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Ahrenshoop vor und im Krieg

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Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: Ahrenshoop vor und im Krieg
Untertitel: Tagebuchauszüge zusammengestellt von Stefan Isensee
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Herausgeber: Stefan Isensee
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Entstehungsdatum: 1936 bis 1945
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Tagebuchauszüge zusammengestellt von Stefan Isensee zum Thema Ahrenshoop aus der Zeit 1936 bis 1945
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Einführung

Der Artikel Ahrenshoop vor und im Krieg zeigt die von Stefan Isensee zusammengestellten Tagebuchauszüge zum Thema Ahrenshoop aus der Zeit 1936 bis 1945. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung]. Der Text wird originalgetreu wiedergegeben, alle orthografischen und grammatikalischen Besonderheiten und Fehler des Originaltextes wurden in das Transkript übernommen.

Vorwort von Stefan Isensee zu seiner Auswahl von Tagebuchauszügen zum Thema „Ahrenshoop vor und im Krieg“

Hans Brass, Berliner Maler, Mitglied des „Sturm“, später der „Novembergruppe“, hatte 1922 zusammen mit seiner zweiten Ehefrau Martha Wegscheider in dem bekannten Badeort und Künstlerdorf Ahrenshoop die „Bunte Stube“, ein originelles Geschäft für Kunstgewerbe und Waren des täglichen Bedarfs, gegründet. 1931 war er nach Berlin zurückgekehrt, um seine Karriere als Kunstmaler neu aufzunehmen. 1934 hatte er dort begonnen, ein sehr ausführliches Tagebuch zu schreiben, das er bis zu seinem Tod 1959 fortführte. Die hier veröffentlichten Auszüge umfassen einen kurzen Aufenthalt in Ahrenshoop von Juni bis August 1936 sowie die Zeit seiner erneuten Übersiedlung nach Ahrenshoop im April 1938 bis zum 30. November 1945.

In den von ihm nicht zur Veröffentlichung gedachten Aufzeichnungen hielt er von alltäglichen familiären Ereignissen über Politik, Kunst, später vor allem den Kriegsverlauf, alles fest, was ihm durch den Kopf ging. Diese sehr persönlichen Texte zeichnen ein plastisches Bild der Schrecken des ganz alltäglichen Lebens in Deutschland zur Zeit der Naziherrschaft und ihres Niedergangs, und des unermesslichen Grauens des Krieges, wie kein Geschichtsunterricht es vermitteln kann. Nach der Lektüre wird man dem allzu oft gehörten „Das habe ich nicht gewusst“ keinen Glauben mehr schenken können und das Wort von einer „Kriegstüchtigkeit“ als deutscher Pflicht nicht wieder gebrauchen wollen.

Für den Kunstliebhaber besonders interessant dürften die Abschnitte über Brass‘ Wiederaufnahme der Malerei. sein. Nach jahrelangem Verzicht auf künstlerische Tätigkeit, von den Nazis mit Malverbot belegt, begann er ab Mitte Juni 1944, als die militärische Niederlage Deutschlands und damit das Ende des Naziregimes absehbar waren, eine neue Schaffensperiode.

Zur Erleichterung der Lektüre wurden allzu umfangreiche, kaum interessante Ausführungen persönlich-familiären Inhalts und einige überlange militärische Detail-Erörterungen gekürzt.

Stefan Isensee

Potsdam, 2. Oktober 2024

Tagebuchauszüge

Ahrenshoop, 1936

[1101] Sonntag, den 28. Juni 1936.

[1102]      Eigentümlicherweise kann ich nicht in Ahrenshoop sein, ohne zu fühlen, daß mich doch ein gewisses Heimatgefühl mit diesem Orte verbindet. Zehn Jahre habe ich hier gewohnt, vier Jahre war ich Gemeindevorsteher dieses Ortes, u. es ist eine ganze Masse hier, was ich gemacht, geschaffen u. eingerichtet habe. Ich habe der Gemeinde einen anständigen Bürgersteig gepflastert, habe teilweise Wege ausgebaut u. gut hergerichtet, habe an die 100 Bäume gepflanzt, habe der Gemeinde ein großes Grundstück mit einem Gemeindehaus gekauft u. letzteres eingerichtet, für die Schule habe ich moderne Schulbänke beschafft usw. – das sind doch alles Dinge, die nun weiterleben u. die mich grüßen, wenn ich komme. Am Wesentlichsten aber ist, daß ich in den ersten Nachkriegswintern, in denen ich hier allein u. abgeschlossen ein Einsiedler-Dasein führte, bereits den Grund gelegt habe zu meinem heutigen Glaubensleben. Ich wußte es damals nicht, – ich suchte u. grübelte, – ohne zu finden, – bis ich's aufgab u. mich in weltliche Unternehmungen stürzte, Marias Geschäft „Die Bunte Stube“ einrichtete u. nachher die Gemeinde führte. Und dann kam der große Rückschlag, – der Autounfall, das monatelange Schmerzenslager, Lückes tragischer Tod u. ein Sommer voll seelischer Qual u. Ungewißheit. – Damals wußte ich nicht, was ich wollte, – nur fort, – fort von hier, – von allem fort! Und so kam ich nach Berlin u. zu P. Albertus u. zum göttlichen Heiland, der mich in Seine liebenden Arme nahm u. mich nicht mehr los ließ. –

     Ich weiß heute zu genau, daß alles u. jedes, selbst das Geringste und Unscheinbarste meines Lebens mit Wissen u. durch Fügung Gottes geschehen ist u. es ist unmöglich, daß es nicht auch in Zukunft so sein sollte. Deshalb ist es ganz töricht, sich darüber Gedanken zu machen, was in der Zukunft sein wird, es wird genau so sein, wie Gott es will u. um so vollkommener, je weniger ich durch eigenes Tun Gottes Absichten störe. Aber grade deshalb ist es nötig, hellhörig u. feinfühlig zu sein, um auf das leiseste Zupfen Gottes am Rockärmel sofort zu reagieren u. Ihm zu folgen. Es ist nötig, daß ich mich offen halte jedem leisen Wink. Und so ist es ja zweifellos ein Wink [1103] Gottes, daß ich jetzt wieder hier sein darf u. wohl ziemlich lange bleiben werde. Was Gott damit bezweckt, weiß ich ja nicht u. das kann mir ja auch gleichgültig sein, Hauptsache ist nur, daß ich nicht innerlich träge bin, sondern daß ich alles begreife. –

     Ich begreife nun, daß dies ein Ort ist, der manches von meinem Wesen an sich trägt, was mich grüßt. Ich begreife auch, daß besonders die einfachen Leute, für die ich in meiner Amtszeit hier u. da etwas tun konnte, mich gern haben u. mich freundlich begrüßen u. ich begreife auch, daß die besseren Einheimischen, oder gar die Villenbesitzer, im Bogen um mich herumgehen u. mich ebenso mißtrauisch u. gar feindlich behandeln, wie in meiner Amtszeit. Bei diesen erfreue ich mich keiner Sympatie. – Was mir also hier entgegenkommt, das ist diese sehr rauhe Natur, die Bäume, die sich nur mühsam gegen Wind u. Wetter behaupten u. die einfachen, kleinen Leute, die sich ebenso mühsam durchschlagen, wie die Bäume. Was mir hier entgegenkommt, das ist eigentlich dasselbe, was mich aus dem wohlhabenden Westen Berlins nach dem Osten getrieben hat, es ist meine Liebe zu allem, was ein schweres, mühsames Leben hat, während die satte Behaglichkeit des Reichtums mich abstößt.

     Nun sehe ich in diesem Jahre mehr als früher die Verworfenheit dieses satten Behagens der sogenannten reichen Leute. Ich habe immer, auch in meiner Amtszeit, eine große Abneigung gehabt gegen diese Sommergäste, war aber gerade in meiner Amtszeit dazu verurteilt, für das Wohlergehen u. die Genußsucht gerade dieser Menschen zu sorgen. Ich tat es mit Freude nur insofern, als dadurch die Einheimischen Geld verdienten u. sie dadurch ein besseres Leben hatten. Indessen war der Erfolg davon nur der, daß auch sie durch höheren Verdienst moralisch geschädigt wurden, nicht zum Wenigsten durch die Unmoral u. Genußsucht der Sommergäste.

     Ich erkenne heute, daß dieses ein falscher Weg war.

[1104] Freitag, den 10. Juli 1936.

[1104]      Gestern war ich mit Maria zur Feier meines Geburtstages in das hiesige sogenannte „Kaffee Namenlos“ gegangen.

[...] [1104] Zu Hause angekommen, sehe ich zwei Schwestern über die Straße gehen. Richtig waren es Schwestern aus Müritz, die Oberin u. eine andere, die ich nicht kannte, – sie gingen in die Bunte Stube. Als ich auch dorthin ging, waren sie schon mit Maria in deren Wohnzimmer u. der Rektor war auch da. [...] [1104] Wir gingen dann in die Bunte Stube, da waren alle Kinder aus dem Heim dort u. es war ein großer Trubel. Alle blieben ziemlich lange. Zufällig waren auch sonst viele Badegäste grade da,

[...] [1104]      Während dieses ganzen Ereignisses hatte aber, – ohne daß ich etwas davon gemerkt hatte, – der böse Feind nicht geruht. Jenseits der Straße, der Bunten Stube gegenüber, hatte der Oberpräsident der Provinz Pommern, der hier irgend etwas zu besichtigen hatte, gestanden, u. mit ihm der Amtsvorsteher aus Prerow, zu dessen Bezirk Ahrenshoop gehört. Dieser letztere ist ein sogenannter „alter Kämpfer“, ein früherer Arbeiter, der aus irgend welchen unbekannten Gründen einen Haß auf Maria u. ihre Bunte Stube hat u. der schon in der Judenhetze im vorigen Jahre seine Finger im Spiele gehabt hat. Dieser benutzte gestern die Gelegenheit, um den Oberpräsidenten ebenfalls gegen Maria zu hetzen, wozu ihm die Erscheinung des katholischen Priesters u. der beiden Schwestern Anlaß bot. Zum Glück war außerdem noch der Oberförster aus Born dabei u. der Staatsrat Lorenz aus Hamburg, der hier Sommergast ist u. ein Reichstagsabgeordneter v. Alvensleben, lauter Leute, die zwar dem Gesicht nach Nationalsozialisten sind, [1105] die aber alle gern in die Bunte Stube kommen u. Maria wohlwollend gegenüberstehen. Diese alle haben dem fanatischen und beschränkten Amtsvorsteher gegenüber die Stange gehalten, doch war, wie mir Maria sagt, Herr von Alvensleben heute in der Bunten Stube u. hat Maria gesagt, daß sich gestern das Gespräch unter jenen Herren noch stundenlang um die Bunte Stube gedreht habe. – Er soll gesagt haben, daß Maria nichts zu fürchten brauche, doch solle sie sich möglichst ruhig verhalten u. nichts Besonderes unternehmen, denn man kann nicht wissen, wohin dieser merkwürdige Haß dieses Amtsvorstehers diesen noch führen kann. –

     Die Sommergäste sind nicht weniger vom Anblick des Priesters u. der Schwestern erregt worden, wie mir Maria sagt – u. selbst diejenigen, mit denen sie auf gutem Fuße steht, entblöden sich nicht, teils taktlose, teils gehässige Bemerkungen zu machen,

[...] [1105] Was ist geschehen? Ein Priester u. zwei Schwestern gehen still durch's Dorf hinter ihnen her eine Schar von armen Kindern, die von ihnen kostenlos verpflegt u. betreut werden, – u. alle Sommergäste benehmen sich wie Ameisen, in deren Haufen man einen Gegenstand geworfen hat. „Was wollen die hier?!“ fragt man. Als ob es Menschen wären, die kein Recht haben, durch das Land zu gehen. –

[Martha Wegscheider bzw. die Bunte Stube unterstützten ein katholisches Kinderheim in Graal-Müritz]

[1106] Montag, den 27. Juli 1936.

[...] [1106]      Hier in Ahrenshoop hatte ich dann zum ersten male Gelegenheit, ein nationalsozialistisches Fest aus der Nähe zu beobachten. – Man hat vor 2 oder 3 Jahren außerhalb des Dorfes nach dem Darß zu zwei Blockhäuser erbaut, die damals als Erholungsheim für Flieger gedacht gewesen sein sollen. Aus irgend welchen undurchsichtigen Gründen sind die ziemlich großen Häuser indessen niemals ihrem Zweck zugeführt worden u. sie sind von der Hand einer nationalsozialistischen Formation in die andere gegangen. Jetzt neuerdings hat irgend eine neue Formation, die irgend etwas mit der Luftfahrt zu tun haben will, diese Häuser übernommen u. hat ein „Wirtschaftsgebäude“, – d.h. eine Küche, – dazu gebaut. Das ganze soll nun als „Urlauberheim“ für diese Formation dienen. Dieser Küchenneubau wurde gestern eingeweiht. Zu diesem Zweck hatte man mehr als 1000 Menschen hier zusammengetrieben, teils aus Berlin. Der Staatssekretär General Milch mußte dazu Reden halten u. Fronten abschreiten, – es gab 2 Musikkapellen, Umzüge u. Volkstänze, zu welchem Zweck einige Volksgenossen in eine Tracht gesteckt worden waren, welche angeblich einmal Vorpommersch gewesen sein soll. Am Abend gab es dann noch einen Fackelzug mit der üblichen Musik. Kurzum, es war ein Volksauflauf erster Güte, riesige Lastautos hatten die Leute zusammen gebracht, um die Fertigstellung dieser Küche gebührend zu feiern. Da das Dorf durch die Sommergäste so wie so überfüllt ist u. da außerdem noch viele Leute aus der Umgegend bis Rostock zusammengeströmt waren, läßt sich leicht vorstellen, welcher Betrieb hier herrschte. Viele von diesen Leuten fanden am Abend keine Gelegenheit mehr, nach Ribnitz oder Rostock zurück zu kommen u. da im Dorf auch keine Betten mehr zu haben waren, mußten diese in den Nachbardörfern schlecht u. recht übernachten. – Das Ganze war ein Tag des Lärms u. des Radaus. Die Gastwirte haben vermutlich ein gutes Geschäft gemacht u. auch Marias Geschäft hat einen Großkampftag gehabt im Verkauf [7] von Ansichtskarten, Cigaretten, Schokolade u. Bonbons. –

     Als wir mittags von Müritz zurück kamen, war mein Kollege Schulze-Jasmer aus Prerow hier. Er erzählte mir folgende amüsante Geschichte:

     Die nationalsozialistische Vereinigung der Vorpommerschen Künstler hatte beschlossen, eine Wanderausstellung in Vorpommern zu veranstalten. Da die Kunstwerke dieser Herren aber doch nicht ausreichten, um ein solches Unternehmen zu wagen, blieb nichts anderes übrig, auch solche Künstler aufzufordern, die „politisch belastet“ sind. Zu diesen gehört Schulze Jasmer u. ein anderer Künstler, ich glaube Lattner oder ähnlich, aus Anklam. Man forderte sie also auf u. Schulze Jasmer sandte 5 Bilder, von denen zwei dann zurückgewiesen wurden, weil sie angeblich zu sehr den Bildern des Karl Hofer nahe stünden. Darauf wurde die Ausstellung in Stralsund gemacht u. es wurden von den drei Bildern des Schulze Jasmer zwei Bilder verkauft u. ein Bild von jenem anderen „belasteten“ Künstler aus Anklam. Sonst wurde nichts verkauft. Die Ausstellung ist gegenwärtig in Demmin. Schulze-Jasmer hat die verkauften Bilder durch andere ersetzt. Das Ergebnis in Demmin ist nun dasselbe wie in Stralsund, – Schulze Jasmer verkauft, die anderen nicht. – Man sieht daraus, daß die nationalsozialistischen Künstler, die angeblich allein in der Lage sind, die dem deutschen Volksgenossen, „artgemäße“ Kunst zu fabrizieren, unter sich bleiben, die artgemäßen Volksgenossen halten sich lieber an die „belasteten“ Künstler. Ähnlich war es mit dem gestrigen Volksfest. Dieses Fest mag „artgemäß“ gewesen sein für die 1000 fremden Leute, die man zusammengetrommelt hatte u. die Parteiuniformen trugen oder jene Verkleidung, sprich Volkstracht, vorpommerscher Fischer, diejenigen aber, die hier in Ahrenshoop Ruhe u. Erholung suchen u. die seit Jahren hierher kommen, die waren im höchsten Grade belästigt durch diesen lärmenden Radau. Es fällt so wie so schon auf, daß sich der Charakter des Badepublikums seit zwei Jahren bedenklich verändert, – in diesem Jahre scheint mir das besonders spürbar zu sein. Wenn sich dergleichen Veranstaltungen wie gestern noch ein paar mal wiederholen, dann ist Ahrenshoop ruiniert. Man spricht davon, daß jener Küchenneubau nur der Anfang sein soll für umfangreiche weitere Bauten für die Urlauber von Formationen. Platz genug ist da, die ganze Kuhweide steht ihnen zur Verfügung. Freilich haben dann die Kühe keine Weide mehr. Aber jetzt schon hört man, daß die Büdner gern geneigt sind, ihre Kühe abzuschaffen, denn deren Pflege macht mehr Arbeit, als der leichtere Verdienst der aus einer heerdenmäßigen Ansammlung von Menschen zu erhoffen ist. – Man pflegt angeblich, die artgemäße Tradition der Bevölkerung u. schwätzt ihnen dazu allerhand bunte Trachten auf, mit denen sie wie auf einem Maskenball umherlaufen, – aber man verleidet ihnen ihre Kühe. Unter „artgemäß“ verstehen diese Leute das, was sie sich in ihren uniformierten Formationen denken: Radau u. Lärm. – So ist es überall. Dieses ganze Geschwätz entsteht irgendwo in Großstädten unter Leuten, die keine „Art“ mehr haben. Die „Artlosigkeit“ ist artgemäß. –

[1108] Mittwoch, d. 5. August 1936.

[...] [1108]      In den Tagen um den 1. August wurde es sehr leer in Ahrenshoop, wahrscheinlich, weil am 1. August in Berlin die Olympiade begann. Inzwischen sind aber neue Menschen gekommen u. die Sorge Marias um den Ertrag ihres Geschäfts ist wieder etwas behoben. Leider ist das Wetter dauernd schlecht, kalt, regnerisch, stürmisch. –

[...] [1108]      Die Zeitungen u. Zeitschriften sind angefüllt mit Berichten über die Olympiade, – etwas anderes scheint in der Welt nicht mehr zu existieren, Berlin scheint in einem Taumel zu sein. Niemand achtet auf den blutroten Hintergrund des spanischen Bürgerkrieges, vor dem sich diese Olympiade abspielt. Man redet vom Fest des Friedens u. der Völkerversöhnung, es ist wie offener Hohn.

[...] [1108]      Von den deutschen Kriegsrüstungen ahnt man mehr, als wie man sieht u. hört. Hier gleich neben Ahrenshoop sind die versenkten Geschützstände auf dem Hohen Ufer fertig, ebenso die neuen Wasser= u. Landflugplätze in der weiteren Umgebung. Die Flugmaschinen, einzeln u. in Geschwadern, sausen über unseren Köpfen. Von England liest man, daß es unter gewaltigem Kostenaufwand für den Krieg rüstet u. heute las ich, daß es seinen Goldbestand seit einem Jahre fast verdoppelt hat, obgleich das englische Pfund keine Goldwährung ist. Von Belgien las ich kürzlich, daß es seinen letzten Jahrgang nicht aus der Armee entlassen habe. Frankreich u. Rußland können nicht mehr rüsten, als sie es schon getan haben. Italien ist hochgerüstet noch von seinem abessinischen [1109] Kriege her, – was in Österreich ist, weiß man nicht. Das kürzlich zwischen Österreich u. Deutschland abgeschlossene neue Bündnis, das die bisherige Spannung aufgehoben hat, ist höchst undurchsichtig, – niemand weiß, was damit in Wirklichkeit ist. – Nach den Zeitungsnachrichten, die aber vielleicht tendenziös sind, sieht es so aus, als unterstütze Frankreich die Links=Regierung in Spanien mit Waffen u. Flugzeugen, während Italien auf dieselbe Weise die Aufständischen zu unterstützen scheint, obgleich darüber unsere Zeitungen so gut wie nichts schreiben. – In Athen ist gestern ein Generalstreik, angeblich von den Kommunisten entfacht, ausgebrochen u. man hat den Belagerungszustand angeordnet. – Zur Olympiade ist der Kronprinz von Italien in Berlin, u. wie ich aus einem Bilde ersehe, auch zwei Söhne von Mussolini, – selbstverständlich diese alle als Privatpersonen, – aber – ;

Ahrenshoop, 1937

[1201] Mittwoch, den 28. April 1937.

[1201]      Nun bin ich schon fast 14 Tage in Ahrenshoop.

[...] [1202]      Im Geschäft, der Bunten Stube, geht das Leben langsam an. Es war in diesen Tagen fast immer zu kalt, um etwas dort zu tun, trotzdem habe ich ein wenig gezimmert, um eine bessere Möglichkeit der Auslage zu erreichen. Es ist so schwer, hier Handwerker zu bekommen, man kann nur das Notwendigste machen lassen u. auch hiervon bleibt manches unausgeführt. –

     Fritz ist voller Tätigkeit u. Fröhlichkeit. Er freut sich, daß wir hier sind. Auch die Dorfleute freuen sich, wenn sie mich begrüßen. Das ist alles sehr nett u. schön.

[1203] Sonntag, den 6. Juni 1937.

[...] [1203]      Die Arbeit im Geschäft ist recht unangenehm; aber in gewisser Beziehung macht sie auch Freude. Auf meine Veranlassung sind Ausstellungsschränke aus Glas angeschafft worden, die zwar teuer waren, die aber ein besseres Herausbringen der Waren ermöglichen u. bestimmt den Umsatz steigern werden. Auch sonst habe ich verschiedene Sachen neu eingerichtet, um die Ware besser ausstellen zu können. Im Laden selbst gebe ich mir Mühe, diejenigen Leute rauszuekeln, die sich seit Jahren an Maria herangemacht haben u. die mit ihrem anmaßenden u. vordringlichen Wesen einen Ton in das Leben bringen, der dem Geschäft überaus abträglich ist. Diese Leute kaufen fast nichts, doch habe ich sie in Verdacht, daß sie stehlen.

[...] [1204] Fritz ist dadurch der Rücken gestärkt worden u. er unterstützt mich darin, geht freilich etwas weit. Aber grade dadurch ist es ihm gelungen, ein junges Mädchen, die Jahre lang im Geschäft beschäftigt worden ist u. die der erklärte Liebling Marias war, die aber nichtsdestoweniger seit Jahren gestohlen hat, nun endlich auf frischer Tat zu ertappen u. sie endgültig hinauszubefördern.

[...] [1205]      Politisch spitzen sich die Dinge mehr u. mehr zu. Da ist jetzt der Zwischenfall in Spanien gewesen, wo unser Kriegsschiff „Deutschland“ von Fliegerbomben getroffen wurde u. wo daraufhin die Stadt Almeria von unseren Schiffen bombardiert wurde. Im Innern sehen die Dinge immer böser aus. Hier auf dem Lande ist die Stimmung gegen die Regierung viel offenkundiger u. unverhohlener, wie in der Stadt u. man schimpft laut u. ungeniert. Die Rohstoffknappheit wird immer schärfer, – auch unsere Lieferanten können vieles [1206] nicht liefern wegen Mangels an Rohstoffen. Mitten in diese Stimmung hinein platzte der Untergang unseres Luftschiffes „Hindenburg“ – [...]

[1206] Sonntag, den 20. Juni 1936.

[1206]      Heute Nachmittag war ich nicht im Geschäft. Ich bin täglich 10 Stunden an der Kasse, oder dekoriere usw. Es ist eine anstrengende, aufreibende u. recht unangenehme Tätigkeit, bei der man seelisch Hunger leidet.

[...] [1206] Bis zum 1. Juni haben wir 1000 Rm. mehr umgesetzt, als im Vorjahre u. auch jetzt im Juni sind die Tageskassen weit höher. Ich glaube nicht, daß sich der Umsatz selbst gesteigert hat, sondern daß eben jetzt alles Geld in die Kasse fließt, während früher diese Beträge in den Taschen der Angestellten blieb. – Meine Gegenwart lohnt sich also offenbar, indessen zittern mir dabei oft die Nerven. Es wird gut gehen, wenn die Ordnung eingehalten wird, d.h. die Geschäftszeit u. die Sonntagsruhe. Das aber ist eben die Gefahr. Ich habe mit Maria in dieser Woche bereits eine Auseinandersetzung gehabt, weil sie abends nach 9 Uhr im Geschäft an Dienstmädchen verkauft hat. Abgesehen davon, daß das ungesetzlich ist, ist das auch die Quelle von Betrügerei, Verlust u. Diebstahl, denn diese Dienstmädchen wissen ganz genau, daß sie in dem schlecht erleuchteten Geschäft stehlen können, was ihnen gefällt. Im vorigen Jahre dehnten sich diese [1207] Abendverkäufe oft bis 11 Uhr Abends aus u. was da gestohlen worden ist, sowohl von der Kundschaft wie von Angestellten, das läßt sich garnicht berechnen. Außerdem aber ist Maria dann am nächsten Tage müde u. abgespannt u. sie kann dann das ordentliche Geschäft nicht ordentlich erledigen. Die Folge ist neuer Verlust.

[1208] Montag, den 13. September 1937.

[1208]      Der Sommer ist vorbei!

     Dieser Betrieb war übermäßig anstrengend – aber sehr lohnend. Vor allem hat Maria zum Glück sehr rasch Einsicht bekommen u. hat sich in allem nach mir gerichtet. Die Geschäftszeiten wurden pünktlich eingehalten u. Sonntags schlossen wir überhaupt, obgleich uns vom Gemeindeamt mitgeteilt wurde, daß wir die polizeiliche Erlaubnis hätten, am Sonntag wie am Wochentage aufzuhalten. Wir verzichteten aber ganz darauf mit Ausnahme von 1 1/2 Stunden des Mittags, wo wir die Zeitungen u. sonstige Kleinigkeiten abgaben. Wir benutzten die Sonntagsruhe, um Bücher u. Rechnungen in Ordnung zu bringen, – u. das hat sich gelohnt. –

     Die Saison war von sehr schönem Wetter begünstigt, besonders im August. Der Besuch der Badegäste war viel höher als sonst, es waren über 3000 Gäste hier. Diese Zahl ist früher noch nie erreicht worden. Dementsprechend war unser Umsatz viel höher als früher; aber das allein kann das gute Geschäft nicht rechtfertigen. Das Geschäft hatte im vorigen Jahre einen Umsatz von nicht ganz 20.000 Rm., während in diesem Jahre jetzt schon mehr als 30.000 Rm. umgesetzt sind. Dazu kommt noch eine kleine Einnahme von etwa 1000 Rm. für den Rest des September u. 600 Rm. Außenstände, die nach u. nach hereinkommen. Der Umsatz wird also in diesem Jahre um 11 bis 12000 Rm. höher sein, – u. das kann nicht allein am höheren Besuch liegen. Es muß eben in früheren Jahren sowohl vom Publikum, wie von Angestellten unerhört gestohlen worden sein u. dem habe ich einen Riegel vorgeschoben durch größte Aufmerksamkeit u. dadurch, daß ich Glasschränke angeschafft habe. Auf diese Weise ist der Umsatz an manchen Sachen, besonders an Cigaretten u. Schokolade, viel niedriger, als im vorigen Jahre; aber die Einnahmen sind viel höher. Dies ist der klarste Beweis, daß früher sehr viel gestohlen worden ist.

     Die sehr teuren Glasschränke sind also rentabel gewesen u. haben sich in einer einzigen Saison bezahlt gemacht. Ich werde im nächsten Jahre noch mehr davon anschaffen. Auch baulich werden einige Veränderungen nötig sein, das Geschäft braucht für manche Artikel mehr Raum, u. einige ganz unrentable Sachen müssen abgestoßen werden.

[...] [1209]      Durch die höhere Einnahme des Geschäftes konnten in diesem Jahre endlich alle alten Warenschulden restlos abgedeckt werden. Allerdings ist kaum etwas als Überschuß übrig geblieben, u. das Leben im Winter muß von den Einnahmen bestritten werden, die aus der Zimmervermietung im großen Hause gekommen sind. Diese Einnahmen hätten viel großer sein können, wenn das Frl. Schmidt sich besser darum gekümmert hätte. Leider aber hat sich dieses Mädchen als ein ganz unfähiges, albernes u. vergnügungssüchtiges Ding entpuppt, sodaß wir froh waren, als sie uns am 1. September verließ. Trotzdem reicht das eingenommene Geld für den Winter, wenn nicht unvorhergesehene Dinge eintreten.

     Vor solch unvorhergesehenen Dingen ist man freilich nie sicher

[...] [1210] Als bemerkenswertes Ereignis steht mir ein häßliches Flugzeugunglück vor meiner Erinnerung. Der Fliegerhorst Pütnitz hatte sich unseren Küstenstrich dazu ausersehen, Schießübungen zu veranstalten u. täglich donnerten die Flugzeuge über unseren Ort, oft so niedrig, daß man Angst bekam. Eines Abends stürzte eine dreimotorige Maschine im Darss ab, von den 10 Insassen waren 8 Mann tot u. total verbrannt. [1211] In diesen Tagen beginnen die Manöver u. man sagt, daß hier in dieser Gegend viel los sein wird, weil die Marine u. die Fliegerei daran beteiligt sein werden.

[1211] Mittwoch, den 22. September 1937.

[...] [1212]      Das große Manöver zieht seine Kreise bis hierher. Wir sitzen abends bei hermetisch dicht verschlossenen Fenstern, damit kein Lichtschein nach außen dringt, aber sonst merken wir nichts, außer gelegentlichem fernen Kanonendonner u. einigen Patrouillenbooten draußen auf See. Das große Völkermorden wird organisiert.

Ahrenshoop, 1938

[1301] Dienstag den 26. April 1938.

[...] [1302]      Nach den Ostertagen ging hier gleich die Arbeit los. Ich firnißte den Fußboden der Bunten Stube, eine sehr anstrengende Arbeit, die mich drei volle Tage in Anspruch nahm u. mich erschöpfte. Jetzt bereiten wir die Saison vor. Das Geschäft sieht sehr viel besser aus, als im vorigen Jahre. Auf meine Veranlassung haben wir eine beträchtliche bauliche Vergrößerung durchgeführt u. haben die Einrichtung wesentlich verbessert. Ich hoffe, daß sich diese Verbesserungen bestens auswirken mögen, damit im Herbst Geld vorhanden ist, um unser Haus mit Wasserleitung, Badestube u. neuer Küche zu versehen. Ich möchte dann gern unten zu ebener Erde wohnen.

[1302] Müritz, den 23. Oktober (Sonntag) 1938.

[...] [1303]      Geschäftlich war die Saison wieder recht günstig, aber sonst, war es wieder eine schlimme Zeit, die endlich ihren Abschluß fand mit den dramatischen Ereignissen, die um Haaresbreite am Kriege vorbei führten. Dieser Krieg aber ist nur aufgeschoben, was mit immer fürchterlicherer Gewißheit sichtbar wird. Diese Ereignisse haben das nationalsozialistische Regime keineswegs gefestigt, vielmehr stellt sich immer deutlicher heraus, daß der Führer unter seinen Getreuen erhebliche Einbuße erlitten hat. Man spricht überall ganz offen davon u. es sieht sehr besorgniserregend aus. Hinzu kommt, daß die aggressive Haltung der Regierung gegen die Kirche immer unverhohlener wird. Aus Wien kommen beunruhigende Gerüchte über ausländische Sender, – die ganze Welt spricht von den skandalösen Ausschreitungen gegen Kardinal Innitzer, nur wir in Deutschland hören nichts davon. Das Berliner Kirchenblatt ist seit langer Zeit ganz verboten, sodaß auch diese Quelle, die hier u. da etwas zwischen den Zeilen erraten läßt, verstopft ist. Es ist fürchterlich, wie sich die Dinge mit quälender Langsamkeit mehr u. mehr zuspitzen.

[1939: Schwere Krankheit mit Schädeloperation]

Ahrenshoop, 1940

[1401]
Sonnabend, den 13. April 1940.     

[...] [1401]      Seit der letzten Eintragung ist fast ein Jahr vergangen. Der Sommer brachte viel anstrengende Arbeit im Geschäft bei geschwächter Gesundheit. Der Herbst war angefüllt mit Schmerzen im gebrochenen Bein – u. dann kam dieser schreckliche Krieg mit den grausamen Ereignissen in Polen. Der ungewöhnlich strenge u. lange Winter mit Kohlennot u. Ernährungsschwierigkeiten war schlimm; doch war das Schlimmste, daß seit Kriegsausbruch unser Wagen wegen Benzinmangels still liegt u. wir zu keinem Gottesdienst mehr nach Müritz kommen konnten. Auch die Exerzitien fielen aus.

     Dafür waren aber etwa 4 – 6 Wochen lang Flüchtlinge aus dem Saargebiet in Wustrow untergebracht u. mit ihnen ein junger Kaplan Günther aus Saarbrücken, der eine Woche lang bei uns wohnte u. täglich im Seezimmer eine stille Messe zelebrierte, bei der ich als Ministrant dienen durfte.

[...] [1402] Nur in der hl. Weihnachtsnacht riskierten wir es, ohne Nummer in der Dunkelheit nach Müritz zur Mitternachtsmesse zu fahren u. kamen unangefochten wieder zurück.

     Auch das Osterfest konnten wir in diesem Jahre nicht in Müritz verleben, denn es sind im Erholungsheim Flüchtlinge untergebracht u. es war für uns kein Platz.

Ahrenshoop, 1941 und 1942

[1501]
4. Februar 1941.     

[...] [1501] Das Wichtigste Ereignis der zurückliegenden Zeit ist meine am 15. Okt. vollzogene Verheiratung mit Maria. Seit diesem Tage nenne ich sie mit ihrem gewöhnlichen Taufnamen: „Martha“. Es scheint, daß es fast unmöglich ist, einem Menschen, der sein Leben lang einen Taufnamen getragen hat, später einen anderen Namen zu geben, wenigstens ist der Name Maria für meine jetzige Frau immer fremd geblieben. Allerdings ist sie ihr Leben lang auch nie Martha gerufen worden, sondern Molly; aber gegen diesen Namen habe ich eine solche Abneigung, daß ich mich gegen ihn wehre.

[1502]
Donnerstag, 10. Dezember 1942     

[1502]      Gestern Besuch von Herrn .... u. seiner Frau, um bei uns Weihnachtseinkäufe zu machen. Aßen bei uns zu Mittag. Er erzählte, der Forstmeister M. in B. habe nicht weniger als acht Pferde auf Sundische Wiese stehen, – zugleich aber bekommen die Fuhrleute hier so wenig Futter [1503] zugeteilt, daß sie die Pferde kaum durchbringen können. Eins dieser Pferde hat der Forstmeister an den Reichswirtschaftsminister Funk verkauft, der es seiner Gattin zum Geschenk machte, die irgendwo in Süddeutschland auf ihrem Gute lebt. Um das Pferd dorthin zu bringen, mußten ein Feldwebel u. ein Forstgehilfe nach Berlin fahren, damit von dort ein Güterwagen gestellt wurde, – denn weil dieser Wagen nicht in einen gewöhnlichen Güterzug einrangiert, sondern an einen D=Zug angehängt werden sollte, besaß man in Stralsund keinen Wagen, der diese Geschwindigkeit ausgehalten hätte. Endlich ist denn das Pferd in Begleitung des Feldwebels u. des Forstgehilfen losgefahren u. ist auch glücklich angekommen. Die gnädige Frau war sehr entzückt u. gab dem Feldwebel 500,– Rm. – dem Gehilfen 100,– Rm. als Spesen. Diese beiden braven Männer haben dann geschildert, wie der Pferdestall des Herrn Reichswirtschaftsministers von Marmor, Messing u. Kupfer nur so gestrotzt habe. – Und das alles 1942, wo jeder Volksgenosse alles an Kupfer u. Messing abzuliefern hat, selbst kleinste Schrauben.

     Weiter erzählte Herr ...., er habe selbst einen persönlichen Brief des Feldmarschalls Keitel gelesen, in dem es hieß: „und das sage ich Ihnen, – der Russe pfeift auf dem letzten Loch!“ – Alles das sind treffliche Illustrationen zur „Reichsidee“. – Wie sehr der Russe auf dem letzten Loche pfeift, das erleben gegenwärtig unsere Soldaten bei Stalingrad. Der Name dieser Stadt ist wohl schon seit etwa 10 Tagen aus den Heeresberichten verschwunden, – also werden wir diese Stadt wohl geräumt haben. Was sonst noch in den Räumen zwischen Wolga u. Don u. im großen Donbogen vor sich geht, weiß der Himmel! Herr Keitel ist jedenfalls ein ahnungsloser Engel. – In seiner vorletzten Rede verkündete der Führer: „Wir werden Stalingrad nehmen, – darauf können Sie sich verlassen!“ In seiner letzten Rede vor vier Wochen, als die Amerikaner in Nordafrika gelandet waren, sagte er: „Eigentlich haben wir ja Stalingrad schon längst, aber ich will Menschen schonen, deshalb lasse ich die Russen ruhig in den letzten Resten, die sie noch halten u. mache das mit Stoßtrupps!“ – Und heute? – – Er ist genau so ahnungslos wie sein Feldmarschall. – –

     Seit gestern haben wir das Geschäft wieder täglich von 2 – 5 Uhr offen, bisher nur Mittwochs. Es war gestern ein starker Andrang, sehr anstrengend. Zum Glück ist das Wetter warm, bei mir am Fenster, wo die Sonne hinscheint, zeigt das Thermometer 17° Wärme.

[1503]
Dienstag, 15. Dezember 1942.     

[...] [1504]      Am Sonntag war Frau Dziallas, welche seit vielen Jahren als Schneiderin in unserem Geschäft tätig ist, mit ihrem Mann zum Besuch bei uns. Der Mann ist Maurer aus Oberschlesien u. Katholik, die Frau Protestantin, aber katholisch getraut. Martha u. ich waren Trauzeugen in der Kirche in Marlow. Der Mann ist Soldat, hat die Eroberung von Sebastopol mitgemacht u. liegt jetzt im Kaukasus vor Tuapse. Er erzählte schlicht und anschaulich von seinen Erlebnissen. Dieser Krieg im Osten ist fürchterlich. Es sieht alles sehr hoffnungslos aus, am bedrohlichsten aber sind die Ereignisse in Nordafrika. Feldmarschall Rommel kann nicht mehr [1505] tun, als sich verzweifelt seiner Haut zu wehren u. an der Front von Tunis kann es nicht gut stehen, sonst würden unsere Heeresberichte nicht so kurz u. schweigsam sein. Ich erwarte das Ende von dorther. – Frau Prof. H. war vor einiger Zeit in Italien, – ihr Mann sollte an der Universität Mailand einen Lehrstuhl erhalten, doch hat es sich zerschlagen. Aus ihren Andeutungen glaube ich entnehmen zu können, daß der Grund dafür die sehr schlechte, italienische Stimmung gegen Deutschland ist. Man liebt uns heute dort weniger denn je.

     Die Frauenschaftsleiterin im Ort, Frau Siegert, hat gestern abend einen „Weihnachtsabend“ für die Kinder des Dorfes veranstaltet. Mir wurde erzählt, daß „Weihnachtslieder“ gesungen worden seien, d.h. es wurden Umdichtungen alter Weihnachtslieder auf modernen, „zeitgemäßen“ Text gesungen unter Ausschaltung jeglichen christlichen Inhaltes. Dann hat Frau S. den Kindern einen Vortrag über die Verworfenheit der jüdischen Rasse gehalten. –

[1505]
Donnerstag, den 17. Dezember 1942.     

[...] [1505]      Heute wurde im Heeresbericht zum ersten Male zugegeben, daß Rommel von neuem weiter zurückgegangen ist, nachdem man schon seit einer Woche gerüchteweise davon spricht.

[1505]
Sonntag, den 20. Dezember 1942.     
4. Advent.     

[1505]      Noch drei Nachmittage haben wir das Geschäft geöffnet, dann ist Schluß bis zum Frühjahr. Gott sei Dank! – Seit dem 1. November sind 64 Pakete oder Päckchen gepackt u. fortgeschickt worden, der Erlös dafür dürfte 6 – 7000 Rm. erbringen, wovon wir bis zum Frühjahr gut leben u. neue Ware einkaufen können, falls es welche gibt. Es ist [1506] freilich kaum noch etwas zu bekommen.

[...] [1506]      Im Geschäft war gestern unser Kohlenhändler aus Niehagen, den ich bisher noch nie persönlich kennengelernt habe. Er ist Oberfeldwebel bei der Luftwaffe u. hat am Hohen Ufer die Luftwache unter sich. Er erzählte mir allerhand interessante Dinge u. scheint ein auffallend vernünftiger Mann zu sein, der einen sehr guten Eindruck machte. Er sagte mir, daß in seinem ganzen Zug nur ein wirklicher Nationalsozialist sei, alle andern sind es nicht.

     Unser Amtsvorsteher, der natürlich Nationalsozialist ist u. der es bisher meisterhaft verstanden hat, sich von der Front zu drücken, ist nun endlich doch eingezogen worden u. alles freut sich. Als sein Vertreter ist der Beamte des Landratsamtes Maßmann ernannt worden, ein vernünftiger Mann, Teilnehmer des ersten Weltkrieges u. Schwerkriegsverletzt. Da auch unser Ortsgruppenleiter, der Lehrer, vernünftig ist, so ist jetzt unser ganzer Amtsbezirk ziemlich rein, denn unser Bürgermeister, der Malermeister Emil Gräff ist ein ziemlicher Trottel u. hat nichts zu bedeuten. Jedenfalls sind nun die beiden eigentlichen sog. Hoheitsträger der Partei zwar Mitglieder der Partei, aber im Herzen nicht dabei. Der Führer schreibt in „Mein Kampf“, daß es der Tod der Partei sein würde, wenn einmal diese Partei eine Massenpartei werden u. dadurch von innenher ausgehöhlt werden würde. Das ist nun nach neun Jahren bereits weitgehendst der Fall!

[1506]
Montag, 21. Dezember 1942.     

[1506] Gestern Nachmittag Besuch von Oblt. Dr. Krappmann, der mir einen Bericht über die allgemeine Kriegslage, herausgegeben vom Oberkommando der Marine, zur Durchsicht gab. Wenngleich in diesem Bericht auch nicht alles gesagt wurde, z. B. garnichts über die katastrophale Lage bei Stalingrad, so waren doch verschiedene sehr interessante Einzelheiten darin enthalten, aus denen, – wenn man zwischen den Zeilen liest – zu erkennen ist, wie gefährlich die Lage in Nordafrika ist. – Dr. K. erzählte auch, daß der Generalstabschef des Führers wirklich entlassen ist, was ich schon gerüchtweise gehört hatte. Generaloberst Halder soll nach dem Durchbruch bei Charkow entweder die Offensive gegen Stalingrad, oder die Offensive gegen den Kaukasus gewollt haben, der Führer aber wollte beides zugleich. Nachdem nun beides schief gegangen ist, wird Halder als Sündenbock davongejagt. –

Ahrenshoop, 1943

Januar 1943

[1601]
Freitag, 1. Januar 1943.     

[1601]      Gestern am Spätnachmittag Besuch von Prof. Heydenreich u. Frau. Er machte einen sehr kranken u. erschöpften Eindruck u. sprach fast nichts. Seine Frau quält sich sehr mit der Beschaffung von Lebensmitteln, wobei ihr Martha behülflich ist.

     Abends einfaches Abendbrot. Um 8 Uhr sprach Dr. Goebbels zum Volk eine halbe Stunde lang u. wußte nichts zu sagen außer Redensarten, die er mit theatralisch beschwingter Stimme vortrug. Der langen Rede armseliger Sinn war, daß wir „durchhalten“ müßten – genau wie im vergangenen Weltkriege. Ich bin gewiß, daß es in diesem Jahre zum großen Zusammenbruch kommen wird. Bei uns wird immer so viel geredet vom Rechte der „jungen Völker“, welches siegen müsse, dabei vergessen die Herren ganz, daß es in diesem Kriege nur ein Volk gibt, das auf diese Bezeichnung Anspruch erheben kann: Amerika.

     Gewiß ist auch mir Amerika unsympathisch, so wie einem eine Gesellschaft von Primanern oder Studenten im ersten Semester sehr unsympathisch sein kann in ihrer Ueberheblichkeit u. lärmenden Großmannssucht; aber Amerika ist das Kind Europas, – u. es wird nun heimkehren. Es wird Besitz nehmen von seiner Wiege u. seiner alten Heimat u. wird wahrscheinlich ein Museum daraus machen. Immerhin wird es ein christliches Museum werden – u. das genügt.

     Eben läutet Dr. Krappmann an u. bittet uns am Sonntag Nachmittag zum Kaffee. –

     Der Führer hat wie alljährlich eine Neujahrs-Proklamation erlassen. Er spricht davon, daß ein schwerer Winter uns bevorsteht. Im Jahre 1941 sagte er, daß die große Entscheidung zu unseren Gunsten bevorstehe. Im Jahre 1942 rief er Gott an, er möge uns den Sieg geben, und 1943 spricht er von den schweren Ereignissen, die kommen werden. Dabei wird das Volk weiter betrogen. Obgleich alle Welt davon spricht, daß unsere Armee bei Stalingrad seit Wochen eingeschlossen ist, wird darüber nie ein Wort gesagt. Zwar ist dann zugegeben worden, daß unsere Stellungen am Don durchbrochen sind, aber es ist bagatellisiert worden. Ueber den Ernst der Lage erfährt man nichts. Gestern hieß es, daß die Besatzung von Welikije Luki die Angriffe, „nach allen Seiten hin“ abgewiesen hätte, woraus man entnehmen kann, daß dieser Ort eingeschlossen ist. Man kann gespannt sein, wann der Fall dieses Ortes zugegeben werden wird. Es sieht wirklich sehr schlimm aus. Das Gottesgericht naht.

[1601]
Sonntag, den 3. Januar 1943.     

[1601] grade in letzter Zeit scheint die Abneigung Schwedens noch wesentlich gewachsen zu sein. Man hat mir erzählt, daß in Schweden in allen Kinos der Film läuft, in dem Chaplin unseren Führer lächerlich macht, u. Lächerlichkeit tötet. Der Botschafter dürfte also in Wahrheit von Charli Chaplin abgesetzt worden sein, – eine tragikomische Ironie.

[1602]
Sonntag, 17. Januar 1943.     

[1602] Irak hat uns den Krieg erklärt! -

Inzwischen sind wir im Osten auf der ganzen Linie von Nord bis Süd immer noch in der Verteidigung gegen nicht nachlassende Angriffe der Russen. Nach unseren Berichten werden diese Angriffe stets unter sehr hohen Verlusten der Russen abgeschlagen, die dabei besonders ungeheuer hohe Panzerverluste haben. Wo kommen aber diese ungeheuer vielen Panzer her – nachdem wir doch schon so unzählig viele davon erbeutet u. vernichtet haben? Im Herbst 1941 sagte der Führer: von solchen Verlusten kann sich keine Armee mehr erholen! – Die Russen scheinen [1603] sich aber doch erholt zu haben, – sie müssen weit im Osten eben ungeheure Fabriken haben, von denen bei uns vor Kriegsausbruch kein Mensch eine Ahnung gehabt hat. Es ist zu fürchten, daß die Leute bei uns noch von vielem anderen auch keine Ahnung gehabt haben, – u. vielleicht noch heute keine Ahnung haben!

     Herr Dr. Goebbels hat im Reich seinen üblichen Leitartikel erscheinen lassen: „Der totale Krieg“. – Daß wir einen „totalen Krieg“ führen, das war uns einfachen Menschen schon von Anfang an gesagt worden, aber nun soll er offenbar noch totaler werden! Herr Goebbels wendet sich mit einer befremdenden Gereiztheit gegen einen „gewissen kleinen Teil unseres Volkes“, der noch immer nicht die „unausweichliche u. harte Notwendigkeit“ dieses „Volkskrieges“ einsehen will. Obgleich er von einer „kleinen Minderheit“ spricht, hält er es doch für nötig, einen derartig geharnischten Sonderartikel gegen diese Leute zu schreiben, – obgleich er selbst zugibt, daß ein solcher Artikel Wasser auf die Mühle der Feindpropaganda abgeben wird. – Die Weisheit eines solchen Verfahrens bleibt mir verschlossen. Herr G. schreibt: „Wer diesen Krieg verliert, der wird von der Bühne der schicksalbestimmenden Mächte abtreten müssen; wer ihn gewinnt, der ist damit auch endgültig Herr seines eigenen Schicksals geworden,“ – u. er fährt fort, indem er die Meinung äußert, als hätten wir diese Sachlage noch nicht im vollen Umfange erkannt. – Oh doch, Herr Dr. G. – wir haben das längst erkannt, vielleicht sogar viel früher, als Sie selbst, – u. vor allem wäre es sehr viel besser gewesen, wenn der Führer diese Sachlage früher erkannt hätte. Dann wäre dieser Krieg vielleicht nie ausgebrochen.

[...] [1604]
Abends.

     Heute abend gab der Heeresbericht endlich zu, daß Wilikije Luki von den Russen erobert worden ist. An allen übrigen Stellen der Front, auch bei Stalingrad, wurden natürlich alle Angriffe der Russen abgewiesen. –

     Zwischen 7 u. 8 Uhr kamen englische Flieger in sehr großer Zahl über das Dorf geflogen, man hörte noch bis gegen 10 Uhr Fliegergeräusch. Eine Bombe wurde irgendwo in der Nähe abgeworfen. Bei klarem Mondschein war der Himmel kreuz u. quer bedeckt mit Kondensstreifen. Gestern kamen sie auch schon zur selben Zeit, doch blieben sie nicht so lange, sie haben lt. Heeresbericht in Berlin Bomben geworfen. Die Rostocker Flak schoß heute abend, aber nur schwach. –

     Was mag in Stalingrad sein! – Die armen Jungens!

     Gestern abend war ich beim Frisör. Die Bude war wie stets sehr voll, denn der Frisör Bernhard Saatmann ist Grenzschutz u. kann sein Gewerk nur Sonnabends ausüben. Alle Leute dort waren sehr gedrückt. Der Sohn des Frisörs steht am Ihnensee. –

     Morgen sind es, glaube ich, zehn Jahre her, daß Hitler am Ruder ist, (Nein, daß die NSDAP zum ersten Male in Lippe eine Mehrheit erhielt.)

     Der Marschall Antonescu ist beim Führer gewesen. „Es wurde volle Uebereinstimmung festgestellt!" – Merkwürdig, daß der Mann dazu eine so weite Reise machen mußte! –

[1604]
Montag, 18. Januar 1943.     

