbahn um 100%. Das wäre also das erste offene Zeichen der Inflation, obschon von Seiten der Regierung diese Preiserhöhung als „Kriegszuschlag“ bezeichnet wird, womit ausgedrückt werden soll, daß es sich nicht um eine Preiserhöhung, sondern um eine Steuer handelt. –

     Vor drei Tagen haben die Engländer zwei Stauseen bei uns gesprengt, den einen im Ruhrgebiet, den andern bei Kassel. Die Sprengung scheint vollkommen geglückt zu sein u. es ist eine furchtbare Katastrophe eingetreten. Abgesehen davon, daß weite landwirtschaftliche Gebiete total vernichtet sind, sind auch die dazugehörigen Kraftwerke zerstört, sodaß riesige, kriegswichtige Industrien lahmgelegt worden sind. Die Regierung ist von dieser Katastrophe derart beindruckt worden, daß sie ihren Schrecken darüber nur sehr schlecht verbergen konnte. Das Einzige, was sie zu sagen wußte, war ein Wutschrei gegen die Juden, die angeblich auf diese Idee gekommen sein sollen. So kommt eins zum anderen u. es geht immer weiter abwärts. –

[4]
Sonntag, 30. Mai 1943.     

[...] [4]      Die Luftbombardements im Ruhrgebiet nehmen jetzt immer mehr zu, aber die Bombardements auf Sizilien können bald kaum noch zunehmen. Der Angriff ist wohl also von dort her zu erwarten, wenn es nicht ein Bluff ist, um unsere Herresleitung irrezuführen. Von unseren U=Booten ist so gut wie nichts mehr zu hören. Vor einiger Zeit, es sind erst einige Wochen her, hat Herr Dr. Goebbels im Reich geschrieben: „Die Engländer haben uns beim Handgelenk wir aber haben sie an der Gurgel.“ Er meinte damit unseren U=Bootkrieg. Jetzt nimmt Herr G. das Maul weniger voll, er weist im Reich nach, daß ein Krieg ohne Krisis eben kein rechter Krieg wäre u. er tut so, als ob die gegenwärtige Krisis ein Garant unseres endgültigen Sieges wäre. – Schwätzer! –

     Morgen eröffnen wir die Bunte Stube. In den letzten beiden Tagen habe ich mich bemüht, zu dekorieren, dabei merkte ich erst recht, wie wenig Ware wir haben. Obwohl wir etwa die Hälfte des Geschäfts abgeteilt haben u. einen erheblichen Teil einfach leer lassen, ist es kaum möglich, den verbleibenden Rest auch nur annähernd mit Ware zu füllen. Und was für Ware! Früher wären wir schamrot geworden, heute freuen wir uns, den allerübelsten Kitsch hinstellen zu können.