[...] [1605]      Abends:

     Die Bombe, die wir gestern abend hörten u. die unser Haus ganz erheblich erzittern ließ, ist in Ribnitz herunter gegangen. Das Flugzeug scheint von der Rostocker Flak angeschossen gewesen zu sein u. mußte notlanden, vorher warf es seine Bombe ab, u. zwar über dem Wasser des Bodden. Die Besatzung, vier Mann, sprang mit Fallschirm ab u. landete wohlbehalten bei Damgarten, wo sie gefangen genommen wurde. Obwohl die Bombe ins Wasser gefallen ist, spricht man doch davon, daß es acht Tote gegeben hat u. zahllose zertrümmerte Fensterscheiben.

[1605]
Dienstag, 19. Januar 1943.     

[...] [1606]      Fritz schreibt heute, daß seine Frontbuchhandlung in St. Quentin nach Toulouse verlegt werden soll, man hat ihm das gesagt, als er vor einigen Tagen in Paris bei seiner vorgesetzten Dienststelle war. Er hat gebeten, daß er vorher auf Urlaub fahren darf u. so erwarten wir ihn nun bald. In Toulouse soll er noch zwei Hilfskräfte bekommen, während er jetzt allein ist u. einen Vertreter brauchte, wenn er auf Urlaub fuhr. Man hat ihm in Paris gesagt, daß das jetzt nicht nötig wäre, er solle die Buchhandlung ruhig schließen. Nach dem Urlaub wird er dann alle Bücher einpacken u. nach Toulouse bringen müssen, – es sind etwa 25000 Bände, – eine große Arbeit, die Zeit beanspruchen wird. Die Neueinrichtung in Toulouse wird auch viel Zeit in Anspruch nehmen u. ich hoffe, daß er dadurch der Gefahr entgeht, nach dem Osten zu kommen, wo es immer böser aussieht. Unser Heeresbericht gibt jetzt zum ersten Male wenigstens indirekt zu, daß die Armee bei Stalingrad eingeschlossen ist, denn es heißt, daß die Armee sich gegen die von allen Seiten her angreifenden Russen wehren müsse, d.h. also, daß sie auch vom Rücken angegriffen wird. Das setzt aber voraus, daß die Russen sowohl vom Norden wie vom Süden den Don in sehr breiter Front überschritten haben u. mithin der ganze große Donbogen, den wir im Sommer in verlustreichen Kämpfen erobert hatten, wieder verloren ist. Daraus kann man schließen, daß Rostow bedroht ist, – sollte auch diese Stadt wieder verloren gehen, so ist damit die ganze Kaukasusfront abgeschnitten u. wahrscheinlich verloren. Aus verschiedenen Anzeichen ist zu entnehmen, daß die Russen den Don auch südlich Woronesch überschritten haben u. ziemlich weit vorgedrungen sind, sodaß unsere Nord=Süd=Verbindungen mindestens beinträchtigt sind, die übrigens westlich von Wilikije Luki weiter im Norden so wie so schon durchschnitten sein müssen. Wilikije Luki liegt nicht weit von der Lettischen Grenze, ein weiteres Vorrücken der Russen dort bedroht den Rückzug der ganzen bei Petersburg bis zum Ihnensee kämpfenden Armee. Das sind sehr düstere Ausblicke.

     In Afrika wird Rommel von der 8. Armee hart bedrängt u. er muß sich immer mehr auf Tripolis zurückziehen. Nur die Amerikaner tun in Tunis anscheinend garnichts. Sie stehen dort nun bald ein Vierteljahr, ohne bisher irgend etwas gegen Tunis unternommen zu haben. Wenn man aber die riesigen Entfernungen von Casablanka aus bedenkt, so scheint es verständlich, daß sie viel Zeit brauchen, um eine Etappenstraße auszubauen, ohne die sie eine Offensive nicht beginnen können. Wenn sie damit fertig sein werden, wird eine [1607] Offensive wahrscheinlich schlagartig u. mit großer Gewalt eröffnet werden u. daß diese Erfolg haben wird, daran kann kein vernünftiger Mensch zweifeln. Zweifelhaft ist freilich, von wo aus der Versuch gemacht werden wird, nach Europa herüber zu kommen. Südfrankreich wird dafür kaum in Frage kommen, vielleicht nicht einmal Italien, sondern der Balkan, von wo aus dann unsere ganze Ostfront vom Rücken her gefaßt werden kann, vor allem Rumänien. Mit dem Verlust der dortigen Oelfelder wäre der Krieg für uns absolut verloren. Ein solcher Plan würde nicht der Genialität ermangeln.

[1607]
Mittwoch, 20. Januar 1943.     

[...] [1607]      Im Nachbardorf Niehagen gab es vor dem Kriege einen Mann, der sich mit Haut u. Haaren dem Nationalsozialismus verschrieben hatte, sodaß er der Ortsgruppenleiter des Dorfes wurde. Konsequenterweise trat er auch aus der Kirche aus u. er veranlaßte auch seine Frau dazu, die kritiklos ihrem herrlichen Mann folgte, wie jener dem Führer, obwohl sie in der letzten u. heimlichsten Falte ihrer Seele doch noch an Gott hing. – Nun war der alljährliche Parteitag in Nürnberg, u. dieser Ortsgruppenleiter war vom Ehrgeiz besessen, dabei zu sein. Er fuhr hin, holte sich in der nächtlichen Kühle des Zeltes, in dem diese deutschen u. kriegerischen Männer schliefen, eine böse Lungenentzündung und wenige Tage nach seiner Rückkehr nach Niehagen war er nur noch ein toter Held. –

     Die bestürzte Witwe lief nun schleunigst zum Pastor. Es war Pastor Hurtzig, ein noch junger u. charakterfester Mann, der inzwischen vor Petersburg gefallen ist. Sie brach in lautes Klagen aus u. bat den Pastor, ihren Mann christlich zu begraben. Der Pastor aber weigerte sich u. wies mit Recht darauf hin, daß er sich strafbar mache, wenn er jemanden christlich beerdige, der dies ausdrücklich im Leben nicht gewünscht habe. Die Frau weinte, jammerte u. schrie, der Pastor blieb aber fest. Der Mann wurde nationalsozialistisch begraben u. die Parteigenossen der Umgegend gaben ihm das letzte, kümmerliche Geleit. – Von diesem Tage an wurde die Witwe sonderbar, sie mußte ins Irrenhaus gebracht werden, wo sie kläglich gestorben ist. – Herr Prof. Dubovy würde glücklich sein, wenn er diese Geschichte erführe.

[1607]
Sonntag, 24. Januar 1943.     

[1607]      Die Lage im Osten verschlimmert sich von Tag zu Tag. Außerdem hat inzwischen auch Chile den Krieg erklärt. Die Türkei ist noch ruhig, ihr Ministerpräsident hat sogar erklärt, daß sich die Türken gegen jeden Angreifer wehren würden, – aber türkische Journalisten [1608] befinden sich auf englische Einladung in Indien. – Vorgestern ist Woroschilowsk gefallen. Die Russen nähern sich Rostow immer mehr u. die Gefahr der Abschneidung unserer Kaukasus-Armee wird immer größer, weshalb unser Heeresbericht jetzt zugibt, daß sich unsere Armee „vom Feinde abgesetzt“ habe. In Afrika ist Rommel erneut zurückgegangen u. hat Tripolis kampflos den Engländern überlassen. Er zieht sich auf Tunis weiter zurück. Es ist kaum zu fassen, daß die Amerikaner es noch nicht fertig gebracht haben, eine Vereinigung Rommels mit unseren in Tunis stehenden Kräften zu verhindern, obgleich sie schon fast 3 Monate in Afrika sind. – Inzwischen geht der Kampf unserer bei Stalingrad eingeschlossenen Armee weiter. Jetzt wird von uns erstmalig überhaupt zugegeben, daß diese Armee eingeschlossen ist. An einen Entsatz ist nicht mehr zu denken u. es wäre das Klügste, wenn sich die Armee ergeben würde, denn ihr Kampf ist völlig nutzlos, – nur daß sie russische Kräfte bindet; aber um einer eingebildeten „soldatischen Ehre“ willen werden hunderttausend Menschenleben (oder mehr) geopfert. Gestern u. vorgestern wurde von uns zugegeben, daß den Russen breite u. tiefe Einbrüche in die Verteidigungslinien gelungen seien, woraus man schließen kann, daß diese grausige Tragödie nun bald ihr Ende erreicht habe. Vorgestern sprach Frau Siegert, die Frauenschaftsleiterin des Ortes, – ebenso dumm wie fanatisch, – mit Martha. Sie sagte, daß ein Sohn ihrer Schwester bei Stalingrad sei u. daß man seit dem 12. Dezember nichts mehr von ihm gehört habe. Martha wollte ihre Teilnahme ausdrücken, worauf Frau S. nur die Achsel zuckte u. mit dem gleichgültigsten Gesicht erwiderte: „Ja, das ist eben nicht anders.“ Diese Bestien haben die letzten Reste menschlichen Gefühl's längst verloren, – oder haben vielleicht nie welches gehabt. Alles geht bei ihnen in Eitelkeit, Ruhmsucht, Großmannssucht unter. Eine anerzogene sogenannte Vaterlandsliebe ist stärker als die Liebe zu den Mitgliedern der eigenen Familie. –

     Diese Frau S. schenkte Martha ein sehr schönes, altes, geschnitztes Kruzifix, ein Sterbekreuz. Sie meinte, daß sie früher einmal gläubig gewesen sei, jetzt aber kein Interesse mehr für solche Sachen habe. Sie hat früher einmal an Gott geglaubt, – jetzt glaubt sie an Adolf Hitler. Ich werde ja wohl bald erleben, an wen sie dann glauben wird. –

[1609]
Dienstag, 26. Januar 1943.     

[1609]      Gestern waren wir bei Familie Neumann zum Abendbrot eingeladen. Es ist das schon feststehende Tradition geworden, daß wir jährlich einmal im Januar dort zu Abend essen. Es sind einfache u. gutmütige Leute. Vater Neumann hatte vorher, ehe er hierher kam, eine Schofförkneipe in Charlottenburg, Mutter Neumann ist eine schwarzhaarige Litauerin. Die Tochter Gretl hat als sehr junges – u. recht hübsches – junges Mädchen vor vielen Jahren bei uns im Hause als Sommergast gewohnt, u. zwar in dem Zimmer, welches jetzt mein Arbeitszimmer ist u. in dem ich dieses schreibe. Damals war das Kurhaus verkäuflich. Die sehr unternehmungslustige Gretl wollte ihre Eltern bewegen, das Haus zu kaufen. Besonders Martha unterstützte sie sehr darin u. so kam schließlich die Sache zustande. Die Familie hat seitdem eine rührende Anhänglichkeit an uns bewahrt. Nach ziemlichen Anfangsschwierigkeiten ist das Haus heute sehr gut fundiert u. Gretl, die nun auch schon nicht mehr ganz jung ist, ist als künftige Erbin sehr geschickt für ihr Geschäft tätig. Sie hat sich erstaunlich den Verhältnissen im Dorfe angepaßt, ist Duzfreundin der vornehmen Villenbesitzerinnen wie der Edlen v. Paepke, der Gräfinnen Dohna usw., benimmt sich tadellos, während Vater u. Mutter Neumann mir u. mich nicht unterscheiden können.

     Die Verwandten von Mutter Neumann, besonders ihre alte, jetzt 84jähr. Mutter, sind im jetzigen Kriege nach Deutschland gekommen. [1610] Sie wohnen in Essen, bei einer anderen Tochter, die dort mit einem Arbeiter verheiratet ist. Infolge der letzten Luftangriffe sind sie nun wieder hierher geflohen, d.h. die alte Mutter mit dieser Tochter u. deren Tochter. Eine andere Tochter der alten Mutter ist in E. geblieben, – ihr ist bei einem Luftangriff ein Arm völlig abgerissen worden.

     Wir hatten Gelegenheit, diese eine Tochter – die Arbeiterfrau, – also eine Schwester unserer Frau Neumann, gestern Abend zu sprechen u. dabei die vollständige Verwirrung zu erkennen, in der wir uns infolge der Nazi-Propaganda befinden. Diese Arbeiterfrau aus Essen ist fast noch mehr wie Frau Neumann selbst der Typ einer polnischen Litauerin, was sie aber nicht hindert, deutsche Patriotin u. Nationalsozialistin zu sein. Das nennt man wahrscheinlich „Reinerhaltung der Rasse“. Die Frau erzählte anschaulich von der schrecklichen Wirkung der Luftminen, die die Engländer werfen u. damit ganze Häuserblocks vernichten. Die Bevölkerung sitzt derweil in Kellern u. Bunkern, schreit „Heil Hitler“ u. schimpft auf Churchil. Auf meine verwunderte Frage meinte sie ganz ahnungslos: ja, der ist es doch, der die Bomben schmeißen läßt. – Und dann erzählte sie alles, was darüber in der Zeitung steht, daß die Engländer damit angefangen haben u. daß sie nur immer auf die Wohnviertel ihre Bomben werfen usw. – Diese Menschen sind völlig unserer Propaganda ausgeliefert, es gibt nichts anderes für sie. Zum eigenen Nachdenken sind sie natürlich zu primitiv. So finden sie auch die Judenpolitik u. ihre grausamen Metoden durchaus in Ordnung, die Frau lachte darüber. – Es ist also völlig hoffnungslos, daß diese Menschen zur Einsicht kommen. Es wird die schwerste Aufgabe werden, diese einseitig verhetzten Menschen wieder auf einen menschlichen Standpunkt zurückzuführen. Das verwunderlichste war mir, daß diese Leute auch noch Wert darauf legen, fromme evangelische Christen zu sein. Besonders die Schwester, die den Arm verloren hat. Sie erzählte, daß diese Christen sich in einem Saal treffen, wo Harmonium gespielt, gesungen u. gebetet wird. Eine Pastorenfrau leitet diese frommen Zusammenkünfte, doch ist diese bei einem der letzten Bombenangriffe verrückt geworden u. ist jetzt im Irrenhause. Auf meine Frage, wie man Christ u. Nationalsozialist zugleich sein könne, wurde mir gesagt, daß das miteinander nichts zu tun hätte. Freilich: das eine ist praktisches Leben u. das andere ist fromme Gefühlsduselei. Diese Leute können ohne weiteres Jesus Christus ihren Bruder nennen u. gleichzeitig mit den grausamen Mördern von Hunderttausenden von Juden u. Polen paktieren, obschon diese letzteren dem Blute nach ihre Verwandten sind. – Es ist das wirklich ein teuflisches Bild.

[1611]
Donnerstag, den 28. Januar 1943     

[1611]      Gestern wurde im Radio bekannt gegeben, daß sich Churchill u. Roosevelt in Casablanka getroffen u. eine Konferenz von zehntägiger Dauer über die Fortsetzung des Krieges abgehalten haben. Die gewiß sensationelle Nachricht, daß der amerikanische Präsident diese Reise nach Nordafrika unternommen hat, wie überhaupt diese ganze Konferenz, wurde bei uns zum Anlaß genommen, einen spöttischen u. witzelnden Kommentar im Rundfunk zu geben. Es ist zu erwarten, daß uns diese alberne Witzelei bald vergehen wird. Vorgestern Nacht waren erstmalig amerikanische Bomber über Wilhelmshaven u. wenn das schwere Motorengeräusch, das wir gestern abend hörten, nicht täuscht, so sind sie wieder über uns hinweggeflogen. – Natürlich wurde bei uns bewitzelt, daß Stalin zu dieser Konferenz eingeladen war, aber nicht erschienen ist, angeblich, weil er die Offensivaktion gegen uns selbst leitet u. deshalb unabkömmlich gewesen sei. Selbstverständlich ist das nur ein Vorwand u. man kann daraus wohl entnehmen, daß die Gefühle des Herrn Stalin gegen seine Bundesgenossen nicht übermäßig herzlich sind. Das ist nicht anders zu erwarten, denn so dumm ist Stalin auch nicht, daß er die innere Einstellung seiner demokratischen Bundesgenossen gegen den Bolschewismus nicht richtig erkennte. Und dieses ist in der Tat der einzige, schwache Hoffnungsschimmer, den wir Deutschen in der sonst nachtschwarzen Zukunft haben. Zum Witzeln haben wir aber wahrhaftig keinen Anlaß. –

Die Ergebnisse dieser Konferenz werden nun ja bald offenbar werden. Die Offensive der Russen scheint ja jetzt etwas zum Stillstand gekommen zu sein. Das furchtbare Geschehen in Stalingrad dagegen nimmt seinen unerbittlichen Fortgang. Dieses Geschehen ist ein Wahrzeichen für das, was geschehen wird. Hitler hat ja wiederholt erklärt, daß er niemals kapitulieren werde, d.h. mit anderen Worten, daß ganz Deutschland das Schicksal Stalingrads erwarten muß, falls nicht etwas Anderes geschieht. Das aber ist nicht zu erwarten, nachdem sich Hitler, Göring u. Himmler mit einer treu ergebenen Leibgarde umgeben haben, die im Laufe dieses Krieges ganz unauffällig immer mehr verstärkt worden ist. Aus dem früheren Regiment Herm. Göring ist inzwischen eine ganze Division geworden. Wenn es da einmal zum Bürgerkriege kommt, kann das ja nett werden! Die Hoffnung ist, daß Amerika u. England möglichst rasch ganz Deutschland besetzen werden, um uns vor dieser Grausamkeit zu bewahren.

[1612]      Unser Ortsgruppenleiter, Lehrer Deutschmann, sagte mir gestern vertraulich, daß am 30. Januar, am Tage der Machtübernahme der Nazis vor 10 Jahren, wieder verstärkt gesammelt werden soll. Wir haben in diesem Monat schon 60,– Rm. für diese Sammlungen hergegeben. Die Ortsgruppenleiter sollen zur Hebung der Begeisterung drei Tage lang in Uniform umherlaufen, – der Lehrer tut es aber nicht, weil er sehr richtig annimmt, daß das das Gegenteil bewirken würde. Sehr gespannt sind wir alle auf die Rede Hitlers, die am 30ten fällig ist. Ich fürchte, daß das Dröhnen der amerikanischen Flugzeugmotoren diese Rede sehr übertönen wird.

[1612]
Freitag, den 29. Januar 1943.     

[1612]      Heute morgen wurde im Radio bekannt gegeben, daß sich alle Männer im Alter von 16 – 65 Jahren u. alle Frauen im Alter von 18 – 45 Jahren bei ihren Arbeitsämtern zu melden haben zum Einsatz in der Kriegswirtschaft. So weit sind wir nun also schon gekommen. Wenn man mich auch holt, dann bleibt nichts anderes übrig, als das Geschäft ganz zu schließen, denn es ist ausgeschlossen, daß Martha das Geschäft allein versieht. Es ist das aber die allerletzte Reserve, die aufgeboten wird, danach kommt nichts mehr als der völlige Zusammenbruch. Stalingrad ist das Exempel. Die Nazis verteidigen ihre Position bis zum letzten Deutschen.

     Diese Sache wird reichlich Wasser auf die englische u. amerikanische [1613] Propagandamühle abgeben u. die Siegeszuversicht unserer Gegner wird dadurch einen gewaltigen Auftrieb bekommen, – u. mit Recht. Die russische Offensive berichtet ebenfalls von neuem Geländegewinn westlich Woronesch, wo wir einen Brückenkopf hielten, den sie freiwillig aufgegeben haben, um „die Front zu verkürzen“. Es wird sich zeigen, ob wir hier die verkürzte Front halten werden. Auch im Süden, zwischen Don u. Kaukasus, hält der russische Druck an, wenngleich es auch so aussieht, als wäre es uns östlich Rostow gelungen, die Russen aufzuhalten, wenigsten so lange, bis wir diesen ganzen Südflügel geräumt haben werden. Wenn das jedenfalls nicht gelingen sollte, dann wäre dieser Südflügel restlos verloren. Durch seinen doppelten Angriff auf Stalingrad u. den Kaukasus hat uns das Feldherrentalent des Herrn Hitler in eine strategisch so gefährliche Situation hineinmanövriert, daß es unmöglich ist, ohne großen Schaden da wieder herauszukommen. –

     Amerikanische Flugzeuge haben vor drei Nächten Wilhelmshaven bombardiert u. gleichzeitig griffen englische Flugzeuge wieder einmal Düsseldorf an, das so wie so schon nur noch ein Trümmerhaufen ist wie Rostock. Das ist also von jetzt ab das, was wir zu erwarten haben. Während bisher die Engländer stets nur eine Stadt angriffen, werden von nun an die Amerikaner u. Engländer je eine Stadt angreifen, sodaß sich also die Luftgefahr um 100% vermehren wird, wenn nicht noch mehr, denn auch ein Rüstungswerk in Kopenhagen ist zugleich mit Bomben belegt worden. Die Dänen, die durch uns in diesen Krieg hineingerissen worden sind, mögen sich freuen.

[1613]
Sonnabend, den 30. Januar 1943.     

[...] [1613]      Ganz Deutschland ist wahrscheinlich tief enttäuscht, nachdem gestern abend im Rundfunk bekannt gegeben worden ist, daß Dr. Goebbels um 16 Uhr eine Rede halten u. eine Proklamation des Führers verlesen wird. Alle waren begierig auf Adolf's Rede am heutigen Tage, aber er kneift. –

[1613]
Sonntag, 31. Januar 1943.     

[...] [1613]      Gestern um 4 Uhr hielt Dr. Goebbels seine Rede. Es war die größte Hetzrede, die ich je gehört habe, mit einem unüberbietbaren Haß vorgetragen, sehr oft unterbrochen von frenetischem Jubel der Sportpalast=Zuhörer u. haßerfüllten Zwischenrufen. Es ist schlechthin trostlos. Die Partei ist entschlossen, bis zum letzten Deutschen zu kämpfen, – u. sie wird es tun! – Von Fritz gestern Abend ausführlicher Brief u. heute früh kurze Nachricht. Er fährt am 2. Febr. auf Urlaub, bleibt dann bis Sonntag in Bln. u.

[...] [1614] Im Heeresbericht wird gesagt, daß „Generalfeldmarschall Paulus“, der Führer der 6. Armee in Stalingrad, an der Spitze der Reste seiner Armee immer noch in Stalingrad kämpfe. Er war bisher Generaloberst u. ist also jetzt Feldmarschall geworden u. – was wichtiger ist, – er ist bei seiner Truppe geblieben. Nach dem Bericht ist anzunehmen, daß dieses Drama nun vor seinem Ende steht. –

     „Wir werden siegen, weil wir unseren Führer haben!“ so sagte gestern Dr. Goebbels, – und – „unser Vertrauen in den Führer ist schlechthin nicht mehr überbietbar!“ –

Ahrenshoop, Februar 1943

[1701]
Dienstag den 2. Februar 1943.     

[...] [1701] Die frühlingshafte Wärme dauert immer noch an. – Generalfeldmarschall Paulus hat sich mit 16 Generalen u. dem Rest seiner Truppen den Russen übergeben, nur eine Armeegruppe unter Befehl eines General Stricker hält sich noch in einem nördlichen Stadtteil, doch dürfte auch die Uebergabe dieses kleinen Restes inzwischen erfolgt sein. Damit ist dieses furchtbare Drama zuende. –

     Im übrigen scheint nun einzutreten, was ich längst befürchtete u. vorausgesagt habe: der Kriegseintritt der Türkei. Churchill ist nach der Konferenz mit Rooseveld in Casablanka nach Ankara geflogen u. hat dort sowohl mit dem Staatspräsidenten wie mit dem Ministerpräsidenten eine Konferenz gehabt, zu welcher die Generalstabschefs der Engländer und der Türken zugezogen worden sind.

[...] [1701]      Die beiden Reden von Goebbels u. Göring am 30. Januar hatten übrigens das Bemerkenswerte, – besonders Görings Rede, – daß ausschließlich vom Krieg gegen Rußland die Rede war. Man konnte fast den Eindruck haben, als wäre der Krieg mit England u. Amerika nicht der Rede wert. Ich bin mir nicht klar darüber, ob das pure Dummheit [1702] ist, oder ob man absichtlich die Aufmerksamkeit des deutschen Spießers von diesen beiden Gegnern ablenken wollte, um ihm nicht noch mehr Angst zu machen. Diese beiden Gegner aber sind wichtiger als die ganze russische Offensive, das wird sich schon in den nächsten Wochen oder gar Tagen zeigen. Wenn es Absicht ist, die Aufmerksamkeit des Spießers ganz auf Rußland zu lenken, dann scheint das ja geglückt zu sein, denn vor einigen Tagen sprach ich vorsichtig mit unserem Lehrer Deutschmann, der hier Ortsgruppenleiter der Partei ist, u. erwähnte leise die Gefahr, die von der Türkei her droht. Dieser Mann ist sonst ganz vernünftig, aber hier versagte er. Er meinte wegwerfend, daß die Türken ja nichts taugen, daß die Bulgaren ja auch noch da wären u. daß wir außerdem da unten schon genug Soldaten stehen hätten. Hauptsache wäre, daß wir die Russen nicht weiterkommen ließen. Ich dachte mir mein Teil u. schwieg still. – Dieser Krieg wird früher sein Ende finden, als Herr Hitler u. seine Genossen es sich träumen lassen. Er wird nicht dazu kommen, den letzten Deutschen zur Verteidigung seiner Macht verbluten zu lassen, [...]

[1702]
Mittwoch, 3. Februar 1943.     

[...] [1702] Das Drama von Stalingrad ist nun zuende. Herr Goebbels hat angeordnet, daß alle Theater, Kinos, Konzerte usw. bis Sonnabend zu schließen haben. Man macht Reklame mit deutschem Heldenmut. – Es sind Flieger in der Luft, in der Ferne hört man Kanonendonner. [...] [1702] In der letzten Woche machte die Batterie am Hohen Ufer wieder Uebungsschießen, jedoch nicht, wie sonst immer, auf eine Zielscheibe auf See, sondern über den Bodden in Richtung auf Born. Es kommt mir dabei der Gedanke, ob das schon ein Einschießen sein kann für den Anmarschweg von Stralsund her? [...] [1702] Gestern Nacht ist Köln wieder schwer bombardiert worden. –

[1703]
Mittwoch 17. Februar 1943.     

[...] [1704] Ob unser Geschäft geschlossen wird, wissen wir immer noch nicht. Wahrscheinlich haben die Arbeitsämter so viel zu tun mit dieser unsinnigen Erfassung, daß sie dabei zu unserem entlegenen Dorf garnicht kommen. [...]

[1704]
Freitag den 19. Februar 1943.     

[1704]      Gestern Abend fand eine große Kundgebung im Berliner Sportpalast statt, auf der Dr. Goebbels redete. Die Veranstaltung wurde, wie das jetzt immer üblich ist, erst kurz vorher bekannt gegeben, teils, um eine Störung durch die Engländer zu vermeiden, teils wohl auch aus Angst vor Attentaten oder sonstigen Störungen. Dr. Goebbels redete zwei geschlagene Stunden. Seine Rede bestand aus zwei Teilen. Der erste Teil war eine sehr alarmierende Darstellung der Lage an der Ostfront mit einem kaum noch verhüllten Appell an die Engländer, doch endlich die Gefahr des Bolschewismus einzusehen, der an der Kanalfront nicht Halt machen würde. Dieser Teil war stark mit Hassausbrüchen gegen die Juden gewürzt. Dann schwenkte er plötzlich um u. versicherte, daß wir stark genug wären, die Ostfront zu halten, ja, daß wir im Frühjahr wieder zur Offensive übergehen würden, – u. zu diesem Zweck solle nun der totale Krieg noch totaler werden. Dieser zweite Teil stand wieder unter dem Motto [1705] „Das Volk will Taten sehen!“ – Diese Taten bestehen nach Dr. Goebbels zunächst einmal darin, daß alle Nachtlokale, Amüsierbetriebe u. Luxusrestaurants geschlossen worden sind u. Herr G. nahm Gelegenheit, hierbei aufreizend von den Besuchern dieser Lokale zu sprechen. Sodann verkündete er, daß er das Reiten auf Straßen u. öffentlichen Plätzen verboten habe, damit die schlichte Arbeiterfrau von solchem Anblick nicht schockiert werde. Im Grunewald u. sonstwo ist das Reiten demnach also auch weiterhin erlaubt. Es ist also praktisch so, daß die reichen, draußen wohnenden Leute davon unberührt bleiben, während die in der Stadt gelegenen Reitinstitute, die ihre Pferde stundenweise vermieten, nun sehen können, wie u. wo sie künftig ihre Pferde bewegen können. „Das Volk will Taten sehen!“ – Sodann kündigte Herr G. rücksichtslose Maßregeln gegen Drückeberger, besonders Frauen der höheren Kreise an u. erging sich in aufreizenden Bemerkungen über diese „Nichtstuer“. Zum Schluß stellte Herr G. zehn Fragen, die natürlich alle mit Begeisterung bejaht wurden: ob das deutsche Volk noch das Vertrauen zum Führer habe, – ob es den Krieg bis zum Weißbluten fortsetzen wolle, – ob das Volk sechzehn Stunden täglich arbeiten wolle usw. – – Vor einiger Zeit erzählte Herr Dr. W. –, der wieder einmal in Berlin bei seinen Parteifreunden gewesen war, – wie diese Freunde, die ausnahmslos gut bezahlte Parteiposten haben, im Luxus schwelgen. Sekt wird wie Wasser getrunken u. die Speisetafel biegt sich unter der Last der Speisen, wenn diese Leute ihre Gelage veranstalten. Einige seiner Freunde waren bei Herm. Göring zum Geburtsag gewesen, dort war dasselbe Bild. Göring schenkte seiner Frau ein schweres, goldenes Armband. Wenn wir Gold haben, ohne es abzuliefern, steht darauf Zuchthaus. – Die gestrige Veranstaltung im Sportpalast wirkte auf mich wie ein gellender Schrei der Angst, – man kann vermuten, daß es noch viel schlimmer steht, als wir ahnen. Zugleich war die Veranstaltung eine Kampherspritze für das Volk u. eine zunächst noch etwas vorsichtige Aufreizung zum Klassenhaß. Die Wut des Volkes soll rechtzeitig abgelenkt werden.

[1705]
Sonntag, 21. Februar 1943.     

[1705]      Gestern den Entwurf für Fritzens Kriegstrauungs=Anzeige fertig gestellt. Nachmittags rief Erichson an, der grade gekommen war. Ich fragte ihn, ob Klischierung u. Druck möglich sei. Er sicherte mir zu, daß er alles machen wolle. Abends Dr. Wessel, ein politischer Kannegießer. Als er kam, war er voll Zustimmung zur Goebbels=Rede. Ich fragte ihn dann nach u. nach aus über das, was er von der Geburtstagsfeier Goerings wußte. Danach muß es also sehr hoch hergegangen sein. Eine z. Zt. berühmte Sängerin – ich kenne ihren Namen nicht weiter – hat dabei mitgewirkt u. für ihre Bemühung ein goldenes Armband mit Brillanten erhalten. Der ganze Festrummel soll einschließlich der Geschenke, die deutsche Firmen gemacht haben! – einen Totalwert von schätzungsweise 5 – 6 Millionen Mark gehabt haben. Also auch hier „totaler Krieg“. – Ich fragte dann weiter, ob Emmy Goering [1706] ihr sämtliches Dienstpersonal entlassen habe, – oder wenn nicht, ob sie als Rüstungsarbeiterin in die Fabrik ginge, – wie Dr. Goebbels es in seiner Rede von allen Frauen, „ob hoch oder niedrig“ verlangt habe. Dr. W. wußte es nicht, glaubte es aber nicht. Ich fragte weiter, ob er derartiges von anderen Frauen der Minister oder hohen Bonzen, etwa von der Frau des Herrn Dr. Goebbels wisse oder glaube. Er verneinte. Ich fragte dann weiter, ob dann wenigstens die Frau des Bürgermeisters von Ribnitz dergleichen täte. Er verneinte auch das. Ich fragte dann, ob wenigstens seine eigene Frau in die Fabrik ginge, – etwa zu Bachmann. Auch das verneinte er, doch fügte er hinzu, daß sie es erst dann tun würde, wenn die Frauen der Bonzen das Gleiche tun würden. – Ich fragte, ob er glaube, daß die Minister u. Bonzen wie wir monatlich nur eine einzige Glühlame zu 25 Volt erhielten, ob sie sich zur Kohlenersparnis auf ein einziges oder zwei Zimmer beschränkten. In dieser Weise fragte ich immer weiter, bis er wutschnaubend auf alle diese Minister u. Bonzen, vor allem auf Dr. Goebbels schimpfend abzog. Eine Viertelstunde genügte also, um seine Begeisterung in das Gegenteil zu verkehren. [...]

[1707]
Donnerstag, den 25. Februar 1943.     

[...] [1707]      Wie ich gerüchtweise höre, soll morgen eine Versammlung stattfinden [1708] wegen des Arbeitseinsatzes. In Mecklenburg ist man schon tüchtig dabei, die Leute einzuziehen, in Althagen sollen vier Mädchen eingezogen sein, – sonst nichts. Das wäre nicht viel. In den Städten ist man eifriger, denn: „Das Volk will Taten sehen!“ Man hat bereits viele Geschäfte geschlossen u. die vorhandene Ware beschlagnahmt, – zum Einkaufpreis – oder vielmehr zum Preise, der in der Inventur angegeben ist, d.h. also, daß Gegenstände zu hohen Preisen, die jahrelang im Geschäft liegen u. an denen man in der Inventur Abschreibungen vorgenommen hat, auch weit unter dem eigenen Einkaufspreis beschlagnahmt werden. So zahlt der Mittelstand den Krieg. Auch Büromöbel, Schreibmaschinen usw. werden beschlagnahmt, selbstredend auch zum Inventurpreis, – da ist es schon besser, wenn eine Fliegerbombe das Geschäft einschmeißt. All die kleinen Geschäftsleute, die auf diese Art stillgelegt werden, werden niemals wieder zu einer eigenen Existenz kommen, – besonders für deren Söhne, die an der Front stehen, eine erfreuliche Aussicht. Sie verteidigen an der Front mit Einsatz des Lebens die Heimat u. das sog. Vaterland, während dieses selbe Vaterland ihnen im Rücken die Existenz ruiniert. Das ist nun diesmal wirklich ein „Dolchstoß in den Rücken“. Inzwischen fahren die Herren Lorenz u. Genossen in ihren Autos zur Jagd.

     Ein Fall in Warnemünde. Die Frau eines Offiziers, der an der Front steht, ist Aerztin. Sie besucht Kranke. Sie kommt in eine Familie, wo Freundinnen der Hausfrau grade zu Besuch sind. Man redet über allerhand, natürlich auch über Politik. Die Aerztin sagt, daß der Gauleiter Hildebrandt eine Geliebte haben u. mit ihr ein Kind haben soll. Die Geliebte soll sehr feudal in irgend einer prächtigen Villa untergebracht sein. Die Aerztin geht weiter, kommt nach Hause u. wird vor die Polizei geladen. Es ergibt sich, daß eine der Freundinnen diese Geschichte ihrem Mann erzählt hat, der ist sofort zur Polizei gelaufen u. hat Anzeige gemacht. Die Aerztin hat Gift genommen u. ist tot, der Mann an der Front? –

     Jetzt werden die fünfzehnjährigen Schuljungens zur Flak eingezogen. Sie bekommen eine Uniform an u. werden militärisch ausgebildet. Der Unterricht soll in verkürzter Form nebenher weitergehen durch besondere Lehrer, die ebenfalls Uniform tragen müssen. Diese Jugend wird einmal im gewöhnlichen Leben stehen müssen, dazu die jungen Soldaten, die schon lange an der Front sind, vielleicht das Ritterkreuz tragen. Sie werden nach dem Kriege von vorn anfangen müssen. Das war schon nach dem ersten Weltkrieg ein schweres Problem, nach diesem Kriege wird es noch schwerer sein, besonders, wenn diese jungen Leute in ihre von Bomben zerstörten Heimatstädte zurückkehren werden u. keine Existenz mehr haben. [...]

Ahrenshoop, März 1943

[1801]
Mittwoch, 3. März 1943.     

[...] [1801] Die große Aktion des Arbeitseinsatzes scheint nicht weiter zu kommen. Hier im Dorf ist jedenfalls immer noch nichts geschehen, obschon die Aktion bis zum 15. März abgeschlossen sein soll.

     Fritz schickte mir die Abschrift eines Briefes, den ein Kaplan Raab an seine Kirchensänger in der Heimat in Viersen aus Stalingrad geschickt hat. Der Kaplan ist Divisionspfarrer u. war in Stalingrad mit eingeschlossen. Der Brief ist ein erschütterndes Dokument. Ich habe Abschriften davon gemacht [1802] u. dieselben an Pfr. Dr. Tetzlaff, Rektor Bütemeyer, Pfr. Dobezynski, Kaplan P. Jaeger u. Pfr. Feige geschickt. Es heißt darin: „Dieses blutgetränkte Stück Erde einer ehemaligen 700000=Stadt möge nie und nimmer mehr von Menschen besiedelt werden. ... Aus den Seelen u. Herzen von uns allen, die wir hier in einer Schicksalsgemeinschaft ohnegleichen stehen, die wir nicht wissen, ob wir die nächsten Minuten noch erleben, – nur Gott weiß es – aus den Seelen u. Herzen schreie ich es Ihnen in die Heimat hinein: Bestürmt den Himmel! – Gibt es noch eine andere Mission für alle, die noch in etwa gesichert leben, wie die Aufgabe des Betens? – Wer jetzt noch nicht begriffen hat, daß hier nur Gott helfen kann, wer da glaubt, den Soldaten helfen zu müssen u. ohne Gott zu helfen glaubt, der möge doch hierher kommen ... Soeben habe ich eine große Schar von ihnen in einem gewaltigen Granattrichter, hinter der Ruine eines großen Gebäudes, zum eucharistischen Gott geführt. Es war schon dunkel u. alle knieten im Dreck u. falteten die Hände wie Kinder ... Ueber uns brauste ein schweres, feindliches Bombengeschwader. Die Russen haben uns zum Glück nicht gesehen. – Kyrie eleison! – Die Heimat soll es rufen, wie diese Männer es gerufen.“

     Dieser Brief ist datiert vom 3. November 1942, – da fing es in Stalingrad erst an. – Gestern Abend besuchte uns Frl. N. u. Martha bat mich, ihr den Brief vorzulesen, was ich nicht ohne ein leises Beben der Stimme tun kann. Frl. N. aber blieb völlig ungerührt u. ohne jedes Verständnis. [...]

[1803]
Sonntag, 7. März 1943.     

[...] [1804]      Essen ist wieder einmal schwer bombardiert worden. Es vergeht kaum eine Nacht, in der die Engländer nicht irgendwo Bomben werfen. Bis Ende Oktober haben wir noch rund 150 Nächte vor uns, in dieser Zeit läßt sich allerhand kaputt schmeißen.

     Von einer Firma bekamen wir 6 Dtz. Lippenstifte geliefert mit der Auflage, dieselben vorwiegend an die Arbeiterbevölkerung zu verkaufen u. sie deshalb nur Freitags u. Sonnabends auszulegen. Das sagt viel! Von einer Schmuckfirma bekamen wir eine Anfrage über unseren Kundenkreis, da sie nur noch liefern dürfe, wenn folgende Käufer in folgender Reihenfolge für den Wiederverkauf in Frage kämen: 1) Wehrmachtsangehörige u. Verwundete. – 2). „Mutter u. Kind“, so weit diese in Heimen untergebracht sind, – 3) Bombengeschädigte. Nun, – es dürfte bald keine Deutschen mehr geben, die nicht Bombengeschädigt sind. – Elektrische Glühbirnen werden nicht mehr verkauft, jede Familie darf nur eine Birne haben.

[1805]
Sonntag Quadragesima, 14. 3. 43.     

[1805]      Fortwährendes warmes Frühlingswetter, sodaß man schon im Garten einiges tun kann. Im Vorjahre herrschte um diese Zeit noch starker Frost u. der Schnee lag so hoch, daß der Verkehr lahmgelegt war. –

     Draußen ist heller, klarer Mondschein u. die englischen Flugzeuge brummen unaufhörlich über uns. –

     Frau K. ist aus Berlin hier u. erzählt schlimme Dinge, wie es dort seit dem letzten Fliegerangriff Anfang dieses Monats aussehen soll. Kurz vorher war Essen bombardiert u. jetzt schon wieder. Es ist schauerlich. Pfarrer Dobczynski aus Barth schreibt mir von der schweren Verwundung seines Bruders, der als Kompaniechef vor Leningrad lag. Gesicht, Arme u. Beine zerfetzt. Man hofft, wenigstens ein Auge zu erhalten. Und den Pfarrer selbst hat man vor etwa einem Jahre einfach verhaftet, ohne Angabe von Gründen in das Gefängnis nach Stralsund verschleppt u. nach vier Wochen ebenso ohne Angabe von Gründen wieder entlassen. „Als Erziehungsmaßnahme“, sagt man. Neuerdings sind wieder fünf Geistliche in Pommern verhaftet worden. –

     Es gehen allerhand Gerüchte. Ein berühmter schwedischer Gehirnspezialist ist nach Königsberg gerufen worden. – Sauerbruch ist von Berlin abgereist. – Attentat auf Hitler! – Was daran wahr ist, weiß natürlich kein Mensch, – die Leute erzählen es auf der Dorfstraße. Tatsache ist, daß eigentlich heute „Heldengedenktag“ sein sollte, derselbe ist aber plötzlich auf nächsten Sonntag verlegt worden. –

     Vormittags Besuch von Mett aus Born. Zum Thema: „Arbeitseinsatz“ erzählte er, daß die Frau des Forstmeisters für 4 Wochen zur Erholung in die Alpen gereist sei, während ihr Haushalt von vier Dienstboten versorgt wird. Der Arbeitseinsatz kommt also auch für diese Familie nicht in Frage, denn der Forstmeister ist als Jagdherr natürlich der gute Freund [1806] von Herrn Himmler, Lorenz, Goering usw. Rücksichtsloser Arbeitseinsatz gilt eben nur für uns. – Dem alten Bauern Paetow haben sie jetzt den letzten Sohn genommen, einen Knecht hat er nicht. Frühjahrsbestellung ist also unmöglich. Am Dienstag soll der einzige Fuhrmann des Dorfes, der die Lebensmittel u. a. Frachten von Ribnitz hierher holt, nach Stralsund zur Musterung. Der Mann ist, glaube ich, 52 Jahre alt. Wenn dieser Mann eingezogen wird, dann werden wir weder Frachten noch Lebensmittel mehr bekommen. Seine Pferde sind zwar so wie so schon halb verhungert, aber der Forstmeister hat acht Pferde in Sundische Wiese stehen. -

     Nachmittags war Herr Maßmann aus Prerow hier, – auf einem ganz neuen Motorrad. Er ist stellvertretender Amtsvorsteher, da der richtige endlich zum Militär eingezogen worden ist, nachdem er es bisher gut verstanden hat, sich zu drücken. –

     Mit Frau Oberin Gertrud van Beck in Bln. telephoniert. Sie wohnt in Südende u. erzählte am Telephon von dem fürchterlichen Bombardement. Es hat überall gebrannt, – in ihrem Hause konnte eine Brandbombe noch rechtzeitig gelöscht werden.

     Rektor Dutemeyer aus Müritz schreibt, daß der junge Erbe seines väterlichen Hofes in Stalingrad gefallen ist.

     Die Kinder Seeberg u. von Paepke sind hier eingetroffen aus Berlin, die Wohnungen der Eltern sind zerstört. – Und über uns kreisen die schweren Bomber. Es ist ein peinliches Gefühl, zu wissen, daß jeder von ihnen Bomben von 2 – 4 Centner Schwere bei sich hat. –

[...] [1806] von Herrn Himmler, Lorenz, Goering usw. Rücksichtsloser Arbeitseinsatz gilt eben nur für uns. – Dem alten Bauern Paetow haben sie jetzt den letzten Sohn genommen, einen Knecht hat er nicht. Frühjahrsbestellung ist also unmöglich. Am Dienstag soll der einzige Fuhrmann des Dorfes, der die Lebensmittel u. a. Frachten von Ribnitz hierher holt, nach Stralsund zur Musterung. Der Mann ist, glaube ich, 52 Jahre alt. Wenn dieser Mann eingezogen wird, dann werden wir weder Frachten noch Lebensmittel mehr bekommen. Seine Pferde sind zwar so wie so schon halb verhungert, aber der Forstmeister hat acht Pferde in Sundische Wiese stehen. -

     Nachmittags war Herr Maßmann aus Prerow hier, – auf einem ganz neuen Motorrad. Er ist stellvertretender Amtsvorsteher, da der richtige endlich zum Militär eingezogen worden ist, nachdem er es bisher gut verstanden hat, sich zu drücken. –

     Mit Frau Oberin Gertrud van Beck in Bln. telephoniert. Sie wohnt in Südende u. erzählte am Telephon von dem fürchterlichen Bombardement. Es hat überall gebrannt, – in ihrem Hause konnte eine Brandbombe noch rechtzeitig gelöscht werden.

     Rektor Dutemeyer aus Müritz schreibt, daß der junge Erbe seines väterlichen Hofes in Stalingrad gefallen ist.

     Die Kinder Seeberg u. von Paepke sind hier eingetroffen aus Berlin, die Wohnungen der Eltern sind zerstört. – Und über uns kreisen die schweren Bomber. Es ist ein peinliches Gefühl, zu wissen, daß jeder von ihnen Bomben von 2 – 4 Centner Schwere bei sich hat. –

[1807]
Mittwoch, 17. März 1943.     

[1807]      Heute Nachmittag Besuch von Frau Prof. Erich Seeberg, mit der wir nun durch Fritzens Heirat in verwandtschaftliche Beziehung treten werden. Erich Seeberg ist der Bruder von Frau Dr. Bohner, der Mutter Margret's. – Sie kam aus Bln, wo ihre Wohnung total zerstört ist u. erzählte anschaulich von der Wirkung dieses letzten Bombenangriffs. Aber auch andere interessante Dinge erzählte sie, so von einer Hochverratsaffaire, die kürzlich in Bln. gelaufen ist, wobei die Angeklagten sich vorwiegend oder ausschließlich aus den Kreisen des Auswärtigen Amtes zusammengesetzt hätten. Alle sind zum Tode verurteilt, auch viele Frauen von hohen Beamten. Von dieser Sache habe ich schon vor einiger Zeit gerüchtweise gehört. – Auch berichtete sie, daß beim Bombenangriff sehr viele von den jetzt neuerdings bei der Flak eingesetzten 15-jährigen Jungens ums Leben gekommen, bzw. schwer verwundet worden seien. – Sie erzählte von verschiedenen Kollegen ihres Mannes, Pastoren, die in Konzentrationslagern waren, in denen vorwiegend hohe Beamte, hoher Adel, kathol. Priester u. evang. Pastoren gefangen gehalten werden u. ein qualvolles Dasein führen. Ferner von den täglichen Hinrichtungen im Gefängnis Plötzensee. – Sie meinte zu wissen, daß Hitler das Oberkommando, welches er sich angemaßt hatte u. das uns Stalingrad eingebracht hat, niedergelegt habe u. sich zur Erholung im Obersalzberg aufhalte. Auch das hörte ich vorher schon gerüchtweise. Nun erzählt Frl. v. Tigerström, die gestern nach langer Abwesenheit aus Süddeutschland wieder bei uns eintraf, daß der Führer durch München gefahren sei. So dürfte dies Gerücht also stimmen. Frl. v. T. erzählt über die Stimmung in Bayern, vor allem in München, wo ein heftiger Preußenhaß herrsche u. starke Opposition gegen die Regierung, was wiederum Terrormaßnahmen auslöse u. in ihrem Gefolge ebenfalls tägliche Hinrichtungen. –

[1807]
Sonntag, 21. März 1943.     

[...] [1807]      Heute ist der sog. „Heldengedenktag“, der eigentlich schon am vorigen Sonntag fällig war, aber auf heute verlegt worden ist. Warum, [1808] weiß kein Mensch. – Bisher hat der Führer noch immer an diesem Tage eine Rede gehalten, u. man erwartete eine solche natürlich auch heute; aber bis jetzt ist im Radio überhaupt noch keine Notiz von diesem Tage genommen worden, weder gestern abend um 8 Uhr, noch heute früh um 7 u. um 10 Uhr. Das ist recht merkwürdig. – Man kann wohl daraus schließen, daß das Gerücht von der Erkrankung des Führers wahr ist. Dementsprechend sind in dieser Woche auch in den Zeitungen Bilder des Führers im Kreise einiger Feldmarschälle u. Generale „bei der Besperechung der Lage“ erschienen, doch läßt sich für den Aufmerksamen unschwer erkennen, daß es alte Bilder sind. Es soll damit aber offenbar der Eindruck erweckt werden, daß der Führer im Hauptquartier ist. –

     Von meiner Schwester Grete aus Dahlem ein düsterer Brief. In 100 mtr. vom Hause ist eine Bombe niedergegangen u. hat fünf Villen in Schutt gelegt, die Kiefern wie Streichhölzer zerknickt. In ihrer Wohnung ist das Dach abgedeckt, alle Fenster sind zertrümmert, Wände u. Decken haben Risse u. Löcher. –

[...] [1808] Es herrscht dauernd sehr schönes Wetter, sodaß ich täglich etwas im Garten arbeiten kann. Die fast taghellen Vollmondnächte bieten ein gradezu ideales Fliegerwetter, doch nutzen die Engländer das merkwürdigerweise nicht aus. In der ganzen Woche fanden keine nennenswerten Angriffe statt, was sehr auffällig ist. Möglicherweise bedeutet das, daß die Engländer mit der Vorbereitung einer Invasion so völlig beschäftigt sind, daß sie für Fliegerangriffe keine Zeit haben. – Wollte Gott, daß es nun endlich dazu käme.

[1809]
Montag, 22. März 1943.     

[1809]      Gestern stellte ich um 2 Uhr das Radio an, um zu erfahren, ob der Führer nicht doch noch zum Heldengedenktag sprechen würde, u. erwischte grade noch die letzten Klänge dieser Gedenkfeier im Zeughause. Er hatte also gesprochen, ohne daß vorher das Geringste bekannt gegeben worden war. Offenbar wagt man solche Bekanntgabe nicht mehr.

     Die Gedenkfeier wurde abends um 815 Uhr von Schallplatten wiederholt. Der Führer sprach, – nein, er haspelte in knapp 20 Minuten eine Rede herunter, die er offenbar ablas, denn so schnell kann man frei nicht sprechen. Er sprach ziemlich eintönig, ohne das sonst bei ihm gewöhnte Schreien, man hatte den Eindruck, daß er nur den Wunsch hatte, möglichst rasch fertig zu werden. Sachlich bemerkenswert war seine Angabe der Zahl der Toten im bisherigen Gesamtkriegsverlauf, er nannte 542000 Tote. Wie weit diese Zahl richtig ist, wird sich später erweisen.

[1810]
Sonntag, den 28. März 1943     
3. Fastensonntag.     

[1810]      Die Woche verlief ruhig u. ereignislos. Bei dauernd schönem Frühlingswetter viel im Garten gearbeitet, den Steingarten erweitert, von Rewoldt einige Stauden dazu bekommen. Frau Dor Westerich aus Hmb.traf ein auf der Flucht vor Bombenangriffen, mit ihrem kleinen Kinde. Sie erzählte viel Schauerliches von den Angriffen auf Hamburg. Aber trotz günstigstem Flugwetters blieb alles ruhig, – bis gestern Abend um ½11 Uhr wieder starkes Motorengeräusch einsetzte, das sich von Minute zu Minute steigerte. Es müssen viele Hunderte von Bomben gewesen sein, die über uns hinweg flogen, denn der Spektakel dauerte ununterbrochen u. ohne die geringste Schwächung bis 1/2 1 Uhr Nachts. Man sah wohl zeitweise die Flak in Rostock stark schießen, aber Bomben wurden nicht geworfen bis auf eine einzige, die anscheinend in nordöstlicher Richtung niedergegangen ist. Vermutlich sind diese Bomber alle gegen Berlin geflogen. Merkwürdigerweise verbreitete sich hier schon seit vorgestern das Gerücht, daß am Sonnabend ein Großangriff auf Berlin erfolgen würde. Nähere Nachrichten habe ich bis jetzt nicht gehört, im Rundfunk war heute früh davon nicht die Rede, – ich habe ihn zwar nicht ganz gehört; aber man wird wohl bald Näheres hören. –

     Im „Reich“ schreibt Hans Schwarz van Berk einen Artikel: „Aengste und Träume“, – der insofern für mich von Interesse ist, als er meine Ansichten über die Kriegslage zu widerlegen sich bemüht, woraus ich entnehmen kann, daß ich offenbar mit meiner Ansicht nicht allein stehe, sondern daß dieselbe sehr verbreitet zu sein scheint. Natürlich stellt Herr Schwarz diese Ansicht als komplette Idiotie hin; aber warum schreibt er dann einen ganzen Artikel darüber, um diese Idiotie zu widerlegen? [...]

Ahrenshoop, April 1943

[1901]
Ahr. d. 2. April 1943. Freitag.     

[...] [1902]      Heute rief Margret an, – sie wird am 10. April mit ihrer Mutter herkommen u. wird bis zum 21. April bleiben. Die Mutter hat große Angst vor dem 20. April, dem Geburtstage des Führers, man glaubt, daß die Engländer an diesem Tage ganz Berlin kaput werfen werden. – [Margret war die Verlobte von Fritz Wegscheider]

[1903]
Donnerstag, 8. Apr. 1943.     

[1903]      Kaltes, stürmisches Wetter, gestern Schnee bei Ostwind, heute Nord-West, aber trocken. Bereitete gestern trotz des Wetters Stiefmütterchenbeet vor, weil ich Planzen bekommen sollte, aber sie kamen nicht.

[...] [1903]      Die Engländer verwenden ihre Mußestunden, um Städte wie Paris, Rotterdam u. Amsterdam zu bombardieren. Paris haben sie am letzten Sonntag am hellen Tage bombardiert u. den Rennplatz Longchamps getroffen, wo eben ein Rennen stattfand, sowie einen anderen Sportplatz, wo grade eine Volksversammlung stattfand. Mehrere Hundert Tote sind die Opfer. In Rotterdam (oder Amsterdam ?) haben sie eine Volksschule getroffen, wobei 180 Kinder ums Leben gekommen [1904] sind u. gestern hieß es, daß beim Angriff auf Amsterdam mehr als 2000 Tote zu verzeichnen seien. Das sind Brutalitäten, die zum Himmel schreien.

     Hier im Dorf ist jetzt auch eine Luftschutzwache eingerichtet worden. In der Nacht vom 16. zum 17. April soll ich dafür Dienst tun. Es ist das ein großer Quatsch, denn ein Fliegeralarm ist bei uns ja völlig zwecklos, weil kein Mensch einen Keller hat, außer einigen Villen, die etwas höher liegen, wie die unsrige, – u. dieser Keller bietet fast keinen Schutz, vor allem nicht gegen Gas. Ein Alarm hat höchstens den Sinn, daß die Leute auf Brandbomben aufpassen; aber neben meinem Hause liegen, außer dem Geschäftshaus der Bunten Stube, das mit Stroh gedeckt ist u. aus einem großen Holzanbau besteht, noch zwei strohgedeckte Häuser, die im Winter unbewohnt sind. Es ist ganz unmöglich, auf diese Häuser auch noch mit aufzupassen u. wenn sie abbrennen, dann brennen wir bestimmt mit ab. [...]

[1905]
Sonnabend, 10. 4. 43.     

[1905]      Gestern nachmittag Besuch von Oberlt. Groß mit seiner Frau. Er ist evang. Pastor von Beruf u. war in der ersten Zeit des Krieges Feldwebel bei unserer Batterie. Jetzt sitzt er irgendwo auf einer verlassenen, norwegischen Insel, zur Zeit nimmt er hier am Schießkursus teil. – An sich ist dieser Herr Groß ein recht belangloser Mann, davon, daß er Pastor ist, ist nicht viel zu merken. Seine Frau ist noch wesentlich belangloser. Interessant ist nur immer, mit welcher Selbstverständlichkeit diese Offiziere von der Aussichtslosigkeit des Krieges sprechen. Die Niederlage ist in ihren Augen unvermeidlich. Und ferner ist ihre politische Stellung interessant. Sie geben sich nicht die geringste Mühe, ihre entschiedene Ablehnung des Nationalsozialismus zu verbergen. – Sonst war Herr G. recht langweilig, er erzählte nur andeutungsweise, so erzählte er von einem SS Mann aus Norwegen, einem Norweger, welcher in der norwegischen SS ist u. an der Ostfront gewesen ist. Dieser Mann hat vom Leben in dieser SS erzählt u. Herr G. meinte, daß es das Schrecklichste gewesen sei, was er je gehört habe. Die Mitglieder dieser Truppe werden, „erzogen“ zur Kaltblütigkeit, indem man von ihnen verlangt, daß sie fünfzig Juden den Genickschuß verabfolgen. Ein Mann dieser Truppe habe eines Tages den Befehl erhalten, drei Juden irgendwohin zu bringen. Der Mann habe die drei Juden unterwegs kalt gemacht u. ihre Leichen verscharrt, dann sei er zu seiner Truppe zurückgegangen u. habe gemeldet, daß er den Befehl ausgeführt habe. Da aber der Mann viel zu früh zurückgekommen sei, habe sein Vorgesetzter Verdacht geschöpft, daß irgendetwas nicht stimmen konnte u. der Mann sei ins Verhör genommen worden. Er habe dann auch eingestanden, die drei Juden ermordet u. verscharrt zu haben. Dem Vorgesetzten ist das auch nicht weiter strafwürdig erschienen; aber daß der Mann den erhaltenen Befehl nicht richtig ausgeführt hatte, das war allerdings strafwürdig. Zur Strafe habe der Mann nun von seinem Vorgesetzten den Befehl erhalten, die drei Leichen wieder auszugraben u. sie an eine andere Stelle zu tragen u. sie dort von neuem zu begraben. Der Mann hat den Befehl auch ausgeführt, aber er ist darüber hin wahnsinnig geworden. Es wäre das wieder einmal eine Geschichte für Prof. Dubovy von der rächenden Strafe Gottes. – [...]

[1906]
Freitag, 16. April 1943.     

[...] [1906]      Das dauernd schöne Frühlingswetter lockt die Sommerhausbesitzer her. Hier aber wird ihnen vom Bürgermeister mitgeteilt, daß sie sich nur 6 Wochen lang in ihren Häusern aufhalten dürfen. Der Sinn dieser Maßnahme ist, wie sooft, völlig unbegreiflich, denn es hat doch niemand einen Nutzen davon, wenn diese Sommerhäuser leer stehen. – [...]

[1907]
Sonntag, den 18. Apr. 1943     
Palmsonntag.     

[...] [1907]      Heute Morgen 8 Uhr waren alle Männer aufgeboten, am Grenzweg einen Luftschutzgraben auszuheben. Auch ich war aufgefordert, bin aber nicht hingegangen. Solche Arbeiten kann ich mit meiner Hüfte denn doch nicht mehr leisten. [...]

[1908]
Montag, 19. April 1943.     

[...] [1908]      Nachmittags Frau Prof. Heydenreich. Der Mann ist nun doch als Dozent nach Mailand gekommen, nachdem diese Berufung bereits über ein Jahr alt ist, aber bisher von den italienischen Behörden verschleppt wurde. Die Frau war inzwischen in Berlin, wo sie in der Insbruckerstr. eine Wohnung hat. Gerade diese Gegend Berlins ist bei dem großen Angriff am 1. März schwer mitgenommen worden, [...]

[...] [1908] Die Frau erzählte allerhand Interessantes. Die schönen Villen am Rande des Schöneberger Stadtparkes sind teilweise vernichtet u. mit ihnen sehr bedeutende Kunstwerte, die die Besitzer der Villen besaßen. Erschütternd aber soll die Stimmung in der Bevölkerung sein, man verbirgt seine Meinung nicht mehr. Dazu kommt die Wirkung der haarsträubenden Hetzreden, die Herr Goebbels vor den Rüstungsarbeitern gehalten hat u. die nichts sind als Aufreizung zum Klassenhaß, – obgleich doch die Nazis behaupten, die Klassen längst abgeschafft zu haben. [...]

[1909]
Mittwoch, 21. April 1943     

[...] [1909] Um 1 Uhr 45 weckte mich der Nachbar Papenhagen, indem er an mein Fenster pochte. Ich hörte die Flak, die seit einiger Zeit am Hohen Ufer steht, heftig schießen u. sehr starkes Motorengeräusch. Ich zog mich an u. ging zu Martha rauf, die schon auf war. Wir sahen vom Fenster aus bei hellem Vollmond Flugzeuge in etwa 20 mtr. Höhe, die von unserer Flak beschossen wurden u. die mit Maschinengewehren antworteten. Weiterhin sahen wir über Rostock starkes Flakfeuer. Die ganze Geschichte dauerte bis 3 Uhr Morgens. Heute früh wurde bekannt, daß Rostock angegriffen worden ist, der Rundfunk berichtete heute von schweren Angriffen hauptsächlich gegen Stettin. Auch Tilsit ist in der Nacht von den Russen angegriffen worden. [...]

[1910]
Müritz, Karfreitag, den 23. Apr. 1943.     

[...] [1910]      Churchill soll eine Rede gehalten haben, in welcher er [1911] eine eindringliche Warnung an Deutschland ausgesprochen haben soll, keinen Gaskrieg zu beginnen. Er soll gesagt haben, er hätte genaue Nachrichten darüber erhalten, daß große Mengen von Gas=Munition an die Ostfront geschafft worden seien. Das würde sich genau mit dem decken, was ich auch sonst aus Offizierskreisen gehört habe. Man sagt, – u. das ist sehr wahrscheinlich, – daß wir nur noch auf diese Weise eine Offensive gegen Rußland durchführen können, – u. eine Offensive müssen wir durchführen, weil sonst unsere hoffnungslose Schwäche vor aller Augen offen liegt. Es ist diesen Leuten absolut zuzutrauen, daß sie nun auch noch dieses Verbrechen begehen u. damit die wehrlosen deutschen Städte englichen Gasangriffen ausliefern. – [...]

[1911]
Müritz, Karsamstag, 24. April 1943.     

[...] [1911]      Das Wetter ist heute wieder sommerlich, wenngleich auch einzelne Wolken am Himmel sind. Der Rektor machte uns heute früh Sorge mit der Mitteilung, daß gestern Abend in Richtung Ahrenshoop viel geschossen worden sei u. daß Leuchtkugeln am Himmel gestanden hätten, doch ergibt sich aus näherer Beschreibung durch Schw. Katharina, daß es ein Uebungsschießen unserer Batterie gewesen sein muß. [...]

[1912]
Müritz, Ostersonntag, 25. April 1943.     

[...] [1912] Nachmittags in der Veranda mit Familie Blümel aus Rostock zusammengesessen, auch der Rektor war dabei. Angeregte Gespräche, natürlich über Politik. Das Gespräch wurde so lebhaft, daß Schw. Oberin kam u. warnte, weil eine von den alten Frauen aus den Bombengeschädigten, welche sehr nationalsozialistisch ist, in der Nebenveranda saß, wo man leicht hören kann. Herr Blümel ist ein intelligenter u. kultivierter Mann, sehr viel mehr, als man es von einem Fahrradhändler erwarten sollte. [...]

[1913]
Müritz, Ostermontag 26. April 1943.     

[...] [1914] Ich hatte Dr. T. vor einiger Zeit eine Abschrift des Briefes des Kaplans u. Divisionspfarrers aus Stalingrad gesandt, er schreibt mir, daß er ihn im Gottesdienst am selben Sonntag noch vorgelesen habe. Auch habe er ihn weiter verbreitet u. der Brief sei bereits mehrfach in Predigten behandelt worden. Dasselbe schrieb mir s. Zt. Pfr. Feige aus Bln-Pankow, dem ich ebenfalls eine Abschrift gesandt hatte. – [...]

[1915]
Ahr. Donnerstag, 29. 4. 43.     

[1915]      Heute war also hl. Messe. Pfr. Dobczynski kam bereits um 8 Uhr. Zum Glück war schon alles gestern Abend vorbereitet. Um 9 Uhr kam Frau Monheim mit Berni, dann Frau Beichler, Schwester von Frau Knecht, zuletzt Frau Oblt. Dr. Krappmann mit Lothar. Ihr Mann mußte leider schießen u. deshalb konnte auch sonst niemand von der Batterie kommen. So konnten wir ziemlich pünktlich um 9 Uhr beginnen. Ich ministrierte. Der Pfarrer hielt eine gute Predigt. Zur hl. Kommunion waren Martha, ich u. der kleine Berni Monheim. Im Augenblick der hl. Kommunion begann die Batterie ihr Schießen mit schwerem Kaliber. –

     In der Nacht vorher Fliegeralarm. Die Engländer flogen wieder sehr tief, aber es war zum Glück sehr dunkel, sodaß unsere leichte Flak diesmal nicht schoß. Bomben wurden nicht geworfen, nur die Flak in Rostock hat geschossen. Dort sollen auch Bomben geworfen worden sein. Ich war draußen auf der Brücke, doch war nicht viel zu sehen. –

[...] [1915]      Kaum war Pfr. D. um 4 Uhr mit dem Rade abgefahren, als Frau Hülsmann aus München, Gattin des Malers, kam, um guten Tag zu sagen. Sie ist seit Ostermontag hier u. wohnt in Althagen bei Frau Geh-Rt. Miethe. Sie erzählte vom letzten Fliegerangriff auf München, der offenbar sehr schwer gewesen ist. Staatsbibliothek völlig ausgebrannt, viele Wohnhäuser u. a. öffentl. Gebäude vernichtet, auch das Braue Haus hat gebrannt, ist aber bald gelöscht worden. Die anderen Gebäude hat man anscheinend brennen lassen, da nicht genug Feuerwehr vorhanden war, die sich teilweise in Nürnberg befand, wo vorher ein Angriff gewesen war. Sie erzählte ferner von den Vorkommnissen in der Münchner Universität u. der Hinrichtung der drei Studenten, unter ihnen eine Studentin. [...]

Ahrenshoop, Mai 1943

[2001]
Ahr. Mittwoch den 5. Mai 43.     

[...] [2001]      Gestern nachmittag Besuch Dr. Krappmann, der mir ein Buch: „Stalin", von Essad Bey, mitbrachte, welches im Jahre 1931 bei Kiepenheuer erschienen ist. Es ist eine Biographie u. – so weit ich bis jetzt darin gelesen habe, sehr interessant.

[...] [2002]      Das Stalin-Buch ist ungemein interessant, besonders, wenn man diesen Menschen mit unserem Hitler vergleicht. Dort ein skrupelloser, von keinem Gefühl u. keinem spekulativen Gedanken gehemmter Bandit, – hier ein sentimentaler Spießer, der toll geworden ist u. aus dieser Tollheit heraus nicht weniger skrupellos, jedoch viel weniger ein brutaler Tatmensch wie Stalin, sondern ein gerissener Gauner, der seine Schurkereien selbst noch vor sich selber mit idealistischer Sentimentalität verkleidet.

[2003]
Mittwoch, 19. Mai 1943.     

[...] [2003]      Heute Vormittag habe ich zum ersten Male in diesem Jahre im Geschäft gearbeitet. Ware ausgezeichnet, besonders Ware von R. Weckmann, fast alles grauenhafter Kitsch zu horrenden Preisen. Bisher haben wir an Waren weniger als die Hälfte von dem bekommen, was wir voriges Jahr hatten u. es scheint, als wollte dieser Warenschwund noch weiter zunehmen. Es wird schwer sein, in diesem Jahre einen Verdienst aus dem Geschäft zu gewinnen. – Heute Abend brachte Fritz die Nachricht, daß vom 1. Juni an die Telephongebühren um 50% teurer werden sollen, die Fahrpreise der Eisenbahn um 100%. Das wäre also das erste offene Zeichen der Inflation, obschon von Seiten der Regierung diese Preiserhöhung als „Kriegszuschlag“ bezeichnet wird, womit ausgedrückt werden soll, daß es sich nicht um eine Preiserhöhung, sondern um eine Steuer handelt. –

     Vor drei Tagen haben die Engländer zwei Stauseen bei uns gesprengt, den einen im Ruhrgebiet, den andern bei Kassel. Die Sprengung scheint vollkommen geglückt zu sein u. es ist eine furchtbare Katastrophe eingetreten. Abgesehen davon, daß weite landwirtschaftliche Gebiete total vernichtet sind, sind auch die dazugehörigen Kraftwerke zerstört, sodaß riesige, kriegswichtige Industrien lahmgelegt worden sind. Die Regierung ist von dieser Katastrophe derart beindruckt worden, daß sie ihren Schrecken darüber nur sehr schlecht verbergen konnte. Das Einzige, was sie zu sagen wußte, war ein Wutschrei gegen die Juden, die angeblich auf diese Idee gekommen sein sollen. So kommt eins zum anderen u. es geht immer weiter abwärts. –

[2004]
Sonntag, 30. Mai 1943.     

[...] [2004]      Die Luftbombardements im Ruhrgebiet nehmen jetzt immer mehr zu, aber die Bombardements auf Sizilien können bald kaum noch zunehmen. Der Angriff ist wohl also von dort her zu erwarten, wenn es nicht ein Bluff ist, um unsere Herresleitung irrezuführen. Von unseren U=Booten ist so gut wie nichts mehr zu hören. Vor einiger Zeit, es sind erst einige Wochen her, hat Herr Dr. Goebbels im Reich geschrieben: „Die Engländer haben uns beim Handgelenk wir aber haben sie an der Gurgel.“ Er meinte damit unseren U=Bootkrieg. Jetzt nimmt Herr G. das Maul weniger voll, er weist im Reich nach, daß ein Krieg ohne Krisis eben kein rechter Krieg wäre u. er tut so, als ob die gegenwärtige Krisis ein Garant unseres endgültigen Sieges wäre. – Schwätzer! –

     Morgen eröffnen wir die Bunte Stube. In den letzten beiden Tagen habe ich mich bemüht, zu dekorieren, dabei merkte ich erst recht, wie wenig Ware wir haben. Obwohl wir etwa die Hälfte des Geschäfts abgeteilt haben u. einen erheblichen Teil einfach leer lassen, ist es kaum möglich, den verbleibenden Rest auch nur annähernd mit Ware zu füllen. Und was für Ware! Früher wären wir schamrot geworden, heute freuen wir uns, den allerübelsten Kitsch hinstellen zu können.

Ahrenshoop, Juni 1943

[2101]
Donnerstag, 3. Juni 1943.     
Christi Himmelfahrt.     

[2101]      Dienstag Abend bei Dr. Grimm. Ich war zum ersten Male bei ihm, seitdem er das kleine Haus bewohnt, welches das ehemalige Waschhaus ist, welches er sich sehr geschickt ausgebaut hat. Wir saßen in einer geschlossenen Veranda, die den Ausblick nach Norden zum Darsser Ort u. nach Westen über die See hat. Für denjenigen, der das liebt, ist die Lage des Hauses hart am Strande recht reizvoll, für mich ist das nichts. Man hat zu wenig das Gefühl der Geborgenheit im Hause, man fühlt sich der ungebändigten Natur zu sehr ausgeliefert; aber das ist ja die Sehnsucht der Großstädter! Sieburg hat wohl recht, wenn er meint, daß es die Sehnsucht aller Deutschen sei im Gegensatz zu den Franzosen, welche mehr die kultivierte Landschaft lieben. Wenn dem so ist, dann fühle ich deutlich meine französische Abstammung. Ich liebe diese Landschaft hier nicht, welche immer unbestimmt u. in Licht oder in Nebel oder in Dämmerung zu zerfließen scheint, ohne klare Konturen u. Grenzen. Die Landschaft ist ganz unkultiviert u. wild, es ist eine barbarische Landschaft. – An jenem Abend kam das besonders stark zum Ausdruck, da sich der Himmel eingetrübt hatte u. da es begann, zu nieseln, sodaß auch der Horizont nicht mehr zu sehen war. Man sitzt dann vor einer grauen Unbestimmtheit wie vor einem Abgrund, der ins Nichts zerfließt. – Wir saßen hart auf unbequemen Bänken u. tranken einen ziemlich sauren Rheinwein. [...]

[2101]      Am Montag haben wir zum ersten Male das Geschäft geöffnet gehabt. Es war ziemlich lebhaft durch die Filmleute, die augenblicklich hier sind. Es wird ein Film gedreht, der um 1900 spielt u. eigentlich auf Helgoland spielt, wo man aber jetzt im Kriege nicht filmen kann. Henni Porten spielt mit u. ist wohl die Kanone. – [...]

[2101] heute Nachmittag war die Preisprüfungs=Kommission bei uns u. fand allerhand auszusetzen. Trotzdem kamen wir einigermaßen glimpflich davon, denn die beiden Herren in Civil waren ziemlich wohlwollend, nur der dazugehörige Polizeimann war ein rechter Büttel, der uns am liebsten in hohe Strafe genommen hätte, weil wir einige kunstgewerbliche Gegenstände zu hoch kalkuliert hatten. Zum Glück waren wir vorher von anderen Geschäftsleuten benachrichtigt worden, sodaß wir vorher den Laden ziemlich leer räumen konnten. Als die Kommission kam, war kaum noch Ware im Geschäft. Wir werden wahrscheinlich einen Verweis bekommen, u. werden uns in Zukunft noch mehr vorsehen müssen. Es ist nur tröstlich, daß dieses Regierungssystem bald sein Ende gefunden haben wird. Aber die Sache hat uns doch sehr mitgenommen u. besonders Martha war sehr aufgeregt, – was aber sehr gut war, denn sie erregte so das Mitleid der beiden Herren.

[2102]
Sonntag, 6. Juni 1943     

[2102]      Wir haben das Geschäft noch weiter leer geräumt, weil zu erwarten ist, daß die Preisüberwachung nocheinmal wiederkommt. Freitag abend war Frl. Neumann bei uns u. erzählte von ihren Erlebnissen mit dieser Kommission im Kurhause, wo diese Leute nicht weniger als sechs Stunden lang den ganzen Betrieb durchgeschnüffelt haben. Sie haben sich dort gradezu unverschämt benommen, während sie bei uns ziemlich harmlos waren. Frl. N. hat, als die Leute endlich fort waren, einen regelrechten Nerven-Zusammenbruch gehabt. [...]

[2103]
Dienstag, 8. Juni 1943.     

[...] [2104] Gestern wurde uns bekannt, daß die Preisprüfungs-Kommission ab heute bis Donnerstag Zimmer im Baltischen Hof belegt hat. Es wird also heute diese Preisschnüffelei wieder losgehen. Gestern abend haben wir nochmals einige Preise in der Textilabteilung revidiert, hoffentlich wird es diesmal alles klappen. [...]

[2104]
Sonnabend, 12. Juni 43.     

[2104]      Das Wetter ist wieder schön geworden. Sommerliche Temperatur, Sonnenschein. Morgen ist Pfingsten. Heute im Geschäft sehr lebhaft. Die Leute kaufen, nur um ihr Geld los zu werden. Die Preisprüfungskommission ist nicht wieder bei uns gewesen. Tageskasse heute 1033,– Rm., obwohl wir nur von 4 – 7 Uhr geöffnet haben.

     Herr Beichler war nach Geschäftsschluß eine Viertelstunde bei uns mit seiner Pflegetochter, Frau Gerda Knecht. Wir saßen etwas vor dem Hause u. er erzählte vom letzten Angriff auf Wuppertal, der furchtbar gewesen sein muß. Er ist Unteroffizier bei der Artillerie in Osnabrück u. zwei Wachtmeister seiner Truppe sind aus Wuppertal. Sie haben erzählt, die Engländer hätten nicht mehr wie bisher Phosphor in Kanistern abgeworfen, sondern sie hätten das Phosphor direkt aus den Flugzeugen gespritzt, sodaß ein Feuerregen niedergegangen sei, der alles vernichtet hätte, sogar das in dieser Stadt verwendete Holz=Asphaltpflaster hätte gebrannt, sodaß die Menschen nicht aus den Häusern herauskonnten. Die Leute sollen in die Wupper geflüchtet sein. [...]

Ahrenshoop, Juli 1943

[2201]
Donnerstag, 22. Juli 1943.     

[2201]      Nachdem vorgestern im Heeresbericht von einer „beweglichen Verteidigung“ Sizieliens die Rede war, wurde gestern gesagt, daß sich unsere Truppen „vom Feinde abgesetzt“ hätten, d.h. also: Rückzug.

     Gestern Abend war Dorfversammlung in Sachen Luftschutz. Ich habe Klaus mit Margret hingeschickt. Nach Margret's Erzählung hat Prof. Reinmöller eine gradezu groteske Rede gehalten, denn er ist Oberbefehlshaber für den Luftschutz im Dorf. Er ordnete an, daß alle Leute heute sofort zum Strande gehen sollen, um Sand zu holen. Das ist aber überall längst geschehen. Ferner ordnete er an, daß überall Wassereimer aufgestellt werden müßten, jedoch besitzt kein Mensch mehr Eimer, die er nicht unbedingt gebrauchte. Schließlich ordnete er an, daß überall Feuerpatschen bereit stehen sollten, jedoch besitzt kein Mensch mehr Scheuertücher oder andere geeignete Stoffe, nachdem durch die wiederholten Spinnstoffsammlungen auch der letzte alte Lappen längst abgegeben worden ist. Diese sämtlichen Anordnungen des Herrn Professor sind also Quatsch. – Dann aber hat dieser Mann, über den das ganze Dorf lacht, weil er unter dem Pantoffel seiner Hausdame steht, mit der er ein Verhältnis hat, eine blutdürstige Rede gegen die Engländer gerichtet, die in dem Ausrufe gipfelte: Der Tag der Rache kommt, – dann wird diese ganze Insel in Feuer u. Schwefel untergehen u. diese Schweine werden totgeschlagen werden bis zum Letzten. –

     Gewiß ist die Art des Luftkrieges, wie ihn die Engländer u. Amerikaner führen, eine Rohheit, die in der Weltgeschichte einzig dastehen würde, wenn wir uns nicht vorher desselben Verbrechens schuldig gemacht hätten. So teilen wir uns mit ihnen in diesen Ruhm. Natürlich konnten wir nicht Rom bombardieren, wie sie es jetzt getan haben, – dennoch sind wir die erste Ursache dazu. [...]

[2202]
Sonntag, 25. Juli 1943.     

[2202]      Nachts kurz nach 1 Uhr erwachte ich von einem eigentümlichen Geräusch im Hause. Ich glaubte, daß Klaus sich zur Abreise fertig machte bis ich bemerkte, daß es noch dunkel war, daß also dieser Grund nicht in Frage kam. Schließlich stand ich auf u. merkte daß alle Fenster von Zeit zu Zeit zitterten. Ich ging rückwärts auf die Terrasse, von wo ich dieses Zittern auch von den Seezimmer-Fenstern hörte, als ob starker Sturm die Fenster Zittern machte, doch war es ganz windstill. Bei angespanntem Lauschen vernahm ich dann auch ganz schwaches Donnern wie von Bomben, sah aber keine Lichtwirkungen. Ich begriff, daß es sich um einen sehr fernen Fliegerangriff handelte müsse. – Dr. K. sagte mir heute früh, daß Hamburg angegriffen worden sei, der Heeresbericht bestätigte es. Es muß wohl ein fürchterlicher Angriff gewesen sein, wenn die Lufterschütterungen bis hierher gewirkt haben, was ich nicht für möglich gehalten hätte. Martha hat versucht, ihren Bruder Otto anzurufen, doch war Verbindung mit Hmb. nicht zu bekommen. [...]

[2202]      Am frühen Nachmittag gegen 4 Uhr war wiederum starkes Motorengeräusch hörbar, u. zwar vom Bodden her. Bald darauf hörte man sehr starke Detonationen. In diesem Augenblick kam Frl. von Tigerström per Rad aus Wustrow u. erzählte, sie habe sechs englische Bomber gesehen, die in der Gegend von Pütnitz Bomben geworfen hätten. Das wurde später von Frau Gr. Noelle bestätigt, die am Abend bei uns war. Die Batterie hatte Fliegeralarm gegeben u. die Menschen waren ziemlich erregt, es gab einige wilde Gerüchte. [...]

[2203]
Dienstag, den 27. Juli 1943.     

[...] [2203]      Die Flieger, die am Sonntag hier waren, haben Brandbomben geworfen, doch sind diese infolge des sehr starken Windes, der zu dieser Zeit grade herrschte, in den Bodden gefallen. Spangenberg will gesehen haben, daß sie auf dem Wasser gebrannt haben. Möglicherweise haben diese Brandbomben der Batterie gegolten. Wenn sie getroffen hätten, dann wäre bei dem starken Winde ganz Althagen vernichtet worden. Es ist wie ein Wunder, denn kurz vor dem Angriff war es noch fast Windstill u. später flaute der Wind wieder ab. – Der Dampfer Ribnitz-Wustrow hat den Betrieb wieder eingestellt, weil Gefahr besteht, daß auch Minen geworfen sind, was indessen unwahrscheinlich ist. [...]

[...] [2204] Gauleiter Hildebrandt, hat gestern sämtliche Mecklenburgischen Bonzen zusammengetrommelt, um, wie es heißt, „ein glühendes Treuebekenntnis zum Führer“ abzugeben. Nun beginnen diese Leute ernstlich Angst um ihre Futterkrippen zu bekommen. [...]

[2204]
Mittwoch, 28. Juli 1943.     

[2204]      Die Nervosität ist sehr groß, es war heute im Geschäft deutlich zu spüren, zumal heute Nacht wieder sehr große Massen von Fliegern über uns hinweg geflogen sind. Am Nachmittag wurde durch den Heeresbericht bekannt, daß wiederum ein sehr starker Angriff auf Hamburg stattgefunden hatte. Mit Hamburg selbst ist keine Verbindung zu bekommen. Da viele Hamburger hier sind u. sehr viele ihre Verwandten in Hamburg haben, ist natürlich die Besorgnis sehr groß, auch bei Martha. Von Otto Wendt bekamen wir jedoch heute eine Karte, in der er mitteilt, daß sie „bis jetzt“ noch leben, da Blankenese bisher verschont geblieben sei, sonst aber sei Hamburg eine erledigte Stadt. Es gibt kein Gas, an vielen Stellen kein Wasser u. kein Telephon, ob noch ein Bahnhof steht, weiß er nicht, ebenso wenig weiß er, ob die Häuser von Max u. Emma Wendt noch stehen, von den weiteren Verwandten weiß er es natürlich ebensowenig. Sein Kontor u. Lager ist niedergebrannt. Bahnverbindung nach Hmb. gibt es noch nicht. Die Karte ist vom 26. 7. datiert, also am Montag u. um 19 Uhr in Blankenese aufgegeben, sie ist also überraschend gut hier eingetroffen. – [...]

[2205]
Donnerstag, 29. Juli 1943.     

[2205]      Heute Vormittag 11 Uhr haben wir die Kinder nach Ribnitz geschafft, Frau Matusch holte sie ab u. nahm sie im Wagen mit. Eine Stunde vorher kamen eine große Anzahl Flugzeuge in großer Höhe über unseren Ort, man will bis zu 60 Apparate gezählt haben. Gleich darauf setzte starkes Abwehrfeuer in Rostock ein. Wir hörten, daß an der ganzen Küste bis Stettin Fliegeralarm war. [...]

[2205]      Es ist überaus heiß u. trocken. [...]

[2205] Im Kurzwellensender entdeckte ich heute einen offenbar illegalen Sender deutschnationaler Richtung, der sich vom Nationalsozialismus abzusetzen versuchte u. dazu die abgeleierten Platten von Deutschlands Ruhm u. Ehre u. nationaler Kraft neu aufgelegt hat. Man will sich also vom Sozialismus trennen u. nur noch national sein, wobei man darauf spekuliert, daß es ja grade die Deutschnationalen um Hugenberg gewesen sind, die Hitler ans Ruder gebracht haben. Man kann sich nur über solch dummdreiste Unverfrorenheit wundern. [...]

[6]
Sonnabend, 31. Juli 1943.     

     Gestern Abend waren bei uns zu Gast: Erzpriester Feige, Pater Dubis S. J., – u. uneingeladen kamen zu kurze Zeit dazu Dr. Krappmann u. Frau. Wir tranken den Nahewein, den Vater Bohner zu Fritzens Hochzeit besorgt hatte u. von dem noch ein paar Flaschen übrig waren. Bei der gegenwärtigen Hitze war das ein großer Genuß. – Die Gespräche galten natürlich ausschließlich der politischen Lage. Dr. K. gab dabei zum ersten Male einen auf wirklicher Beobachtung fußenden Bericht über den Fliegerangriff am letzten Sonntag. Danach sind es etwa 50 Flugzeuge gewesen, die sich über uns teilten u. in verschiedenen Richtungen weiterflogen. Eta 28 Flugzeuge flogen in Richtung Althagen u. warfen dort Brandbomen, die sämtlich in's Wasser fielen. Der Sinn dieses Abwurfs ist völlig unklar. Die Maschinen flogen dann nach Rostock-Warnemünde weiter, wo sie hauptsächlich auf die Arado-Werke Bomben warfen. Diese Detonationen, sowie die Flakabwehr waren die starken Detonationen, die wir hörten. Während dieser ganzen Zeit u. schon lange vorher lag im Süden eine schwere, gelbschmutzige Dunstschicht, die ich für ein Gewitter gehalten habe, die aber in Wahrheit der Rauch des brennenden Hamburg war.

     Inzwischen, besonders heute, sind Flüchtlinge aus Hamburg hier eingetroffen. Herbert Westerich, der z. Zt. in Dänemark irgendwo als Obergefreiter bei der Wehrmacht ist, hatte sich auf die Nachricht von dem Unglück Urlaub geben lassen u. war per Auto nach Hamburg gefahren. Er kam dann Mittags hier an u. verhinderte so rechtzeitig, daß seine Frau, die hier beim Bauunternehmer Helms wohnt u. natürlich sehr aufgeregt war, nach Hamburg fuhr. Zwar hatte sie ein Telegramm aus Bln. bekommen von ihrer Schwester, die gleich nach dem ersten Angriff nach Hmb. gefahren war u. den alten Vater von dort abgeholt hatte. Beide waren also vorläufig in Sicherheit. Aber nun glaubte Frau W. ihren Mann Herbert in Hmb. Als er ankam, war Frau W. grade bei uns. Herbert W. sah sehr verdreckt u. übermüdet aus. Er hatte in Hmb. festgestellt, daß alle Familienangehörigen in Sicherheit waren u. daß sein Engros=Lager zu den ganz wenigen, bis jetzt noch unbeschädigten Häusern gehörte; aber sonst ist nach seinem Bericht ganz Hamburg ein einziger Schutthaufen. Er erzählte grauenvolle Dinge. Am Nachmittag waren noch andere Flüchtlinge eingetroffen, die alle nur das nackte Leben gerettet haben u. die bei uns im Geschäft alle dasselbe erzählten. Es muß grauenvoll sein. Dazu geht hartnäckig das Gerücht um, daß im englischen Sender unserer Regierung ein auf Montag-Vormittag 11 Uhr befristetes Ultimatum gestellt worden sei, zurückzutreten, widrigenfalls Berlin dasselbe Schicksal treffen solle. – Unsere Nazis, – besonders Frau Siegert, sind plötzlich sehr klein geworden u. trauen sich nicht mehr, „Heil Hitler“ zu grüßen. Die Erbitterung im Publikum ist maßlos gestiegen, denn niemand glaubt daran, daß Hitler abdanken wird, sondern jedermann ist überzeugt, daß er u. alle übrigen Bonzen ihre Stellungen bis zum letzten Deutschen halten werden. – Und das ist in der Tat ein Verbrechen, das alle Vorstellungen übersteigt, denn es ist sonnenklar, daß wir diesen Krieg verloren haben. Diese Leute aber, die alles zu verlieren haben, [2301] opfern das ganze Volk, um ihre eigene Katastrophe noch etwas hinauszuzögern. – [...]

Ahrenshoop, August 1943

[2301]
Donnerstag, 5. August 1943.     

[2301]      Sonntag Nachmittags machten Prof. Franz Triebsch u. Frau Besuch. Wir saßen auf der Terrasse in ingeregtem Gespräch, natürlich war das Hauptthema die politische Lage u. die Katastrophe von Hamburg. Frau T. ist Hamburgerin, geb. Becker. Durch die Katastrophe ist T. auch sehr berührt, da er sein Vermögen dort angelegt hatte. Ich konnte mich nicht enthalten, Herrn T. einige bittere Wahrheiten zu sagen über die ehemaligen Deutschnationalen, zu denen er ja auch gehörte u. denen wir die Nazis in der Hauptsache zu verdanken haben. [...]

[2301]      Inzwischen hat sich der Ort mehr u. mehr mit Hamburgern angefüllt, lauter Menschen, die alles verloren haben u. die dieses traurige Geschick teilweise mit nur geringer Würde zu tragen wissen. Der Gott dieser Menschen war von je her ihr Bauch, ihr Lebensinhalt war Reichtum u. Wohlleben. Nun ist das über Nacht dahin u. es bleibt nichts übrig als eine leere Fassade. Jetzt schimpfen sie alle auf Hitler – aber früher haben sie ihn gewählt. – Die Stimmung ist fürchterlich. – [...]

[2302]      Es gibt seit Hamburg keinen Tabak mehr. Die Leute kommen täglich zu mir, um zu fragen, ob nicht doch etwas gekommen wäre. Auch auf die Kleiderkarten gibt es nichts mehr zu kaufen, jeder Verkauf ist gesperrt. Infolge der Dürre gibt es kaum noch Magermilch. [...]

[2303]
Montag, 9. Aug. 1943.     

[...] [2303] Lehrer Deutschmann, unser politischer Leiter, ist zurück von einer großen Tagung, auf der die Richtlinien für die nächste Zeit besprochen worden sind. Er hat erklärt, daß Ahrenshoop für evakuierte Berliner ausersehen sei. Für die Bevölkerung sei pro Kopf ein Zimmer zugebilligt. Das kann in unserem Hause ja nett werden, nachdem die Zimmer fast alle ineinander übergehen. Man will Oefen aufstellen, um die nicht heizbaren Räume bewohnbar zu machen. – [...]

[2303]
Mittwoch, 11. August 1943.     

[...] [2303]      Gestern nachmittag war der kleine Borchers noch einmal bei mir, um Zigaretten zu erbitten. Ich ließ mir etwas von Hmb. erzählen. Als Pionier ist er ja sowohl bei den Rettungsaktionen wie bei der Aufräumung tätig. Seine kurzen Schilderungen sind grauenhaft. Er ist mit dem Motorrad durch die Straßen gefahren, oft über die verkohlten Leichen hinweg. Zerfetzte Menschen, abgerissene Glieder. Es brennt immer noch, besonders die Schiffe im Hafen. [...]

[...] [2303]      Bisher hatten wir das Geschäft jeden Montag, Mittwoch, Donnerstag u. Sonnabend von 4 – 7 Uhr für das Publikum geöffnet, von jetzt an wollen wir auch den Donnerstag schließen. [...]

[2304]
Sonnabend, 14. Aug. 43.     

[2304]      Borchers erzählt mir, daß bis zum vorigen Freitag, – so lange er noch in Hmb. war u. sich als Pionier bei der Aufräumung beteiligen mußte 103.000 Leichen geborgen wurden. Zu dieser Zeit waren aber nur die wichtigsten Stadtteile bearbeitet, unter den Trümmern der übrigen Stadtteile mag noch einmal dieselbe Anzahl liegen. Die Fortschaffung dieser Leichen geschieht auf Lastwagen u. sie werden dann mit Baggern oder Greifern in vorher ausgebaggerte Gruben geworfen, da eine Identifizierung der Leichen völlig unmöglich ist. – Das sind die letzten Früchte menschlich=teuflischer Kultur! [...]

[2305]
Mittwoch, 18. Aug. 1943.     

[2305]      Ich wachte um 1/2 2 Uhr auf von sehr starkem Motorengeräusch, das von schweren Bombern herrührte, die über uns hinweg flogen. Gegen 3/4 2 Uhr kam Martha zu mir, sie ängstigte sich. Sie will in Richtung Rostock Flakfeuer gesehen u. Detonationen gehört haben. Es mag sein, – ihre Fenster liegen in dieser Richtung, während ich in meinem Zimmer nur das Motorengeräusch hörte. Es müssen viele Hunderte von Flugzeugen gewesen sein, die immer in neuen Wellen anflogen aus Richtung Gjedser. Der Lärm ließ erst nach 1/2 3 Uhr nach. – Heute früh im Rundfunk wurde keinerlei Nachricht darüber bekannt gegeben. Ich fürchte, daß dieser Angriff Berlin gegolten hat. Es war klarer Mondschein u. fast windstill. [...]

[2306]
Donnerstag, 26. Aug. 1943.     

[2306]      Gestern Nachmittag erhielten wir die Anzeige des Geburt eines kleinen Mädchens Susanne des Ehepaares Arnold u. Barbara Klünder in Althagen. Barbara ist die Tochter von Koch-Gotha, der eine sehr reizende Anzeige gezeichnet hat. Heute habe ich in Gedichtform gratuliert.

     Ferner wurde gestern bekannt, daß Heinr. Himmler zum Innenminister ernannt worden ist. Der bisherige Innenminister Dr. Frick ist Reichsprotektor in Böhmen geworden an Stelle von Neurath, der nun endlich von diesem Amte entbunden worden ist, nachdem er es schon längst nicht mehr führte. – Die Ernennung Himmlers zum Innenminister wirkt überall niederschmetternd. Dieser Mann ist wohl der Meistgehaßteste unter allen Bonzen, selbst die Nazis u. sogar die SS, deren Chef er ist, hassen ihn. Diese Ernennung ist ein Symptom für den Ernst der Lage, man fürchtet Revolten, zu deren Niederschlagung man einen brutalen, rücksichtslosen Menschen braucht, besonders am Vorabend der zu erwartenden Angriffe auf Berlin. [...]

Ahrenshoop, September 1943

[2401]
Mittwoch, 8. September 1943     

[...] [2401]      P. Meer erzählte Furchtbares aus Essen, u. a., wie in dem Keller, in dem er war u. wohin er das Allerheiligste u. die Monstranz u. den Kelch, dazu noch Meßgewänder usw. gerettet hatte u. in dem er mit vielen anderen Menschen, meist alten Frauen, gesessen hatte, es so heiß wurde, daß sie raus mußten. Sie haben versucht, durch Kellerdurchbrüche zu entkommen, doch erwies sich das als aussichtslos, da es überall gleichmäßig brannte. Ich weiß nicht mehr, wie ihnen die Rettung doch noch gelang; aber er sagte, daß er später hingegangen sei, um das Allerheiligste, die Monstranz, den Kelch u. die Gewänder zu bergen, doch sei von all dem nichts mehr vorhanden gewesen. Alles war infolge der furchtbaren Hitze verkohlt u. das Metall war geschmolzen. Dasselbe habe ich auch von Hamburg gehört, wo die Steintrümmer über den Kellern noch nach Tagen so heiß gewesen sind, daß man an die Keller nicht heran konnte. Die Menschen in diesen Kellern waren verkohlt u. so zusammengeschrumpft, daß man sie in Kästen verpacken konnte. Man erzählte sich von Müttern, die ihre verkohlten Kinder in normalen Koffern bei sich führten, um sie irgendwo zu beerdigen. [...]

[2402]
Donnerstag, 9. Sept. 1943.     

[2402]      Nach Mitteilung unserer Frühnachrichten hat die deutsche Regierung gestern Abend um 23 Uhr sich entschlossen, die Kapitulation Italiens im Rundfunk bekannt zu geben. Sie hat sich dazu einige Stunden Zeit lassen müssen, um sich klar zu werden, was sie dem deutschen Volk sagen solle. Sie hat es dann im echt nationalsozialistischem Stil gesagt d.h. sie hat geschimpft auf die Verräter, die ihrer verdienten Strafe nicht entgehen würden, – u. selbstverständlich sind es wieder die Juden, die diesen Verrat ausgeführt haben, – obgleich es doch, wie es immer hieß, in Italien garkeine Juden mehr gab. [...]

[2403]
Mittwoch, 22. Sept. 43.     

[2403]      Ich erhielt vom Wehrbezirkskommando Stralsund eine Aufforderung, drei Lichtbilder zwecks Ausstellung eines Ausweises [...] [2404] einzureichen. Eilt! – Was das bedeuten soll, weiß ich nicht. Frau Boroffka, die einzige Fotografin, ist z. Zt. verreist. Ich habe dem Bezirkskommando dies mitgeteilt. [...]

[2404]
Sonnabend, den 25. Sept. 1943.     

[...] [2404]      Gestern feierten wir den Geburtstag von Jens Wegscheider, der acht Jahre wurde. [...] [2404] zu der sich Jens acht Jungens eingeladen hatte. Zum Glück kam Martha auf den guten Gedanken, den Kaffeetisch in der Bunten Stube herzurichten, denn es ergab sich, daß sämtliche Kinder des Religionsunterrichtes es einfach als selbstverständlich angenommen hatten, daß sie eingeladen waren. Dazu kamen noch andere dazu, sodaß nicht weniger als 20 Kinder erschienen. [...] [2404] Da Gesine Meisner mit ihrer Ziehharmonika da war, schlug ich vor, es sollten gemeinsam Volkslieder gesungen werden. Ich war der Meinung, daß der Nationalsozialismus, der sich ja die Erziehung der Kinder so angelegen sein läßt u. der den Mund so voll nimmt mit seiner angeblichen Pflege deutschen Kulturgutes, das deutsche Volkslied wenigstens pflege. Aber welch ein Irrtum! Es ergab sich, daß nicht nur unsere Dorfjugend, sondern auch die vielen städtischen Kinder aus Berlin u. anderen Städten kein einziges Volkslied auch nur dem Namen nach kannte. [...]

Ahrenshoop, Oktober 1943

[2501]
Sonntag, den 10. Oktober 1943.     

[2501]      Gestern Vormittag, etwa 1/2 11 Uhr, flog ein Geschwader von 120 schwerer, amerikanischer Bomber über unseren Ort, von Westen kommend, nach Osten, also Richtung Stettin. Bis jetzt ist Näheres noch nicht bekannt geworden. Die Maschinen flogen garnicht sehr hoch bei klarstem Wetter u. Sonnenschein, sodaß man sie vorzüglich sehen konnte. [...]

[2502]
Sonnabend, den 16. Oktober 1943.     

[2502]      In dieser Woche habe ich seit vielen Jahren wieder einmal zu malen versucht. Durch Hülsmann habe ich gutes Aquarellpapier bekommen und auch Aquarellfarben. Der erste Versuch mißlang vollständig, einen zweiten Versuch habe ich gleichfalls aufgeben müssen. Die Technik ist schwierig – aber vor allem schlage ich mich noch mit Kompositionsproblemen herum. Wenn man in Oel malt, kann man das während dem Malen tun, beim Aquarell soll aber alles gleich sitzen. Gestern betrachtete ich Reproduktionen nach Picasso u. es wurde mir einigermaßen klar, woran ich gescheitert bin, nämlich an den Formen, die in's Bild hineingehen, also hier hauptsächlich am Vorder= u. Mittelgrund. Es handelte sich um einen Weg u. eine Wiese, die vom Vordergrund in den Mittelgrund reichen. Dergleichen kann Picasso offenbar auch nicht lösen. [...]

[2503]
Sonnabend, den 23. Okt. 1943.     

[...] [2503]      Es ist mir zu Ohren gekommen, daß einige Klatschweiber im Dorfe sich die Mäuler zerschlagen über den Religionsunterricht, den ich den Kindern gebe. Vor allem scheint es diese Frau Siegert zu sein, die als Nationalsozialistin eine Rolle spielt u. furchtbar angibt. Was die Weiber das bloß angeht? [...]

[2503]
Sonntag, den 24. Oktober 1943     

[2503]      Der Klatsch im Dorf über den Religionsunterricht geht fröhlich weiter. Martha hat mit dem Lehrer Deutschmann gesprochen, dem die Sache auch bereits zu Ohren gekommen ist. Wir hatten ihn vorsichtshalber gleich zu Beginn des Unterrichts über die Sache informiert u. er hatte nichts dagegen einzuwenden gehabt; aber nun war doch zu merken, daß er Angst hatte u. vor dem Klatsch u. Frau Siegert zurückweichen wollte. Gestern Nachmittag war aber Frau Prof. Marie Seeberg bei Martha. Sie ist Nationalsozialistin, oder wenigstens steht sie dieser Bewegung positiv gegenüber u. verkehrt darum mit Frau Siegert. Martha hat ihr von diesem Klatsch erzählt u. hat ihr gesagt, daß es sich dei dem Unterricht nur darum handele, daß der Vater von Jens mich gebeten hat, seinem Jungen Religionsunterricht zu geben u. daß daraufhin andere Mütter mich gebeten hätten ihre Kinder daran teilnehmen zu lassen, – daß also diese Sache keinen anderen Menschen etwas anginge. Frau S. rief dann noch am Abend bei uns an u. teilte mit, daß sie bei Frau Siegert gewesen wäre u. daß nun alles in Ordnung sei. Es scheint also, als ob diesem übelsten u. gehässigsten Weibe erst mal der Mund gestopft wäre. – [...]

[2504]
Sonnabend, 30. Oktober 1943     

[...] [2504]      Frau Siegert hat ihren Klatsch gegen den Religionsunterricht trotz der Einmischung von Frau Marie Seeberg fortgesetzt u. hat dabei nun auch den politischen Leiter, den Lehrer Deutschmann, mit Drohreden bedacht. Dieser hat nun Angst bekommen. Er war gestern Abend bei mir, um mich zu bitten, den Unterricht einzustellen. Er beruft sich auf ein Gesetz aus dem Jahre 1872, nach welchem jeder, der irgend einen Unterricht erteilen will, dazu einen Erlaubnisschein haben muß. Einen solchen habe ich natürlich nicht u. es ist aussichtslos, einen solchen zu beantragen. Auf jeden Fall liegt die Sache so, daß diese Frau Siegert den weiteren Unterricht verhindern kann, wenn sie sich dieserhalb an die politische Behörde bzw. an die Partei, wendet, denn dann wird der Unterricht glatt verboten, ob mit oder ohne Erlaubnisschein, denn es genügt, wenn auch nur Einer daran Anstoß nimmt. Es wird dann daraus sofort eine öffentl. Volksmeinung gemacht. – Herr D. war überaus wohlwollend, aber da er Angst hat, kann man nichts machen. Wenn ich den Unterricht trotzdem fortsetze, dann kann er sagen, er hätte es mir verboten u. man könnte mich dann im Gefängnis festsetzen. – Es wird ja wohl nicht mehr allzu lange dauern! – [...]

Ahrenshoop, November 1943

[2601]
Sonntag, 7. November 1943.     

[...] [2602]      Heute Nachmittag wollen Krappmanns kommen, um über die Wiederaufnahme des Religionsunterrichtes mit mir zu sprechen. Es muß das sehr vorsichtig geschehen u. ich werde nur noch die drei Jungens Jens, Lothar Krappmann u. den kleinen Reinhard Clemens zulassen, damit möglichst nicht neues Geklatsche entsteht. – Vielleicht fange ich morgen wieder an. [...]

[2603]
Montag, 8. November 1943.     

[2603]      Gestern Nachmittag Krappmanns. Wie immer, war es sehr nett. Diese beiden Menschen sind mir wirklich überaus sympatisch. – Als wir zum letzten Mal bei ihnen waren, hatte ich ihm versprochen, ihm gelegentlich Fotos meiner früheren Bilder zu zeigen. Ich kramte also die Mappe mit diesen Fotos aus der Komode in meinem Zimmer heraus u. fand bei dieser Gelegenheit eine ziemlich große Anzahl von Bleistift-Zeichnungen früherer Jahre, landschaftl. Naturstudien u. Bildniszeichnungen, von denen ich nie wußte, wo sie geblieben waren. Wir besahen sie u. ich selbst fand sie noch recht gut. Dr. K. u. seine Frau waren sehr entzückt. – Mir war bei der Durchsicht doch etwas wehmütig. Welche großen Hoffnungen habe ich doch einst auf meine Kunst gesetzt, – u. nun ist das alles längst dahin. Mit der Bunten Stube hat es angefangen. Sie ließ mich nicht zur Arbeit kommen. Dadurch wurde ich gedrängt, hier im Ort Gemeindevorsteher zu werden, dann kam der Autounfall u. in dessen Gefolge noch einmal ein kleiner Ansatz, der aber schließlich in den seelischen Nöten jener Zeit erstickte. Dann kam meine Konversion u. damit war es dann ganz aus. Meine gegenwärtigen neuen Versuche haben bisher zu keinem Resultat geführt u. es sieht nicht grade so aus, als wollte daraus etwas werden, schon weil mir ein rechter Arbeitsraum fehlt. Immerhin habe ich heute früh meinen Schreibtisch umgestellt u. sonst einige kleine Aenderungen im Zimmer getroffen, um etwas mehr Platz zu gewinnen, für den Fall, daß ich doch noch einmal Lust zur Arbeit bekomme.

     Mit Dr. K. bin ich übereingekommen, daß sein Lothar heute Nachmittag wieder zur Religionsstunde kommen wird. Wir werden die Sache ganz heimlich aufziehen, werden im Seezimmer sitzen nur mit den drei Jungens Jens, Reinhard u. Lothar.

[2603]
Sonntag, 14. November 1943.     

[...] [2603] Am 8. Nov. abends hat Hitler in München eine Rede gehalten. Wir wußten es nicht u. lasen die Rede in der Zeitung. Diese Rede war ganz darauf abgestellt, die Stimmung [2604] wieder neu aufzumöbeln, was denn wohl auch bei der Mehrzahl dieser Herde gelungen ist. Er hat zwar nicht gesagt, auf welche Art er das Schicksal wenden u. diesen Krieg noch gewinnen will, sondern er hat im Gegenteil zugestanden, daß Amerika für uns unerreichbar ist, aber er hat dafür angedeutet, daß er den Krieg auch dann noch weiter führen wird, wenn er demnächst auf deutschem Boden stattfinden sollte. – Gleichzeitig hat Churchill eine Rede gehalten, die ebenfalls recht hoffnungslos klang insofern, als er der Meinung ist, daß dieser Krieg in diesem Jahre noch nicht sein Ende finden wird, sondern erst im nächsten Jahre, u. daß bis dahin noch Kämpfe stattfinden würden, die blutiger sein würden als alles, was die Weltgeschichte bisher gesehen hätte. [...]

[2605]
Mittwoch, 24. November 1943.     

[2605]      Heute sollte eigentlich Jens Wegscheider wieder nachhause fahren. Alles war vorbereitet, Frau Monheim, die ebenfalls fahren wollte, sollte ihn mitnehmen. Da wurde gestern früh im Radio durchgegeben, daß am Abend vorher, also am Montag Abend, ein Angriff auf Berlin gewesen wäre. Da solche Angriffe vom Abend vorher sonst niemals in den Frühnachrichten erwähnt werden, schlossen wir daraus, daß es sehr schlimm gewesen sein muß. Gestern im Laufe des Tages kamen dann spärliche Nachrichten durch. Herr Monheim telegraphierte per Blitz an seine Frau, sie solle nicht kommen, wennschon bei ihm nichts passiert sei. So behielten wir auch Jens hier, der die Enttäuschung recht tapfer trägt. Er ist überhaupt ein sehr lieber Junge, im Religionsunterricht sehr aufmerksam u. sehr interessiert, sodaß es mir leid tut, ihn als Schüler wieder zu verlieren.

     Ueber den Angriff habe ich gehört, daß derselbe am Montag Abend um 8 Uhr begann u. bis kurz nach 1/2 9 Uhr gedauert hat. In dieser halben Stunde haben die Englänger 2.300.000 kg. Bomben auf Berlin abgeworfen, eine ungeheure Menge. Zwanzig Minuten nach dem Angriff soll sich in Bln. eine Explosion ereignet haben von gewaltiger Wucht. Man sagt, es sei der schwerste Angriff gewesen, den Berlin bisher erlebt hat, sonst aber weiß ich nichts, außer, daß es die Gegend des Kurfürstendamm sehr stark betroffen haben soll. Ich wüßte aber nicht, wo dort Ursache zu einer Riesen-Explosion sein sollte, es werden also wohl auch noch andere Gegenden betroffen worden sein.

[2605]
Donnerstag, 25. November 1943.     

[2605]      Aus Berlin kommen nur spärliche Nachrichten. Sicher ist, daß der Stettiner Bahnhof total zerstört ist u. die Züge nach hier nur von Oranienburg ab fahren. [...]

[2606]
Freitag, 26. November 1943.     

[2606]      Aus Berlin kommen nun langsam Nachrichten. Martha bekam heute Abend Verbindung mit Kut's Frau Anneliese, die gesund ist u. die Wohnung ist unbeschädigt, doch soll von der Potsdamer Brücke bis zum Potsdamer Platz u. darüber hinaus alles ein Trümmerfeld sein, ebenso nach der anderen Seite, der Lützowbrücke hin. Von Frau Prof. Triebsch, die ich heute spach, hörte ich, daß auch ihre Wohnung in Bln verbrannt u. das ganze Haus eingestürzt sei. Auch die Wohnung von Prof. Erich Seeberg, die schon früher arg mitgenommen worden war, soll nun total vernichtet sein. Es herrscht jetzt Sturm u. Regen, sodaß die Engländer mindestens eine Pause machen müssen.

     Göring hat im Ruhrgebiet eine Rede gehalten, wobei er gesagt haben soll, daß der Führer bei der Machtübernahme gesagt habe: Gebt mir vier Jahre Zeit! – Jetzt verlange er nur ein Zeit von einigen Tagen, dann solle sich das Schicksal wenden. – Es ist das offenbar wieder eine Anspielung auf die neue, geheimnisvolle Waffe, die das Wunder einer Schicksalswende bringen soll. Eine ähnliche Anspielung wurde bereits vor einigen Tagen von offizieller Seite gemacht. Danach wäre also für die allernächsten Tage damit zu rechnen, daß etwas in dieser Richtung geschieht. Das Volk blickt fasciniert auf diesen Augenblick. Es ist gefährlich. Wenn diese geheimnisvolle Wunderwaffe versagen sollte, dann wird die letzte Hoffnung in sich zusammenbrechen u. es wird dann nichts mehr geben, sie wieder aufzurichten.

[2606]
Montag, 29. November 1943.     

[...] [2607] Sehr anschaulich erzählte Dr. K. von seiner Rückreise durch Berlin, wo er eintraf am frühen Morgen nach der ersten Bombennacht. Der Zug fuhr bis zu irgend einem Ort kurz vor Berlin, wo alles aussteigen mußte. Nach langem Warten kam ein kleiner Autobus, um die Leute weiter zu bringen, aber es waren natürlich Hunderte, die mitfahren wollten. Es gelang Dr. K. und seiner Frau mitsamt Gepäck mitzukommen, – er war in Uniform, das hat ihm geholfen. Er beschreibt die Fahrt in diesem Omnibus, die fürchterlich gewesen sein muß. Ich glaube, er ist bis Schöneberg gekommen, wo man Dampfzüge auf der Hochbahn eingesetzt hatte, wenn ich nicht irre. Jedenfalls wollte er zum Stettiner Bahnhof, doch stellte sich heraus, daß auch dieser in Flammen stand u. unbenutzbar war. Mit allen möglichen Mitteln ist er schließlich bis nach Oranienburg gekommen. Diese Fahrt durch Berlin bis zur Weiterfahrt von Oranienburg hat 15 Stunden gedauert. – Die Stimmung der Berliner war natürlich verzweifelt u. von der humorvollen oder heldenhaften Haltung der Bevölkerung, von der in der Zeitung geschwafelt wird, hat er keine Spur bemerkt. Was er von Bln. gesehen hat, war grauenvoll. [2701] ist beim Druck der Rede von Goebbels gestrichen worden, sodaß nur die direkten Zuhörer ihn gehört haben. Das heißt also nichts anders, als: „ich werde weiterkämpfen bis zur völligen Zertrümmerung Deutschlands, auch wenn ich selbst überzeugt bin, daß ein Sieg nicht mehr möglich ist.“ – u. so ist es! Dieser Mann wird Deutschland bis auf die Grundmauern ruinieren, das brauchen dann die Engländer nicht mehr zu tun. Man sagt immer, er wäre verrückt. Mag sein. Aber in diesem Falle denkt er sehr folgerichtig, denn eine zugegebene Niederlage wäre sein Ende genau so wie eine völlige Vernichtung Deutschlands, – aber das Letztere zögert sein Ende um eine gewisse Zeit hinaus. – In diesem Falle ist nicht er der Verrückte, sondern das deutsche Volk, das diesen tollwütigen Anstreicher nicht beseitigt. Dieses arme Volk wird noch Fürchterliches erleben. – Je länger es dauert, um so inbrünstiger klammert sich das Volk an die geheimnisvolle neue Waffe, die angeblich in den nächsten Tagen zum Einsatz kommen soll. Schlägt auch diese fehl, – u. sie muß es unbedingt, – dann wird das Volk aus seinem fürchterlichen Wahn erwachen [...]

Ahrenshoop, Dezember 1943

[2701]
Mittwoch, 1. Dezember 1943.     

[...] [2701]      Ich höre, daß wieder einmal die Finanzkommission im Orte sein soll. Da wir bei der letzten Kontrolle übergangen worden sind, obgleich wir eigentlich fällig waren, wird sie wohl diesmal zu uns kommen u. unsere Bücher durchschnüffeln. Die Einkommensteuer ist seit 1939 nicht mehr neu veranlagt worden, sodaß jeder das Einkommen versteuern muß, was er vor Kriegsausbruch gehabt hat. Bei den kleinen Leuten ist das Einkommen natürlich zurückgegangen u. sie müssen also viel zu viel zahlen, dagegen sind die Einkommen der zahlreichen Kriegsgewinnler sehr gestiegen. Die zahlen also alle zu wenig. Das ist dann Sozialismus! [...]

[2702]
Dienstag, 7. Dezember 1943.     

[2702]      Heute früh hörte ich noch im Schlafe eine Detonation. Da die Batterie gestern Schießen hatte, glaubte ich, daß der Knall daher käme, wunderte mich nur, daß nur ein einziger Schuß abgegeben wurde. Später stellte sich heraus, daß der Schlepper, welcher die Schießscheibe schleppt, auf eine Mine gelaufen war. Von den 25 Mann der Besatzung sollen nur neun Mann gerettet worden sein. [...]

[2703]
Sonnabend, den 18. Dezember 43.     

[...] [2703]      Heute Nachm. war Dr. Krappmann mit Frau bei uns. Er suchte Weihnachtsgeschenke für die Batterie. Wir gaben ihm unsere sämtlichen kleinen Inselbücher u. was wir sonst noch entbehren konnten, insgesamt 85 Bücher, dazu Aschbecher, die uns Bachmann zur Verfügung gestellt hatte, scheußliche Dinger aus Weißblech, – aber er wird sie wohl nehmen, weil er sonst nichts bekommt. Dabei bekommen die Soldaten täglich nur noch 3 Cigaretten. Es ist der reine Hohn, ihnen dazu noch Aschbecher zu schenken.

     Seit Montag haben wir das Geschäft täglich von 10 – 12 Uhr auf. Es ist sehr kalt. Die Leute kaufen, was man ihnen gibt, nur um irgend etwas zu haben zum Verschenken. [...]

[2704]
Donnerstag, 23. Dezember 1943     

[2704]      Gestern verteilten wir in der Bu Stu. die Weihnachtsgeschenke für die Kinder, welche die Mütter in Empfang nehmen mußten. Wir haben etwa 175 Kinder betreut, normaler Weise haben wir immer nur etwa 20 Kinder im Ort. Die Frauen gebildeter Stände, besonders die von auswärts, waren entzückt u. dankbar, daß sie trotz der Warenknappheit etwas bekamen, aber es gab auch andere, besonders unter den Einheimischen, welche nur zu schimpfen hatten u. höchst unzufrieden waren. Heute war die Verteilung an die Erwachsenen, – auch da dasselbe Bild. Morgen gehen noch die Reste an diejenigen, die ihre Sachen noch nicht abgeholt haben. Wir haben in diesen Tagen sehr große Massen an Ware ausgegeben u. haben wirklich stark geräumt. Auch die Batterie haben wir versorgt u. haben zu diesem Zweck unsere privaten Bücherbestände geplündert, so haben wir sämtliche Inselbändchen u. ähnliche kleine Ausgaben abgegeben.

     Wahrscheinlich ist es unklug, – aber man kann es nicht beurteilen. Es hört eben nach u. nach alles auf, u. einmal muß man doch alles hergeben. Schlimmer wird es nun mit den Lebensmitteln werden. Die Kartoffelernte ist miserabel gewesen u. die Rationen für die menschliche Ernährung sind herabgesetzt worden auf 2 – 2 1/2 kg. pro Woche. Das mag jetzt noch gehen, aber wenn zum Frühjahr auch von diesen Rationen noch ein Teil weggeworfen werden muß, weil er verdorben ist, dann geht eine große Hungerei los, denn die Folge davon ist, daß viele Schweine geschlachtet werden müssen, weil kein Futter für sie da ist. Der Ausfall muß dann durch Rinder ersetzt werden, u. wenn diese geschlachtet werden, gibt es keine Butter mehr. Es wird also keine Kartoffeln, kein Fett u. keine Butter mehr geben. – Im Oktober vorigen Jahres hielt Göring seine berühmte Rede, die den Zweck hatte, die sinkende Stimmung zu heben. Damals wurde die Fleischration heraufgesetzt u. Göring erklärte, es würde von nun an immer besser werden. Es ist aber immer schlimmer geworden u. wird sehr schlimm werden, denn nun gibt es keine Ukraine mehr, aus der man uns Sonnenblumenöl u. wer weiß was noch alles versprochen hatte. – Es wird in diesem Frühjahr sehr, sehr ernst werden. – Inzwischen gehen die Bombardierungen unserer Städte unentwegt weiter. Gegenwärtig sind einige der Männer der Frauen hier, die hier den Krieg abwarten wollen. Sie sehen nicht sehr fröhlich aus, besonders, wenn sie aus Berlin kommen. Auch Herr Monheim ist hier.

[2704]
Sonnabend, 25. Dezember 1943.     

[2704]      Gott sei Dank, daß der hl. Abend nun vorüber ist. Der Betrieb in der Bu Stu war in der letzten Zeit unbeschreiblich. Es ergab sich, daß die ausgebombten Großstädter dankbar waren für die viele Mühe, die Martha sich gegeben hatte, jedem etwas zukommen zu lassen, während die Einheimischen, besonders diejenigen, welche in guten Verhältnissen leben, anspruchsvoll waren u. nicht genug hatten, größtenteils sich nicht einmal bedankten.

     Am späten Nachmittag war endlich die letzte Kundin bedient. Trude machte uns eine Tasse Bohnenkaffee. Den Baum hatte ich gleich nach dem Mittagessen geschmückt. Wir saßen noch beim Kaffeetisch, als Gretl Neumann kam u. uns in einem Korb zwei Schüsseln brachte, deren eine zwei ordentliche Stücke Puter enthielt, die andere Sauerkraut. Trude hatte Kartoffelsalat gemacht, den wir eigentlich [2705] als einziges Gericht essen wollten. Gretl N. brachte auch noch eine Flasche Weißwein aus ihrem Korb hervor. Auf diese Art hatten wir ein prächtiges Abendessen u. es ging uns nicht so wie im vorigen Jahre, wo wir am hl. Abend buchstäblich nichts zu essen hatten. [...]

[2705] Von Rewoldt-Niehagen bekamen wir ein Huhn u. wir beschlossen, dasselbe an den Nachbar Papenhagen weiter zu schenken, denn wir wußten, daß es dort an Essen fehlt. Wir haben damit denn auch große Freude ausgelöst.

     Ich hatte im Keller noch eine Flasche Burgunder liegen, die ich Nachmittags schon warm gestellt hatte. Am Abend haben wir sie getrunken, die letzte ihrer Art. Dann fiel uns ein, daß Frau Monheim doch Andeutungen gemacht hatte, daß sie uns etwas schenken wollte, – aber es war nirgends etwas zu sehen. Schließlich fiel mir ein, daß sie ja am Vormittag im Laden war u. mir gesagt hatte, daß sie für uns etwas in der Diele unter der Madonna abgestellt hätte. Ich ging hin u. fand dort auf der Bank einen großen verdeckten, recht schweren Korb, den ich dann rauf brachte. Wir packten ihn aus u. es zeigte sich, daß er eine Fülle von Kostbarkeiten enthielt. Schokolade, Marzipan, Kakao, Kaffee usw., – wir staunten, was da alles darin war. [...]

[2705]      Heute Morgen frühstückten wir feiertäglich mit Bohnenkaffee u. einem Ei, Weißbrot, Butter u. Honig. [...]

[2705]
Freitag, 31. Dezember 1943.     

[...] [2705]      Heute nimmt dieses schwere Jahr sein Ende u. ein viel schwereres u. grauenvolleres beginnt. Man darf wohl erwarten, daß das Jahr 1944 zu den grauenvollsten Jahren gehören wird, welche die abendländische Christenheit je erlebt hat. Möge Gottes Gnade uns helfen. – [...]

[2706]      Man spricht von nichts anderem mehr als von der nun zu erwartenden Invasion. England u. Amerika machen damit reichlich Propaganda, indem sie viel darüber sprechen u. schreiben u. jede Neuernennung von führenden Generalen herausposaunen. Sie erreichen damit, was sie wollen, eine steigende Nervosität. – [...]

[2706]      Herr Dr. Clemens erzählte von den Zuständen in Hamburg u. dem Schwarzhandel u. der Einmischung der Partei in die innere Verwaltung, wobei die zuständigen Ministerien in Berlin absichtlich übergangen u. ausgeschaltet werden, was bei der zunehmenden Desorganisation der Post u. des Verkehrs leicht möglich ist. [...]

Ahrenshoop, 1944

Ahrenshoop, Januar 1944

[2801]
Sonnabend, 1. Januar 1944.     

[2801]      Das schicksalsschwerste Jahr Europas hat begonnen. Dieses Jahr muß die Wende bringen. Sie wird bitter für uns alle werden, aber besser so, als dieses Grauen ins Endlose fortsetzen.

     Gestern Mittag kam ein Herr Korsch zu mir. Seine Frau wohnt hier in der neuen Kolonie mit zwei Jungens von 6 u. 8 Jahren. Sie wartet hier den Krieg ab, Herr K. ist Steuersachverständiger bei einer Treuhandgesellschaft in Bln. Er ist ein großer, starken, aber anscheinend etwas gefühlsweicher Mann, seine Frau, die ich nur flüchtig kenne, ist nicht besonders sympatisch. Er berichtete mir, daß er zur Gemeinde von Pfr. Niemöller in Dahlem gehöre u. daß seine Jungens gewöhnt wären, jeden Sonntag zum Kindergottesdienst zu gehen, was nun hier nicht geschehen könne. Er habe nun davon gehört, daß bei uns jeden Sonntag eine Andacht gehalten würde. Das scheint also jetzt Tagesgespräch in Orte zu sein. Er bat mich, daß seine Jungens daran teilnehmen könnten. [...]

[2802]
Montag, 3. Januar 1944     

[2802]      Gestern Nachmittag bei Krappmann. Wie immer sehr gemütlich und anregend. [...]

[2802]      Es war auch von der zu erwartenden Invasion die Rede. Die ganze Batterie hier soll dann infanteristisch eingesetzt werden, was natürlich wieder ein großer Unsinn ist, denn die Leute haben nicht die geringste infanteristische Ausbildung u. sind dem Alter nach letztes Aufgebot. K. ist der Ansicht, daß eine solche Invasion auch jetzt in den Wintermonaten denkbar sei, spätestens wohl im März. Das wird [2803] wohl stimmen. Man scheint immerhin ziemlich nervös zu sein, K. selbst muß innerhalb von drei Stunden marschbereit sein, wenn er Befehl bekommt. Aber man kennt das ja, – dieser Befehl wird nicht kommen, oder wenn, dann nutzlos.

[2804]
Freitag, 21. Januar 1944.     

[...] [2804]      Man hört jetzt viel von Scharlach u. neuerdings von Diphterie. Ein Kind ist gestorben u. wurde gestern begraben. Bei den vielen Kindern der ausgebombten Familien, die hier sind, u. bei dem Mangel an ärztlicher Hilfe u. bei den schlechten Verbindungen, ist das eine ernste Gefahr. –

     Bei unserer Batterie sind, wie ich höre, einige Infanterie-Unteroffiziere eingetroffen, welche die Batterie-Unteroffiziere infanteristisch ausbilden sollen, u. diese sollen dann die Mannschaften ausbilden, damit im Falle einer Invasion die Batterie als Infanteristen eingesetzt werden können. Wenn wir einer Invasion nichts Besseres entgegenzustellen haben, dann sind das trübe Aussichten. [...]

[2805]
Sonnabend, 29. Januar 1944.     

[2805]      Heute vor 23 Jahren lernte ich Martha kennen. – [...]

[2805] Gestern besuchte uns Oberlt. Dr. Steinmetz, der jetzt bei Spezia als Marine-Artillerist sitzt. Er erzählte, daß Italien das reine Schlaraffenland sei, wo man noch alles bekommen könne. Die Italiener selbst seien zwar höflich, wollten aber vom Kriege nichts mehr wissen. – [...]

[2805]
Montag, 31. Januar 1944.     

[2805]      Sonnabend Abend mit Krappmanns wieder ein sehr angeregter Abend. Er brachte eine Fl. Sekt mit, ich spendierte zwei Flaschen Bordeaux. – Er erzählte mir, er sei beim Lehrer Deutschmann gewesen, um Urlaub für Lothar zu bekommen, weil er für eine Woche mit ihm nach Schweinfurt zu Eltern u. Schwiegereltern fahren will. Bei dieser Gelegenheit hat D. angefangen, vom Religionsunterricht zu sprechen. Es sieht so aus, als hätte er Wind davon bekommen, daß ich damit wieder angefangen habe, jedenfalls hat er gewarnt, er könne mich im Ernstfall nicht vor dem Konzentrationslager schützen. Es scheint, als ob Lothar eine unbedachte Bemerkung in der Schule gemacht hat, die D. gehört hat. Ich werde vielleicht die beiden Jungens von Frau Korsch wieder nachhause gehen lassen müssen, – man muß mal abwarten. –

     Krappmann erzählte mir, daß der Oblt. Dr. Steinmetz bei Spezia eine Batterie von vier Geschützen führt, aber nur ungefähr 45 Mann Besatzung dafür hätte, während hier die Batterie nur drei Geschütze hat, wofür 230 Mann Besatzung vorhanden sind. Im Ernstfalle könnten die vier Geschütze des Oblt. St. also niemals gleichzeitig bedient werden. Dr. K. meint, daß es überall so wäre. Es stünden am ganzen Atlantikwall zwar die Batterieen aus dem Papier u. sie seien auch vorhanden, aber es sei keine Bedienungsmannschaft da. Ich fragte, warum denn die hiesige Batterie [2806] nicht Soldaten abgäbe, worauf er lachend erwiderte: Wenn diese Batterie u. die anderen zu diesem Befehlsbereich gehörenden Batterien nicht jede mindestens 230 Mann Besatzung hätten, sondern nur etwa 50 Mann, dann wäre für diesen Befehlsbereich nicht mehr ein Kapitän zur See erforderlich, sondern es genügte etwa ein Fregattenkapitän. Da aber der Kapitän z. See seinen schönen Posten nicht verlieren will, gibt er eben keine Leute ab. [...]

[2806] Gestern, am 30. Jan., dem Tage der Machtübernahme durch die Nazis, verlas der Führer aus seinem Hauptquartier eine Rede, die ich aber nur zum Teil hörte. Was ich hörte, war höchst belanglos, immer die alten Phrasen von dem Sieg u. dem Lohn, den Gott dem gibt, der tapfer ausharrt. Die Rede sollte um 8 Uhr Abds. wiederholt werden, doch scheint da wieder Alarm in Bln. gewesen zu sein, denn der Deutschlandsender funktionierte nicht. Heute früh um 9 Uhr war Radio nur schwach zu hören, vielleicht ist die Sendeanlage beschädigt. – Dieser Zustand ist grauenvoll. [...]

Ahrenshoop, Februar und März 1944

[2901]
Sonnabend, d. 5. Februar 1944.     

[...] [2901]      Am Donnerstag abend waren wir bei Neumanns im Kurhaus eingeladen, wie jedes Jahr um diese Zeit. Es gab wie immer vorzügliches Essen, Brühe, Hasenbraten, Rotkohl. Leider ist dem Vater Neumann nun auch der Wein ausgegangen u. wir mußten uns mit Flaschenbier begnügen. Seit Beginn des Krieges, also seit fünf Jahren, habe ich kein Bier mehr getrunken. Was uns unter diesem Namen vorgesetzt wurde, war ein dünnes u. fades Gesöff, das sich höchst unangenehm auf die Blase schlug. – Ohne Alkohol ist, abgesehen vom Essen, solch ein Abend bei Neumanns eine reichlich langweilige Sache. [...]

[2902]
Freitag, 3. März 1944.     

[2902]      Gestern Abend Versammlung im Balt. Hf., vom Luftschutz einberufen in der üblichen unverschämten Art, indem vorher ein Lufzettel herumgeschickt wird, den jeder unterschreiben muß u. mit dem einem Strafe angedroht wird im Falle Nichterscheinens. Der Einberufer dieser Versammlungen ist zwar der Bürgermeister, in Wirklichkeit aber Prof. Reinmöller als Oberluftschutzbonze der Gemeinde. Bisher konnte ich mich von diesen Versammlungen immer drücken, gestern mußte ich selbst hingehen. Man hatte mir schon früher die Art dieser Vorträge dieses Mannes geschildert, aber was ich gestern hörte, überstieg alle Vorstellungen. Nachdem er anfangs ganz kurz die üblichen Verdunkelungsvorschriften nochmals vorgekaut hatte, ging er zur allgemeinen Politik über. Die Engländer nannte er ein ehrloses Volk, Halunken, Gangster usw. Er erklärte, daß er, falls ein engl. Flieger hier einmal notlanden müßte u. schwer verwundet wäre, – daß er einem solchen seinen ärztlichen Beistand versagen u. ihn verrecken lassen würde. Er begründete dann seine Ansicht über die ehrlosigkeit des engl. Volkes mit den politischen Argumenten, die man täglich im Rostocker Anzeiger liest. Nebenher beschimpfte er auch die Minister aus der sog. „System Zeit“ als Halunken u. Säufer u. dann erzählte er eigene Heldentaten aus dem ersten Weltkriege, die seine eigene edle Menschlichkeit in's Licht rückten, die aber für jeden Menschen, der selbst Soldat war u. etwas denken kann, als Lügen oder Schönfärberei erkennbar waren. Zum Schluß feierte er Sven Hedin. Das Ganze war eine Orgie von gemeiner Gesinnung u. von Haß. Der Kerl spielt sich da als Held auf, obwohl jeder weiß, daß er zuhause unterm Pantoffel seiner Haushälterin, steht u. nichts zu sagen hat. Es ist entsetzlich, wie solch ein Kerl die stumpfen Geister der Leute hier mit seiner Propaganda vergiftet. In seiner Dummheit sprach er auch von den Finnen, die ja von Goebbels Propaganda als ein besonders edles Heldenvolk hingestellt worden sind. Das mag ja gern stimmen; aber dieser Herr Prof. Reinmöller, dieser politische Analphabet, hat natürlich garkeine Ahnung davon, daß diese selben Finnen bereits seit Wochen in Stockholm mit den Russen über einen Waffenstillstand verhandeln u. daß diese Verhandlungen nun so weit gediehen sind, daß konkrete Vorschläge von russischer Seite vorliegen u. daß der finnische Reichstag sich mit denselben bereits befaßt hat. [...]

[2903]
Mittwoch, 22. März 44.     

[...] [2903] Finnland hat die russischen Waffenstillstandsbedingungen abgelehnt u. kämpft weiter. Wir werden sie gezwungen haben. Langsam fängt im Lande an, die Lebensmittel-Knappheit spürbar zu werden. Es gibt keine Kartoffeln u. kein Fett. Es wird bald schlimm werden. – Die Invasion von Westen her droht immer mehr, England hat ab 1. 4. 44. seine Süd- und Ostküste als Kriegsgebiet erklärt, also wird es dann wohl los gehen. Die Nervosität steigt. – [...]

[2904]
Sonntag, 26. März 1944.     

[2904]      Die Luftangriffe steigern sich weiter, obgleich man es kaum noch für möglich halten sollte. [...]

[2904]      In Ungarn Massenverhaftungen von Juden, liberalen Politikern u. Journalisten. [...]

[2904]      Pfr. Dr. Wachsmann aus Greifswald, Freund von Dr. Tetzlaff, ist hingerichtet worden. – [...]

[2904]      Am Freitag Nachm. erstmalig die Bu. Stu. wieder geöffnet. [...]

Ahrenshoop, April 1944

[3001]
Ostersonntag, 9. April 1944.     

[...] [3001] Im Garten Stiefmütterchen, Bartnelken u. Goldlack gepflanzt. Bei der Vorbereitung für die Stiefmütterchen-Pflanzung mußte ich am Donnerstag Vormittag Quäcken herausholen. [...]

[3002] Die Engländer u. Amerikaner sind ebenfalls sehr zurückhaltend geworden in diesen Ostertagen, nachdem sie jüngst recht erhebliche Verluste an Flugzeugen erlitten haben; aber es ist zu erwarten, daß der Angriff bald nach Ostern einsetzen wird. Am 20. April ist des Führers Geburtstag u. wahrscheinlich werden sie zu diesem Tage allerhand vor haben. Nachdem seit Jahren die Sitzungstermine des engl. Unterhauses in London streng geheim gehalten worden sind, hat man jetzt laut verkündet, daß am 18. April eine Unterhaussitzung stattfinden wird. Wozu sagt man das jetzt plötzlich, wenn die Engländer nicht sicher wären, daß Churchil dem Unterhause etwas besonders Wichtiges an diesem Tage mitzuteilen hätte? Vielleicht beginnt am Morgen dieses Tages die Invasion!

     Eben scheint es, als ob ein amerikan. Geschwader nördlich von uns eingeflogen ist, zu sehen ist nichts, aber das Motorengeräusch ist typisch.

     Freitag Abend hörten wir im Deutschlandsender die Matthäus-Passion von Joh. Seb. Bach, von den Wiener Philharmonikern aufgeführt. Wieder ein großer Eindruck, Martha hörte sie zum ersten Male, ich selbst hörte sie damals, als ich bei P. Albertus noch zum Konvertiten-Unterricht ging, in der Garnisonkirche in Berlin. Am Donnerstag Abend mußte ich mir aus Gefälligkeit gegen Paul den 3. Akt des Rosenkavalliers anhören. Paul ist begeistert für Strauß. Ich fand es einfach langweilig, mindestens überflüssig. Der Unterschied zwischen Bach u. Strauß war auf diese Weise sehr sinnfällig. Man kann eben die Musik auch dazu mißbrauchen, solch alberne Sachen zu komponieren, wie man ja auch die Sprache dazu mißbrauchen kann, Witze zu erzählen. [...]

[3003]
Sonnabend, 15. April 1944.     

[3003]      Heute war ein Tag voller Hiobsbotschaften. Morgens erhielt ich mit der Post vom Wehrbezirkskommando den Befehl, am 25. April bis 10 Uhr in Stralsund im Hermann Göring-Heim, Triebseerdamm mich zur ärztlichen Untersuchung zu melden. Die Untersuchung soll nur aus „personalwirtschaftlichen Gründen“ erfolgen, eine Einberufung ist z. Zt. nicht beabsichtigt. Was ich mir unter personalwirtschaftl. Gründen vorstellen soll, weiß ich nicht.

     Am Nachmittag kam Frau Dr. Daubenspeck, von der wir vor einigen Tagen gehört hatten, daß der Zeichner Plauen, mit bürgerl. Namen Oser, welcher in Bln. im Hause des Dr. D. wohnt, weil er ausgebombt ist, Dr. D. selbst aber als Arzt bei der Wehrmacht ist u. seine Frau hier eine Wohnung gemietet hat, verhaftet worden sein soll. Frau Dr. D. erzählte, daß Plauen zusammen mit einem Freunde, einem Joumalisten, der ebenfalls im Hause von Dr. D. untergekommen war, zum Tode verurteilt worden sei. Der Journalist ist bereits hingerichtet worden, während Plauen sich der Hinrichtung durch Selbstmord entzogen habe. – Frau Dr. D. sagte, sie hätte einen Freund ihres Mannes u. dessen Frau, nachdem diese ausgebombt worden waren, ebenfalls Unterkunft in ihrem Hause gewährt u. dieser Mann habe Plauen u. seinen Freund wegen zersetzender Reden denunziert. – [...]

[3004]
Montag, 17. April 1944.     

[3004]      Auch heute keine feindlichen Einflüge, obgleich gestern u. heute teilweise bedecktes Wetter war, also günstiges Angriffswetter. [...]

[3004]      Ich arbeite viel im Garten. Der Steingarten, den ich vor zwei Jahren vorm Hause anlegte, kommt jetzt erst richtig in Schwung. Frl. v. Tigerström brachte vor zwei Jahren Primeln mit aus dem Walde bei Kükenshagen, die mich im vorigen Jahre sehr enttäuschten. Aber jetzt, im dritten Jahre, haben sie sich mächtig herausgemacht u. sehen prächtig aus.

     An Wehrbezirkskommando geschrieben, man möge mir eine Bescheinigung geben, daß ich ein Auto für die Hin-und Rückfahrt nach Ribnitz benutzen darf, weil ich sonst nicht wüßte, wie ich nach Stralsund gelangen soll. [...]

[3004]
Dienstag, 18. April 1944.     

[...] [3004] In der Unterhaussitzung in London scheint sich nichts Wesentliches ereignet zu haben, außer daß die engl. Regierung sich gezwungen gesehen hat, ein Ausnahmegesetz gegen Streiks zu erlassen. So weit sind sie also auch dort schon gekommen. Ferner ist eine Warnung an Frankreich erlassen worden, daß sich jeder mit Lebensmitteln versehen soll, da in Verbindung mit den zu erwartenden militär. Ereignissen die Lebensmittelzufuhr für einige Zeit schwierig sein würde. Am Wichtigsten ist eine Verfügung der engl. Regierung, daß von sofort ab den ausländischen diplomatischen Vertretungen verboten ist, mit dem Auslande zu telephonieren, zu reisen, Telegramme zu senden, ja sogar Briefe zu schreiben. Alles Kuriergepäck liegt unter Kontrolle. Diese Verfügung wurde unter ausdrücklichem Hinweis auf die zu erwartenden militärischen Ereignisse erlassen u. es heißt, sie würden wieder aufgehoben werden, sobald die Lage es gestattet. Das heißt also, daß der Angriff unmittelbar bevorsteht. Vielleicht hat zu dieser Stunde die Einschiffung der Truppen bereits begonnen. Vorgestern wurden die Franzosen bereits gewarnt, sich nicht in der Nähe von Eisenbahnzielen aufzuhalten. Wenn das alles nicht Bluff sein sollte, wird die Landung also am Kanal erfolgen u. nicht in Dänemark, – aber man kann es nicht wissen, – nur hoffen kann man, daß wir hier außerhalb der Operationen bleiben. [...]

[3005]
Mittwoch, 19. April 1944.     

[...] [3005]      Heute Nachmittag wurde im Dorf erstmals eine Alarm=Sirene ausprobiert. Die Anschaffung derselben haben wir Herrn Prof. Reinmöller zu danken, der hier der oberste Luftschutz=Befehlshaber ist u. als solcher angibt wie ein Wald voll wilder Affen. Es wird also künftig die Sirene ertönen, wenn Flugzeuge über das Dorf hinweg fliegen. Bisher hat von solchen Dingen niemand Notiz genommen, weil nicht einzusehen ist, warum die Engländer oder Amerikaner ihre teuren Bomben auf unsere paar Häuser werfen sollten. Selbst wenn sie es tun sollten, könnte man dagegen nicht viel tun, denn die Leute haben weder Keller, noch gibt es sonst irgendwelche Vorrichtungen zum Schutz, nicht einmal einen Splittergraben. Aber nun gibt es eine Sirene. Zum Glück ist dieselbe jedoch so schwach, daß niemand davon aufgeweckt werden wird, wenn er erst einmal schläft. [...]

[3005]      Morgen ist also der Geburtstag des Führers. Es war heute den ganzen Tag nichts los u. nichts deutet darauf hin, daß sich irgend etwas ereignen wird. [...]

[3005]
Donnerstag, 20. April 1944.     

[...] [3005]      Eine schwere Enttäuschung, – nichts ist geschehen, –! wenigstens bis 6 Uhr Nachmittags nicht. Auch Luftangriffe haben nicht stattgefunden.

     Die Türkei hat auf Druck der Alliierten die Chromlieferungen an Deutschland eingestellt, das ist das Wichtigste des heutigen Tages, aber es ist auch alles. [...]

[3005]
Freitag, 21. April 1944.     

[...] [3005]      Vom Wehrbezirkskommando bekam ich heute Nachricht, daß ich infolge meiner körperlichen Behinderung in Verbindung mit der zur Zeit bestehenden Reiseschwierigkeiten von der ärztlichen Untersuchung am 25 4. befreit wäre. Gott sei Dank! Ich hörte heute erst, daß der Bürgermeister Gräff, Fischer Meyer u. Peter Niejahr vor einigen Tagen schon ebenfalls in Stralsund zur Untersuchung gewesen seien [3006] u. daß Gräff u. Meyer zum Militärdienst eingezogen seien. Gräff hofft, durch Vermittlung des Landrats als Bürgermeister frei zu kommen. – [...]

[3006]      Der Garten macht mir täglich Freude. Besonders die Terrasse u. der Steingarten vorm großen Hause sind jetzt endlich schön im Schwung. [...]

[3006]
Sonnabend, 22. April 1944.     

[3006]      Es ist wiederum nichts geschehen. Dieses Warten ist überaus aufreibend. Fliegerangriffe auf Nordfrankreich u. Belgien haben stattgefunden, aber nur schwach.

     Nachmittags verhandelt mit Frau Dr. Quer, sie will im Geschäft helfen an der Kasse, um sich so einen Grund zu schaffen, länger hier bleiben zu können, da Sommergäste nur 14 Tage am Ort bleiben dürfen. Wenn sie als unsere Angestellte gilt, wird sie davon nicht betroffen. [...]

[3006]      Frau v. Gutemberg besuchte uns. Sie ist für einige Tage aus Rostock hier, um sich auszuschlafen. Sieht elend aus. Ihr Haus steht zwar noch, aber sie erzählte grausame Dinge, der Angriff am 11. April soll der schwerste gewesen sein, den Rostock bis dahin gehabt hat. Unsere Kirche ist total zerstört. Sie sagt, es habe gerade eine Taufe dort stattgefunden, die Sprengbombe soll bis in den Keller durchgeschlagen sein, wo alle getötet wurden mit Ausnahme des Täuflings, ein drei Tage altes Kind. [...]

Ahrenshoop, Mai 1944

[3101]
Donnerstag, 4. Mai 1944     

[...] [3101]      Seit gestern Mittag starker Sturm, zum Glück mit viel Regen, sonst wäre die Saat von den Feldern geweht worden. Es ist dabei recht kalt, ich muß immer noch täglich heizen.

     Am Dienstag fand ein Luftüberfall auf Pütnitz statt. Ein engl. Flugzeug flog gegen 1/2 5 Uhr vom Meer her bei Neuhaus im Tiefflug ein u. schoß mit Bordwaffen in Pütnitz zwei Flugmaschinen kaputt. Ehe man begriffen hatte, was geschehen war, war der Engländer schon wieder fort in Richtung Barth, wo ihm fünf Maschinen zum Opfer gefallen sind. Es sollte mich nicht wundern, wenn nun auf Ribnitz, Pütnitz u. Barth bald größere Angriffe erfolgen würden. [...]

[3101]
Sonntag, 7. Mai 1944.     

[...] [3101]      Vorgestern u. gestern die Bu. Stu. dekoriert. Das von Paul eingerichtete Warenlager macht sich angenehm bemerkbar. Er gibt die Ware heraus nach der Uebersicht, die er hat u. ich richte mich beim Dekorieren danach. Das Verfahren ist so sehr vereinfacht.

     Während unserer heutigen Andacht flog ein Flugzeug über uns weg u. unsere lächerliche Sirene ertönte; aber es war bezeichnend, daß niemand die Sirene hörte, außer mir selbst. – [...]

[3101] Herr Goebbels schreibt frohlockende Artikel im Reich, in denen er die Niederlage der Invasoren als absolut sicher hinstellt u. damit den Zusammenbruch der Entente kommen sieht. – Wir werden sehen! [...]

[3102]
Dienstag, 9. Mai 1944.     

[3102]      Gestern eröffneten wir die Bunte Stube, es war etwa eine Stunde lang ein starkes Gewühl. [...]

[3102] Wir verkauften zum ersten Male Briefmarken, wobei die teuren zu 15,– Rm. u. 10,– Rm. sehr raschen Absatz fanden. Die Jungens standen schon an der Tür Schlange, als wir öffneten. – Heute u. Freitag haben wir wieder geschlossen, um neu zu dekorieren. [...]

[3103]
Sonnabend, 27. Mai 1944.     

[...] [3103]      Mit dem Garten bin ich seit heute auch ziemlich fertig. Ich bekam heute noch junge Betunien u. habe heute die letzten Dahlien eingepflanzt. Ich glaube, daß der Garten in diesem Jahre sehr hübsch werden wird, wenn der Sturm nicht wieder alles verwüsten wird. Der Apfelbaum blüht jetzt sehr schön, der Birnbaum ist abgeblüht, er wird kaum viel Früchte ansetzen, obschon er stark geblüht hat. Es war zu kalt, regnerisch u. stürmisch. Die Fliederbüsche haben sehr viele Blütenknospen, ebenso der Rotdorn. [...]

[3104]      Ahrenshoop ist für diesen Sommer für die Deutsche Arbeits-Front beschlagnahmt. Alle vorher geschlossenen Mietverträge u. Abmachungen sind ungültig. Das ist nun schon reiner Kommunismus. Es heißt, daß die Vermieter von amtswegen die Gäste zugewiesen erhalten sollen u. daß die einheitlich geregelte Bezahlung über die Gemeinde=Verwaltung erfolgen soll. [...]

Ahrenshoop, Juni 1944

[3201]
Sonntag, 4. Juni 1944.     

[3202] Fritz schreibt übrigend, daß in Frankreich keiner mehr an die Invasion glaubt. Solche Leute gibt es auch bei uns in Deutschland, – aber man wird sich wundern! [...]

[3203]
Donnerstag, 8. Juni 1944     
Fronleichnam.     

[...] [3203]      Heute Marthas Geburtstag. Vormittags gratulierten Ziels mit Fliederstrauß, früh waren schon Küntzels da gewesen. Auch Agnes Borchers-Papenhagen gratulierte, brachte Flieder, Radieschen aus dem Garten, eine selbst gefertigte Speise u. ein Bild, Reproduktion eines Aquarells eines Kriegsmalers, Landschaft im Schnee mit russ. Kirche, – sehr hübsch.

     Nachmittags 4 Uhr große Kaffee-Gesellschaft [...]

[3204]
Montag, 12. Juni 1944.     

[...] [3205]      Mit der Invasion scheint es gut zu stehen. Wir geben jetzt selbst zu, daß die Gegner einen Küstenstreifen von 80 km. Länge zusammenhängend besetzt haben, der etwa bis zu 20 km. tief ist. In dieser ganzen Zone müssen also doch unsere Befestigungsanlagen niedergekämpft worden sein, obwohl sie angeblich uneinnehmbar waren. Und unsere sog. Geheimwaffe? [...]

[3206]
Freitag, 16. Juni 1944.     

[3206]      Es ist fünf oder sechs Jahre her, daß Otto Wendt mir einen sehr anständigen Oelfarben-Malkasten geschenkt hat. Es mag auch noch länger her sein. Er wollte mich damit nötigen, ihm ein Bild zu malen. Ich habe den Kasten in den Schrank gestellt u. nie mehr angesehen. – In diesem Frühjahr oder noch im Winter starb Bartuscheck. Martha veranlaßte die Frau, daß sie mir die Staffelei des Verstorbenen leihweise überließ. Sie glaubte, mich damit zum Malen verführen zu können. Die Staffelei stand seitdem drüben im kleinen Haus in meinem ehemaligen Atelier, in dem Fritz jetzt wohnt. Sie war ja für mein kleines Zimmer viel zu schwerfällig. Meine Versuche im letzten Herbst, mit Aquarellfarben zu malen, waren gänzlich gescheitert, denn mir liegt diese Technik garnicht. Seitdem habe ich den Gedanken an das Malen ganz wieder aufgegeben. Dora Seeberg, die jetzige Frau des Malers Oberländer, fragte mich kürzlich nach der Staffelei des Bartuscheck, denn er hat das Atelier [3207] des Verstorbenen gemietet u. vermißte nur die Staffelei. Ich sagte ihr, daß er sie gern bekommen könne, da ich doch nicht zum Malen käme.

     Das war am Sonnabend. Am Sonntag, als wir zum Kurhaus zum Essen gingen u. bei Papenhagen vorbei kamen, hantierte er mit einer einfachen, gewöhnlichen Staffelei im Hofe. Ich sagte zu ihm, daß ich eine solche Staffelei vielleicht gebrauchen könne. Er war sofort einverstanden. –

     Gestern Nachmittag (Frau Carmen Grantz saß ja für mich an der Kasse) fiel mir die Staffelei wieder ein. Ich ging zu P. rüber u. traf ihn auch in seiner Werkstatt. Er gab sie mir sofort heraus. Ich machte im Zimmer den Fensterplatz frei, rückte den Schreibtisch mehr in's Zimmer u. stellte das Reißbrett mit dem letzten, mißglückten Aquarellversuch auf die Staffelei, nachdem ich das Bild unter die Wasserleitung gehalten u. gründlich abgewaschen hatte. Ich setzte mich davor u. überlegte, ob ich's noch einmal versuchen sollte. –

     Abends, als ich ins Bett gehen wollte, saß ich wieder davor. Es fiel mir der Malkasten von Otto Wendt ein. Ich stand auf u. holte ihn aus dem Schrank, öffnete ihn, packte die Farben aus, die noch einzeln mit Papier verpackt waren so, wie ich ihn damals bekommen hatte. Wie ich die Tuben in der Hand hielt, bekam ich große Lust zum Malen u. ich sagte mir, daß ich es doch versuchen könne, – nur nicht mehr in Aquarell. Aber ich kann doch versuchen, das abgewaschene Aquarell in Oel auf Papier zu malen. Der Gedanke hat mich so gepackt, daß ich nacher nur schwer darüber einschlafen konnte.

     Diese Lust zum Malen hat mich auch heute noch nicht verlassen, sodaß ich bedaure, daß ich nicht gleich anfangen konnte, denn heute Vormittag mußte ich im Geschäft neu dekorieren u. Nachmittags von 4 – 5 Uhr kommt Lothar Krappmann, dem ich mit Jens W. zusammen Religions-Unterricht geben soll. So werde ich wohl erst morgen anfangen können, oder gar erst Montag, denn ich muß mich am Sonnabend auch auf die Sonntagsandacht vorbereiten.

Abends

     Ich habe trotzdem zu Malen angefangen u. freue mich über das gute Gelingen – bis jetzt! Erfahrungsgemäß gibt es nachher stets unerwartete Schwierigkeiten, aber was ich heute gemacht habe, erfüllt mich mit Hoffnung. Die Oelmalerei ist doch ganz was anderes, wie das dünne Aquarell. Die Oelfarbe steht auf den guten Aquarellpapier, das ich im vorigen Jahre Hülsmann abkaufte, ganz ausgezeichnet.

Betender Engel
[3208]
Montag, 19. Juni 1944.     

[...] [3208]      Heute sah ich von der Terrasse aus zum ersten Male ein feindliches Flugzeug ziemlich tief über dem Darss.

     Mein Bild macht gute Fortschritte, morgen wird es wohl fertig sein.

[3209]
Donnerstag, 22. Juni 1944.     

[...] [3209]      Unsere Berichterstattung ist nachgrade empörend. Wir hatten am Sonntag Lufalarm, am Montag am Dienstag, am Mittwoch. Heute früh war noch kein Alarm, dafür aber Nachts 1/2 2 Uhr. Von all dem liest man nichts. Es sind die synthet. Treibstoffwerke in Hamburg, Hannover, Magdeburg u. Stettin bombardiert worden, ferner haben sie wieder Braunschweig angegriffen u. gestern oder vorgestern soll Berlin wieder sehr schwer darangewesen sein. – Auch Ribnitz soll vorgestern angegriffen worden sein, Bachmann soll gebrannt haben, merkwürdigerweise war hier davon nichts zu hören, da Nordwind war. [...]

[3209]      Im fernen Osten erwartet man eine große Seeschlacht östlich der Philippinen. Anscheinend wollen die Amerikaner dort landen. Leider weiß ich nichts Näheres darüber, weil gestern Abend unser Radio kaputt gegangen ist. [...]

[3209]      Mein erstes Bild ist fertig, es ist sehr gut geworden. Nachdem sich damit ergeben hat, daß Aquarellpapier ein ausgezeichneter Malgrund ist, auf dem die Farbe stark leuchtend steht, will ich nun weiter arbeiten. Ich habe gestern Nachmittag u. heute Vormittag eine Bleistiftskizze einer Engelfigur gemacht, die sehr vielversprechend geworden ist. Martha, die nichts davon wußte, sah sie heute morgen, als sie zufällig in mein Zimmer kam. Sie war ganz hingerissen davon, obgleich der Entwurf in verschiedenen Teilen noch nicht gelöst war. Nun ist mir aber die Lösung gelungen. [...]

[3210]
Sonntag, 25. Juni 1944.     

[...] [3210]      Das Engelbild macht Fortschritte, es wird sehr farbig u. wenn es keine unerwarteten Ueberraschungen gibt, wird es ein schönes Bild werden. Von Berlin hört man schreckliche Dinge über den letzten Angriff.

[3301]
Montag, 26. Juni 1944.     

[...] [3301]      Mein Engelbild macht gute Fortschritte, ich habe heute den schwierigsten Teil, das untere Gewand, gemalt, welches sich in großen Linien in den Hintergrund hineinzieht. Es ist sehr gut gelungen. [...]

Ahrenshoop, Juli 1944

[3301]
Montag, 3. Juli 1944.     

[3301]      Vorgestern Brief von Fritz. Er schreibt von dauernden Kämpfen, bei denen sogar Panzer u. Flugzeuge eingesetzt werden mußten. Es wird von unseren Soldaten geplündert, ehe die Ortschaften niedergebrannt werden, deshalb ist die Ernährung mehr als gut u. reichlich. Gefangene werden nicht gemacht, Ueberläufer werden dem Sicherheitsdienst zur Vernehmung übergeben u. dann doch erschossen. Es scheint, daß wir also nichts gelernt haben u. dieselbe Dummheit machen, wie s. Zt. in Polen, wo man ebenfalls die Zivilbevölkerung drangsalierte, anstatt sie sich zu Freunden zu machen.

     Gestern im Kurhaus beim Mittagessen begrüßte uns Dr. Sinn u. seine Tochter mit deren Mann Syamken. Abends waren Herr + Frau Syamken bei uns. Ich machte eine Flasche Cognac auf, den wir noch von Fritz aus Frankreich bekommen hatten u. dank dieser Anregung entwickelte sich ein lebhaftes Gespräch, das unversehens bis 1/2 2 Uhr Nachts dauerte. [...]

[3301]      Mein Engelbild geht der Vollendung entgegen. [...]

[3302]
Donnerstag, 6. Juli 44.     

[3302]      Gestern habe ich das Engelbild fertig gebracht, es ist sehr schön geworden. Ich zeigte es Dr. Sinn, der zwar kein Sachverständiger ist, dem das Bild aber doch ausnehmend gefiel. Paul, der es heute Morgen sah, hat garkein Verständnis.

     Heute habe ich den ganzen Tag für die Bu-Stu. arbeiten müssen, da durch meine Malerei allerhand in Rückstand geraten war. [...]

Melchisedech, Zeichnung
[3302]
Sonntag, 9. Juli 1944.     

[...] [3303]      Vorgestern den Bleistiftentwurf zu neuem Bild gemacht: königlicher Männerkopf. Sehr gut. So Gott will, werde ich morgen damit beginnen. [...]

[3303]
Dienstag, 11. Juli 1944.     

[3303]      Gestern Abend war Baurat Max Grantz mit seiner Frau bei uns. Er sah sich meine Bilder an u. war überaus begeistert besonders von dem neu angefangenen Bilde, das ich gestern grade mit Farbe angelegt hatte. Es stellt den Kopf eines Fürsten dar u. ist sehr monumental in der Komposition. In der Farbe verspricht es noch schöner zu werden, wie der Engel. [...]

[3304]      Von Pfr. Dobczynski bekam ich heute Nachricht, daß er am Freitag zu uns kommen will. Er will mit zwei seiner Ministranten einen Ausflug hierher machen u. wird dann hier eine Messe zelebrieren. Er wird mir dann erzählen, wie der Bischofstag verlaufen ist u. ich werde hören, ob Aussicht dafür ist, daß ich die missio canonica erhalte.

Melchisedech
[3304]
Freitag, 14. Juli 1944.     

[3304]      Heute früh Hochamt. [...]

[3304] Die anschließende Unterhaltung mit dem Pfarrer war wie stets sehr anstrengend. Er erzählte von seinen Erlebnissen in der Gemeinde, den Schwierigkeiten usw. [...]

[3304] Auch berichtete er vom Bischof, der sehr alt u. müde geworden ist u. sehr trübe in die Zukunft sieht. Es war unter diesen Umständen recht gut, daß wir nicht in Barth gewesen sind, denn es wäre gewiß eine Enttäuschung gewesen. Auch aus der Erteilung der missio canonica ist nichts geworden, da der Bischof gemeint haben soll, es wäre zwecklos, denn die Behörden erkennten dergleichen einfach nicht an. So brachte mir der Pfarrer lediglich eine Bescheinigung von ihm selbst, nach welcher ich offiziell beauftragt bin, innerhalb des Pfarrbezirks den Religionsunterricht an seiner statt zu erteilen.

     Ferner erzählte er von Pfr. Dr. Wachsmann aus Greifswald, der vor einiger Zeit hingerichtet worden ist u. der fast ein ganzes Jahr in Fesseln gelegen hat. Der Bischof hat ihn besucht u. soll sehr tief beeindruckt gewesen sein von der Art, in der Dr. W. das Schicksal trug. – Auch vom Domkapitular Lichtenberg hörte ich nun Näheres. Er ist auf dem Transport verstorben, wahrscheinlich wollte man ihn in ein Konzentrationslager oder in ein anderes Gefängnis bringen. Der kranke Mann wurde mit anderen Gefangenen im Viehwagen transportiert, in welchem es nur zwei Strohsäcke gab. Da er schwer krank war u. Fieber hatte, durfte er auf einem dieser Strohsäcke liegen. In Hof verschlimmerte sich sein Zustand so, daß der SA-Mann, der den Transport leitete, ihn ins Krankenhaus bringen ließ, wo er dann gestorben ist. Der Bischof hat Schritte unternommen, daß er heilig gesprochen wird.

     Der Pfarrer sah sich meine Bilder an u. war, nachdem ich ihm einen kleinen Vortrag gehalten hatte, doch recht aufgeschlossen. [...]

[3304] Von Moskau aus werden bereits Richtlinien an die Bevölkerung in Deutschland für den Fall des Einmarsches in Rußland gegeben. Es wird gesagt, man solle ruhig an seinem Wohnort bleiben u. nicht fliehen. Das bezieht sich aber natürlich nicht auf das Hauptquartier des Führers, welches bei Lötzen sein soll. Dort wird man wohl anfangen, die Koffer zu packen. [...]

[3305]
Sonntag, 16. Juli 1944.     

[3305]      Am Freitag kam Irmingard Wegscheider, um Jens u. Peter zu besuchen. Sie fährt morgen wieder nach Bln. zurück. Sie wollte eigentlich erst Dienstag fahren, aber ab morgen tritt eine plötzlich verfügte, sehr drakonische Reisebeschränkung in Kraft, was sie zur früheren Abreise veranlaßt. Diese Reisebeschränkung, die erst am Tage des Ferienbeginns bekannt gegeben wird, ist wieder einmal ein tolles Stück. Es ist zu erwarten, daß die Sommergäste, welche ab morgen hier erwartet wurden, absagen werden u. die Gaststätten plötzlich leer stehen, nachdem sie alles vorbereitet haben. [...]

[3306]
Dienstag, 18. Juli 1944     

[...] [3306]      Heute Nacht hatten wir wieder einmal Fliegeralarm. Es war ein Angriff gegen Berlin. Am Vormittag ebenfalls Alarm. Starke, amerikanische Verbände flogen über uns weg. Sie griffen Peenemünde u. Zinnowitz an, wo sich Versuchsanstalten für unsere Geheimwaffen befinden sollen. Peenemünde wurde vor einem Jahre bereits schwer bombardiert wobei viele Wissenschaftler, die sich mit der Herstellung von Geheimwaffen befaßten, ums Leben gekommen sein sollen.

[3306]
Mittwoch 19. Juli 1944     

[3306]      Heute Vormittag habe ich das dritte Bild vollendet. Martha meint, daß es das Schönste sei, was ich bisher im Leben gemacht hätte. Mir will es auch so scheinen. Ich werde es

„Melchisedech“

nennen, denn es enthält all das Geheimnivolle u. zugleich Monumentale dieser mythischen Gestalt, Priester u. König.

     Ich glaube, als Nächstes werde ich eine „Verkündigung“ malen, – aber zunächst will ich Pause machen. Das Bild hat mich sehr angestrengt. Ich habe Sorge um Pinsel u. habe Dr. Sinn, der sich am Montag verabschiedete, gebeten, er möchte mit Karl Hofer sprechen, der in seinem Sanatorium ein Atelier hat, ob er mir nicht Pinsel verschaffen kann. Auch Otto Wendt habe ich gebeten. Malmittel habe ich neulich von einem jüngeren Kollegen bekommen, sonst hätte ich das auch schon nicht mehr, doch wird auch das nicht mehr lange reichen. [...]

[...] [3307]      Eben besuchte mich Frau v. Guttemberg, der Martha gesagt hatte, ich würde ihr meine Bilder zeigen. Sie war sehr entzückt. Ich fragte sie, ob sie mir nicht Pinsel besorgen könnte. In Rostock wird sie dazu keine Gelegenheit haben, doch fährt sie jetzt, wie sie mir sagt, nach Prag, wo sie ausgestellt hat u. sie will versuchen, dort etwas zu bekommen. Dabei ist mir eingefallen, daß Erika Küntzel in Prag wohnt u. möglicherweise etwas für mich besorgen kann.

     Vormittags kam Herr Söhlke zu mir in den Garten, als ich Schoten abnahm. Er erzählte aus Bln. Zur Kriegslage meinte er, daß die Engländer jetzt möglicherweise mit Gas anfangen würden, wenn wir diese planlose Beschießung mit den fliegenden Bomben nicht einstellen. Es würde das in der Tat die einzige Möglichkeit für die Engländer sein, sich dagegen zu wehren, zumal sie ja jetzt mit ihrer starken Luftüberlegenheit am längeren Hebel sitzen. Es ist ein furchtbarer Gedanke. – [...]

[...] [3308]      Heute war Deutschmann in der Bunten Stube u. hat zu Martha gesagt, eine Dame sei bei ihm gewesen u. habe behauptet, ich hörte den Auslandssender. Ich werden zu ihm gehen müssen u. fragen, wie es sich damit verhält.

[3308]
Donnerstag, 20. Juli 1944.     

[...] [3308] Auf den Führer ist im Hauptquartier ein Sprengstoff-Attentat verübt worden. Er soll nur leicht verletzt sein, verschiedene Generale seiner Umgebung sind ebenfalls mehr oder weniger verletzt worden. Das Attentat soll am heutigen Tage verübt worden sein, seltsamerweise ist aber schon gestern die Telephon= und Telegraphenverbindung nach Schweden vierzehn Stunden lang unterbrochen gewesen, ohne daß man einen Grund dafür weiß. – Die Krisenzeichen steigern sich. – Es ist eigentlich sehr auffällig, daß die Tatsache dieses Attentats vom Führerhauptquartier bekannt gegeben worden ist u. nicht verschwiegen wurde. –

     Ich war bei Deutschmann, habe aber nicht erfahren können, wer die Dame war, die diese Bemerkung gemacht hat. Es scheint zwar harmlos zu sein, doch sehe ich, wie ich mich vorsehen muß. [...]

[3308]
Freitag, 21. Juli 1944. Morgens.     

[3308]      Um 9 Uhr wurde durchgegeben, daß der Führer um 1 Uhr Nachts am Rundfunk gesprochen hat, um dem Volke zu zeigen, daß er lebt. Er hat gesagt, daß eine kleine Klique junger Offiziere unter Führung eines Obersten Grafen v. Stauffenberg eine Verschwörung angezettelt hätte. Es sei eine Bombe zwei Meter neben ihm explodiert u. habe einige Offiziere schwer, andere wie ihn selbst leicht verletzt. Einige der Schwerverletzten seien gestorben. Er selbst habe nur Hautabschürfungen u. leichte Verbrennungen davongetragen. Graf v. Stauffenberg u. andere am Komplott beteiligte Offiziere hätten sich selbst erschossen, andere seien bereits füsiliert worden. Der Führer hat Himmler zum Oberstkommandierenden des Heimatheeres ernannt.

     Bald nach dem Attentat hat der Führer Mussolini zu einer längeren Besprechung empfangen.

     Es ist zu erwarten, daß Himmler nun ein furchtbares Terrorregiment aufziehen wird, noch furchtbarer, als es ohnedies schon der Fall war. –

     Es verdient, festgestellt zu werden, daß dieses Attentat nicht etwa von Kommunisten verübt wurde, auch nicht von Leuten, die etwa vom Feinde gedungen waren, sondern von Offizieren der Armee unter Führung eines Angehörigen des hohen Adelstandes. [...]

[3309]      Frau Hoppe erzählte Martha, daß heute Vormittag Frau Siegert in den Laden gekommen sei u. mit der lauten Stimme, die diesem Weibe eigen ist, gesagt hat: Nun wisse man ja endlich, welche Leute es seien, die gegen den Führer arbeiten, u. man müsse sich schämen, daß ein Adeliger darunter sei. Von nun an würde sie jeden, der am Führer oder an der Führung Kritik übe, anzeigen, damit er an die Wand gestellt würde. [...]

[3309]
Sonntag, 23. Juli 1944.     

[...] [3309]      Gestern Nachmittag habe ich ein kleines Bild untermalt, frühe Astern aus dem Garten. Ich beginne, oder versuche damit etwas Neues, nämlich nicht von einem inneren Gesicht auszugehen, sondern von der Natur, diese dann aber fortzuführen bis zur völligen Abstraktion. Es ist unmöglich, solche Bilder wie den betenden Engel u. den Melchisedech am laufenden Bande zu malen, die Anspannung ist zu groß. Es wäre aber schade, in der Zwischenzeit, bis ein neues Bild in mir entsteht, überhaupt nicht zu

[3310] malen. Solche Blumenstücke oder Stilleben sind da eine angenehme Entspannung u. ich denke mir, daß ich grade dabei viel lernen werde.

     Heute zur Andacht war Frl. Sinn, Tochter von Dr. Sinn u. Schwester von Frau Syamken, zugegen. Von ihr hatte Frau Syamken schon im vorigen Jahre erzählt. Die beiden Schwestern vertragen sich nicht, obgleich sie sich sehr ähnlich sind. Frau Syamken aber ist schwarz, während Frl. Sinn blond ist, Frau Syamken fragt nicht viel nach Religion u. Kirche, während Frl. Sinn angeblich sehr fromm sein soll u. sogar irgendwie zu dem holländ. Orden „Der Graal“ gehört haben soll, der vor den Nazis in Dahlem eine, wie man mir erzählt hat, prächtige Villa besaß u. mit seinen recht theatralisch wirkenden farbigen Mänteln in berliner Kirchen einiges Aufsehen machte. Der Orden ist dann wieder nach Holland verschwunden. Frl. Sinn scheint sich aber ganz getrennt zu haben, jedenfalls ist sie jetzt ganz nationalsozialistisch. Sie sagte mir nach der Andacht, sie könne garnicht verstehen, wie Offiziere sich dazu herbeilassen könnten, gegen den Führer ein Komplott zu schmieden. Sie behauptete etwas sehr kühn, daß das einzige Motiv dazu darin liege, daß Adolf Hitler aus kleinen Verhältnissen stamme. Ich habe dem natürlich nachdrücklich widersprochen, bin aber dann sehr zugeknöpft gewesen. Solche Frauen wie Frl. Sinn, die erklärt, sie könne die Haltung der kathol. Kirche dem Nationalsozialismus gegenüber nicht verstehen, können einen heutzutage leicht vom Leben zum Tode befördern.

     Nach dem Essen im Kurhaus kamen Herr + Frau Syamken zu uns. Sie brachten echten Bohnenkaffee mit. Wir saßen auf der Terrasse, leider war es recht windig.

     Gegen 15 Uhr kamen Paul u. Grete mit Inge u. den Kindern, denn Inge fährt morgen wieder ab. Grete bat mich, meine Bilder zu sehen, worüber ich überrascht war. Sie war wohl neugierig, das ist ja eine starke Eigenschaft von ihr. Sie behauptete, großes Verständnis zu haben u. faselte etwas von Walhall u. Götterdämmerung. Inge, die erst etwas später gekommen war, bat mich dann um dasselbe. Ich zeigte ihr die Bilder, als die Alten gegangen waren u. sie benahm sich dabei ganz vernünftig. [...]

Astern
[3311]
Dienstag, 25. Juli 1944.     

[...] [3311]      Das Blumenstück „Astern“ habe ich auf einer Malpappe malen wollen, die ich gelegentlich einmal im Hause gefunden habe, – woher sie stammt, weiß ich nicht. Dieser Malgrund ist aber so miserabel, daß ich den Versuch wieder aufgeben mußte. Ich habe die Naturstudie heute nochmals durchgezeichnet u. streng stilisiert u. habe wieder Aquarellpapier aufgezogen, welches ein wirklich sehr schöner Malgrund ist. Es hat nur den Nachteil, daß sie das Bild nachher leicht wirft.

     Frl. Sinn ist heute abend bei uns eingezogen, da sie im Kurhaus nicht bleiben konnte, weil es dort überfüllt ist. Heute bekam ich eine Vorladung ins Gemeindeamt, Militärpapiere waren mitzubringen. Es wird nun ja am allertotalsten Mobilisiert. Mein Wehrpaß lautet dahin, daß über meine eventuelle Einberufung das Wehrbezirkskommando Stralsund entscheidet. Ich wies den Bürgermeister auf diesen Satz hin, worauf er meinte, daß dann alles in Ordnung sei. Ich zog erleichtert wieder ab; aber man ist eben nie sicher.

[3311]
Mittwoch, 26. Juli 1944.     

[...] [3312] Heute nachmittag besuchten mich das Ehepaar Winter, Spielleiter aus Neubrandenburg, um meine Bilder zu sehen. Sie schienen sehr entzückt, im Gegensatz zu meinem Kollegen v. Perfall, der vorgestern hier war um sich ein Buch zu leihen. Da ich grade den Melchisedech fertig machte, sah er dieses Bild, ohne jedes Verständnis. Er meinte, daß seiner Ansicht nach ein Bild für Jedermann leicht verständlich sein müsse. Dieser Mann ist Nationalsozialist. Er malt eben für das Volk u. die breite Masse, – das ist klar. Dieser Mann liest deshalb auch nur Kriminalromane. Er repräsentiert das Kulturideal des Nationalsozialismus: alles für das Volk!

[3313]
Freitag, 28. Juli 1944.     

[...] [3313]      Mein Blumenbild wird morgen fertig werden. Es ist überaus zart u. duftig u. sehr schön, – glaube ich. Die Neuheit eines solchen Vorwurfes hat mir Schwierigkeiten bereitet, doch glaube ich, daß ich sie überwunden habe. [...]

[3313]
Sonnabend, 29. Juli 1944.     

[...] [3313]      Das Blumenbild heute fertig geworden. [...]

[3314]
Sonntag, 30. Juli 1944.     

[...] [3314] Einem Gerücht zufolge [3401] soll Generalfeldmarschall Rommel bei einem Fliegerangriff schwer verwundet worden sein, man sagt: tödlich. Damit würde indessen sicher kein sehr großes Genie ausfallen, aber ein blinder Anhänger des Führers.

     Verfügungen betr. totale Mobilmachung hat Herr Goebbels bis heute noch nicht erlassen, obgleich er nun schon seit 10 Tagen mit dieser Aufgabe betraut ist. Es wird ihm wohl schwerfallen, etwas Neues zu erfinden. [...]

[3401]      Heute wurde mir eine hübsche Geschichte erzählt. Es ist in diesen Tagen vorgekommen, daß bei einer sehr großen Wirtschaftsstelle in Berlin angerufen worden ist, es möge sofort ein Beamter mit einer Rolle Bindfaden nach Wannsee kommen, u. zwar mit dem Auto, denn die Frau des Herrn Wirtschaftsministers sei beim Einkochen von Himmbeeren u. es fehle ihr Bindfaden, um die Gläser zuzubinden. Es mag sein, daß diese Geschichte erfunden ist; aber sie beweist dann doch, was das Volk denkt. [...]

Ahrenshoop, August 1944

[3401]
Dienstag, 1. August 1944.     

[...] [3401]      Morgen tritt in Ankara die Nationalversammlung zusammen u. wird wahrscheinlich beschließen, die diplom. Beziehungen zu Deutschland abzubrechen. Welche Wirkung dieser Schritt auf Bulgarien, Rumänien u. Ungarn haben wird, wird sich bald zeigen. Wir werden natürlich wieder einmal gänzlich davon überrascht, denn unsere Propaganda hat immer erzählt, wie freundlich die Türken uns gesinnt seien. [...]

[3401]      Die im Garten blühenden Malven haben mich gereizt. Ich habe eine Skizze gemacht, die jedoch nichts erreichte. Heute habe ich es von Neuem versucht, es scheint besser zu werden. [...]

[3401]
Mittwoch, 2. August 1944.     

[...] [3402]      Daß die sog. Generalsrevolte sehr viel weitere Kreise umfaßt hat, wird immer deutlicher. In Schlesien besonders sollen Zivile Kreise dahinter gestanden haben u. jetzt wird der Oberbürgermeister von Leipzig, Goerdeler, steckbrieflich verfolgt. Es wird immer deutlicher, daß das Attentat auf Hitler nur der Auftakt war zu weiteren Ereignissen.

     Der amerikan. Vormarsch an der Invasionsfront nach Süden geht weiter.

     Eben höre ich von einer Seite, die gut informiert sein dürfte, daß der Generalfeldmarschall Lindemann ebenfalls in die Generalsrevolte aktiv verwickelt sein soll. Es hieß ja von Anfang an, daß Hitlers Befehl, das Baltikum unter allen Umständen zu halten, der eigentliche Anlaß der Revolte gewesen sein soll. Lindemann soll sich nun aber nicht bei seiner Armee befinden, sondern soll sich sonst irgendwo verborgen halten, ebenso wie Goerdeler. – Von derselben Seite höre ich auch, daß am 20. Juli sehr viele Truppen mobilisiert gewesen sein sollen, so habe der Fehrbelliner Platz einem Heerlager geglichen. Aber dennoch hat irgendetwas nicht geklappt, es muß wohl ein Verrat dabei im Spiele gewesen sein. – Man sagt, daß die ganze Familie des Grafen Stauffenberg umgebracht worden sei. – Es gibt übrigens Leute, die an das ganze Attentat nicht glauben. [...]

[3402]
Donnerstag, 3. August 1944.     

[...] [3403] Heute wieder ausführlicher Brief von Fritz. Seine Truppe zieht atemlos im Lande umher, ohne irgend etwas zu erreichen. Die Treibstoffknappheit ist bereits so groß, daß kürzlich Fahrräder beschlagnahmt wurden u. die Truppe auf Fahrrädern, anstatt auf Motorwagen, fuhr. Dieser Ausweg aber war ein Mißgriff, denn die meisten Räder waren minderwertig u. gingen kaputt. – Die Kampftaktik scheint sich geändert zu haben, indem die Gefangenen nicht mehr erschossen werden. Fritz klagt über den mangelhaften Geist in der Truppe, zwischen Offizieren u. Mannschaften besteht, wie er schreibt, eine Kluft, wie er es vordem nie erlebt hat. Das ist denn also „des Führers nationalsozialistische Volksarmee“ Besonders von den Aerzten schreibt er, daß sie einen guten Tag lebten u. möglichst wenig täten, die Arbeit überlassen sie den Sanitätsdienstgraden.

     Heute habe ich das neue Malvenbild untermalt, – es verspricht, sehr schön zu werden. [...]

Malven
[3403]
Freitag, 4. August 1944.     

[...] [3404]      Heute Nachmittag gegen 2 Uhr Fliegeralarm, Entwarnung erst gegen 4 Uhr. Es kamen überaus zahlreiche Fliegerverbände über uns hinweg. Der Angriff soll Flensburg, Kiel, Rostock u. wieder Peenemünde gegolten haben, Näheres habe ich noch nicht gehört.

     Nachmittags Herr u. Frau Dr. Jaeger, sahen sich meine Bilder an. Herr Dr. J., ist unter die Maler gegangen. Er zeigte mir Fotos einiger seiner Bilder. Das reifste war ein Bildnis von Schmidt-Rotloff, der in Chemnitz lebt, seit er in Bln. ausgebombt ist, ferner sehr gut das Bildnis zweier Negermädchen, tragischer Gesichtsausdruck. Dr. J. gab mir ein Gedicht von Gottfried Keller aus dem Jahre 1844, eine seltsame Prophezeiung Adolf Hitlers u. seiner Leute. Es lautet:

Ein Ungeziefer ruht
In Staub und trocknem Schlamme
Verborgen, wie die Flamme
In leichter Asche tut.
Ein Regen, Windeshauch
Erweckt das schlimme Leben,
Und aus dem Nichts erheben
Sich Seuchen, Glut und Rauch.

Aus dunkler Höhle fährt
Ein Schächer, um zu schweifen;
Nach Beuteln möcht' er greifen
Und findet bessern Wert:
Er findet einen Streit
Um nichts, ein irres Wissen,
Ein Banner, das zerrissen,
Ein Volk in Blödigkeit.

Er findet, wo er geht,
Die Leere dürft’ger Zeiten;
Da kann er schamlos schreiten;
Nun wird er ein Prophet.
Auf einen Kehricht stellt
Er seine Schelmenfüße
Und zischelt seine Grüße
In die verblüffte Welt.

Gehüllt in Niedertracht
Gleichwie in einer Wolke,
Ein Lügner vor dem Volke,
Ragt bald er groß an Macht
Mit seiner Helfer Zahl,
Die hoch und niedrig stehend,
Sich bieten seiner Wahl.

Sie teilen aus sein Wort,
Wie einst die Gottesboten
Getan mit den fünf Broten,
Das klecket fort und fort!
Erst log allein der Hund,
Nun lügen ihrer tausend;

[3405]

Und wie ein Sturm erbrausend,
So wuchert jetzt sein Pfund.

Hoch schießt empor die Saat,
Verwandelt sind die Lande,
Die Menge lebt in Schande
Und lacht der Schofeltat!
Jetzt hat sich auch erwahrt,
Was erstlich war erfunden:
Die Guten sind verschwunden,
Die Schlechten stehn geschart.

Wenn einstmals diese Not
Lang wie ein Eis gebrochen,
Dann wird davon gesprochen,
Wie von dem schwarzen Tod;
Und einen Strohmann baun
Die Kinder auf der Heide,
Zu brennen Lust aus Leide
Und Licht aus altem Graun.

[...] [3405]
Sonnabend, 5. Aug. 1944.     

[...] [3405]      Heute Nachmittag war Prof. Enking da, um meine Bilder zu sehen. Er war sehr begeistert, besonders vom betenden Engel.

[3406]
Montag, 7. Aug. 1944.     

[3406]      Das Dorf ist in Aufregung. Es geht das Gerücht, die ganze weibliche Bevölkerung bis zum 55. Lebensjahre würde nach Ostpreußen gebracht werden, um dort zu schanzen. Diese Maßnahme soll für ganz Pommern u. Schlesien gelten. Woher das Gerücht kommt, konnte ich nicht feststellen, denn die pommerschen Zeitungen, in denen diese Verfügung stehen soll, sind heute nicht eingetroffen. Es soll ein Haus beschlagnahmt sein, das Haus v. Steinäcker, in dem alle Kinder untergebracht werden sollen. – [...]

[3406]      Es bestätigt sich, daß auch der Polizeipräsident von Bln., Graf Helldorf, der einst ein übel berüchtigter Nazi war, in die Attentats-Affäre verwickelt ist. Er ist abgesetzt u. durch den bisherigen Polizeichef in Dänemark ersetzt worden. Dieser hat sich durch seine Brutalität in Dänemark einen Namen gemacht. Auch ein weiterer General, der bisher ein Armeekorps in der Normandie befehligte, ist abgesetzt. – Gestern wurde mir von einer höheren Befehlsstelle in der Heimat erzählt, daß sämtliche Offiziere vom Kommandeur bis zum jüngsten Leutnant bedauert hätten, daß das Attentat auf den Führer mißglückt sei. Es scheint doch so, daß dieses Attentat sehr dazu beigetragen hat, die Fronten zu klären.

[3406]
Mittwoch, 9. August 1944.     

[3406]      Gestern wurden Generalfeldmarschall v. Witzleben u. sieben andere Offiziere durch den Strang hingerichtet.

     Abends war Frau Wolsdorf bei uns, eine ziemlich unbedeutende Frau, die uns langweilte, doch ist sie wenigstens gutartig. Sie erzählte von ihrem 20jährigen Sohn, der an der Ostfront [3407] als Leutnant bei der Panzerwaffe steht. Er u. seine Leute müssen jetzt schanzen, weil sie keine Panzer haben. Auch von der Invasionsfront hörte ich vor einigen Tagen, daß ein Teil unserer Einheiten dort mit alten Holländischen u. Französischen Gewehren ausgerüstet ist. Im 1. Weltkrieg hat mein Regiment auch bloß russische Gewehre gehabt u. wir suchten uns die Munition zusammen; aber damals hat man uns auch nicht erzählt, daß die Rüstung immer ist Steigen sei. [...]

[3407]      Von Generaloberst Lindemann sagt man jetzt, daß er zu den Russen übergegangen sei. [...]

[3407]      Heute ein Bild in der DAZ: „Die Reichs= u. Gauleiter beim Führer.“ Hitler begrüßt Dr. Ley, Himmler, Goebbels, Amann u. Dr. Frick. Auf diesem Bilde ist deutlich zu sehen, daß der Führer die linke Hand gibt u. daß der rechte Arm herunterhängt, als sei er bandagiert. Irgend etwas hat er bei dem Attentat doch abbekommen. [...]

[3407]      Der Maler v. Perfall will mir Pinsel + Farben besorgen. Mein Malvenbild wird sehr schön. [...]

[3407]
Donnerstag, 10. Aug. 1944.     

[3407]      Große Aufregung Fünfundsiebenzig Frauen u. Mädchen haben heute Order bekommen, sich bis Sonnabend bereit zu halten zum Abtransport irgendwohin zur Schanzarbeit. Unter diesen auch unsere Trude Dade u. auch die Martha von Irmingard Wegscheider, die mit Jens u. Peter hier ist. Wir wollten daraufhin diese Martha morgen mit den Kindern nach Bln. zurückschicken, aber sie braucht dazu eine Reisebescheinigung vom Bürgermeister u. dieser gibt sie nicht, weil er Angst hat vor dem polit. Leiter in Prerow, der diese Verfügung erlassen hat u. zwar zu Unrecht, wie der Bürgermeister selbst einsieht. Wir wissen nicht, was tun. Unsere Trude sind wir jedenfalls los. Unter diesen 75 Frauen befinden sich natürlich überwiegend ausgebombte Frauen, die hier wohnen, durchweg Damen besseren Standes. Jede hat eine Lister erhalten, was sie mitzubringen hat, – aber diese Sachen besitzt kein ausgebombter Mensch, nicht einmal ein Nichtausgebomter. – Die Sache hat wenigstens das Gute, daß die Liebe zum Führer dadurch immer größer wird. –

Abends

Martha war beim Bürgermeister, der nun endlich

[3408] eingesehen hat, daß das Mädchen Martha zu unrecht ihre Order bekommen hat, doch hat er Angst, selbständig etwas zu tun, er meint, erst den polit. Beamten in Prerow fragen zu müssen. Er will das tun u. uns dann Bescheid geben, doch hat er das bis jetzt nicht getan. Sobald das Mädchen frei ist, werden wir es mit Jens u. Peter nach Bln. zurückschicken.

     Im Dorf ist ungeheure Aufregung. Es soll im Gasthof von Knecht eine Gemeinschaftsküche aufgemacht werden für die Kinder, die mutterlos hier bleiben u. die sonst im Hause Strandheim untergebracht werden sollen. Für Pflege dieser Kinder ist die Frauenschaftsleiterin Frau Siegert bestellt, ferner deren Nachbarin Frau Schmitt u. die Frau des Lehrers. Diese haben sich also einen Druckposten zu verschaffen gewußt. Die Frau des Bürgermeisters hat zwar keinen besonderen Druckposten, braucht aber nicht fort. Dagegen hat Schwager Paul ebenfalls Order bekommen, er ist 62 Jahre.

     Unter der Schlagzeile „Vom Volke gerichtet“ bringt der Rost. Anz. heute den Verhandlungsbericht gegen die Attentäter. Es handelt sich um den Generalfeldmarschall v. Witzleben, Generaloberst Höppner, Generalmajor Stieff, Oberlt. v. Hagen, Generalleutnant v. Hase, Oberstlt. Bernardis, Hptm. Klausing u. Lt. Graf York v. Wartenburg. –

     In all dieser Aufregung habe ich heute das Malvenbild vollendet. Es ist sehr schön geworden. [...]

Pfarrer von Ars
[3408]
Freitag, 11. Aug. 44.     

[...] [3408]      Die Aufregung im Dorf ist noch die gleiche. Von den 75 betroffenen Frauen u. Mädchen haben 50 Revision eingelegt. Es scheint in der Tat so, als hätte man vorwiegend Evakuierte ausgewählt, also Damen besserer Stände, während man die einheimische Bevölkerung weitgehend geschont hat. – Ich habe bis jetzt nur von zwei Männern gehört, die Order bekommen haben: Paul u. Gess. Ich rede Paul zu, Berufung einzulegen, aber er zögert.

     Heute habe ich eine Kohlezeichnung, die ich vor Jahren noch in der Wilhelmshöher Straße in Friedenau gemacht habe, neu gezeichnet u. streng durchstilisiert. Damals wollte ich ein Bild des Pfarrers von Ars machen, doch kam ich nicht weiter. Die Zeichnung fiel mir neulich in die Hände, als ich die Bilderkammer einrichtete u. sie gefiel mir sehr. Zwar kann ich das, was ich heute gezeichnet habe, wohl kaum „Pfarrer von Ars“ nennen, die Katholiken wurden mich steinigen; aber als Bildnis eines geistlichen Herrn kann es wohl gehen.

[3409]
Sonntag, 13. Aug. 1944.     

[...] [3410]      Nachmittags waren Küntzels da. Wir erwogen die Idee, daß Grete, wenn Paul fort ist, notfalls zu uns kommen soll. Durch das Gespräch angeregt, sagte ich, ich könne vielleicht in Zimmer 3 im kleinen Hause für mich ein brauchbares Atelier einrichten, da dort ein nach Norden gehendes Fenster ist. Später meinte Martha dann, ob ich dann nicht lieber mein früheres Atelier, in dem jetzt Fritz wohnt, wieder benutzen wolle. Das wäre natürlich ausgezeichnet u. schließlich habe ich es ja im Jahre 1922/23 für mich gebaut. Ich möchte nur nicht Fritz einfach vertreiben. Dennoch ist dieser Gedanke sinngemäß.

[3410]
Montag, 14. Aug. 44.     

[...] [3410]      Generalfeldmarschall Paulus, der die bei Stalingrad gefangen genommene 6. Armee führte u. von dem man von unserer Seite niemals mehr etwas gehört hatte, hat jetzt von Moskau aus einen Aufruf an alle deutschen Armeen erlassen mit der Aufforderung, Hitler zu beseitigen u. den Kampf sofort einzustellen. Paulus hat bisher noch nie von sich hören lassen. Er genießt bei der Armee großes Ansehen, wie auch im Hinterlande. Dieser Aufruf dürfte eine starke Wirkung haben.

     Heute wurde bekannt, daß die zum Schippen aufgebotenen Frauen morgen früh 4 Uhr abmarschieren sollen nach Prerow. Die Erbitterung im Orte ist groß, – in Stalsund soll es bereits aus gleichem Anlaß zu Krawall gekommen sein. Ferner ist verfügt worden, daß sofort alle Pensionen u. Gasthäuser geschlossen werden sollen u. daß alle Fremden sofort den Ort zu verlassen haben. Das Mädchen Martha sollte morgen mit Jens u. Peter nach Bln. zurückkehren, wir werden sie aber hier behalten, da zu erwarten ist, daß die Eisenbahnen maßlos überfüllt sein werden u. daß ein lebensgefährliches Gedränge entstehen wird. – Die Symtome des Zusammenbruchs steigern sich immer mehr, – es wird noch unvorstellbar werden. – [...]

[3411]
Dienstag, 15. August 1944.     

[3411]      Heute früh um 4 Uhr hatten sich die zum Schippen Kommandierten vor dem Kaffee Namenlos zu versammeln. Es war eine merkwürdig stimmung= u. charakterlose Versammlung. Es war noch ganz dunkel, der abnehmende Mond stand am nordöstlichen Himmel. Im Kaffee Namenlos wurden durch den Bürgermeister Gräff u. den polit. Zellenwart, den Lehrer Deutschmann die letzten Formalitäten der Lebensmittelkarten erledigt, die übrigen standen auf der Straße herum, jeder bei seinem kleinen Gepäck. Da es dunkel war, konnte man die Gesichter nicht erkennen. Als ich mit Martha hinkam, traf ich erst wenige Menschen an. Mit uns kam grade auch Frau Siegert dazu. Ich rief in das kleine Häuflein Menschen mit sehr lauter Stimme „Heil Hitler“, – aber es wurde nur zaghaft geantwortet, auch Frau S. antwortete nicht. Kurz vor 5 Uhr fuhren alle los, es war inzwischen eine Ansammlung von 55 bis 60 Menschen geworden oder noch mehr, weil ja viele Angehörige mit dabei waren. Als Erster fuhr Spangenberg mit seinem Leiterwagen. Mit ihm fuhren Paul u. Trude Dade, die von ihrer Mutter gebracht worden war. Danach fuhr Paetow's Leiterwagen u. dann noch ein dritter Wagen, wie ich glaube, doch wartete ich diese nicht ab. Die jüngeren Mädchen, besonders die ortsfremden Dienstmädchen, markierten Lustigkeit. Der Bürgermeister klagte mir gegenüber, daß niemand dabei sei, der Mundharmonika spielte, – dann wäre die Stimmung besser. [...]

[3411]      Generalfeldmarschall Paulus ist mit sieben anderen Generalen dem Komitee Freies Deutschland u. dem Bunde kriegsgefangener deutscher Offiziere in Moskau offiziell beigetreten. Der Präsident, General v. Seydlitz, hat dazu eine Erklärung erlassen.

     In der Normandie sind die zurückweichenden Deutschen weiter eingeengt worden. [...]

[3412]
Freitag, 18. Aug. 44.     

[3412]      Heute habe ich das Bildnis des alten Geistlichen fertig gemacht. Es ist sehr schön. Ein vom Leid durchpflügtes lächelndes Greisengesicht, das kaum noch etwas Irdisches hat. Der Maler Dr. Jaeger sah es heute, als er sich verabschiedete u. war sehr begeistert. Was mich freute, war, daß seiner Meinung nach von anderen Malern nichts Aehnliches gemalt würde, es sei, wie alle meine neuen Bilder, absolut orignal. [...]

[3412] In Paris selbst sollen Streiks ausgebrochen sein, auch die Polizei soll streiken u. überhaupt scheint in ganz Frankreich der Aufruhr begonnen zu haben. Besonders im Süden, wo die neue Landung offenbar rasche Fortschritte macht, scheint die Aufstandsbewegung sehr aktiv zu sein, ebenso in der Gegend von Clermont. Das ist die Gegend, in der Fritz sich befindet u. man kann oder muß in Sorge um ihn sein. Hoffentlich gelingt es ihm, unbeschädigt in Gefangenschaft zu geraten, das wird das Beste sein, was ihm passieren kann, denn es ist nicht zu erwarten, daß die dort stehenden Truppen den Anschluß an die Heimat finden. [...]

[3412] Von Kurt traf heute ein Brief ein, in dem er die Erfolge der Russen auf die Ueberlegenheit an Menschen, Material u. Fliegern zurückführt. Das dürfte natürlich stimmen. Daß er aber der Zuversicht Ausdruck gibt, daß sich dieses Mißverhältnis nun bald zu unseren Gunsten ändern wird, ist eine unverzeihliche Dummheit. [...]

[3412]      Erich hat den Koks in den Keller gebracht, den man uns vor die Türe geschüttet hatte u. hat die Bäume im Hintergarten geschnitten, so daß der Blick aufs Meer wieder frei ist.

[3413]
Sonntag, 20. Aug. 44.     

[...] [3413]      An Fritz geschrieben, von dem wir ebenfalls gestern Nachricht erhielten, Poststempel 12. Aug. – Er schreibt, daß sein Btl=Kommandeur durch Kopfschuß eines Heckenschützen beim Durchfahren eines Dorfes im Beiwagen=Krad gefallen ist. – Seit dem 20. Juli ist in der Armee der deutsche Gruß eingeführt worden, Fritz schreibt, es sei stillschweigend hingenommen worden. – Nachdem man eine Zeit lang anscheinend den Terroristen die Genfer Konvention zugestanden u. die Gefangenen nicht mehr erschossen hatte, ist jetzt diese Ansicht wieder aufgegeben worden. Es ist das schlimm für unsere Soldaten, die in die Hände der Terroristen fallen. – Fritz schreibt von größeren Ausfällen an Verwundeten, sie scheinen jetzt in einer besonders gefährlichen Gegend zu sein, – die Gegner fassen sie aber nie. – Er traf unterwegs mit dem San-Feldwebel Stegmüller vom anderen Bataillon zusammen, der Kaplan ist. Fritz hat sich eine Stunde mit ihm unterhalten u. schreibt: „Ach, war dieses Gespräch wohltuend“. – Mehrere Offiziere, Feldwebel u. Unteroffiziere seiner Einheit sind nach Clairmont-Ferrant in Untersuchungshaft wegen Plünderung u. Lebensmittel-Schiebung gekommen. Siebzig Mann seines Bataillons, sog. Beutesoldaten, Tartaren, Wolgadeutsche usw. sind zu den Terroristen übergelaufen. Die Einheit liegt still, weil sie kein Benzin haben. [...]

[3413]
Mittwoch, 23. Aug. 44.     

[...] [3414]      Gestern kamen Herr + Frau Dr. Petersen u. brachten Grüße von P. Dubis u. P. Jaeger. Sie sahen meine Bilder.

     Es herrscht große Hitze u. Trockenheit, im Garten ist alles verdorrt. [...]

[3414]      Ein neues Bild begonnen: „Verkündigung“ Es war im Entwurf schwierig, die erste Zeichnung machte ich bereits vor mehreren Wochen, doch war sie unbefriedigend. Habe viel daran geändert. Auch die letzte Zeichnung hatte große Mängel, bis ich zur jetzigen Fassung kam, von der ich glaube, daß sie einwandfrei ist.

Nachmittags:

     Paris ist nach viertägigen Kämpfen durch Streitkräfte der franz. inneren Front von den Deutschen befreit worden. [...]

Verkündigung
[3415]
Donnerstag, 24. Aug. 1944.     

[3415]      Dieses Heft beginne ich mit der Nachricht von der Kapitulation Rumäniens. Es scheint, daß die Alliierten, die über dieses Ereignis bisher strengstes Stillschweigen bewahrt haben, weshalb die Nachricht einschlägt wie ein Blitz aus heiterem Himmel, den Rumänen sehr günstige Bedingungen gemacht haben. Besonders haben sie ihnen den Besitz von Siebenbürgen wieder zugesprochen, das ihnen durch unseren Schiedsspruch von Wien genommen worden war. – Mit der Kapitulation Rumäniens bricht die ganze Ostfront zusammen, [...]

[3415]      Heute morgen wußten die deutschen Nachrichten noch kein Wort vom Fall von Paris, selbstverständlich noch weniger von der Kapitulation Rumäniens. Man darf annehmen, daß diese Nachrichten auf das ganze deutsche Volk äußerst deprimierend wirken werden.

     Heute von Fritz wieder Nachricht vom 12. Aug. Seine Truppe ist Gott sei Dank von der Terroristen=Bekämpfung zurückgezogen, sie liegt in einem Orte, [...]

[3416]
Sonnabend 26. Aug. 44.     

[...] [3416] Heute Mittag besuchte mich Tommy Abeking. Ich zeigte ihm meine Bilder u. er freute sich. – [...]

[3416]      Seit gestern bin ich wieder mit meiner Staffelei in mein altes Atelier gezogen u. freue mich des guten Lichtes dort. Leider habe ich kein Malmittel mehr. [...]

[3416]
Sonntag, 27. Aug. 1944.     

[...] [3417]      In der letzten Woche sind anscheinend sämtliche früheren Abgeordneten der Linksparteien aus dem Reichstag wie aus den Landtagen, sowie anscheinend auch aus den Kreistagen u. Kommunalparlamenten verhaftet u. hinter Schloß u. Riegel gesetzt worden. In Ribnitz allein sollen fünfzehn Verhaftungen vorgenommen worden sein. Hier bei uns hat man Herrn Jesse aus Rostock verhaften wollen, doch heißt es, daß er vorher ausgerissen wäre. Sein Haus liegt dicht am Walde, sodaß er bloß über seinen rückwärtigen Zaun klettern brauchte, um zu verschwinden, jedoch weiß ich nicht, wie u. wo er sich dauernd verbergen will. In Althagen haben sie Herrn Zelk verhaftet, der dort schon seit mindestens 2 Jahren lebt, seitdem er ausgebombt ist.

     Heute Nacht wieder Fliegeralarm, sehr früh, schon gegen 11 Uhr, Entwarnung gegen 12 Uhr. Man hörte nichts, jedoch rüttelten lange Zeit meine Fensterrahmen. Man sagt, Königsberg u. Kiel seien angegriffen worden. [...]

[3417]      Mittags im Kurhaus trafen wir Dr. Meyer, der wie wir sonntags mit seiner Familie dort ißt. Er meinte scherzhaft, er wundere sich, mich noch zu sehen. Ich verstand, daß er sagen wollte, er wundere sich, daß ich noch nicht irgendwie vom totalen Kriegseinsatz erfaßt worden sei, – aber nein, – er spielte auf die zahlreichen Verhaftungen aller ehemaligen, links gerichtet gewesenen Politiker an.

     Ich hörte heute, daß Herrn Jesses Haus unter ständiger Bewachung liegen soll. –

     Im Westen scheinen unsere Armeen in vollem Rückzug auf die Rheingrenze zu sein, im Südosten stehen die Russen an der Donaumündung u. dicht vor Galatz.

[3417]
Mittwoch, 30. August 1944.     

[3417]      Montag Abend Gewitter mit Sturm u. viel Regen, sodaß die Lichtleitung kaputt ging u. erst Dienstag Nachmittag wieder in Ordnung gebracht werden konnte. [...]

[3418]      Heute habe ich das Bild „Verkündigung“ vollendet. Es ist nicht ganz nach meiner Zufriedenheit, die Maria ist mir zu konventionell, ich werde dieses Bild gelegentlich noch einmal malen müssen, aber ganz anders. Der verkündende Engel ist schon besser.

     Hier im Dorf fangen nun die Nazis an, sich gegenseitig anzupöbeln u. sich mit Verhaftung zu bedrohen. Der Prof. Dr. Reinmöller, dieser blutrünstige Obernazi, ist wütend, weil seine sogenannte Hausdame, Frl. Schröder, nach Schneidemühl zum Schippen gekommen ist. Er hat sich deshalb mit dem Bürgermeister angepöbelt u. hat ihn beleidigt, wie das bei diesem Kerl nicht anders zu erwarten ist. Herr Gräff hat ihm erwidert, daß er ihn verhaften lassen würde. Es ist sehr belustigend, zu sehen, wie diese beiden politischen Freunde den Dorfbewohnern ein Schauspiel geben. – Wäre es nicht grade die Bettgenossin des Herrn Professor gewesen, die zum Schippen gehen mußte, dann hätte dieser Herr an dieser ganzen Schipperei u. der Drückebergerei sämtlicher Nazis im Ort nicht den geringsten Anstoß genommen, – aber so ist das natürlich etwas anderes. [...]

[3501]
Donnerstag, 31. Aug. 44.     

[3501]      Heute Vormittag nochmals an der „Verkündigung“ gearbeitet, den Kopf der Maria farbiger gemacht u. sonst noch einige Unebenheiten ausgeglättet, wodurch der Gesamteindruck nun doch wesentlich verbessert worden ist, sodaß ich jetzt mit dem Bilde ganz zufrieden bin. Daß die Maria in der Haltung konventionell ist, braucht kein Fehler zu sein. Diese Haltung ist nun einmal festgelegt. Der Verzicht auf eine individuelle Auffassung kommt schließlich dem Eindruck der Einfachheit zugute u. diese schlichte Einfachheit ist hier doch etwas Wesentliches. –

In der DAZ ist heute ein Artikel des SS=Kriegsberichterstatters Fernan (oder Fernau) über „Das Geheimnis der letzten Kriegsphase“. Man faßt sich an den Kopf. Dieser Mann betrachtet den Krieg nach dem Prinzip der Schaukel: erst waren wir oben, jetzt sind es die anderen, folglich wird die Zeit kommen, wo wir wieder oben sein werden. In diesem Sinne deutet Herr F. die neuen Waffen an, also V2, die demnächst kommen werden. – Von V1 hatten die Leute bereits die entscheidende Wendung des Krieges erwartet, – sie ist ausgeblieben; also wird es nun V2 sein. – Es mag wohl sein, daß Hitler, der ja schließlich wissen muß, daß er mit dem Rücken an der Wand kämpft, jetzt jegliche Scham verliert u. den Gaskrieg beginnen wird. Es wird darüber ja schon allerhand gemunkelt. Es wäre grauenhaft. Es ist natürlich einfach, die V1=Bombe mit Gas zu füllen, aber eine entscheidende Wirkung kann das nicht haben. Gasbomben sind nur wirksam, wenn sie konzentriert verwendet werden, das aber können wir nicht, – die andern aber können es, u. sie werden es tun.

     Man sagt, Herr Jesse wäre in Güstrow verhaftet worden. Wullenbecker erzählt mir, Jesse habe seinen Wagen hier stehen gehabt u. er sei mit dem Wagen gefahren, so lange er Benzin gehabt habe. Er hat das Fahrrad mit auf dem Wagen gehabt. Als das Benzin alle war, hat er den Wagen stehen lassen u. ist per Rad weitergefahren. Wullenbecker hat ihn im Wagen gesehen. Der Mann muß total den Kopf verloren haben, – er hätte sich doch einfach verhaften lassen müssen. [...]

[3501]      Abends waren Herr + Frau Dr. Petersen bei uns zum Abschied, sie reisen Sonnabend nach Berlin zurück, sehr voll Sorge um die Zukunft. Dr. P. will wissen, daß V2 darin besteht, daß der Luft in sehr großem Umkreis der Sauerstoff entzogen wird, sodaß alles erstickt. Ein wahrhaft teuflischer Gedanke.

Ahrenshoop, September 1944

[3501]
Freitag, 1. September 1944.     

[3501]      Die Amerikaner machen fantastische Fortschritte, sie scheinen auf fast keinen Widerstand zu stoßen. Heute melden sie die Eroberung von Verdun u. weiter nördlich stehen sie am Stadtrande von Sedan. An der Küste sind nun alle Abschußrampen zwischen Le Havre u. Amiens außer Gefecht gesetzt. Der Befehlshaber unserer 7. Armee ist in Gefangenschaft geraten.

     Die Russen haben Bukarest besetzt u. die bulgarische Grenze erreicht. Die Slowakei scheint in hellem Aufruhr zu sein u. die Aufständischen scheinen Herren der Lage zu sein. [3502] Damit dürfte dann auch Ungarns Schicksal besiegelt zu sein. –

     Heute starker Sturm u. Regen, wie schon seit einigen Tagen. Kraftstrom war unterbrochen, konnten kein Mittagessen kochen. [...]

[3502]      Ich möchte noch einmal ein Engelbild malen, habe eine kleine Skizze gemacht.

Großer Engel, Zeichnung
[3502]
Sonnabend, 2. Sept. 44.     

[3502]      Die Engelbild-Skizze in größerem Format nochmals durchgezeichnet. Sehr gut. Der Engel mit geneigtem Kopf als Andeutung der Unterordnung des eigenen Willens, hält einen Kreuzstab in der Linken, auf den er mit dem Finger der rechten Hand hinweist. Das Gewand denke ich mir tiefrot mit blauem Ueberwurf, die Flügel orange bis zinnoberrot wie Flammen. [...]

[3502]      Heute wieder Brief von Fritz, aber schon am 7. August geschrieben aus der Gegend von Clermont-Ferrant. Wo mag der Junge jetzt stecken? Gott möge ihn schützen.

     Vom Arbeitsamt Barth erhielt ich heute die Aufforderung, mich am 6. Sept. zwischen 8 u. 12 Uhr dort zur amtsärztl. Untersuchung einzufinden. Ich werde beantragen, daß Dr. Meyer mich untersucht, weil ich nicht nach Barth kommen kann. Vor einigen Tagen hatte ich das Formular zum verstärkten Kriegseinsatz ausgefüllt u. hingeschickt. Widerlich! –

     Es ist kalt und. regnerisch geworden, der Sturm ist vorüber. – Heute beginnt das 6. Kriegsjahr!

Russischer Engel, Zeichnung
[3503]
Montag, 4. Sept. 1944.     

[...] [3503]      Vormittags das Verkündigungsbild abgemacht u. auf Pappe gelegt u. in Rahmen getan. In Marthas Schlafzimmer gehängt, dafür den Melchisedech ins Wohnzimmer. – Neues Papier aufgezogen. Nachmittags das neue Bild, den Engel, aufgezeichnet. Diesmal ist das Format etwas zu klein, aber ich muß mich nach dem Papier richten. Das Bild würde gern ein größeres Format vertragen. – [...]

[3504]      Wir werden uns nun im Hause verändern müssen. Es werden Häuser beschlagnahmt u. bald auch einzelne Wohnräume, denn man wird die Menschen aus dem Westen evakuieren müssen. Die Pension St. Lukas ist bereits beschlagnahmt worden. Wir werden Paul u. Grete ins Haus aufnehmen, ich werde meine beiden Zimmer dazu hergeben u. dafür nun ganz in mein früheres Atelier im kleinen Hause umziehen, wo ich ja schon seit einiger Zeit provisorisch male. Ich werde mich dort ganz einrichten, Fritz muß dann einen anderen Raum bekommen. Nur schlafen werde ich im großen Hause oben im bisherigen Fremdenzimmer. Es wird dadurch eine Vereinfachung der Wirtschaft erreicht, denn Grete wird dann die ganze Ordnung des Erdgeschosses übernehmen u. wird auch für die Küche sorgen. – [...]

[3504]
Mittwoch, 6. Sept. 1944.     

[3504]      Wieder neue Aufregung im Dorf. Alle Wohnräume sind beschlagnahmt, sehr rigoros. Unser Entschluß, Paul u. Grete aufzunehmen, kam grade noch zur rechten Zeit, ich hätte sonst meine beiden Zimmer an Fremde abgeben müssen. So sind wir drum herum gekommen wenigstens im großen Hause. Im kleinen Hause ist das rechte Zimmer beschlagnahmt worden. Es handelt sich nicht um Evakuierte aus dem Westen, sondern um Ausgebombte aus Stettin, wo nach dem letzten Angriff 60000 Menschen obdachlos geworden sind.

     Als die sog. Kommission, bestehend aus Frau Both für die NSV u. Frau Gräff als Frau des Bürgermeisters zu uns kam, waren wir schon eifrig beim Umräumen. Letzte Nacht habe ich bereits in meinem neuen Schlafzimmer geschlafen. Es ist dort zwar etwas eng, aber es geht. Heute haben wir mein Atelier eingerichtet, so weit wir konnten, es ist sehr anstrengend u. wir können es nicht auf einmal machen. Die Bürosachen habe ich herübergebracht, auch einige Privatsachen, es fehlen noch die Bücher mit dem Regal u. a. Sachen. Ich benütze wieder mal die Gelegenheit, vieles wegzuwerfen, man hat zu viel unnötiges Zeug.

     Gestern Abend kam Grete spät noch einmal. Sie hatte einen höchst deprimierenden Brf. von Paul u. eine zweite Nachricht von ihrer Tochter Inge, nach der die jüngste Tochter Erika Prag verlassen muß. Der Mann hatte bisher dort studiert, wofür er beurlaubt war. Jetzt aber ist er plötzlich wieder eingezogen. Die Zustände in Prag sind nun aber so, daß er es nicht wagt, seine junge Frau mit dem 1/2jährigen Kinde dort zu lassen. Aber wohin mit ihr? Es bleibt nichts anderes übrig, als sie hierher kommen zu lassen, wenn uns das Zimmer im kleinen Hause wieder freigegeben wird. Erika muß ihre ganze Einrichtung, die sie sich angeschafft hatte, in Prag stehen lassen u. kann nur das Notwendigste mitnehmen. Ich kenne sie kaum, habe sie nur einmal vor einigen Jahren in Bln. gesehen, als wir auf der Durchreise nach Regensburg dort waren [3505] Wir haben damals zusammen im Exzelsior gegessen u. ich hatte einen guten Eindruck von ihr, obgleich sie nationalsozialistisch gesinnt ist. Unglücklicherweise ist ihr Mann SS=Offizier. Ich kenne ihn garnicht. Paul meint, daß er abgesehen von seiner nationalsozialistischen Einstellung ein sehr ordentlicher u. sympatischer Mensch sein soll. Ich habe zur Bedingung gemacht, daß weder Erika noch ihr Mann sich jemals nationalsozialistisch betätigen dürfen, weder durch Handlungen, noch durch Reden u. daß vor allem der Mann sich hier niemals in SS=Uniform sehen läßt. –

     Im Westen gehen die Operationen weiter, die Alliierten sollen die Reichsgrenze überschritten haben, doch weiß man nicht genau, wo das ist. Auch Calais haben sie erreicht. Seit Montag sind wieder V1=Bomben über Südengland, nachdem 4 Tage lang eine Pause gewesen war. Wahrscheinlich sind noch einige Abschußrampen im Betrieb u. sie verschießen ihre letzten Bomben. – Die Russen haben den Bulgaren jetzt zum Schluß noch den Krieg erklärt, 5 Stunden darauf haben die Bulgaren um Waffenstillstand gebeten. Dies dürfte der kürzeste Krieg sein, den die Weltgeschichte kennt. Sonst sind die Russen entlang der Donau weiter vorgestoßen u. stehen jetzt dicht vor der Jugoslawischen Grenze.

     Der Waffenstillstand Rußland — Finnland ist abgeschlossen worden, die Kampfhandlungen sind eingestellt. Die deutschen Truppen müssen Finnland bis zum 15. September verlassen haben.

     Heute sollte ich eigentlich in Barth sein zur ärztl. Untersuchung, – bin neugierig, was daraus wird.

[3505]
Donnerstag, 7. Sept 1944.     

[3505]      Gestern Abend half mir Carmen Grantz, meine Bücher im Waschkorb rüberschleppen. Ich habe nun alle Sachen im Atelier u. habe heute vormittag eingeräumt. – [...]

[3505]      Gestern erschien in der DAZ u. im Rost. Anz. ein Artikel von Herrn Sündermann, in dem zum ersten Male zum Heckenschützenkrieg aufgefordert wird. Es heißt, daß im Hauptquartier eine große Konferenz der militärischen u. politischen Führer stattgefunden habe, in der der Guerillakrieg beschlossen worden sei. Es sollen dem Gerücht nach in den bayrischen Alpen bereits geheime Waffen= u. Lebensmittel=Lager eingerichtet werden. Man kann nur hoffen, daß die Alliierten so gründlich durchgreifen werden, daß diese Verbrecher bald dingfest gemacht werden.

[3505]
Sonnabend, 9. Sept. 1944.     

[...] [3506]      Man sagt, daß Hitler jetzt eine illegitime Organisation aufgestellt habe. Diese soll die Aufgabe haben, nach der Niederlage Deutschlands geheimen Widerstand zu leisten. Es soll ein Netz von geheimen Zellen über ganz Deutschland gebreitet werden. Man wird sich also auch nach dem Kriege noch vor dieser Bande vorsehen müssen. – Frau Siegert u. Prof. Reinmöller werden ja Akteure dabei sein, bis ihnen nachdrücklichst das dunkle Handwerk gelegt sein wird.

     Die mit der Uebersiedlung von Küntzels in unser Haus verbunden gewesene Räumerei ist nun ziemlich abgeschlossen. Gestern habe ich zum ersten Male wieder in meinem Atelier malen können. Ich habe es sehr hübsch eingerichtet, es sieht viel besser aus als vorher, als Fritz hier wohnte. Es tut mir ja leid, daß er nun diesen Raum verlieren wird, aber ich werde hier nicht wieder rausgehen, – ich habe ja auch ältere Rechte auf diesen Raum, habe ihn selbst gebaut für mich als Atelier. So wie ich meine beiden Zimmer abgetreten habe, wird er mir diesen Raum auch abtreten müssen. [...]

[3506]
Montag, 11. Sept. 1944.     

[3506]      Gestern an Ruth u. Fritz geschrieben. Am 8. Sept. bekamen wir kurze Nachricht von Fritz, datiert vom 30. Aug. Die vorletzten Nachrichten waren vom 7. u. 8. Aug. aus der Gegend von Clermont-Ferrant. Er hat in der Zwischenzeit sicher weitere Nachrichten gesandt, die aber nicht angekommen sind. Am 30. Aug. schrieb er, daß seine Truppe weiter nördlich gekommen sei, doch kann man sich kein Bild machen, wo er jetzt ist. Es scheint aber, daß seine Truppe schließlich der Gefangennahme entronnen ist.

     Gestern Abend bei Frau Longard. Sehr nett. Vorzügliche Birnen u. ein ebenso vorzüglicher Mosel. Diese Frau, die im nächsten Jahre 80 Jahre alt wird, ist noch ungemein frisch u. lebendig, sie erzählt anschaulich Dinge aus ihrem Leben, besonders aus Kaiserslautern. Auch ihre Tochter Frau Prof. Kemper, ist bei sich zu Hause weit netter als außerhalb. Sie zeigte ein Paßfoto von ihrem Mann als Soldat, er sieht furchtbar elend aus. Um 12 Uhr nachts gingen wir erst nachhause.

     Am Sonnabend hat der Prozeß gegen Dr. Goerdeler u. seine politischen Freunde stattgefunden, insgesamt sieben Personen unter ihnen Graf Helldorf, Polizeipräsident von Berlin. Heute wird bekannt gemacht, daß alle gehenkt worden sind. Goerdeler, auf dessen [3507] Ergreifung nicht weniger als 1 Million Reichsmark ausgesetzt war, wurde vor einigen Wochen verhaftet. In der Berl. Illustr. Ztg. erschienen letzte Woche Bilder, die die Vorgänge der Verhaftung zeigten. Eine Nachrichtenhelferin hat sich dabei den Löwenanteil dieses Sündengeldes verdient, sie wird sich dessen kaum lange freuen. [...]

Russischer Engel
[3507]
Dienstag, 12. Sept. 44.     

[...] [3507]      Gestern bekamen wir eine kurze Nachricht von Fritz, datiert vom 24. Aug. zu welcher Zeit er immer noch in der Gegend von Clermont-Ferrant war. Er schreibt von sehr schweren Kämpfen seiner Truppe, die auch verlustreich sind u. er wundert sich, daß sie keinen Ersatz bekommen. Daraus ist zu erkennen, daß die Soldaten keine Ahnung haben, wie es steht. Er hat große Anstrengungen zu ertragen, hat 36 Stunden am Steuer gesessen. Alles das ist sehr gut für ihn, wenn er nur heil durchkommt. –

     Gestern vollendete ich das Engelbild, es ist das achte Bild dieses Jahres. Es ist sehr schön geworden, fast plakathaft in seiner geschlossenen Einfachheit.

     Heute im Garten gearbeitet, weil endlich mal wieder schönes Wetter ist. Es war in der letzten Woche überaus kalt, stürmisch u. regnerisch. Die Arbeit hat mich sehr angestrengt, ich kann körperlich nichts mehr leisten. [...]

[3507]      Vom Arbeitsamt habe ich auf meine Weigerung, dorthin zur ärztl. Untersuchung zu kommen, bis jetzt nichts gehört.

     Soeben heult die Sirene, 1/2 6 Uhr, Fliegeralarm, der zweite dieses Tages. Das wird nun wohl am laufenden Bande so fortgehen. Wie gut haben wir's, daß wir nicht jedesmal in den Keller müssen.

     Daß Hitler selbst nicht mehr glaubt, daß er noch lange am Ruder sein wird, erkennt man daran, daß die Lebensmittel-Rationen immer noch nicht herabgesetzt worden sind, obgleich wir doch nun mit Ausnahme von Ungarn sämtliche Agrargebiete verloren haben u. außerdem auf unseren Rückzügen ungeheure Mengen von Vorräten in die Hand des Feindes gefallen sind. Die Ernte dieses Jahres ist eine normale Mittelernte, die keinesfalls ausreichen kann, das ganze Volk, die Soldaten u. die 10 Millionen Fremdarbeiter zu ernähren, ganz abgesehen davon, daß bei diesen ständigen Luftangriffen immer neue Vorräte umkommen. Wenn Hitler noch Hoffnung hätte, am Ruder zu bleiben, würde er bestimmt die Lebensmittel-Zuteilungen einschränken, so aber läßt [3508] er diese Sache laufen, wie sie will. Er erhält damit das Volk jetzt bei der Stange, denn eine Lebensmittel-Verkürzung würde natürlich die Stimmung noch mehr drücken. Wenn dann im Januar – Februar die Vorräte aufgezehrt sein werden u. die Hungersnot ausbrechen wird, dann können die Nazis die Schuld daran denen in die Schuhe schieben, die dann die Macht haben werden, – in erster Linie also den Engländern u. Amerikanern.

     Die Evakuierten aus Stettin, die schon am vorigen Mittwoch kommen sollten, sind bis heute noch nicht da. Es scheint mir das wieder einmal eine der zahlreichen Partei=Aktionen zu sein, die nur den Zweck haben, die Leute aufzuregen u. abzulenken von den wirklichen Tatsachen. [...]

[3508]
Donnerstag, 14. Sept. 1944.     

[...] [3509]      Gestern Mittag waren Herr + Frau Soehlke da u. sahen sich meine Bilder an. – Bei Ziels mußte auch ich ein Porträt bewundern, das Dr. Jaeger von Herrn Ziel im Sommer gemalt hat. Es war sehr ähnlich u. auch lebendig, aber grau u. bildmäßig ohne Komposition. –

     Herr Ziel wußte Bescheid über die Erlebnisse des Herrn Zelk, der nach dem 20. Juli mit anderen sozialdemokratischen Abgeordneten verhaftet worden war. Danach sind alle Verhafteteten, soweit Mecklenburg in Betracht kam, nach Güstrow verbracht worden, wo sie geschoren wurden u. Sträflingskleidung erhielten. Einer der Inhaftierten war schwer Herzkrank. Da alle gärtnerische Arbeiten leisten mußten, die dieser Herzkranke nicht leisten konnte, ging er zum Anstaltsarzt, der aber nichts unternahm. Der Herzkranke erklärte dann, daß er sterben würde, wenn er die geforderte Arbeit leisten müsse, worauf der Arzt geantwortet haben soll: „Das sollen Sie ja grade!“ – In der Tat war der Kranke nach drei Tagen tot. – Nach etwa 14 Tagen wurden alle Inhaftierten wieder entlassen. – [...]

[...] [3510]      Man wird grade hier in unserer entlegenen u. strategisch uninteressanten Gegend scharf aufpassen müssen, daß hier keine geheimen Waffenlager angelegt werden. Das Grundstück des Prof. Reinmöller würde für dergleichen sehr geeignet sein.

[3510]
Freitag, 15. Sept. 1944.     

[...] [3510]      Von deutscher Seite wird bekannt gegeben, daß bei einem Fliegerangriff der kommunistische Reichstagsabgeordnete Thälmann u. der Sozialdemokrat. Abgeordnete Breitscheid ums Leben gekommen seien. Nun ist dieses Pack auch noch feige obendrein, – denn welches Interesse sollten unsere Gegner haben, ein Konzentrationslage zu bombardieren, u. wenn es versehentlich geschehen sein sollte, so wäre es ja wirklich ein sonderbarer Zufall, daß ausgerechnet diese beiden Reichstagsabgeordneten die Opfer des Angriffs geworden wären in einem Augenblick, da Himmler sämtliche Abgeordneten der Linksparteien verhaften ließ. –

     Gestern netter Brief von Ruth. Sie deutet an, daß wieder Gefahr bestünde, daß die Kranken der Heilanstalt abgeholt würden, um beseitigt zu werden. [...]

[3510]      Wundervolles Herbstwetter. –

     Gestern Skizze eines neuen Engelbildes gemacht, – ganz in Blau u. Schwarz.

[3510]
Sonntag, 17. Sept. 44.     

[...] [3510] Gestern ein ganz verfahrener Tag. Am Vormittag das neue Engelbild aufgezeichnet, aber Mittags erschien der Unteroffizier Richter von der Batterie mit einem Obergefreiten, um unsere Pumpe in Ordnung zu bringen. Beide arbeiteten angestrengt bis 6 Uhr Abends mit dem Erfolg, daß die Pumpe nun überhaupt nicht mehr geht u. wir ohne Wasser dasitzen. Am Nachmittag kamen dann noch zwei weitere Soldaten, um unseren Koks in den Keller zu bringen. Sie arbeiteten bis zum Abend, schafften aber nur die Hälfte. Die andere Hälfte wird nun bis zum Sonnabend liegen bleiben müssen. Gegen Abend kam dann noch Dr. Scheid, um meine Bilder zu sehen. [...]

[3511]      Heute schickte mir Franz Triebsch durch seine Frau einige Oelfarben. So nett wie das von ihm ist, so ist es doch einigermaßen komisch, daß dieser Maler, der mich früher so leidenschaftlich bekämpfte, nun meine Malerei unterstützt. [...]

[3511]
Dienstag, 19. Sept. 44.     

[...] [3512]      Gestern das neue Engelbild untermalt.

Engel von Bikini
[3512]
Mittwoch, den 20. Sept. 1944.     

[...] [3512]      Das neue Engelbild macht Schwierigkeiten.

[3513]
Sonnabend, 23. Sept. 1944.     

[3513]      Heute ist das neue Engelbild fertig geworden, es hat mir sehr viel Mühe gemacht, ist nun aber gut. [...]

[3514]
Sonntag, 24. Sept. 1944.     

[...] [3514] Ich vollendete das neue Engelbild, – es war sehr schwierig, ist es ist doch gut geworden, – überaus ernst.

     Die Russen haben Pernau am Rigaer Busen erobert u. haben damit die Nordgruppe unserer Armee in zwei Teile gespalten. In Siebenbürgen haben sie Arad genommen, unmittelbar vor der ungarischen Grenze. Der jetzige Ministerpräsident von Ungarn soll sich in der letzten Woche geäußert haben, er hoffe, sein Land bald aus dem Kriege herausführen zu können. Das wäre dann der letzte Vasallenstaat, der abfallen würde, mit Ausnahme der Slowakei, die aber praktisch schon längst abgefallen ist. – Die englischen Luftlandetruppen scheinen eine schwere Krise durchmachen zu müssen, man hat von uns aus alle verfügbaren Kräfte gegen sie aufgeboten mit einigem Erfolg. Dennoch kann man erwarten, daß die Gegner dieser Krise Herr werden u. der Rückschlag wird um so gefährlicher werden, denn diese Aktion kostet uns gewaltig viel Material.

     Gestern sprach in kurz Dr. Krappmann, der von seiner Osloer Reise zurück ist u. auf dem Rückwege in Dänemark Station gemacht hat. Er erzählte von tollen Zuständen dort: Sabotage wird getrieben, Attentate auf Eisenbahnen, Fabriken u. öffentl. Einrichtungen, Soldatenmorde auf offener Staße bei hellem Tage. Er meinte, der Unterschied zwischen Norwegen u. Dänemark sei [...]

[3515]
Dienstag, den 26. Sept. 1944.     

[3515]      Gestern Nachmittag tauchte plötzlich Herr Lorenz auf mit einem schnittigen, tadellos gepflegtem Auto in SS=Generalsuniform. Ich sah ihn vom Fenster meines Schlafzimmers aus, er hielt vor der Bunten Stube. Ich hütete mich, rüber zu gehen. Martha erzählte später, er habe gewaltig angegeben. Er hat erzählt, daß er den Forstmeister Mueller in Born besucht habe, der krank gewesen sein soll. Ein Arzt aus Greifswald habe sich um ihn bemüht, er, Lorenz, habe aber dafür gesorgt, daß ein Professor aus Berlin im Flugzeug nach Born geschickt worden sei. – Hier auf dem Lande hat nicht einmal der Arzt mehr genug Benzin, um seine Krankenbesuche zu machen, aber wenn dieser Forstmeister krank ist, genügt nicht ein Arzt, sondern es müssen Professoren sein, die im Flugzeug rangeschafft werden, – u. Herr Lorenz fährt im Auto von Berlin nach Born, – bloß weil dabei ein Rehbock abfällt. Auf dem Rückwege werden natürlich noch die mecklenburgischen Güter abgeklappert, wo es noch überall gut zu essen u. zu trinken gibt. Herr Lorenz hat weiter erzählt, daß er in Berlin sehr angenehm lebe, seine Frau ist irgendwo in Süddeutschland gut untergebracht. Die ältere Tochter hat vor einigen Monaten einen mecklenburgischen Gutsbesitzer geheiratet. Irgendwer hat als Hochzeitsgeschenk einen kostbaren Schimmel geschenkt, der während des Hochzeitsfestes in den Festsaal geführt worden sei. Unser Fuhrmann Spangenberg konnte zur selben Zeit monatelang kein zweites Pferd kaufen, als ihm das eine Pferd im Sommer eingegangen war u. alle Fracht u. andere Fuhren konnten nicht gefahren werden, weil nirgends ein zweites Pferd aufzutreiben war. – Herr Lorenz erzählte weiter, daß er für sich persönlich zwei Burschen u. einen Koch zur Verfügung habe, – uns aber werden alle Hausgehilfinnen fortgenommen u. in die Rüstungsbetriebe gesteckt. Alle Männer sollen an die Front u. wer nicht Soldat sein kann, soll sonst für die Rüstung arbeiten, alle Behörden u. militärischen Schreibstuben werden ausgekämmt, um alle Kräfte für den Krieg frei zu bekommen, – aber dieser Kerl hat zwei Burschen u. einen Koch für sich persönlich, – seine Frau wird natürlich außerdem für sich die nötige Bedienung haben, das ist selbstverständlich. – Herr L. erklärte in der Bunten Stube, es sei ihm im ganzen Leben noch nie so gut gegangen wie eben jetzt! – So wird es wohl auch sein. Ihm u. all den anderen Bonzen ist es nie so gut gegangen wie jetzt, – obwohl sie schon vorher herrlich u. in Freuden lebten, u. deshalb geht der Krieg weiter. Mag auch ganz Deutschland in Schutt u. Asche sinken, – diesen Herren geht es ausgezeichnet!

     Fast bewunderungswürdig aber ist die Dummheit dieser Leute, die nicht sehen, daß das bittere Ende auch für sie [3516] immer näher kommt. Gestern Abend wurden Richtlinien für die 12 Millionen ausländischer Arbeiter ausgegeben. Es wurde da von den organisierten Zellen unter diesen Arbeitern gesprochen u. daß die nichtorganisierten Arbeiter sich dort ihre Weisungen holen sollten. Es wurden von den aus Flugzeugen abgeworfenen Sprengmitteln u. Waffen gesprochen u. von ihrer sachgemäßen Verwendung u. es wurden die deutschen Arbeiter aufgefordert, sich diesen geheimen Organisationen anzuschließen. Es wird nun also bald los gehen wie in Dänemark u. dann wird ja wohl auch Herrn „General“ Lorenz eine Kugel erreichen. [...]

[3516]
Mittwoch, 27. Sept. 44     

[3516]      Vormittags für Grete Gesuch geschrieben zur Rückkehr Pauls. Abschrift seines letzten Zeugnisses bei der TN. beigefügt, von Bürgermeister beglaubigt. Gesuch von Deutschmann befürwortet. Hoffentlich klappt es. Es hat nun schon die siebente Woche begonnen, seitdem er fort ist. Bei dem naßkalten Wetter muß man für seine Gesundheit fürchten.

     Gestern Nachmittag mußte ich wieder einmal an der Kasse sitzen, Carmen Grantz ist immer noch krank. Frl. Hindemith, Nachrichtenhelferin bei der Batterie, brachte uns rührenderweise Pilze, die sie gesammelt hatte u. die wir heute aßen.

     Gestern u. heute Versuch zum Entwurf eines Stillebens. Ich wählte die kleine Madonnenfigur, die auf unserem Altar steht, zusammen mit Blumen aus dem Garten, – aber das Ganze ist sentimental. –

     Immer noch stürmisch, regnerisch u. kalt, habe heute wieder geheizt.

     Gestern Abend Frau Dr. Müller-Bardey. Sie hilft bei den Bauern Kartoffeln kratzen, sah schlecht aus, behauptete aber, es bekäme ihr gut.

     Nachmittags gestern in der Bunten Stube der Maler v. Kardorf, der furchtbar elend aussah u. sehr alt geworden ist. [...]

[3516]
Donnerstag, 28. Sept. 1944.     

[3516]      Heute wieder Brief von Fritz, Datum 21. 9. Er ist immer noch in der Gegend von Belfort u. muß oft als Kompanie-Sani vorn in der Stellung sein, wo es nach wie vor scharf hergeht. Sein Bataillon ist aufgerieben, die Reste sind einem anderen Bataillon zugeteilt, er fährt aber den San-Gerätewagen weiter. Der Hauptverbandplatz liegt hinter der Feuerlinie, Feldpost haben sie [3517] immer noch nicht bekommen. – [...]

[3517]      Das Wetter ist besser geworden, aber es ist kalt. Ich habe heute zum ersten Male das Atelier geheizt. Habe eine neue Studie gemacht für ein Stillleben, nämlich die Dahlien, die ich gestern zusammen mit der Madonna verwendete nun allein in einer Glasvase, auf der Ecke meines Maltisches stehend, davor noch eben grade ein Stück des Malkastens mit einigen Tuben, dahinter eine Flasche Terpentin. Es kann sehr gut werden: gelbe Töne aus tiefstem Braun heraus, die ihren Höhepunkt in den Dahlien erreichen. Nebenher das Grün der Blätter, das Silbergrau der Tuben u. des Glases u. dazu der Malkasten, den ich in kräftigem Lackrot denke. Räumlich ist der Entwurf sehr reizvoll, da im Hintergrunde links noch die scharfe Kante des Schreibtisches u. ein Stück des Fußbodens angedeutet ist, ganz kubisch. [...]

Ahrenshoop, Oktober 1944

[3601]
Sonntag, 1. Okt. 1944.     
Stillleben

[...] [3601]      Gestern brachten uns die Soldaten den letzten Rest vom Koks ins Haus.

     Gestern Nachmittag Kaffee u. Kuchen im Seezimmer. Gastgeber waren Erika Wollesen u. Mann. Sie baten, meine Bilder sehen zu dürfen, doch war das Verständnis, wie zu erwarten, nicht groß. – Gestern untermalte ich das neue Stilleben.

     Gestern abend Lotte Daubenspeck, die anschaulich vom Osteinsatz in Schneidemühl erzählte. Der Transport kam abens 10 Uhr dort an u. mußte bis 1/2 1 Uhr Nachts auf dem Bahnhof stehen, weil nichts vorbereitet war. Erst dann wurden die Menschen auf Quartiere verteilt, – der Teil mit den Ahrenshoopern kam in eine Schule, die jedoch auch erst von anderen Flüchtlingen geräumt werden mußte. Erst gegen 2 Uhr morgens kamen sie hinein. Inzwischen war Fliegeralarm. – Die Menschen liegen dicht gedrängt auf der Erde auf dünner Strohschütte wie Vieh, die sanitären Verhältnisse sind skandalös, bzw. überhaupt nicht vorhanden. – Frau Schultze-Jasmer u. Frau v. Groß aus Prerow fallen besonders auf wegen ihrer betont nationalsozialistischen Gesinnung, Frau v. G. tut sich in hohen Stiefeln u. Reithosen als Lagerführerin besonders hervor. – Es ergibt sich daraus, daß es Paul sehr schlecht gehen muß, daß er aber darüber nichts schreibt. Man merkt nur aus dem Ton seiner Briefe, wie sehr er leidet. –

     Wollesen fährt morgen früh in den Einsatz. Sein Urlaub ist eigentlich heute zu Ende, doch besteht keine Möglichkeit, nach Ribnitz am Sonntag zu gelangen. – Von heute ab [3602] bekommt selbst der Arzt Dr. Meyer kein Benzin mehr. In dringendsten Fällen muß er ein Pferdefuhrwerk benutzen, falls er ein solches bekommt. Herr „General“ Lorenz aber fährt im Auto von Berlin nach Born zum Besuch u. wieder zurück. Das Maaß ist übervoll. – [...]

[3602]      Freitag Abend brachten uns Krappmanns eine große Menge Champignons, die wir gestern aßen. Sie haben sie auf einer Wiese bei Born gepflückt. [...]

[3602]
Donnerstag, 5. Oktober 1944.     

[...] [3603]      Heute das Blumen-Stilleben vollendet. Sehr naturalistisch, – ein Bild, welches dem Publikum gefallen wird.

[3603]
Sonnabend, 7. Oktober 1944.     

[3603]      Nach ziemlich langer Pause hatten wir vorgestern Abend wieder einmal Fliegeralarm, der sich gestern Vormittag u. gestern Abend wiederholte. Gestern Vormittag flogen sehr starke Verbände über uns weg bei wolkenlosem, klarem Wetter, sie griffen Berlin, Hamburg, Harburg u. verschiedene kleinere Plätze in diesen Gebieten an. Gestern Abend sollen sie angeblich Stralsund angegriffen haben. Gestern Vormittag schoß auch unsere Flak, u. zwar, ehe Luftalarm gegeben wurde, die Granaten krepierten teilweise über unserem Grundstück. – Im Westen sind die Fliegerangriffe überaus stark, es werden fast täglich fünf, sechs, sieben Städte gleichzeitig angegriffen, wobei immer viele Lokomotiven u. Güterwagen zerstört werden, neben den Fabriken. Es ist undenkbar, daß wir in der Lage sind, für diese Zerstörungen kriegswichtigster Betriebe u. Verkehrsanlagen Ersatz zu schaffen. So ist auch der Dortmund-Ems-Kanal völlig zerstört worden, die Schleppkähne liegen auf dem Grunde. [...]

[3604]
Sonntag, 8. Oktober 1944.     

[3604]      Auch gestern wieder Fliegeralarm. Es sind jetzt täglich Angriffe über ganz Deutschland, schwerer als je. [...]

[3604]      Der Milchmann erzählt heute, daß er morgen eingezogen würde zum Schanzen in Holstein! – Man erwartet also doch von dort eine Invasion. – Wer uns nun die Milch bringen wird? [...]

[3604]
Montag, 9. Oktober 1944.     

[3604]      Heute das neue Blumenbild in Rahmen gesetzt, es sieht recht gut aus, wenngleich es auch sonst nichts Besonderes ist. Ich habe die Studie mit diesen selben Blumen in Verbindung mit der Madonnenfigur noch einmal neu gezeichnet. Ich glaube, daß es so etwas werden kann. – [...]

[3605]      Gestern Nachmittag waren die beiden Soldaten, die uns den Koks in den Keller schafften, zum Kaffee bei uns. Der ältere mit Namen Maass ist Studienrat an der holl. Grenze, der andere ist Textilkaufmann. Beide waren glücklich, ein paar Stunden in einem gemütlichen Hause sitzen u. frei sprechen zu können. [...]

[3605]      Die noch vorhandenen Männer in Mecklenburg sind aufgerufen zum Schanzen in Schleswig-Holstein. Und das jetzt mitten in der Ernte! – Vor einigen Tagen bombardierten den Engländer unseren großen U=Boot=Stützpunkt Bergen in Südnorwegen. Dies in Verbindung mit der neuen Schipp=Aktion läßt darauf schließen, daß man doch noch eine neue Landung in der Deutschen Bucht erwartet, trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit. [...]

[3605]
Dienstag, 10. Oktober 1944.     

[3605]      Von Otto Wendt Nachricht, daß es ihm leider unmöglich ist, von Günter Wagner Oelfarben zu beschaffen. Einige Pinsel schickte er mir vor einigen Tagen. [...]

[3606]      Es scheint, daß heute die lange angekündigten evakuierten Mütter mit Kindern angekommen sind. Im Nachbarhause Dohna ist jedenfalls erheblicher Kinderlärm u. ich sehe eine Dame dort hantieren. Frau Booth hat den Schlüssel von Monheims abgeholt, es sollen dort gleich vier Mütter mit Kindern einquartiert werden. Es ist zwar unverantwortlich, denn das Haus läßt sich ja nicht heizen [...]

[3606]
Mittwoch, 11. Okt. 1944.     

[3606]      Die evakuierten Mütter sind also da. Aus Stralsund. Sie sind einfach in Häusern untergebracht, in denen es am Notwendigsten fehlt. Sie haben kein Brennmaterial, um sich Essen zu kochen, unser schwaches Stromnetz reicht schon für unseren Bedarf nicht aus, sodaß jeden Abend wenigstens einmal das Licht ausgeht. Nun kommt dies noch dazu. – [...]

[3606]      Heute das neue Bild untermalt, verspricht, sehr schön zu werden.

     Gestern Abend brachte Spangenberg einen Rucksack, den Fritz als Wehrmachtsgut an uns aufgegeben hat. Er enthielt für mich einen dunkelblauen Overall, den ich heute beim Malen an hatte. Er ist sehr schön warm, sodaß ich im Atelier nicht heizen brauchte, ferner noch eine Ueberzieh=Hose für die Gartenarbeit, ein grünes Hemd, viele Zigarren, die er nicht geraucht hat u. für Martha u. mich je ein Stück prachtvolle Palmoliveseife. Es ist rührend von dem Jungen. Auch eine Flasche Cognac war darin mit der Aufschrift: „Für meinen Vater“. [...]

[3606]
Donnerstag, 12. Okt. 1944.     

[...] [3607]      In der Zeitung steht, daß sich 70% der Hitlerjugend des Jahrganges 1928 freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hätten. Also die Sechzehnjährigen! Und die „Freiwilligkeit“ solcher Jungens ist bekannt! [...]

[3607]
Sonnabend, 14. Okt. 1944     

[...] [3608]      Von Herrn Otto Luke, der jetzt Gefreiter bei der Marine-Artillerie bei Hamburg ist, erhielt ich gestern einen Brief mit inliegendem Reichsbezugsausweis für Künstlerbedarf. Ich kann darauf in Berlin zwei große Tuben Weiß u. 29 sonstige Farbentuben bekommen, sowie Firnis. Sehr erfreulich, besonders nachdem Otto Wendt mir keine Farben über Günther Wagner beschaffen kann. Nun werde ich in absehbarer Zeit mit Farben nicht in Verlegenheit sein. [...]

[3609]
Mittwoch, 18. Okt. 1944.     

[...] [3610] Ein sehr bemerkenswertes Vorkommnis hat sich in Hamburg ereignet. Bei einem der letzten nächtlichen Fliegerangriffe war die Stadt hell erleuchtet. Die Lichter gingen erst nach u. nach straßenweise aus, nachdem die ersten Bomben gefallen waren. Dies ist die erste, große u. offene Sabotagehandlung im Reich, von der ich gehört habe, man kann erwarten, daß weitere Sabotageakte bald folgen werden. – [...]

[3610]
Donnerstag, 19. Oktober 1944.     

[3610]      Der Abgrund, in den Deutschland versinkt, öffnet sich immer grauenvoller. Gestern, am Jahrestage der Schlacht von Leipzig, fand in einer Stadt in Ostpreußen eine Kundgebung statt, bei welcher ein Aufruf des Führers zur Bildung eines „Volkssturmes“ verlesen wurde. Alle Männer zwischen 16 u. 60 Jahren, so weit sie wehrfähig sind u. nicht schon bei der Wehrmacht stehen, sollen zu bewaffneten Bataillonen zusammengefaßt werden zur Verteidigung des Landes. Die Schießausbildung untersteht dem sog. Stabschef der SA, die ganze Organisation der einzelnen Gaue den Gauleitern, also nicht der Wehrmacht, sondern der Partei. Der Wehrmacht traut man wohl bereits nicht mehr. Heinrich Himmler, – ich weiß nicht, ob mit einem oder zwei m, führte die Bedeutung dieses Unternehmens in einer langen Rede aus, in der allein zu bewundern war, wie dieser Halunke es verstand, die Redeweise u. das Organ des Führers nachzuahmen. Dieser Kerl hat sicher mit nicht geringer Mühe erlernt, das rollend r des Führers nachzuahmen, die lange Dehnung der Vokale u. vor allem den ganzen Tonfall. Er führte aus, daß dieser sog. Volkssturm die Aufgabe haben würde, jedes Dorf, jedes Haus, jeden Graben u. jeden Busch mit dem Gewehr zu verteidigen, besonders auch dann, wenn der Feind bereits das Land besetzt haben sollte. Es dürfe niemals Kapitulation geben. – Was also bei den anderen bisher als feiger u. hinterhältiger Heckenschützenkrieg genannt wurde, das soll uns jetzt zur Pflicht gemacht werden. – Nach diesem Schwätzer trat der Gauleiter von Ostpreußen, Koch, auf den Plan u. schrie und kreischte eine Rede herunter, als ob das Messer schon an seinem eigenen Halse säße. – Es mag wohl sein, daß er etwas Aehnliches fühlte.

     Damit ist denn also die entscheidende Maßnahme getroffen, die den vollständigen Ruin Deutschlands herbeiführen muß. Unsere Gegner werden dadurch direkt zur grausamen Ausrottung des Volkes gezwungen, ob sie nun wollen oder nicht, besonders, wenn es so gehen würde, wie Herr Himler es verlangt, daß nämlich notfalls auch Frauen u. Mädchen zum Gewehr greifen. Man kann nur hoffen, daß die überwiegende Mehrheit des Volkes diesen Wahnsinn nicht mitmachen wird, ja daß das Volk die Waffen umkehren u. diesen Verbrechern den Garaus machen wird.

[3610]
Freitag, 20. Oktober 1944.     

[3610]      Gestern Mittag Erich Seeberg. Er wollte sich bei mir Rat holen, was er tun solle, wenn er zum Volkssturm eingezogen wird. Er wies mir seinen Militärpaß vor, nach dem er Divisionspfarrer ist u. somit eigentlich der [3611] der Wehrmacht angehört. Das wird ihm aber garnichts nützen, so wenig mir selbst mein eigener Militärpaß etwas nützen wird. Dagegen besitzt er zwei ärztliche Atteste, von Prof. Jaensch u. von Prof. Curschmann, die ihm nützlich sein könnten, wenn er Gelegenheit haben sollte, sie anzubringen, denn eine ärztliche Untersuchung wird es ja wahrscheinlich garnicht geben. Ich bin freilich der Meinung, daß seine Einziehung sein Tod sein würde, – aber das wäre den Nazis ja egal, möglicherweise sogar erwünscht. Seeberg hat dann noch die Möglichkeit, sich vom Armeebischof als Divisionspfarrer anfordern zu lassen, doch ist es sehr fraglich, ob dazu ein Bedarf vorliegt. Ich habe ihm geraten, vorläufig nichts zu unternehmen u. abzuwarten. – [...]

Maria mit Blumen
[3611]
Sonnabend, 21. Oktober 1944.     

[3611]      Die Ruinen von Aachen sind nun im Besitz der Engländer. Zehn Tage hat der Kampf gedauert. In Ungarn haben die Russen Debreczen erobert u. auch Belgrad ist jetzt von Deutschen gesäubert, nachdem von uns behauptet worden war, wir hätten die Lage wieder hergestellt u. in Belgrad herrsche Ruhe. [...]

[3611]
Montag, 23. Oktober 1944.     

[...] [3611]      Deutschmann sagte zu Martha, daß ich nun doch in die Liste des Volkssturm aufgenommen sei mit dem Vermerk „Invalide“. – Die Partei verlangt jetzt wieder einmal Listen aller 50%igen Judenstämmlinge. – Das ist der wahre Grund des plötzlichen Todes der alten Frau Caspari. Sie ist mit einem Juden verheiratet gewesen u. hat zwei oder drei Töchter. Als sie von dieser neuerlichen [3612] Aktion hörte, erregte sie sich so, daß ein Herzschlag eintrat. So häufen diese Mörder immer neues Blut.

[...] [3612]      Am Sonnabend habe ich das Stilleben Maria mit Blumen vollendet. Es ist wirklich sehr schön geworden, sowohl in den Farben Gelb, Braun, bis ins Rot u. dazu die grünen Blätter, wie auch in der Linienkomposition. Ich glaube, daß ich nun einige Landschaften malen werde. Ich habe meine alte Mappe mit Naturstudien vorgeholt, die ich 1931 u. 32 gemacht habe, alle hier in der Gegend aus dem Jahre 1931, als ich nach dem Autounfall wieder anfing, etwas gehen zu können u. einige aus dem Jahre 1932, als ich mit Frau H. in Neu=Kunersdorf in der Nähe von Schneidemühl war. – Diese Landschaften werden allerdings wohl sehr abstrakt werden, ich will es versuchen.

[3612]
Dienstag, 24. Oktober 1944.     

[...] [3612] Himmler soll gestern in Budapest das Ziel eines Attentates gewesen sein. Sein Stabschef soll tot sein, Himmler selbst nur verwundet. Gott verzeih mir, wenn ich wünsche, daß dieses Gerücht sich bewahrheiten möge! –

     Mit dem Tode Himmlers würde dann auch die Schmarotzer=Existenz des Herrn Lorenz vorbei sein. Grade gestern wurde davon gesprochen, daß dieser Kerl sich überall in Deutschland Grundstücke gekauft habe u. sein errafftes Vermögen in Industriewerten angelegt habe. Einem anderen Gerücht zufolge, sollen alle führenden Industriellen des Rhein= u. Ruhrgebietes verhaftet worden sein, weil sie für den Abschluß eines sofortigen Friedens agitiert hätten. Auch diese Leute verdienen nichts Besseres. Sie haben von Anfang an Hitler unterstützt, weil sie wußten, daß Hitler Krieg bedeutet u. sie am Kriege verdienten. Nun, wo es schief gegangen ist, sie aber dennoch ungeheuer verdient haben, – nun wollen sie Frieden, um ihre Kriegsgewinne zu retten, denn sie wissen, was sie verlieren werden, wenn es dem ganzen Industriegebiet geht wie Aachen. –

     Ueber Aachen u. seine Evakuierung werden nach u. nach grauenhafte Einzelheiten bekannt. Die SS=Männer [3613] Himmlers sind mit grausamster Brutalität vorgegangen u. nachdem die Bevölkerung abgeschoben war, haben diese selben SS-Männer u. deutsche Soldaten sich an's Plündern gemacht. Vor allem sind die Juwelierläden ausgeräubert worden u. in den Taschen der gefangengenommenen deutschen Soldaten haben die Amerikaner das Gold wiedergefunden. –

     Eine nette Scherzfrage hörte ich gestern: Wer hat die größte Flotte! – Antwort: Deutschland, – nämlich 80 Millionen Kohldampfer u. einen Zerstörer.

     Gestern Mittag war Herr Söhlke hier. Seine Frau war in der Nacht vorher schwer erkrankt u. in akuter Todesgefahr. – Wir sprachen natürlich vom Volkssturm u. über seine Organisation, die völlig unklar ist. Klar ist nur, daß Himmler jetzt Chef der Polizei ist, Chef der SS sowohl an der Front wie in der Heimat, Chef des Heimatheeres u. nun auch Chef des Volkssturmes. Nach Soehlkes Meinung soll der Volkssturm in der Heimat als Ersatz des Heimatheeres eingesetzt werden, wenn es zu Aufruhr kommen sollte, nachdem dieses Heimatheer jetzt restlos an die Front kommen soll. Diese Ansicht ist einleuchtend. Es fragt sich nur, woher man die Waffen für den Volkssturm nehmen soll, u. vor allem die Offiziere. – Erich Seeberg kam dazu u. sagte, sein Schwiegersohn, der für einige Tage hier ist u. Oberleutnant u. Adjutant bei irgend einer Dienststelle in Halle ist, habe ihm von der immer sichtbarer werdenden Vorbereitung einer neuen Waffe berichtet, welche furchtbare Wirkungen haben soll. –

     Neuerdings sollen nun die Russen auf einer sehr breiten Front etwa 30 km. tief in Ostpreußen eingedrungen sein. Auch in Ungarn haben sie anscheinend recht bedeutende Fortschritte gemacht. –

     Gestern machte ich eine Zeichnung für ein Landschaftsbild nach einer Studie aus Neu-Kunersdorf: zwei schlanke Erlen am Wasser, dahinter eine weite Landschaft mit leicht gewellten Hügeln. Sehr räumlich u. sehr einfach.

Landschaft, Zeichnung
[3613]
Donnerstag, 26. Oktober 1944.     

[...] [3614]      Heute einen neuen Bogen aufgespannt für die neue Landschaft. Das Marien-Stilleben habe ich auf die letzte Sperrholzplatte aufgezogen, die ich besitze, – wie ich die künftigen Bilder behandeln soll, ist mir unklar. Habe Papenhagen gebeten, daß er mir Sperrholz besorgen soll, doch scheint es aussichtslos.

[3614]
Freitag, 27. Okt. 1944.     

[3614]      Gestern Nachricht von Fritz vom 11. Okt. Er schickte einige Dosen Oelsardienen aus seiner Verpflegung die, wie er schreibt, immer noch sehr gut u. reichllch sei. Sonst schrieb er weiter nichts.

     Heute Morgen kamen Briketts für Küntzels, 30 Centner, die vor die Gartentür geworfen wurden. Mir blieb nichts übrig, als sie eimerweise reinzuschleppen. Bis Mittag war ich fertig, sowohl mit den Briketts, wie mit mir selbst.

Landschaft
[3615]
Dienstag 31. Oktober 1944.     

[3615]      Meine Landschaft macht Fortschritte u. verspricht, sehr gut zu werden, ein Bild mit großer Tiefe u. sehr klar gegliedertem Raum. Heute habe ich die beiden dunklen Stämme der Erlen im Vordergrunde hineingesetzt, sodaß die räumliche Illusion jetzt klar zum Ausdruck gekommen ist. Das Wasser im Vordergrunde fehlt aber noch, durch dieses soll der Raum erst voll zur Entfaltung kommen. [...]

[3701] Jetzt fängt man auch langsam an, zu merken, was es mit den sog. „Volksdivisionen“ auf sich hat, von denen so viel die Rede ist, seitdem Herr Himmler das Heimatheer befehligt. Es sind das neu aufgestellte Formationen, die sich aus all den Leuten zusammensetzen, die bisher noch nicht Soldaten waren, besonders die Parteifunktionäre, die bisher irgend einen Druckposten in der Heimat hatten, aber auch alle, die sonst bisher u. k. gestellt waren oder auch solche, die bisher wegen mangelnder Gesundheit nicht Soldaten wurden. Diese Formationen hat man nach 14tägiger Ausbildung als Kanonenfutter an die Front geschickt, manche sind nicht einmal 14 Tage ausgebildet. Es läßt sich denken, was das für Soldaten sein werden. Nur die Offiziere u. Unteroffiziere sind Leute mit Fronterfahrung. –

     Dennoch läßt sich nicht ersehen, wann dieser Krieg ein Ende finden soll. Das Luftbombardement der Städte im Westen, der Industrie= u. Verkehrsanlagen geht in schärfster Form seinen Gang u. nach dem, was man hört, kann im Westen von einem Eisenbahnverkehr schon längst keine Rede mehr sein. Auch Fritz schreibt, daß die Straßen am Tage für den Autoverkehr unbenutzbar seien u. daß der ganze Verkehr über Feld= u. Nebenwege gehe, die freilich in einem tollen Zustand sind; aber dennoch wird gefahren. Wenn die Anglo-Amerikaner in demselben Tempo weiterkommen, wie bisher, seitdem sie an unserer Grenze stehen, dann ist der Krieg auch Ostern nicht zuende. Zwar werden wir in diesem Winter eine Hungersnot durchmachen, wie wir sie in Deutschland wohl selbst im 30jähr. Krieg nicht erlebt haben; aber den Nazis ist das egal, – sie hungern schon nicht. Eine hier aus Berlin evakuierte Dame erzählte mir kürzlich, daß in Berlin schon seit längerer Zeit überhaupt kein Gemüse zu bekommen sei infolge der Verkehrsschwierigkeiten. Es sei der Weißkohl in Scheiben zu 200 Gramm verkauft worden. –

Ahrenshoop, November 1944

[3701]
Mittwoch, 1. Nov. 1944.     

[...] [3701] Ferner Rechnung von Spitta + Leutz, Berlin über Farben, die ich auf die Bezugskarte von Otto Luke bekomme. Sie haben alles geliefert, was ich bestellt habe, 4 Tb. Weiß, 29 Tb. andere Farben. Nur Mastix habe ich nicht bekommen, dafür 2 Fl. Malmittel II. [...]

[3702]
Freitag, 3. November 1944.     

[3702]      Gestern erhielt ich von Dr. Sinn die schon im Sommer versprochenen Fotos nach Gemälden von Carl Hofer. Es sind sechzehn Stück, einige davon sehr schön, besonders ein Stilleben mit einer großen Blechkanne u. sonstigem Gerümpel, wirr auf einen Tisch hingeworfen. Es ist sehr schön, wie in dieses unordentliche Gewirr Klarheit u. Ordnung gebracht ist. – Die Bilder sind sehr malerisch, aber noch genau so wie ich Hofer kannte aus den Jahren 1918 – 1930, von einer Entwicklung ist in den Fotos jedenfalls nichts zu merken. Es scheint, daß dieser Künstler seit damals seinen höchsten Stand erreicht hat u. Neues von ihm nicht zu erwarten ist. Dr. Sinn erzählte mir ja auch, daß Hofer seine früheren Bilder, welche durch Bombenangriff verbrannt sind, jetzt wiederholt u. neu malt, – schon daraus ergibt sich, daß er Neues nicht mehr zu sagen hat. Besonders diese Mädchenbilder sind eigentlich immer wieder dieselben, es mag sein, daß die malerische Bravour vollkommener geworden ist, das läßt sich aber nur im Vergleich feststellen. An sich geben mir die Bilder nicht sehr viel, für ihn ist ein Bild an dem Punkt fertig, wo ich eigentlich erst anfange. So bleiben die Bilder skizzenhaft, zwar ungemein frisch u. interessant, aber letzten Endes doch sehr roh. Die Durcharbeitung eines Bildes bis zum letzten Augenblick, in dem das Bild selbst einem sagt: fertig! – kennt Hofer nicht. Ich empfinde das als eine bedauerliche Verantwortungslosigkeit. Ein Bild will doch fertig sein! – Und wenn es zuweilen auch schrecklich mühsam u. quälend ist, das Bild bis dahin zu führen, so ist dieser erreichte Moment doch überaus beglückend. –

     Meine Landschaft ist nun bald so weit. Vielleicht morgen. Das Wasser im Vordergrunde ist schwer zu malen, es soll raumbildend u. durchsichtig sein, aber ich verzichte auf jeden helfenden u. erklärenden Gegenstand im Vordergrunde. Man könnte Schilf oder einen Balken oder sonst irgend etwas dahin stellen u. Hofer würde das vielleicht tun, – dann wäre die Sache mit einem Pinselstrich abgetan; aber es wäre vulgär. –

     An den Fronten quälend langsamer Fortschritt. [...]

[3702]      Gestern wurde Näheres über den Besetzungsplan der Alliierten bekannt. Danach sollen die Russen Deutschland bis zur Elbe besetzen, – das sind nun freilich nicht sehr schöne Aussichten, – ich hatte gehofft, daß sie nicht über die Oder kommen würden.

[3703]
Montag, 6. Nov. 1944.     

[3703]      Am Freitag ereignete sich eine ziemlich tolle Geschichte. Meine Nichte Erika Wollesen erhielt gleich zwei Telegramme des Truppenarztes der Einheit, bei welcher ihr Mann ist. Diese SS-Einheit wird anscheinend zusammengestellt, oder ist bereits zusammengestellt worden u. liegt in der Nähe von Bremen auf dem Lande in Quartier. Erika war vor einigen Tagen dort, um ihren Mann noch zu sehen, ehe er ins Feld kommt. Nun, die Telegramme enthielten die dringende Aufforderung sofort zu kommen. Wir konnten uns das nicht anders erklären, als daß dem Mann ein Unfall zugestoßen sei u. daß er hoffnungslos liegt. Erika ging abends noch zur Batterie, um die Erlaubnis zu holen, am Sonnabend früh mit dem Lastauto mit nach Ribnitz fahren zu können, nachdem sie für den Autobus, der von Wustrow nach Ribnitz fährt, keinen Platz mehr bekommen hatte. Auch hatte sie versucht, die Einheit ihres Mannes telephonisch zu erreichen, jedoch gelang das nicht, da nur Wehrmachtsgespräche vermittelt wurden. Die Nachrichtenhelferin der Batterie kam auf die gute Idee, von dort aus die Einheit anzurufen, doch dauerte es stundenlang, bis die Verbindung kam. – Inzwischen waren wir alle in größter Aufregung. Endlich spät abends rief die Nachrichtenhelferin bei uns an. Sie hatte Verbindung bekommen, hatte mit dem Truppenarzt persönlich gesprochen. Er sagte, daß garnichts geschehen sei, es sei nur am Sonnabend eine Abschiedsfeier, zu der Erika kommen sollte u. da sie dazu eine Reiseerlaubnis brauchte, hat er diese Telegramme geschickt, indem er eine lebensgefährliche Erkrankung vorgetäuscht hat. –

     Wir waren alle empört. Diese Menschen haben überhaupt kein moralisches Gewissen. – Am nächsten Morgen hatte, indessen Erika schon viele Entschuldigungen dafür bereit u. der Erfolg war, daß es zu einer Auseinandersetzung zwischen Martha u. Erika kam u. anschließend zu einem heftigen Krach zwischen Grete u. Martha, der von mir erst am Sonntag früh durch die Andacht beigelegt werden konnte.

     Eine ganz ähnliche Sache erlebten wir neulich schon einmal, als Gretes Tochter Inge einen Brief schrieb, Grete müsse sofort zu ihr kommen. Sie führte zwar keinen Grund an, aber man mußte annehmen, daß Inge schwer erkrankt sei. Da Grete ja nicht einfach hier fort kann u. das Reisen heutzutage eine furchtbare Anstrengung ist, die mit Lebensgefahr verbunden ist wegen der Luftangriffe, rieten wir ihr dringend ab, zu reisen. Es wurde ein Telegramm an Eva nach Bln. gesandt, sie solle zu Inge fahren. Eva rief dann am nächsten Tage hier an u. es ergab sich, daß überhaupt nichts vorlag, sondern daß Inge sich nur gedacht hatte, ihrer Mutter eine Freude zu machen, wenn sie sie zu sich einlüde. Damit sie auch bestimmt kommen sollte, hat sie so getan, als ob sie krank wäre. – Es scheint, daß man diesen Menschen nicht alles glauben darf, was sie sagen. – Damit auch Paul in der Sache nicht fehlt ereignete sich mit ihm ebenfalls eine dunkle Sache. In der vorigen Woche fuhr Trude nach Schneidemühl zurück. Ich gab ihr Zigaretten für Paul [3704] mit. Nun erkrankte Trude aber gleich nach ihrer Ankunft in Schneidemühl abermals. Vorher jedoch ging sie zum Büro, um Paul die Zigaretten zu übergeben. Sie traf ihn nicht an u. es wurde ihr gesagt, er sei auf Urlaub. Das war am vorigen Sonntag. Von Paul haben weder Grete noch wir etwas gehört. – Grete ist nun sehr aufgeregt, was das bedeuten soll. Seltsamerweise sagte ihr am Sonnabend die Frau des Schlachters Leplow, als Grete Fleisch kaufte, es sei doch schön, daß ihr Mann auf Urlaub sei. Grete antwortete, er sei ja garnicht auf Urlaub, worauf Frau Leplow sehr verwundert war u. steif u. fest behauptete, ihn auf der Straße gesehen zu haben. – Auf meinen Brief, den ich ihm am vorigen Sonntag schrieb, habe ich bis jetzt keine Antwort erhalten. – [...]

[3704]      An meiner Landschaft habe ich heute die ganze Wasserpartie wieder heruntergekratzt. Es kam keine Einheit zwischen Wasser u. übriger Landschaft zustande. Habe heute den ganzen Tag neue Versuche gemacht, jetzt am Abend scheint ein Erfolg da zu sein.

[3704]
Mittwoch, 8. Nov. 1944.     

[...] [3704]      Gestern Brief von Paul an mich. An dem Gerücht, daß er auf Urlaub sei, ist kein wahres Wort. Aber seine Stimmung ist anscheinend furchtbar schlecht. [...]

[3704]      Die Landschaft ist schwer. Zwei Mal habe ich das Wasser im Vordergrunde schon herunter gekratzt. [...]

[3705]
Donnerstag, 9. Nov. 1944.     

[...] [3705]      Heute wurde ganz plötzlich meine Landschaft fertig. Ich hatte gestern den ganzen Vordergrund wieder abgekratzt u. geglaubt mindestens noch den ganzen heutigen Tag damit zu tun zu haben, aber plötzlich war das ganze Bild fertig, nachdem ich etwa eine Stunde gearbeitet hatte.

[3705]
Freitag, 10. Nov. 1944.     

[...] [3705] gestern von Herrn v. Perfall Nachricht aus Berchtesgaden, daß er mir Farben u. Pinsel schickt. Nachdem ich nun die Farben von Luke habe, bin ich damit jetzt reich eingedeckt.

     An Stelle einer Führerrede wurde gestern amtlich bekannt gemacht, daß bereits seit einigen Wochen V2 gegen England tätig sei. Es soll sich dabei um ein Raketengeschoß handeln, welches durch die Stratosphäre schneller als der Schall fliegt u. deshalb eine Warnung unmöglich ist. Es wird von starker Wirkung gesprochen, – doch soll das nach anderen Berichten nicht sehr schlimm sein. Diese Geschosse haben naturgemäß eine große Streuung u. fallen deshalb zumeist auf freies Feld.

     Heute Abend bekam ich vom Bürgermeister die Aufforderung, am Sonntag um 10 Uhr in Prerow im [3706] Zentralhotel zwecks Vereidigung zum Volkssturm zu erscheinen. Der Wagen Spangenberg fährt um 7 1/2 Uhr von hier nach dort.

[3706]
Sonnabend, 11. Nov. 1944.     

[3706]      An Bürgermstr. Gräff Brief geschrieben, daß ich nicht nach Prerow fahren könne aus gesundheitlichen Gründen, besonders bei der rauhen Witterung. Außerdem beziehe sich der Volkssturm nur auf waffenfähige Männer u. das sei ich nicht.

     Gestern Abend waren Erich Seeberg u. der Bildhauer Marks bei uns. Marks erzählte, daß in der Dorfschule Althagen im Klassenzimmer der Satz auf die Wand gemalt sei: „Wir Deutschen lieben den Pulverdampf mehr als Weihrauch“. – So vergiftet man schon die Kinder, – aber die Offenheit ist bemerkenswert, man gibt zu, den Krieg als Metier zu betreiben u. die Religion zu verachten. [...]

[3706]
Montag, 13 November 1944.     

[...] [3706] Morgens sah ich vom Fenster aus die Volkssturmmänner nach Prerow fahren. Abends kam Richard u. erzählte, daß zwar alle Namen aufgerufen worden seien, daß aber niemand davon Notiz genommen hätte, wenn einer fehlte. Es haben außer mir noch einige andere aus anderen Dörfern gefehlt. Die Leute sind vereidigt worden u. dann ist, – nach Richard – eine Rede gehalten worden auf Horst Wessel mit dem Sinn, daß ein Deutscher, der bis jetzt noch nicht sein Leben gelassen hätte für den Führer, überhaupt noch nichts getan hätte. Heute früh hörte ich im Radio, daß der Führer eine Proklamation an die Volkssturmmänner erlassen hätte. Entweder hat Richard das nicht begriffen, oder die Proklamation ist bis dahin nicht bis Prerow gelangt.

Abend am Strand, Zeichnung
[3707]
Dienstag, 14. November 1944.     

[...] [3708]      Heute endlich etwas besseres Wetter, sodaß ich die Dahlien rausnehmen konnte. Sehr anstrengend. –

     Am Montag Bleistiftstudie für eine neue Landschaft: Meeresküste. – Am Montag Abend bekam ich einige Farben u. Pinsel von Herrn v. Perfall aus Berchtesgaden, endlich auch Mastix-Firnis. – So viele Farben wie jetzt habe ich in meinem Leben noch nicht besessen. [...]

Abend am Strand
[3709]
Montag, 20. Nov. 1944.     

[3709]      Gestern Nachmittag Herr + Frau Prof. Triebsch zum Kaffee bei uns. Oberflächliche Unterhaltung, aber dennoch ganz nett, denn die Frau ist ein sehr warmherziger Mensch, der Glaube verbindet uns mit ihr. Mit seinen Augen wird es immer schlechter. Obgleich er zwei Spezialbrillen aufsetzte u. eine große Lupe benutzte, konnte er meine Bilder, die ich ihm zeigte, kaum erkennen. – [...]

[3709]
Dienstag, 21. Nov. 1944.     

[...] [3710]      Gestern die neue Landschaft untermalt. Sehr farbig. [...]

[3710]
Donnerstag, 23. Nov. 1944.     

[3710]      Heute soll das Dorf wieder neue Einquartierung bekommen. Martha hat Betten u. Matratzen hergegeben, denn es fehlt überall am Notwendigsten. Vor allem ist keine Heizung da. [...]

[3711]      Gestern war mir den ganzen Tag nicht recht wohl, nachdem ich in der Nacht vorher beängstigende Träume gehabt hatte. Ich versuchte, zu malen, aber es wurde nichts. Auch brannte der Ofen nicht an. [...]

[3712]
Dienstag, 28. Nov. 1944.     

[3712]      Zum ersten Male höre ich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit der Wahrheit, daß ein Bonze öffentl. ausgepfiffen worden ist. Geschehen ist es in Oesterreich. Dort hat der Bonze Gauleiter Baldur v. Schirach, selbst noch ein grüner Lümmel, eine an die Front gehende sog. Volksgrenadier-Division verabschiedet. Er hat seine Rede mit der Versicherung begonnen, daß er selbst gar zu gerne mit dieser Division an die Front gehen würde, daß ihn aber leider seine Amtsgeschäfte daran hinderten. Erfolg dieses Bekenntnis war schallendes Gelächter der Soldaten, mit allerhand Zurufen untermischt. Schießlich mußte der Herr Gauleiter seine Rede abbrechen, weil die Zurufe zu doll wurden. – [...]

[3713]
Donnerstag, 30. Nov. 1944.     

[...] [3713]      Meine neue Landschaft – Meeresküste – wird sehr gut, doch hat sich heute kurz vor dem Abschluß ein Knoten gebildet. Ich hoffe, er wird sich morgen lösen lassen.

Ahrenshoop, Dezember 1944

[3801]
Mittwoch, 6. Dez. 1944.     

[3801]      Eben ruft mich der Bürgermeister an, daß er mir von dem erhaltenen Koks 10 Centner beschlagnahmen müsse, da andere keinen Koks erhalten hätten. Nur das Kurhaus, Frau Garthe u. wir haben voll unseren Koks bekommen. Man kann dagegen nichts machen u. ich habe mich einverstanden erklärt. Der Bürgermeister behauptet zwar, daß er bindende Zusage vom Landrat habe, daß noch ein Waggen Koks angeliefert würde, – aber auf solche Zusage ist kaum etwas zu geben. Zum Glück habe ich in den letzten Jahren viel Koks gespart, sodaß ich wohl hoffen darf, trotzdem mit dem Koks zu reichen, vor allem, wenn der Winter nicht viel schlimmer wird, als er bis jetzt ist.

Donnerstag, 7. Dez. 1944.     

     Gestern Abend Nachrichten von Fritz vom 21.11. – vom 24.11. – 25.11. – u. 27.11., alles zusammen in 2 Briefen, in kurzen Abständen fortsetzend geschrieben. Er teilt mit, daß sie seit dem 16.11. in eine Schlacht verwickelt seien, die diejenige vom September weit überbiete. Es hat also schon etwas früher angefangen, als ich wußte, da ich erst am 19.11. etwas davon notierte. Fritzens letzte Nachricht war vom 15.11., das war also der Vorabend des Beginnes u. er schrieb damals schon von dem Durchbruch der Franzosen im Nachbarabschnitt, also an der schweizer Grenze. Fritz schreibt jetzt, daß er der Gefangenschaft mit Mühe u. Not entronnen sei; aber er ist nun, Gott sei Dank, wieder beim Verbandsplatz u. nicht mehr als Krankenträger bei der Kompanie. Am Verbandsplatz arbeiten 4 Aerzte. Es ist sehr viel zu tun, zahlreiche Verwundete. Der Verbandsplatz

[3802]
Sonnabend, 9. Dezember 1944.     

[3802]      Gestern Abend Prof. Marcks. Sprachen über Politik u. die Möglichkeiten. Er ist ein sehr deutsch empfindender Mensch mußte aber zugeben, daß das Leben unter den Nazis unerträglich ist, – allerdings im Falle eines Bolschewismus noch unmöglicher. Ich versuchte, ihm klar zu machen, daß jedes Leben in Deutschland unmöglich sein würde, falls es nicht christlich ist. Er räumte wohl die Ueberlegenheit der röm. kathol. Kirche ein, meinte aber, daß der Protestantismus die christl. Ausprägung der nordischen Völker sei u. daß der Katholizismus sich erst von seinen römischen Einflüssen befreien müsse.

[3803]
Montag, 11. Dezember 1944.     

[3803]      Gestern sehr große Beteiligung an der Andacht. Auch Prof. v. Walter war da mit seinem Sohn Andreas, es waren zwölf Zuhörer. Wir feierten das Fest der Unbefleckten Empfängnis. Mittags wurde mir gesagt, daß bei den ostpr. Flüchtlingen ein Kind gestorben sei, die Familie sei katholisch u. wohnt im Hause Körthe. Ich ging am frühen Nachmittag hin u. traf die sehr sympathische, noch junge Mutter, die noch sehr unter dem Eindruck des ganz plötzlich u. unerwarteten Todes infolge Herzschwäche ihres Kindes, eines kleinen Mädchens von etwa 5 Jahren, stand, sich aber musterhaft beherrschte. Die Frau hat noch fünf andere Kinder, vier Buben u. noch ein kleines Mädchen, der Mann ist Tischler u. in Polen irgendwo in einem Rüstungsbetrieb. [3804] Ich sprach lange mit der Frau u. ließ mir alles erzählen. Später kam noch eine andere Flüchtlingsfrau dazu mit ihren Kindern. Ich sah mir dann die kleine Leiche an, die in einer Halle zur ebenen Erde auf zwei zusammengestellten Bänken lag, ein hübsches Kind, wie schlafend. Es war alles sehr ärmlich, Frau Siegert hatte einige Blumen gebracht u. die Mutter hatte alles so schön u. gut hergerichtet, wie es unter diesen Umständen möglich ist. Die Frau hat an den Mann ein Telegramm geschickt, sie hofft, daß er bis Mittwoch hier sein wird. Am Donnerstag soll dann spätestens die Beerdigung sein u. es wird nichts anderes übrig bleiben, als daß ich diese Sache übernehme. –

     Die Russen sollen bei Budapest durchgebrochen sein. Heute haben wir die BuStu. auf zum Weihnachtsverkauf, von 12 Uhr an muß ich an der Kasse sitzen. Er hat Frost eingesetzt, – wenig erfreulich, besonders, da meine Winterjoppe nirgends zu finden ist. [...]

[3804]
Mittwoch, 13. Dezember 1944.     

[...] [3804]      Seit Montag ist das Geschäft zum Weihnachtsverkauf täglich von 10 – 1 Uhr offen u. ich sitze wieder mal an der Kasse. Es ist bitter kalt. Da der elektr. Strom aus Ersparnisgründen in dieser Zeit ausgeschaltet ist, kann man auch keinen Heizkörper einschalten. Es ist höchst widerlich. Dazu kommt noch, daß Nachmittags im Zimmer neben dem Atelier immer Kinderbetrieb ist. Im großen Hause sitzen ältere Damen im Eßzimmer u. machen irgend welche Weihnachtsarbeiten. Da ich das Atelier nicht gut verdunkeln kann, kann ich Nachmittags dort nicht gut sein. So habe ich, seit ich meine Wohnung an Küntzels abgetreten habe, keine Bleibe mehr u. sitze herum, ohne etwas Rechtes tun zu können. Martha ist viel im Geschäft, – so ist dieser Zustand wenig angenehm. – Spangenberg hatte mir Mist gebracht, den ich unter Rosen u. den Apfelbaum gebracht habe, auch in den Steingarten vor dem großen Hause.

     Der Gastwirt Holzerland war irgendwohin kommandiert worden, um als Ausbilder für den hiesigen Volkssturm ausgebildet zu werden. Gestern hat ihn aber das Militär eingezogen. – Dieser sog. Volkssturm ist sonst bisher hier noch nicht in Erscheinung getreten, außer bei der Vereidigung in Prerow. Es ist das alles Bluff, wenigstens hier bei uns – an der Front sollen ja schon seit längerer Zeit Abteilungen eingesetzt sein. [...]

[3805]
Mittwoch, 20. Dezember 1944.     

[...] [3805]      Heute morgen um 1/2 10 Uhr ging das Licht aus. [3806] Es hieß dann allgemein, daß es bis zum Abend keinen Strom mehr geben würde, weil Rostock keine Kohlen mehr hätte. Dieser Zustand solle eine Woche lang dauern. Da wir nur elektrisch Kochen, fühlten wir uns aufgeschmissen, – es war ein Zustand eingetreten, den ich seit Monaten befürchtete u. der eines Tages unvermeidlich eintreten muß. Wir beschlossen, Mittags Kaffee zu trinken u. vielleicht Abends zu essen. Das Tolle ist, daß die Behörde nichts davon verlauten läßt, daß dergleichen zu befürchten wäre, damit man sich irgendwie vorher darauf einstellen kann; aber gegen 1/2 1 Uhr Mittags wurde ebenso unvermutet der Strom wieder eingeschaltet. Wie lange, weiß man nicht u. zum Kochen ist es nun zu spät. Wir werden, falls die Stromversorgung wirklich eingestellt werden sollte, in meinem Atelier auf dem Ofen kochen, was sicher ganz gut geht.

[3806]
Donnerstag, 21. Dez. 1944     

[3806]      Gestern Abend brachten uns Maaß u. Mehlis einen Weihnachtsbaum, besonders hübsch im Wuchs. Leider lag Martha mit Kopfschmerzen infolge Ueberanstrengung in der Bustu im Bett, sodaß ich die beiden nur kurz sprach. Maaß erzählte aus der Gegend Bielefeld, wo er eine Woche lang war, seine geflüchtete Familie zu besuchen. Die Verkehrsverhältnisse sind arg zerrüttet, die Stimmung der Bevölkerung sehr düster. Er sagte, daß aus der Gegend dort die Raketenbomben V2 abgefeuert würden u. daß dauernd Fliegen in der Luft wären, um die Abschußstellen zu suchen. Maaß selbst wird jetzt sein Soldatentum beschließen u. wird wieder als Studienrat tätig sein, u. zwar in Gotenhafen=Gdingen. Anfang Januar wird er dorthin fahren. Damit verlieren wir einen treuen Verbindungsmann zur Batterie.

     Unsere Offensive macht in Belgien Fortschritte, doch scheint sich der amerikan. Widerstand langsam zu versteifen. In der Nacht ist u. a. auch wieder einmal Regensburg angegriffen worden. Sonst nichts von Bedeutung. Das Wetter ist sehr trübe, aber wieder etwas kälter.

     Der elektr. Strom funktioniert wieder; aber es scheinen in vielen Teilen Deutschlands Einschränkungen eingetreten zu sein infolge Kohlenmangels, der auf die Zerstörungen von Eisenbahnen u. Kanälen zurückzuführen ist. –

     Gestern aßen wir erst um 6 Uhr zu Mittag.

[3807]
Sonnabend, 23. Dez. 1944.     

[3807]      Heute Morgen von 10 – 1 Uhr Ausgabe der Weihnachtsgeschenke an die Einwohner. Die Sache war in wochenlanger, mühsamer Arbeit von Martha organisiert, sodaß sie seit Tagen völlig überanstrengt ist. Es war ja nicht möglich, einen normalen, freien Verkauf zu veranstalten, wenn man vermeiden wollte, daß einige Leute alles kauften u. die übrigen leer ausgehen würden. Es mußte also eine regelrechte Verteilung gemacht werden wie schon im vorigen Jahre, nur daß der Ort damals etwa 250 Einwohner hatte, diesmal aber 700. Es war eine enorme Arbeit, für jeden ein Paket zurecht zu machen. Dafür hat die Sache aber heute morgen vorzüglich geklappt. Es war ein furchtbares Gedränge u. meine Kasse stand nicht eine Minute still. So hatten wir die höchste Rekordeinnahme, seitdem die Bu-Stu steht, ich kassierte in diesen drei Stunden über 3000,– Rm. Dabei war es furchtbar kalt, denn der Frost ist seit gestern noch stärker geworden. Die Verteilung verlief bemerkenswert reibungslos; aber es ist noch nicht sicher, ob alle Leute zufriedengestellt sind, – wahrscheinlich nicht. Die Leute haben ja keinen Begriff von der Mühe u. Arbeit, die so etwas macht. – Von den Mithelfern sind vor allem Ilse Schuster, Carmen Grantz, Inge Meisner u. Erika Wollesen zu nennen; aber noch manche andere haben sich gleichfalls betätigt, auch Paul in den Tagen seines Urlaubs. Da seit einiger Zeit Trude Dade wieder bei uns ist, war uns auch diese eine große Hilfe. –

     Morgen soll nun die Geschenkverteilung an die ostpreußischen Flüchtlinge stattfinden, wofür Frau Lücke seit Wochen mit den Kindern gebastelt hat. Wir geben dafür nur den Raum her, aber es wird wohl noch manche Arbeit dabei herausspringen. [...]

[3807]
Montag, 25. Dezember 1944.     

[3807]      Gestern Vormittag die Weihnachtsbescherung für die Ostpreußen. Die gebastelten Sachen, vor allem eine sehr hübsche Puppenstube, waren sehr hübsch aufgebaut. Es war wirklich eine Leistung, sodaß selbst Frau Siegert ihre Bewunderung aussprechen mußte. Die NSV hatte von sich aus überhaupt nichts dazu beigetragen, die ganze Last hatte auf Marthas Schultern gelegen, die so wie so schon überbelastet war. Herr Deutschmann [3808] hielt eine leere Ansprache in der formlosen Art, die ihm eigen ist [...]

[3808] Von Neumanns bekamen wir wieder wie im Vorjahre Putenbraten mit Sauerkraut, ganz ausgezeichnet; aber wir mußten natürlich die für uns beide berechnete, sehr reichliche Portion mit Küntzels teilen, mit denen wir in der Diele aßen. So ging die Portion anstatt in zwei in fünf Teile. – Vorher, um 4 Uhr, waren unsere Soldaten da. Maaß, Mehlis u. Wolters. Martha hatte auch für sie u. für ihre ganze Stube ein Paket zurechtgemacht. Erika nahm uns zum Glück die Kaffee-Bewirtung ab u. hatte bei sich in ihrem Zimmer den Kaffeetisch gedeckt. Es gab sogar echten Bohnenkaffee. – [...]

[3809]
Sonnabend, 30. Dez. 1944.     

[3809]      Gestern Mittag Söhlke u. Frau. Er erzählte von der Erfassung der Halbjuden in Berlin u. derjenigen Arier, die Jüdinnen zur Frau haben, welche ebenfalls wie Halbjuden behandelt werden. Alle diese kommen zu den Leunawerken, wo sie mit Beseitigung von Trümmern beschäftigt werden. Auch der Mann der Frau v. Achenbach ist schon vor Wochen dorthin gekommen, während seine Mutter nach Theresienstadt gekommen ist, wo jetzt alle Volljuden konzentriert worden sind. [...]

[3809]      Der Tod hält weiter reiche Ernte. Auch Scheinecke ist mit seinem Schiff untergegangen. Der Maler Oberländer, der in diesem Sommer sich mit Doris Seeberg verheiratete, nachdem er im vorigen Jahre Witwer geworden war, ist einige Wochen nach der Hochzeit zum Militär eingezogen worden. Er war 59 Jahre alt. Offenbar hat er die Strapazen nicht ausgehalten u. er ist in einem Lazarett in Schlesien gestorben. Ebenso ist der Gastwirt [3901] Strauven, der in Prerow das Dünenhaus betrieb u. ebenfalls vor Kurzem zur Wehrmacht einberufen wurde, dort gestorben. Man muß erwarten, daß der hiesige Gastwirt Holzerland, der ebenfalls eingezogen ist, dasselbe Schicksal erleidet, – noch lebt er freilich. Wenn ich nicht mein zerbrochenes Bein hätte, wäre es mir schon längst so gegangen.

     Heute ist Schneetreiben bei starkem Südwest. [...]

[3901]      Soeben, – es ist 3/4 10 Uhr, – kommt Grete zu mir u. sagt, Deutschmann sei eben dagewesen u. habe bestellt, daß der „Volkssturmmann Brass“ am 1. Jan. 1945 auf dem Bahnhof in Prerow zur Vereidigung zu erscheinen habe. Er habe hinzugefügt, daß jeder wisse, daß ich ein krankes Bein hätte u. nicht nach Prerow gehen könne u. daß ein Wagen nicht zur Verfügung stehe. So viel ich gehört habe, ist der bisherige Ortsgruppenleiter in Prerow, der Lehrer Köller, ebenfalls zur Wehrmacht eingezogen worden, – es scheint also ein anderer Ortsgruppenleiter jetzt dort zu wirken, vielleicht aus Barth oder Stralsund, der mit der Bahn eintreffen wird u. der deshalb den Volkssturm auf den Bahnhof kommen läßt. – Nun, wegen meiner Person kann sich dieser Mann die Reise nach Prerow sparen, ich werde dort nicht erscheinen.

Ahrenshoop, 1944

Ahrenshoop, Januar 1945

[3901]
Montag, 1. Januar 1945.     

[3901]      Unsere Andacht gestern war schwach besucht. [...]

[3901] Nachmittags Kaffee (Bohnen) mit Küntzels, Erika hatte eine sehr gute Torte gebacken. – Abends wieder mit Küntzels zusammen unter dem brennenden Weihnachtsbaum. Wir tranken eine Fl. Pommery mit Bordeaux, Aepfel. [...]

[3902] Um 5 Min. nach 12 Uhr sprach der Führer. Erika verschwand dazu mit ihrem Kinde in ihre Wohnung, wir selbst wollten es nicht hören u. gingen dann bald schlafen. – [...]

[3903]
Dienstag, 16. Jan. 1945.     

[...] [3904]      Gestern war der Geburtstag des Pastors Martin Niemöller aus Dahlem, der nun schon seit 1938 im Konzentrationslager sitzt. [...]

[3905]
Donnerstag 18. Jan. 1945.     

[3905]      Gestern abend zu unserer großen Freude wieder Nachricht von Fritz vom 6. u. 7. Januar. Außerdem kam von ihm ein Expreßgut mit Konserven u. zwei Päckchen mit Büchern aus dem Alsatiaverlag. – Er teilt uns mit, daß er am 5. Jan. wieder von vorne aus der Stellung zurückgekommen ist. Gott sei Dank! Er war sechs Tage dort unrasiert u. ungewaschen, aber doch zufrieden u. glücklich, diese Zeit gut überstanden zu haben. Es scheint auch nicht allzu schlimm gewesen zu sein, denn er berichtet von nur neun Verwundeten, die es in dieser Zeit gegeben hat u. denen er erste Hilfe leisten mußte. Zwei davon sind gestorben. – Er ist nun wieder in Kolmar. Am 6. Jan. sei alles zurückgezogen worden u. das Regiment soll nun doch aufgelöst werden, sie sitzen in Kolmar u. warten, was werden soll. Feldw. Stegmiller hat meinen Brief erhalten u. hat sich gefreut. – Fr. berichtet von den zerstörten Ortschaften, die ein grauenhaftes Bild bieten. Die Jagdbomber richten die meiste Zerstörung an. In den noch unversehrten Kellern findet man oft noch große Fässer mit Wein. Es wird da viel getrunken, herrenloses Vieh wird geschlachtet, die Soldaten bereichern sich am [3906] zurückgelassenen Eigentum der geflohenen Einwohner, werfen die Sachen dann wieder weg u. sie werden zertreten, verbrannt u. vernichtet. Was der Krieg nicht vernichtet, das vernichten die Soldaten u. wenn dann die früheren Besitzer kommen, um ihr zurückgelassenes Hab u. Gut zu bergen, so finden sie nichts mehr. Diese Leute haben meist nur das nackte Leben gerettet. Die Folge ist, daß diese Leute eine große Wut auf die Soldaten haben denn sie haben ja mit Recht erwartet, daß deutsche Soldaten das Eigentum ihrer deutschen Landsleute respektieren würden. – Das stimmt also mit dem überein, was man auch sonst hört. – So sieht Fritz wirklich, was der Krieg ist, u. das ist gut für ihn. [...]

[3906] Heute starkes Schneetreiben aus Südost, Temperatur um den Gefrierpunkt.

     Mittags wird bekannt, daß die Russen gestern Warschau u. Tschenstochau eingenommen haben. Das sind große Erfolge. Sie werden dann auch Lietzmannstadt rasch nehmen, welche Stadt dann wieder ihren rechtmäßigen Namen Lodz zurück erhalten wird, sowie das oberschlesische Industrierevier. Wollte Gott, daß es nur rasch voran geht.

     Heute war Frau v. Achenbach hier, die erschütternde Sachen von ihrem Mann erzählte, der vor einiger Zeit als Halbjude zur Organisation Todt eingezogen wurde. Alle Eingezogenen sind in furchtbar engen u. verwanzten Barracken untergebracht. Herr v. A. liegt in einer Barracke mit 28 Mann, in der sich nur ein schmaler Tisch befindet, an dem nur 8 Mann gleichzeitig sitzen können. Außer ihm ist nur noch ein anderer Halbjude da, die anderen sind arische Männer, die jüdische Frauen haben. Sie werden beschäftigt mit [...] [3907] schwerster Arbeit, die Ernährung ist völlig unzureichend, die Behandlung entehrend. Frau v. A. selbst, die eine überaus kuragierte Frau ist, hat in Bln. Beschwerde geführt, jedoch ohne Erfolg. Der höhere SS=Beamte, bis zu dem sie vorgedrungen war, war ein Vieh von Mensch, der sie bedrohte, um sie einzuschüchtern, was ihm aber nicht gelang. – Einer der Insassen des Lagers, wo Herr v. A. ist, ist Major a.D., Teilnehmer am Weltkriege u. Inhaber des Hohenzollern-Hausordens. Ein Ministerium hat sich bei der SS erfolglos bemüht, diesen Mann frei zu bekommen.

     Wenn nur bald die Russen kämen!

[3907]
Freitag, 19. Jan. 1945.     

[3907]      Gestern Abend erhielt Paul Nachricht vom Kreisleiter in Schneidemühl, er habe sich sofort dorthin zurück zu begeben. Paul erregte sich sehr. Es gelang uns, Dr. Meyer zu erreichen, der zufällig in Ahrenshoop war. Er kam noch um 10 Uhr Abends zu uns. Er wird nun eine Bescheinigung ausstellen, daß Paul krank u. nicht reisefähig ist. Diese Bescheinigung wird dann erst einmal nach Schneidemühl geschickt werden. Bis dann wieder eine Antwort hier ist, ist wieder etwas Zeit gewonnen u. die Russen sind näher. Wenn die Russen nur bis Bromberg kommen, so wird der Herr Kreisleiter ja ausreißen. Diese ganze Sache hat Paul jedoch so aufgeregt, daß er heute nicht imstande ist, das Bett zu verlassen.

     Gestern Abend hieß es, daß die Russen Lowitzsch genommen haben, also werden sie auch bald Lietzmannstadt, sprich Lodz, haben. Es macht nicht den Eindruck, als wäre unsere Front im Osten auch nur annähernd in der Lage, Widerstand zu leisten, es scheint vielmehr, als wäre jeder Wille zum Widerstand erloschen. Ich kann mir nur denken, daß dies die Antwort der Soldaten, besonders der Offiziere, auf die Politik seit dem 20. Juli ist. Die Partei hat sich seitdem die Führung über die Wehrmacht angemaßt. Man hat den Truppen politische Kommissare beigegeben unter dem Namen: NS=Führungs=Offiziere. Nachdem man den ganzen Krieg hindurch diese politischen Kommissare, wie sie in Rußland eingerichtet sind, verächtlich gemacht hat, kann man jetzt nicht gut erwarten, daß dieselbe Einrichtung bei uns freudig aufgenommen wird, zumal diese sog. „Offiziere“ teilweise einfach aus dem Mannschaftsstande entnommen sind u. ohne jede militärische Qualifikation sind. Nur ihre Parteizugehörigkeit ist Maßgebend. So schrieb ja auch Kurt schon vor langer Zeit, als wir noch garnicht wußten, was ein „NS=Führungsoffizier“ sein soll, daß er Aussicht hätte, ein solcher zu werden. Es scheint aber, daß er doch nicht genügend politisch sicher ist, denn er ist ja nicht PG., u. bei seinen Personalakten dürften ja die üblen Streitigkeiten, die er zu Anfang des Krieges mit seiner ehemaligen Prokuristin Moßgraber gehabt hat, eine nicht sehr empfehlende Rolle spielen. Wäre das nicht, dann würde der so völlig unmilitärische Kurt, der es gerade zum Obergefreiten gebracht hat u. keine Qualifikation zum Unteroffizier besitzt, jetzt gewiß solch ein politischer Offizier geworden sein. Es läßt sich denken, daß die Regimentskommandeure nicht erbaut sein werden, wenn man ihnen solche Leute vor die Nase setzt.

[3908]
Montag, 22. Januar 1945.     

[...] [3908]      Von morgen ab sind sämtliche D=Züge eingestellt, es wird immer katastrophaler. – Eben heißt es, daß ab morgen überhaupt keine Briefe mehr geschrieben werden dürfen, nur noch Postkarten. Wir riefen bei der Post an, wo es hieß, daß diese Verfügung, „noch nicht amtlich“ sei. – Ferner soll nun auch unser Telephon gesperrt werden, nachdem in letzter Zeit bereits viele Apparate eingezogen worden sind. Im ganzen Dorf sollen nur vier Telephone verbleiben. – Ja, das deutsche Volk würde schon gern sofort Frieden machen, aber wie sollen wir das? –

     Gestern Vormittag hat, wie Richard Spangenberg erzählt, zum ersten Male der Volkssturm unter Führung von Emil Gräff geübt. Es waren ganze fünf Mann. Diese fünf Mann haben zuerst die Kuhweide erstürmt u. nachher die Höhe des Paetow'schen Hofes „besetzt“. Es muß eine überaus erheiternde Angelegenheit gewesen sein. –

     Gestern Abend im Deutschlandsender Beethovens Heroika, Dirigent Furtwängler. Sehr schön. –

     Abends waren Grete u. Paul bei uns. Mittags aßen wir den von Rewoldt bekommenen Schweinebraten mit Kartoffelklößen. Es war eine große Sache. Nach langer Zeit wieder einmal ein richtiges Essen. Unsere gewöhnliche Nahrung besteht sonst fast nur noch aus Kohl. – [...]

[3909]
Dienstag, 23 Januar 1945.     

[...] [3909]      Ueber Nacht u. heute früh ist viel Schnee gefallen, bei Südwest. Ganzen Vormittag Schnee geschaufelt. Es schneit immer noch jetzt zur Mittags Zeit. [...]

[3909]      Die Einstellung des Briefverkehrs in Deutschland scheint sich zu bewahrheiten, aber bis jetzt ist amtlich auf der Post noch nichts darüber bekannt. Nur Postkarten können dann geschrieben werden.

     Gestern versuchte ich vergeblich, Herrn Deutschmann aufzusuchen, um ihm mitzuteilen, daß ich den Kindern der Frau Sommerhof, des Kapitänleutnants Dr. Krappmann u. der Frau v. Achenbach Religionsunterricht geben würde. Ich traf ihn nicht an u. sagte seiner Frau, er möge doch heute zu mir kommen. Er kam, während ich Schnee schaufelte. – Zuerst tat er etwas beleidigt u. er sagte, er müsse dann der Schulbehörde Mitteilung davon machen. Ich erwiderte ihm, daß er das ruhig tun solle, ich würde trotzdem den Unterricht geben, da ich vom Bischof von Berlin durch den Pfarrer in Barth schriftlich dazu ermächtigt sei u. die Eltern der Kinder mich darum gebeten hätten. Er dachte daraufhin etwas nach u. meinte dann: „Ach, wissen Sie, – ich weiß von nichts!“ – Ich antwortete ihm lachend, daß ich das auch für das Richtigste hielte, u. damit war die Sache dann erledigt. Es war interessant zu sehen, wie dieser Mann feige kniff u. sich aus der Verantwortung zog. –

     Jetzt ist Mittag u. das Schneetreiben hat wieder verstärkt eingesetzt. Es ist schon wieder alles zugeschneit, was ich freigeschaufelt hatte.

[3910]
Mittwoch, 24. Jan. 1945.     

[...] [3910]      Der Obergefr. Mehlis, der morgens vorbei kam, als ich beim Schneeschippen war, nahm mir diese Arbeit ab. Er schippte nicht bloß den Bürgersteig um das ganze Grundstück, u. zwar in 2 mtr. Breite, sondern er schaufelte auch noch das Dach der BuStu. frei Ein unglaublich anständiger Kerl, er hat über 2 Stunden gearbeitet u. bedankte sich dann noch für die Schachtel Cigaretten, die ich ihm gab. – Er erzählte mir, daß der Batteriechef bei der üblichen Lagebesprechung gestern gesagt habe, wir hätten den Krieg endgültig verloren, wenn wir das oberschles. Industrierevier verlören, denn es sei dort der größte Teil der synthetischen Treibstoff-Fabrikation. Ja, das ist natürlich allbekannt, aber daß der Batteriechef, der noch überdies ein Nazi ist, dergleichen offiziell sagen darf, deutet doch darauf hin, daß der Zusammenbruch bevorsteht. –

     Gestern haben die Russen Bromberg genommen. Mehlis sagte mir, daß offiziell mitgeteilt sei, wir hätten das Reichsehrenmahl von Tannenberg gesprengt, ehe wir es den Russen überlassen hätten, die Särge von Hindenburg u. den sonst noch dort Beigesetzten seien vorher geborgen worden. – [...]

[3910]      Heute ist nun tatsächlich der Briefverkehr eingestellt, nur noch innerhalb von 75 km. können Briefe aufgegeben werden.

[3910]
Donnerstag, 25. Jan. 1945.     

[3910]      Gestern kam es leider infolge des Betragens Erikas wieder einmal zu einer höchst unerfreulichen Auseinandersetzung. Ich erzählte bei Tisch von der Lagebesprechung des Batteriechefs u. daß er gesagt habe, wir hätten den Krieg verloren, falls wir das oberschles. Industrierevier verlören. Ich erzählte das absichtlich, um Erika zu zeigen, daß Männer in verantwortlichen Kommandostellen, die noch dazu überzeugte Nazis sind, diese Tatsache, die ja im übrigen nicht bezweifelt werden kann, ihren Untergebenen mitteilen. – Erika erklärte darauf sehr schnippisch, es sei ja unerhört, daß der Batteriechef dergleichen sagen könne, die Soldaten würden doch diese Ansicht ihres Chefs weitererzählen. Ich antwortete ihr, daß der Batteriechef ja wohl selbst wissen müßte, was er sagen u. nicht sagen könne u. wenn die Soldaten das natürlich weiter erzählten, so diente das doch bloß der nun einmal unabänderlichen Wahrheit. Darauf antwortete sie noch schnippischer, daß man dergleichen eben nicht sagen dürfe, auch wenn es Wahrheit wäre. Nun wurde ich ärgerlich u. sagte mit betonter Schärfe, daß es nun endlich an der Zeit sei, die Dinge anzusehen, wie sie wirklich sind u. nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Erika stand daraufhin vom Tisch auf u. verließ das Zimmer. – [...]

[3911] Paul sagte mir nachher, daß sich inzwischen eine neue Unannehmlichkeit ereignet habe: Erikas Mann hat einen SS=Mann auf Urlaub geschickt mit einem Paket für Erika. – Abgesehen davon, daß kein Soldat seit vielen Monaten mehr Urlaub bekommt, aber dieser SS=Mann des Herrn Oberleutnant mit einem Paket nach Ahrenshoop fahren kann, – ist es uns höchst unangenehm, einen solchen Menschen hier überhaupt zu sehen. Als Erikas Mann hier war, haben wir zur Bedingung gemacht, daß er in Civil ginge u. haben ihm zu diesem Zweck Fritzens Sachen zur Verfügung gestellt. Wir haben ausdrücklich zum Ausdruck gebracht, daß wir einen SS-Mann in Uniform keinesfalls in unserem Hause zu sehen wünschen, – u. nun schickt uns dieser Mensch noch einen SS-Mann extra auf den Hals, den Erika im Baltischen Hof untergebracht hat. Es ist das ein neuer Beweis dafür, daß weder Erika noch ihr Mann gewillt sind, unserer Ablehnung des Nationalsozialismus, u. vor allem der SS, die geringste Rechnung zu tragen. – [...]

[3911]
Freitag, 26. Januar 1945.     

[...] [3912]      In Rostock sollen 21000 Flüchtlinge aus dem Osten eingetroffen sein, die nun aufs Land verteilt werden. Wustrow, Alt= u. Niehagen werden vollgelegt in Schulen u. Sälen, auch bei uns soll Holzerland belegt worden sein. [...]

[3912] Es wird jetzt mit dem Hunger erst richtig losgehen. Wovon sollen all die Flüchtlinge ernährt werden? Woher Kohlen nehmen? Eisenbahnen fahren kaum noch. Bei uns mag's noch angehen, aber die Städte! Berlin soll jetzt schon voller Flüchtlinge sein. Bisher gab es noch reichlich Milch, das wird aufhören. Den Bauern wird das Futter für das Vieh abgenommen, sie werden alles schlachten müssen. Das große Elend wird nun hereinbrechen. Die letzte Rettung besteht darin, daß die Armee meutert. – Zum Überfluß hat wieder starkes Schneetreiben eingesetzt, es wird der letzte Verkehr im Schnee stecken bleiben. Die Ostflüchtlinge erzählen grauenvolle Sachen. Sie haben nichts mitnehmen können, keine warme Kleidung, Kinder sind zerquetscht u. zertreten worden. Herr Johow ist aus Posen eingetroffen, 48 Stunden Fahrt nach Berlin, der Zug so voll, daß die Menschen bewegungslos aneinandergepreßt gestanden haben. Eine Frau war im Zuge, deren Kind gestorben war, sie trug die Leiche 48 Stunden lang auf dem Arm.

[3912]
Sonnabend, 27. Januar 1945.     

[...] [3912] Die Front ist jetzt von Berlin u. Stettin nur noch 200 km. entfernt. Die Leute sind sehr aufgeregt. Unsere Propaganda hat uns seit Jahren mit so furchtbaren Geschichten über die blutgierige Grausamkeit der Russen unterhalten, daß jetzt eine panikartige Angst herrscht. – [...]

[3913]
Sonntag, 28. Januar 1945.     

[3913]      Heute sehr große Beteiligung an der Andacht es waren 11 oder 12 Personen, davon drei aus Wustrow, was angesichts des Wetters wirklich erstaunlich ist, denn es schneit unentwegt. Draußen, wo es stärker weht, muß der Schnee teilweise sehr hoch liegen, nachdem man schon hier im Dorf nur mühsam gehen kann. Diese starke Beteiligung wirkte sich wundervoll aus, sodaß auch meine Ansprache ganz besonders gut gelang. [...]

[3914]
Montag, 29. Januar 1945.     

[3914]      Heute vor 24 Jahren begegnete ich Martha zum ersten Male auf dem Ball der Sozialistischen Monatshefte im Rheingold in Berlin –

     Gestern Abend waren wir wie alljährlich einmal bei Neumanns im Kurhaus. Der alte Neumann lag krank u. das war im Interesse der Gemütlichkeit nicht schlecht. Es gab eine vorzügliche Suppe, dann Hasenbraten mit Rotkohl u. Kartoffeln, zum Schluß Apfelmuß. Frau N. legte mir, wie üblich, auf u. ich aß unwahrscheinlich viel. Später gab es dann noch echten Thee u. vorzüglichen Streuselkuchen. Das Gespräch drehte sich natürlich vorwiegend um die politische u. wirtschaftliche Zukunft. Alle haben Angst vor den Russen, deren barbarische Grausamkeit von unserer Propaganda nun seit Jahren in allen Farben geschildert worden ist, wozu noch das Bewußtsein kommt, daß unsere Nazis sich seit 1933 Verbrechen über Verbrechen geleistet haben, die nun in irgend einer Weise gebüßt werden müssen. Man fürchtet die furchtbare Rache. [...]

[3914]
Dienstag, 30. Januar 1945     

[3914]      Heute ist der 12. Jahrestag der Machtübernahme durch die Nazis. Das 13. und letzte Jahr ihrer sog. Macht hat damit begonnen. Zwölf Jahre von Verbrechen über Verbrechen liegen hinter uns. Wenn ich auch nie daran gezweifelt habe, daß diese Leute großes Unglück über uns bringen würden, so übersteigt das, was nun ist, doch alle Vorstellungen, die ich mir früher gemacht habe. Heute, am Beginn des 13. Jahres, stehen Engländer, Amerikaner u. Franzosen im Westen auf deutschem Boden u. es ist nur eine Frage von Tagen oder wenigen Wochen, wann unsere Abwehr dort zusammenbrechen wird. Die Russen aber haben im Osten nun überall die Reichsgrenzen überschritten. Ostpreußen ist jetzt fast ganz in ihrer Hand, Königsberg liegt unter russischem Artilleriefeuer. Nördlich Posen haben sie nun auch die pommersche Grenze überschritten u. haben den großen Knotenpunkt Kreuz eingenommen, wodurch Danzig von Berlin abgeschnitten worden ist. Damit dürfte nun der Moment gekommen sein, wo auch unser Volkssturm an die Front geschickt werden wird. Das oberschlesische Industrierevier ist ganz in russischer Hand u. dort haben die Russen bereits die Oder überschritten, Breslau ist von drei Seiten eingeschlossen. Dort ereignete sich wieder ein neues Verbrechen, dessen Urheber Himmler direkt ist. Als vor einigen Wochen der Volkssturm aufgerufen wurde, hielt dieser Kerl eine Rede, in der er sagte, es müsse jeder Feigling sofort u. ohne Gericht erschossen werden, er würde eine jede solche Tat [3915] decken, auch wenn sich ergeben sollte, daß man darin zu weit gegangen sei. Nun ist der Bürgermeister von Breslau „wegen Feigheit vor dem Feinde“ in Breslau auf dem Marktplatz öffentlich erschossen worden. Näheres ist nicht bekannt, aber man wird wohl nicht fehlgehen, wenn man annimmt, daß dieser Bürgermeister sich dem Befehl widersetzt haben wird, Breslau zur militär. Festung zu erklären. – [...]

[3915]      Abends feierten Martha u. ich unseren 24. Jahrestag bei einer Flasche sehr gutem Rheinwein, den wir im vorigen Jahre von Frau v. Paepke geschenkt bekamen. [...]

[3915]
Mittwoch, 31. Januar 1945     

[...] [3915]      Gestern Abend um 1015 Uhr hielt der Führer ganz unerwartet eine Rede zum 12. Jahrestag der Machtergreifung. Er sprach nur kurz, seine Stimme klang müde u. er sprach wie einer, der böse ist. Er stellte zuerst seine sogenannten Erfolge seit der Machtergreifung in den Vordergrund, in der Hauptsache also die Aufrüstung, u. sprach dann vom jüdischen Bolschewismus, der seiner friedlichen Aufbauarbeit nur 6 Jahre Frieden gegönnt habe u. vom Haß der Plutokratien. Dann schimpfte er auf die „Pazifisten“, die er Strohköpfe nannte u. mit Schafen verglich usw., u. er schloß mit der Erwartung, daß die wehrfähigen Männer tapfer kämpfen, die Kranken aber um so mehr arbeiten sollten, besonders Frauen, Mädchen u. Kinder. Zwischendurch sagte er auch, daß jeder, der sich dieser Politik des Weiterkämpfens widersetze, erschossen [3916] werden würde. Auch den Herrgott u. die Vorsehung bemühte er ausgibig; aber leider wußte er außer dem schon so oft ausgesprochenen Argument, daß die Vorsehung uns bestimmt helfen würde, nichts zu sagen, wie dieser Krieg für uns siegreich zu beenden sein würde. Es war das wohl die flachste u. schwächste Rede, die er überhaupt je gehalten hat. Er sprach aus dem Führerhauptquartier am Mikrophon, offenbar aus einem großen, leeren Saal, was deutlich an der Akustik zu hören war. So hatte diese ganze Rede etwas Gespenstisches, erhöht durch den dumpfen u. bösen Ton seiner Stimme. Man hatte den Eindruck, daß der Mann völlig allein in einem großen, leeren Saal stand u. seinen bösen Groll in's Leere rollen ließ. – [...]

Ahrenshoop, Februar 1945

[4001]
Freitag, 2. Febr. 1945.     

[...] [4001] Abends riß im Radio die Schnur, welche die Einstellung bewirkt. Paul u. ich nahmen den Apparat auseinander u. es gelang uns, den Schaden durch Einsetzung eines Zirnfadens zu beheben. Ich fürchte freilich, daß das nicht lange halten wird. Da gegen 8 Uhr das Licht versagte u. für den Abend nicht mehr anging, hätte ich gestern abend so wie so Nachrichten nicht mehr hören können. [...]

[4002]
Sonnabend, 3. Febr. 1945.     

[...] [4002]      Es heißt seit gestern Abend, daß die Lebensmittel=Zuteilungsperiode um eine Woche verlängert werden soll, d.h. also, daß es für eine ganze Woche weder Brot noch Mehl noch sonst irgendwelche Lebensmittel geben wird. Damit steht nun also das Gespenst des Hungers plötzlich unmittelbar vor uns. Möglicherweise bricht damit die ganze Organisation der Lebensmittel=Verteilung in sich zusammen u. es wird jedem überlassen bleiben, wie er sich Nahrung verschafft. Dann können wir, die Herr Hitler mit „Strohköpfe“ bezeichnet hat, sehen, wie wir weiterkommen. – [...]

[4003]
Sonntag, 4. Februar 1945.     

[...] [4003]      Im Osten stehen die Russen 8 km. vor Küstrin u. 10 km. vor Frankfurt. Sonst scheint sich nichts Besonderes ereignet zu haben.

[4003]
Montag, 5. Februar 1945.     

[4003]      Gestern am Spätnachmittag kam das Ehepaar Ziel. Beide waren sehr unglücklich über die törichte Abreise ihrer Tochter Marianne, besonders der Mann. Er bemühte sich, sich zu beherrschen, aber er weinte immer wieder. Sie kamen wohl zu uns, um bei uns etwas Trost zu suchen u. baten uns inständig, doch gelegentlich zu ihnen zu kommen.

     Das ganze Dorf ist verrückt geworden wegen dieser Abreise. Alle wollen nun weg u. sind wütend u. erbittert, daß sie nicht fort können. Dazu geht das Gerücht, daß wir alle evakuiert werden sollen, was aber wohl Unsinn ist, denn heute früh wurde drüben bei Saatmann der Lebensmittelverkauf gesperrt, weil heute 120 neue Flüchtlinge hierher kommen sollen. Hoffentlich wird man nicht auch uns welche geben.

     Seit drei Tagen haben wir keinen Telephonanschluß nach außerhalb mehr. Es heißt, die Leitung wäre gestört, aber die Post, die Gemeinde u. die Batterie haben Anschluß, er kann also nicht gestört sein. [...]

[4004] Heute scheint die große Konferenz zwischen Roosevelt, Churchill u. Stalin begonnen zu haben.

     Es herrscht große Nervosität. Die Regierung bekämpft jetzt schon den großen Propagandakrieg, der von dieser Konferenz gegen uns ausgehen soll u. das Geschrei ist groß: wir werden niemals kapitulieren, das deutsche Volk von 1945 ist nicht das von 1918, usw. – Diese Abwehr ist gefährlich u. dumm, denn damit gesteht man ja ein, daß wir da stehen, wo wir 1918 standen. – [...]

[4004]      Gestern Abend versuchte Paul, mir die „Meistersinger“ nahe zu bringen, jedoch erfolglos. Ich empfinde diese endlosen, gesungenen Dialoge einfach als langweilig.

[4004]
Dienstag, 6. Februar 1945.     

[...] [4004]      General v. Seydlitz hat wiederum einen Aufruf an Volk u. Wehrmacht von Moskau aus gehalten u. zur Revolution aufgerufen; aber wie sollen wir das? Noch hat Himmler die Waffen in der Hand u. es fehlt an jeglicher Organisation, die noch unmöglich ist. Die Russen haben inzwischen rechts u. links von Küstrin die Oder erreicht u. haben auch im Raume Königsberg einige Fortschritte gemacht [...]

[4004]      Von der großen Dreierkonferenz ist nichts zu hören, außer unserer Gegenpropaganda, die sehr nervös ist u. die die Angst erkennen läßt, die unsere Regierung vor einer politischen Aktion dieser Konferenz hat [...]

[4004]
Mittwoch, 7. Februar 1945     

[4004]      Ueber die Dreierkonferenz wird im Rundfunk gesprochen, aber nicht von amtlicher Regierungsseite. Auch wird nicht gesagt, wo sie tagt.

     Gestern wurde um 1/2 1 Uhr der Strom abgeschaltet u. kam erst gegen 6 Uhr wieder, auch dann nur sehr schwach. [4005] Die Folge war, daß bei uns das Mittagessen ausfallen mußte. [...]

[4005]
Donnerstag, 8. Febr. 1945.     

[4005]      Gestern waren wir den ganzen Nachmittag ohne Strom, der erst um 10 Uhr abends wieder anging. Heute früh ebenfalls ohne Strom, erst 10 Uhr vorm. ging er wieder an. Auf diese Weise hört man kaum noch Nachrichten. Wenn der Strom gänzlich eingestellt werden wird, kann es passieren, daß die Russen eines Tages vor der Türe stehen, ohne daß wir es ahnen.

     Der Bürgermeister von Bromberg u. der Kreisleiter sollen erschossen worden sein, weil sie vor den Russen ausgerissen sind, es ist aber weithin bekannt, daß fast alle Nazi-Bonzen aus dem Osten längst ausgerissen sind. Auch in Königsberg soll es so sein. So auch Herr Johow, der zu Anfang des Krieges hier stets in SA-Uniform herumstolzierte u. auf der Straße alle Männer in Civil anpöbelte, warum sie nicht an der Front wären. Er selbst war allerdings während des ganzen Krieges nie an der Front, sondern er hatte irgend einen schönen Druckposten in Posen. Dort ist er sofort ausgerissen, als die Russen kamen u. nun sitzt er hier herum. Er ist nicht einmal Volkssturmmann bisher gewesen, erst hier ist er, wie ich gehört habe, dazu erfaßt worden. [...]

[4005]      Martha hatte gestern Verkauf. Es geht ihr besser. Sie hörte schreckliche Dinge vom Elend der Flüchtlinge aus dem Osten. Die Leute haben oft nichts Anzuziehen, dabei liegt das Gemeindeamt voll von Spenden für das sog. „Volksopfer“.

[4006]
Freitag, 9. Febr. 1945.     

[4006]      Endlich hat man angefangen, die Stromzufuhr zu regeln. Früh um 7 Uhr wird gesperrt, um 10 Uhr soll es wieder Strom geben, damit man Essen kochen kann, dann wird wieder gesperrt bis 7 Uhr Abends. Aber schon gestern klappte es nicht, indem es erst von 8 Uhr an Abends Strom gab, bis dahin sitzt man im Dunklen. Wir stehen nun eine Stunde früher auf, damit wir vor 7 Uhr früh noch das Frühstück fertig machen können.

Amtlich ist nun von engl. Seite bekannt gemacht worden, daß die Dreierkonferenz tagt, u. zwar "im Raume des Schwarzen Meeres". Eines der engl. Flugzeuge dorthin ist verunglückt, wobei 15 Personen ums Leben gekommen sind, lauter Beamte des auswärtigen Amtes, die zur Konferenz unterwegs waren. Man hat unwillkürlich den Eindruck, als handele es sich um einen Sabotage=Akt u. atmet erleichtert auf, daß es nicht das Flugzeug von Churchill oder Roosevelt war. – [...]

[4006]      Vor einigen Tagen erzählte mir Frau Korsch etwas sehr Wichtiges. Ihr Mann hat gute, persönliche Beziehungen zur finnischen Gesandtschaft. In diesen Tagen ist nun ein Finne nach Bln. gekommen u. hat ihm über das Leben dort berichtet. Er hat gesagt, daß es allen Menschen dort sehr gut geht, ja, daß es ihnen seit vielen Jahren nicht mehr so gut gegangen wäre. – Das entspricht genau dem, was ich stets behauptet habe, aber es ist das genaue Gegenteil von dem, was unsere gewissenlose u. verbrecherische Propaganda behauptet. Für diese Halunken darf es natürlich keine anständigen u. gesitteten Russen geben u. es wird in der gewissenlosesten Weise das Blaue vom Himmel gelogen, um im Volke Furcht u. Schrecken vor den Russen zu verbreiten. Lieber sollen die Menschen das grauenvolle Elend eines Flüchtlingsdaseins auf sich nehmen, wobei Tausende elend zugrunde gehen, als daß sie ruhig in ihren Wohnungen bleiben, wenn die Russen kommen. Aber das furchtbare Elend dieser Flüchtlinge ist so groß u. für jedermann sichtbar, daß es jetzt schon viele Menschen gibt, die sagen, sie wollten sich dann lieber von den Russen töten lassen. – Auffällig ist aber, daß seit dieser letzten großen Offensive der Russen keine Gräuelmärchen mehr verbreitet werden.

[4007]      Gestern hieß es, daß der Vorsitzende des sog. Volksgerichtshofes Freißler beim letzen Bombenangriff auf Bln. umgekommen sei. Heute schon erzählt man sich, er sei zu Beginn des Angriffs auf dem Wege zum Bunker von unbekannten Männern ergriffen u. aufgehängt worden. Ob das zutrifft, weiß ich natürlich nicht, auf jeden Fall ist er tot u. wenn das Gerücht über seine Todesart auch nicht zutreffen sollte, so zeigt es doch, welche Todesart man im Volke diesem Manne wünscht, der verantwortlich ist für die Hinrichtung von Generalfeldmarschall v. Witzleben u. der anderen Offiziere durch den Strang. –

     Die Zeitung bestätigt heute, daß der SS=Standartenführer u. Polizeipräsident v. Salisch aus Bromberg standrechtlich erschossen worden sei. Der Regierungspräsident Kühn = Bromberg, der Bürgermstr. Ernst = Bromberg u. der Kreisleiter Kampf = Bromberg sind ihrer Aemter enthoben u. einem Bewährungsbataillon eingereiht worden. Dies ist das Werk Heinr. Himmlers. Das Werk des Volkes ist dagegen, daß in Wien zahlreiche Nazi=Bonzen ermordet worden sind. Auch in Bln. sollen mit Freißler auch zwei Generale ermordet worden sein, die für die Hinrichtung v. Witzlebens verantwortlich sind. –

[4008]
Sonntag, 11 Febr. 1945.     

[4008]      Gestern Abend rief Kpt. Lt. Dr. Krappmann an, ob er kommen dürfe, er habe etwas zu besprechen. – Er kam dann mit seiner Frau. Er wollte sich Rat holen, ob er die Frau mit d. Kindern in die Heimat schicken solle, etwa nach Bamberg, da ihre eigentliche Heimat Schweinfurt ja nicht mehr existiert. Im Bamberg könne sie „vielleicht“ bei einer Freundin unterkommen. Er fürchtet drei Möglichkeiten. Bei eventuellen Kampfhandlungen kann er ums Leben kommen, oder er wird gefangen genommen, oder es gelingt der Batteriebesatzung, sich in Kähnen durchzuschlagen.

     Ich sagte ihm, daß ich diese dritte Möglichkeit für unwahrscheinlich halte, so viele Kähne gibt es hier ja garnicht. Wenn er aber gefangen genommen wird oder fällt, dann ändert sich für seine Frau nichts, ob sie nun in Bamberg ist, oder hier. Andererseits aber ist das Elend der Flüchtlinge furchtbar, denn mitnehmen kann sie nichts u. eine Reise nach Bamberg mit den Kindern ist höchst riskant. Außerdem macht es einen nicht sehr guten Eindruck, wenn die Frauen der Herren Offiziere, die so lange hier waren, jetzt das Weite suchen. Man wird sagen: „Die Ratten verlassen das sinkende Schiff“. Er ließ sich überzeugen u. beschloß, seine Frau hier zu lassen. –

     Wir besprachen dann die möglichen Ereignisse. Er rechnet mit einem Angriff vom Süden aus Rostock, nicht von Stralsund durch den Darss. Im Falle eines solchen Angriffes würde er die Dörfer rechtzeitig warnen, sodaß die Bewohner in den Darss flüchten können. Seine Batterie reicht nicht bis Rostock, sie würde also erst in Aktion treten, wenn einige Panzer von dort her eine Streife durch Fischland u. Darss machen würden. In diesem Falle müßte er natürlich schießen, aber er vertraute mir an, daß die Batterie so wenig Munition besitzt, daß es sich nur um wenige Schuß handeln könne, die dann freilich genügen würden, um alle Fensterscheiben der Umgegend zu zerschlagen. Die feindl. Panzer würden natürlich antworten, doch würde Ahrenshoop davon kaum berührt werden. Möglicherweise würden auch Fliegerbomben geworfen werden, die dann größeres Unheil anrichten würden. Nach dem letzten Schuß würde sich die Batterie ergeben müssen. – Sollte ein Angriff aber doch durch den Darss kommen, so wäre das für Ahrenshoop zwar sehr viel unangenehmer, denn der Ort würde dann zwischen den Fronten liegen, aber die Batterie würde bestimmt nicht in den Ort hineinschießen. – [...]

[4009]      Dr. K. erzählte dann noch anschaulich von seiner kürzlichen Italienreise, die ihn nach Venedig geführt hat. Er erzählte ferner furchtbare Dinge von den in Swinemünde angekommenen Flüchtlingsströmen, die er selbst gesehen hat. Die Organisation hat so völlig versagt, daß z.B. ein ganzer Kasernenblock, den die Wehrmacht für die Flüchtlinge geräumt hatte, eine ganze Nacht hindurch leer blieb, während die Flüchtlinge die Nacht in Regen u. Kälte am Hafen zubrachte. Es habe keine Nahrung gegeben, für nichts war gesorgt u. die verzweifelten Menschen machten ihrer Wut Luft durch Reden u. Verwünschungen gegen Hitler u. die Partei. – Er erzählte ferner, daß das ganze Offizierkorps heute gegen Hitler + den Krieg sei u. daß alle Offiziere ungeniert davon sprächen. [...]

[4009]      Die Andacht heute war wieder sehr voll, es kommen immer mehr Menschen. Ich sprach über die zu erwartende polit. Entwicklung u. hatte die Freude, daß alle sehr getröstet u. zuversichtlich fortgingen. [...]

[4009]
Montag, 12. Febr. 1945.     

[...] [4009]      Das K.d.F.=Schiff Wilh. Gustlof ist mit Flüchtlingen aus Ostpreußen vollgepackt auf eine Mine gelaufen u. untergegangen, es sollen etwa 7000 Menschen dabei umgekommen sein, lauter Ostpreußen. [...]

[4010]
Donnerstag, 15. Febr. 1945.     

[4010]      Gestern Abend begann ich die neue Vortragsreihe über das Lukas-Evangelium. [...]

[4010]      Unter den Hörerinnen befand sich auch die junge Frau Sadoni, eine Tochter des Pastors Loeber aus Althagen, die vor 4 oder 5 Wochen einen kleinen Sohn bekommen hat. Bevor sie gestern hierher kam, hatte sie einen Brief von ihrem Mann erhalten, in welchem er ihr mitteilt, daß seine Einheit in Mostar in Jugoslawien eingeschlossen sei. Dieser Brief ist noch mit einem Flugzeug aus dem Kessel herausgekommen. Es sind die sog. Bandentruppen des Marschalls Tito, gegen die sie dort unten kämpfen u. von denen sie nun eingeschlossen sind. Diese Kämpfe dort werden von unserer Seite von je her mit großer Grausamkeit geführt, Gefangene sind prinzipiell erschossen worden, sodaß auch unsere Soldaten nun nichts anderes zu erwarten haben. S. schreibt deshalb an seine junge Frau, daß dieser Brief der letzte sein würde, den sie von ihm bekommen würde. Es war sehr erschütternd, wie diese junge Frau litt. S. weiß noch nicht einmal, daß er Vater eines Sohnes ist. – [...]

[4010]
Sonnabend, 17. Febr. 1945.     

[...] [4011]      Gestern Abend wie jeden Freitag Erich Seeberg u. nach ihm Frau Partikel, die aus Königsberg hier eingetroffen ist u. von ihrer mühseligen Flucht zu Schiff bis Swinemünde, per Bahn nach Rostock u. dann hierher erzählte. Auch ihr Mann wird bald hier eintreffen, der mit einem anderen Maler zusammen auf dem Fahrrad hierher unterwegs ist. Von ihr hörte ich auch, daß Prof. Marks – Althagen letzthin in Putnitz zur Ausbildung als Volkssturmmann gewesen ist. – Sonst aber war Frau P. entsetzlich langweilig wie immer [...]

[4011]
1. Fastensonntag, 18. Febr. 1945.     

[...] [4012]      Die Andacht heute war wieder voll besetzt, meine Ansprache war aber sehr ernst. Ich sprach von der Verantwortung, die wir alle am Zeitgeschehen tragen u. an unserer Verpflichtung zur Sühne.

[4013]
Sonnabend, 24. Febr. 1945.     

[4013]      Gestern ein sehr interessanter u. inhaltsreicher Brf. v. Fritz [...]

[4013] Er ist jetzt im Schwarzwalde, im „Höllental“, welches ja wohl in der Gegend von Freiburg zu sein scheint. Er schreibt, daß die Fahrt von Badenweiler dorthin sehr mühsam gewesen sei, weil kein Benzin vorhanden ist. Hinter Freiburg, also wohl südlich? – lag er 3 Tage auf der Straße fest, bis er mit 4 Pferden aus Ziel gebracht worden ist. Auch die anderen Fahrzeuge seiner Einheit stehen überall herum u. können nicht weiter, aber Fritz selbst ist nun wenigstens vorläufig in Sicherheit. –

     „Freiburg sieht schrecklich aus“, schreibt er. Die Verluste der Zivilbevölkerung werden auf 20000 geschätzt. [4014] Alles ist überfüllt u. der Raum ist knapp. Sein bisheriges Regiment ist nun aufgelöst worden. Der Reg=Stab u. die Stabskompanie sollen zum Volkssturm kommen, alles übrige zur 16. Inf-Division. Die San.=Staffel, mit dem Stabsarzt 9 Mann, gehören zum Regimentsstab. Wo u. wie dieser Volkssturm eingesetzt werden soll, ist noch nicht bekannt. [...]

[4014]      Fritz schreibt, daß die Desorganisation dort einfach toll sei u. daß man sie auch nicht mehr vor der Bevölkerung verbergen könne. Alles ist vollgestopft mit Flüchtlingen, dazu militär. Einquartierungen, kein Benzin für die Autos, kein Hafer für die Pferde. Alles das sind also nicht mehr zu verbergende Zeichen beginnender Auflösung. [...]

[4014]      Gestern Abend wie gewöhnlich am Freitag Erich Seeberg. Sein Schwiegersohn, Dr. Schimpf, ist bei dem letzten schweren Luftangriff auf Dresden, der nun auch diese schöne Stadt in Trümmer gelegt hat u. der ungeheuer viele Opfer gekostet haben soll, weil die Stadt mit Flüchtlingen überfüllt war, verwundet worden. [...]

Ahrenshoop, März 1945

[4101]
Donnerstag, 1. März 1945.     

[...] [4101]      Gestern hörte Paul am Radio, daß die Lebensmittel-Rationen, die schon längst nicht mehr ausreichend sind, noch weiter gekürzt werden sollen. Der Hunger wird immer fühlbarer. Dabei muß ich acht geben, daß Grete, die sich gern das Leben bequem macht nicht auch noch unsere Lebensformen verproletarisiert. Seit einigen Tagen hat sie angefangen, das Essen einfach im Kochtopf auf den Tisch zu bringen, was ich mir heute sehr energisch verbeten habe.

     Nachrichten habe ich seit 2 Tagen nur schlecht gehört. Heute hörte ich nur Richtlinien an die Bevölkerung in Trier, von den Amerikanern ausgegeben, wie sie sich verhalten sollten. Sie wurden aufgefordert, sich nicht evakuieren zu lassen, in die Keller zu gehen u. sich mit Lebensmitteln zu versorgen. Die Offensive im Westen scheint demnach weiterhin Fortschritte zu machen. – Inzwischen spricht sich mehr u. mehr durch, daß die Russen sich höflich u. anständig benehmen u. alle Gräulpropaganda haarsträubende Lüge ist.

[4101]
Freitag, 2. März 1945.     

[...] [4102]      Vorgestern kam übrigens eine Verfügung, daß alle noch irgendwo vorhandene Autoreifen abzugeben sind. So werden also wohl auch die Reifen von Fritzens Wagen abmontiert werden, falls es dazu überhaupt noch kommt. Meistens erledigen sich solche Sachen ja mit der erlassenen Verfügung, zur Ausführung kommt es gewöhnlich nicht. [...]

[4102]
Sonnabend 3. März 1945.     

[...] [4103] Der Hunger nimmt überall rasch zu, auch hier bei uns. Es wird von nun ab nur noch 1/2 Pfund Butter im Monat geben, die Brotrationen werden weiter gekürzt, ebenso alles Uebrige. Es gibt kein Salz.

     Bei der Beerdigung begrüßte uns Partikel, der mit dem Rad von Königsberg gekommen ist u. sehr elend aussieht.

     Seit Wochen ist das Telephon eingeschränkt, jetzt ist es gänzlich eingestellt. [...]

[4104]
Dienstag, 6. März 1945.     

[4104]      Gestern Vormittag erschien überraschend Wollesen der auf einer Dienstreise nach Prag einen Abstecher hierher gemacht hat. Seine Division ist vom Westen nach Ungarn an den Plattensee gekommen. Auf meine erstaunte Frage, wieso man eine SS=Division gerade jetzt während der West-Offensive von dort fortnehme, um sie auf einen Nebenkriegsschauplatz zu schicken, meinte er, Ungarn würde jetzt Hauptkriegsschauplatz werden. Ich schwieg dazu u. dachte mir mein Teil, denn mit diesem SS=Jüngling muß man vorsichtig umgehen, er ist Hauptmann geworden u. trägt das KVKI u. er weiß alles! Also soll demnach jetzt der Rhein wohl nur noch hinhaltend verteidigt werden, nachdem das Westufer von Bonn bis Cleve verloren ist u. man wird alle Kraft auf den Süden der Ostfront konzentrieren, um – – den Obersalzberg zu verteidigen. Norddeutschland einschl. Berlin ist ebenso nebensächlich. – Dem entspricht auch, daß Wollesen die Absicht hat, Erika nach Hamburg zu bringen, damit sie hier nicht den Russen in die Hände fällt. Er glaubt also selbst nicht an eine Verteidigung Norddeutschlands. Wir sind freilich alle sehr froh, wenn wir Erika auf diese Weise loswerden. – Dennoch glaubt der junge Mann immer noch an einen deutschen Sieg.

[4105]
Sonntag, 11. März 1945.     

[...] [4105]      Gestern Abend Herr u. Frau Ziel. Beide waren etwas besorgt, Herr Dr. Burgartz hatte sie nervös gemacht. [4106] Dieser Mann war nämlich vor einigen Tagen auf Zureden verschiedener aufgeregter junger Frauen zu Prof. Reinmöller gegangen, weil das Gerücht umhergeht, er wolle, falls Russen kämen, schießen. Es ist das bei diesem Narren durchaus glaubwürdig u. das würde den Ruin des ganzen Ortes bedeuten; aber Herr Dr. B. hat sich eingebildet, diesen Idioten umstimmen zu können. Er soll sich, wie es heißt, eine Abfuhr geholt haben. Darauf ist er zu Dr. Ziel gegangen u. hat ihm u. seiner Frau gegenüber Andeutungen gemacht, es gäbe hier im Ort zwei Leute, welche die Absicht hätten, ihn, Dr. Ziel, zu ermorden, falls die Russen kämen, da Dr. Ziel „als roter Funktionär“ ihnen verdächtig wäre. Dieses Wort paßt nur auf Prof. R., der es verschiedentlich gebraucht hat im Hinblick auf Dr. Ziel. Wer der andere ist, wußte er nicht, – ich meinte, es könne nur Dr. Zabel sein, der ein fanatischer Nazi ist u. mit Prof. R. verkehrt. – Dr Ziel fragte mich nun, was er tun solle, ob es vielleicht gut sei, von hier fort zu gehen. Ich riet ihm sehr ab. Erstens ist Herr Dr. Burgartz ein eitler, geltungsbedürftiger Mensch, der aus der Fliege einen Elefanten macht, um sich aufzublasen, u. zweitens halte ich solche Reden des Prof. R. für ebenso dummes Geschwätz, wie es dieser Mann seit Jahren schon von sich gibt. Ich versprach ihm, zu Herrn Deutschmann zu gehen u. ihm davon vertraulich Mitteilung zu machen u. ihn überhaupt aufmerksam zu machen, daß Prof. R. mit solchem Geschwätz alle Frauen verrückt macht. Sie sind so schon fast alle durchgedreht u. viele von ihnen verlassen den Ort, um nach dem Westen zu gehen, weil sie lieber den Engländern od. Amerikanern in d. Hände fallen wollen, als den Russen, von denen die furchtbarsten Gräuelgeschichten amtlich kolportiert werden. Diese gewissenlose Propaganda ist das Gemeinste, was sich denken läßt, denn man sagt den verängstigten Leuten nicht, wohin sie fliehen sollen. –

[4107]
Dienstag, 13. März 1945.     

[...] [4107]      Abends waren Partikels bei uns. Es war sehr anregend. P. erzählte von seiner Flucht per Rad aus Königsberg hierher u. von den Erfahrungen, die er bisher mit Russen gemacht hatte, oder von denen er gehört hatte. Es ist demnach nicht so schlimm. Natürlich hängt alles davon ab, ob eine Gegend Kampfgebiet ist, oder ob die Russen nur durchziehen u. besetzen, u. die Truppen selbst werden auch unterschiedlich sein. Nach wie vor habe ich keine große Sorge, da ich hoffe, daß wir hier niemals Kampfgebiet sein werden. Die Nervosität im Dorf ist aber sehr groß. – P. erzählte mir von jenem Erlebnis mit Herrn Dr. Zabel lange vor dem Kriege, wohl bald nach 1933. Er war eines Abends mit einem jungen Meisterschüler der Königsb. Akademie bei Dr. Z. eingeladen u. dort traf er auch dessen Schwiegersohn, der eine nationalsoz. Weltanschauung=Schulung durchgemacht hatte u. nun mit den dort gelernten Schlagworten um sich warf. Natürlich verfehlte er auch nicht, die kathol. Kirche anzugreifen. Der junge königsb. Maler war nun Katholik. Er trat für die Kirche ein. Der Schwiegersohn von Dr. Z. wurde ausfallend u. persönlich u. es gab scharfe Auseinandersetzungen u. Drohungen, sodaß Partikel mit dem jungen Maler das Haus verließ. Zwei Monate später kamen Gestapo-Beamte zu Partikel in Königsberg, um ihn über die Sache zu vernehmen. Der Kerl hatte also tatsächlich P. u. den jungen Maler denunziert. Es kam zwar weiter nichts dabei heraus; aber diese Geschichte ist doch sehr bemerkenswert. –

     Heute früh wurde bekannt, daß die Russen Küstrin auf dem direkten Anmarschwege nach Berlin erobert haben. –

[4108]
Donnerstag, 15. März 1945.     

[...] [4108] Wustrow, Alt= u. Niehagen haben wieder neue Flüchtlinge bekommen, alle Häuser sind übervoll, ganz egal, ob die Räume heizbar sind, oder nicht. Die Gemeinden müssen die Flüchtlinge aufnehmen, ob sie Platz haben oder nicht, danach wird nicht gefragt. Das Städtchen Damgarten ist längst überbelegt u. es ist beim besten Willen nicht möglich, auch nur noch einen Menschen unterzubringen. Trotzdem wurde ein Eisenbahnzug voll Flüchtlinge dorthin geleitet. Der Bürgermeister weigerte sich, die Leute aufzunehmen u. ließ den Zug weiterfahren. Drei Tage später wurde der Bürgermeister verhaftet u. in ein Konzentrationslager verschleppt. In Wustrow ist nun bereits Ruhr [4109] ausgebrochen, die Schule ist deshalb geschlossen worden. Es sind tolle Zustände. Dazu kommt die Angst der Frauen, besonders der jungen Mütter. Diese Angst wird immer größer, denn sie wird von der Regierung ja immer weiter geschürt. Es ist eine abgrundtiefe Gewissenlosigkeit u. Gemeinheit. –

     Gestern hörte ich, daß die Gestapo von Berlin nach Bregenz verlegt worden sei. Man will dort vermutlich den Terror noch steigern, denn dieses ganze süddeutsche Alpengebiet soll ja die letzte Verteidigungsstellung dieser Verbrecherbanden werden.

     Wenn es künftig nur noch Nachts Strom geben sollte, wird man aufbleiben müssen, um wenigstens Nachts Nachrichten zu hören. Es ist ja von großer Wichtigkeit, daß man weiß, was los ist. – [...]

[4109] Die neu angekommenen Flüchtlinge in Althagen sollen ein Bild unüberbietbaren Elends geboten haben, die Leute besitzen nichts als das, was sie auf dem Leibe haben, u. das sind Lumpen. [...]

[4110]
Sonnabend, 17. März 1945.     

[4110]      Gestern Nachmittag wurde das Dorf plötzlich u. unvorbereitet mit 150 neuen Flüchtlingen belegt. Wir selbst sind verschont geblieben, aber sonst sind viele Häuser belegt worden, darunter auch Ziels mit drei Personen. Der notwendige Raum mußte innerhalb drei Stunden belegbar sein. Für das alte Ehepaar Ziel war das einfach unmöglich u. so gingen wir, Martha, Trude u. ich, hin, um zu helfen. Ziels haben entsetzlich viel Kram. In dem Zimmer, das frei gemacht werden mußte, war Ziels Bibliothek mit 2000 Bänden. Frau Dr. Hahn half ebenfalls mit. Als wir endlich das Zimmer freigeräumt hatten, schleppten Ziel u. ich die drei Betten aus einem Schuppen im Haus u. nach oben über eine schrecklich enge u. steile Stiege, u. als alles oben war, stellten wir fest, daß die Matratzen nicht in die Bettgestelle hineinpaßten. Der alte Ziel war erschöpft, wir anderen ebenfalls. Inzwischen kam Frau Langner u. kündete an, daß die Flüchtlinge nun kämen. Ich weiß nicht, was aus der Sache geworden ist, Martha u. ich gingen mit Trude nachhause. Ich habe ein schlechtes Gewissen, die alten Leute allein gelassen zu haben, aber wir konnten ja weiter nichts tun. – [...]

[4111]
Dienstag, 20. März 1945.     

[4111]      Die Offensive über die Mosel im Rücken des Saargebiets macht starke Fortschritte. Die Nahe ist bereits überschritten, die Amerikaner stehen dicht vor Kaiserslautern. Unser Rückzug scheint wieder einmal in wilde Flucht auszuarten. In die vollgepfropfen Straßen schießen die Jagdbomber mit Bordwaffen. Auch der rechtsrheinische Brückenkopf wird ständig erweitert. Bei uns sind vier Offiziere standrechtlich erschossen worden, weil die Brücke bei Rehmagen nicht rechtzeitig gesprengt worden ist. Standrechtliche Erschießungen sind überhaupt an der Tagesordnung, sowohl an der Front, wie in der Heimat. Die Russen haben Kolberg erobert u. haben dort zahlreiche an Bäumen erhängte Soldaten gefunden, an denen Zettel angeheftet waren mit der Aufschrift: „Ich bin erhängt worden, weil ich die Waffen strecken wollte“. [...]

[4112] Der Führer beschäftigt sich derweil damit, Hitlerjungens zu empfangen u. zu begrüßen, die sich im Kampfe ausgezeichnet haben. Einer von diesen, ein 12jähriger Bengel, dem man gründlich den Hintern versohlen sollte, hat das EKII von ihm bekommen.

     Wenn ich daran denke, daß in diesem Frühjahr die Feldbestellung in ganz Ostpreußen, Westpreußen, dem größten Teil von Pommern, von Nieder= u. Oberschlesien u. einem Teil von Brandenburg, sowie in dem ganzen Lande links des Rheines nicht mehr stattfinden wird, u. daß im übrigen Deutschland sicher nicht mehr geerntet werden wird, was jetzt vielleicht noch gesät wird, – u. daß dieser noch übrige Teil Deutschlands vollgepfropft ist mit Flüchtlingen, Fremdarbeitern u. Soldaten, so kommt mir das Grauen. In Deutschland werden die Menschen zu Tausenden sterben, wenn schon längst kein Schuß mehr fällt. [...]

[4112]
Mittwoch, 21. März 1945.     

[...] [4112]      Ich war entsetzt über die vielen fremden Kinder, die ich auf der Dorfstraße sah u. die seit dieser Woche hier sind. Sie sehen zumeist schrecklich verwahrlost aus. Ich merke das auch am Garten, in dem diese Kinder wahrscheinlich die Schneeglöckchen abgerissen haben. – [...]

[4113]      Gestern hatten wir den ganzen Tag über Strom, dafür heute überhaupt keinen. Mittagessen wird deshalb wohl wieder ausfallen müssen. [...]

[4113]
Donnerstag, 22. März 1945.     

[4113]      Der Strom kam gestern doch noch, wenn auch spät, sodaß wir essen konnten. Wir aßen eine Konserve, die Fritz früher einmal geschickt hatte u. die Hühnerbrühe enthielt, dazu Kartoffeln. Es war sehr schmackhaft. Wir essen jetzt allmählich unsere bescheidenen Vorräte auf, was später kommt, mag der Himmel wissen. –

     Der Vortrag gestern Abend: Geburtsgeschichte Jesu, – Beschneidung, – Darstellung im Tempel – u. der 12jähr. Jesus im Tempel gelang besonders gut, ich war gut in Form. Später blieb noch Frau Dr. Müller-Bardey da. Sie erzählte, sie sei gewarnt worden, an diesen Vorträgen teilzunehmen, die Nazis könnten zum Schluß noch etwas gegen mich unternehmen u. dann würden alle Teilnehmer mit daran glauben müssen. Sie sagte nicht, wer diese Warnung ausgesprochen hat, nur sagte sie, es sei wohlwollend gemeint gewesen u. nicht von nationalsoz. Seite. – Ich kümmere mich darum nicht. – [...]

[4113]
Freitag, 23. März 1945.     

[4113]      Heute der erste schöne, warme Frühlingstag. Vormittags im Garten gearbeitet, aus einem alten Johannisbeerstrauch, der im Halbschatten stand, vier junge Sträucher gemacht u. in die Sonne vor das kleine Haus gesetzt. Sonst geharkt u. gehackt. Sehr anstrengend, war Mittags ganz erschöpft. [...]

[4114]
Palmsonntag, 25. März 1945.     

[4114]      Gestern Nachricht von Pfr. Dobczynski, – ein rührender Brief. Er trauert, weil er gerade jetzt in diesen schweren Wochen nicht allen ganz nahe sein kann. Er teilt mit, daß er vorhabe, am Donnerstag nach Ostern in der evang. Kirche zu Prerow das hl. Meßopfer zu feiern. Der Lic. Pleß hat die Kirche dafür zur Verfügung gestellt. Um 8 Uhr würde dann Beichtgelegenheit sein, um 9 Uhr feierl. Hochamt. Mehr kann er nicht leisten. Die tägl. Anforderungen, die an den kranken Mann gestellt werden, sind sehr groß. Selbst Werktags ist die Kirche fast voll, wochentags 60 – 70 Kommunikanten täglich, sonntags hält er 3 – 4 Gottesdienste, um 10 Uhr so voll, daß kaum die Türen geschlossen werden können, 120 – 150 Kommunikanten. Sonntags ist er fast durchgehends in der Kirche. Am Passionssonntag waren noch außerdem 10 Taufen. In den Gottesdienstpausen ist er im Beichtstuhl oder an der Kommunionbank. Werktags ist das Pfarrhaus wie ein Taubenschlag. Seine Schwester u. Schw. Maria sind ebenfalls entsprechend überanstrengt. Er schreibt: „Alles vermag ich in dem, der mich stärkt.“

     Die Andacht heute bei uns war ebenfalls zum brechen voll. Es war überaus schön, ich hatte das Gefühl, daß der Hl. Geist buchstäblich das Zimmer füllte.

     Martha war gestern auf Spangenbergs Lastwagen, nach Wustrow zu Frau Dr. Umnus gefahren. Da sie ihn zur Rückkehr verpaßte, mußte sie zu Fuß zurückkommen. Sie kam erst kurz vor 10 Uhr, ich war bereits zu Bett gegangen. Zugleich hörte man Motorengeräusch, das ich für ein Auto hielt, denn es klang ganz anders wie das gewöhnl. Geräusch von Flugmaschinen. Bald darauf gab es sechs schwere Detonationen. Vom Fenster aus sah man Leuchtbomben in Richtung Ribnitz. Etwas später kam ein Flugzeug im Tiefflug dicht über unser Haus. Heute morgen wurde bekannt, daß dem Fliegerhorst Putnitz der Angriff gegolten hatte. Der Angriff erfolgte ohne Warnung, ganz überraschend. Man glaubt, daß es russische Flugzeuge waren. Es gab keinerlei Abwehr.

     Heute früh schickte uns Dr. Krappmann den Mehliss u. den Dachdecker mit Dachpappe, um das Dach der Bu. Stu. reparieren zu lassen.

[4201]
Karsamstag, 31. März 1945.     

[...] [4201]      Heute hat Martha Verkauf für Ostern. Kinder u. Frauen haben allerhand kleine Ostersachen gebastelt, die sehr nett aufgebaut sind.

Ahrenshoop, April 1945

[4201]
Ostersonntag, 1. April 1945.     

[4201]      Heute eine sehr schöne Andacht, das Zimmer war brechend voll, darunter 2 Soldaten von der Batterie u. sogar Kapitänlt. Dr. Krappmann. Ich hielt eine Ansprache über die Not dieses Osterfestes die mir diesmal wirklich aus tiefstem Herzen kam u. die offensichtlich auf alle Anwesenden einen tiefen Eindruck gemacht hat. – [...]

[4201]      Nachmittags beim Frisör Saatmann, der unheimliche Dinge erzählte. Er ist beim Zoll eingezogen, schon seit Kriegsbeginn, u. muß oft dienstlich nach Stralsund. So auch in der letzten Woche. In Velgast kam kein Zug u. er mußte warten. Da lief ein langer Güterzug ein, bestehend aus offenen Loren, auf denen Flüchtlinge lagen, die seit Tagen unterwegs gewesen waren. Die Leute sahen toll aus u. es war ein Gestank, der nicht zu ertragen war. Sie schrien verzweifelt nach Essen, aber es ließ sich kein Beamter keine NSV=Schwester sehen. Die Zollleute gaben den Flüchtlingen ihre Frühstücksstullen. Schließlich kam auch ein Parteimensch in Uniform, der aber natürlich machtlos war. Ein alter Mann schrie diesem Menschen zu: „Wenn Du uns nichts zu essen schaffen kannst, dann geh wenigstens hin u. besorge ein Maschinengewehr, um uns niederzuschießen!“

     Solche u. schlimmere Dinge hört man von allen Flüchtlingen. Und nun ist ein Anschlag an der Dorftafel, [4202] daß die Ortelsburger Flüchtlinge sich bereit machen sollen, nach der Lüneburger Heide weiter transportiert zu werden. Eine Ortelsburgerin, die Sonntags an unseren Andachten teilnimmt, kam heute nach der Andacht zu mir, um mich um Rat zu fragen, was sie tun solle. Ich antwortete ihr, daß ich da keine Verantwortung übernehmen könne, daß ich aber selbst an ihrer Stelle hierbleiben würde. Ich sagte ihr: Unser Leben steht in Gottes Hand, u. wenn Er will, kommen wir auf der Flucht um, u. wenn er will, können 10000 Russen uns nichts tun. Sie antwortete: „dann will auch ich hier bleiben.“ –

     Gestern wurde in ganz Mecklenburg geworben zur Aufstellung eines Freikorps. Es fanden sich tatsächlich noch Dumme: in Althagen zwei: der Briefträger Vieck u. der Schlachter Schönfeld. – Ich sprach eben mit Dr. Krappmann darüber, er meinte, daß es für diese Leute überhaupt keine Waffen gäbe. Das dürfte wohl stimmen, aber diese Bande ist gewissenlos genug, die Leute trotzdem gegen die Panzer der Alliierten zu schicken.

     In Ribnitz sollen die Leute schanzen. Es ist nun schon so oft bewiesen worden, daß das überhaupt keinen Sinn hat; aber dennoch wird es befohlen. [...]

[4202]
Ostermontag, 2. April 1945.     

[4202]      Gestern Abend wurde im dt. Rundfunk ein Aufruf durchgegeben zur Bildung einer Widerstandsbewegung unter dem Namen „Werwolf“. Der Aufruf richtete sich an alle deutschen Männer u. Frauen, besonders aber den die Jugend: Jungens u. Mädchen u. forderte auf zum heimtückischen Widerstand in den besetzten Gebieten durch Ermordung feindl. Soldaten aus dem Hinterhalt, besonders unter Ausnutzung der nächtl. Dunkelheit. Aber nicht bloß gegen die feindl. Soldaten, sondern auch gegen deutsche Volksgenossen soll sich dieser Mordterror wenden, gegen alle, die nicht für einen Widerstand bis zum letzten Blutstropfen sind, die Aeußerungen gegen den Krieg oder den Nationalsozialismus tun oder die sich im besetzten Gebiet als Beamte oder Arbeiter für den Wiederaufbau einsetzen. Es ist also so, daß irgend ein Lausejunge von der Straße mich ungestraft niederknallen darf, wenn ich nach seiner Meinung ein „Volksschädling“ bin. So hat man es dieser Tage schon mit dem Bürgermeister von Köln gemacht, der erschossen worden ist u. mit vielen anderen Beamten u. Arbeitern. Das ist nun freilich das Allerletzte, was unserem Lande noch blühen konnte: es bedeutet die Verherrlichung des untermenschlichen Verbrechertums. [...]

[4203]
Mittwoch, 4. April 1945.     

[4203]      Gestern früh 7 Uhr fuhren wir mit Spangenberg nach Prerow. Das Wetter war unsicher u. recht kalt. Mit uns fuhren Herr + Frau Degener u. Andreas v. Walter, später stiegen noch Frau Triebsch u. Frau Hoppe, eine alte Dame aus Ortelsburg dazu. Deren Tocher Frau Kupzek (oder so ähnlich) u. Frl. Nickstedt fuhren per Rad. Als wir über die Kuhweide zum Darss fuhren, stand ein prächtiger, doppelter Regenbogen im Westen, dessen eines Ende gerade auf der Spitze des Hohen Ufers ruhte.

     Wir kamen kurz vor 9 Uhr in Prerow an. In der Kirche, die übrigens ein wenig schönes Innere hat, stand eine lange Schlange von Menschen von der Sakristeitür an bis an das gegenüberliegende Ende. Diese Leute wollten alle noch beichten. Der Pfarrer kam bald heraus u. machte bekannt, daß es technisch unmöglich wäre, alle diese Beichten zu [4204] hören, – er hatte ja schon vor 8 Uhr angefangen. Hätte er alle diese Beichten gehört, dann würde es darüber Mittag geworden sein. So erklärte er, daß er allen vor der hl. Kommunion die General-Absolution erteilen würde, daß aber jeder verpflichtet sei, die Beichte bei passender Gelegenheit nachzuholen. – [...]

[4205]      Abends kamen dann Herr + Frau Dr. Krappmann. Er brachte eine Flasche franz. Sekt mit, die uns sehr willkommen war. Wir sprachen die Stituation nach allen Seiten durch u. obgleich er noch immer unschlüssig ist, was er mit seiner Familie machen soll, ging doch so viel aus unserer Unterredung hervor, daß er die Absicht hat, eine Kampfhandlung hier auf jeden Fall zu vermeiden. Er ist außerordentlich vernünftig u. wird alles tun, was in seiner Macht steht. Es ist ja noch durchaus nicht sicher, ob die Russen wirklich hierher kommen, oder die Engländer. [...]

[4206]
Sonntag, 8. April 1945.     

[...] [4206]      Die Andacht heute sehr voll, Flüchtlinge aus Niehagen. – Nach der Andacht kam Frau Dr. Daubenspeck u. berichtete, daß die neuerdings im Hause Monheim einquartierten Nachrichten-Helferinnen einer Marine-Artillerie-Abteilung, die im Kurhause jetzt untergebracht ist, die Schränke erbrochen haben u. den Inhalt an Wäsche u. sonstigen Gegenständen herausgenommen haben.

[4206]
Dienstag, 10. April 1945.     

[...] [4206]      Es ist kein Strom, wir können weder kochen noch Radio hören. Paul baut eben im Hintergarten einen Kochherd, – wie bei den Zigeunern.

[4207]
Donnerstag, 12. April 1945     

[4207]      Heute ist wiederum kein Strom. Gestern hatten wir nur morgens von 7 – 9 Uhr Strom. Es ist nun schon so der dritte Tag. Der Erfolg ist, daß die ganze Milch, die die Bauern in der Molkerei abliefern müssen, verdirbt u. daß es keine Butter gibt. Ebenso kann der Schlachter keine Wurst machen, der Frisör kann keine Haare schneiden. So ist es in unserem kleinen Dorf, wie mag es erst in der Stadt sein. [...]

[4207]      Heute morgen bei prächtigem Wetter im Garten das letzte Laub von der Straße im Rhabarber-Beet eingegraben u. nachher mit Paul die letzten schweren Buchenkloben, die wir kürzlich bekamen, nach hinten geschleppt. Holz haben wir nun sehr reichlich, es muß nun bloß gesägt u. gehackt werden. Am Gartenzaun [4208] blieb Frau Pastor Kumpf stehen u. brach in großes Wehklagen aus über die Ereignisse. Ich habe ihr geantwortet, daß es zum Klagen jetzt zu spät wäre. Sie hätte das alles früher bedenken müssen, anstatt Hitler zu wählen u. ihre Söhne in die SS zu stecken. Sie fragte, ob ich denn hier bliebe? Ich antwortete: natürlich bleibe ich hier; aber Sie als Nazi laufen natürlich davon, nachdem Sie uns in diesen Dreck gebracht haben. Wir müssen jetzt alle diese Suppe auslöffeln, die Sie uns eingebrockt haben, – u. wir klagen darüber nicht einmal; aber Sie klagen nun um so mehr! – [...]

[4209]
Sonnabend, 14. April 1945.     

[4209]      Gestern Brf. von Fritz, Nr. 17. vom 18.3.45. Er berichtet, daß der Stabsarzt den 2 Morgen großen Garten, der zu dem Zollhause gehört, in dem sie wohnen, bestellen läßt u. alle Mann sehr anstrengend beschäftigt sind. Nur er, Fritz, macht Innendienst u. holt das Essen mit einer Handkarre. Der Stabsarzt scheint wirklich ein recht vernünftiger Mann zu sein; zwar wird er nichts mehr aus diesem Garten ernten, aber diese Ernte wird anderen zugute kommen u. seine Leute sind nutzbringend beschäftigt u. lungern nicht herum. – Die Soldaten sind, – was mir schon bekannt war, instruiert worden, daß es als Fahnenflucht angesehen wird, wenn einer unverwundet in Gefangenschaft gerät, d.h. also, daß auch seine Familie in diesem Falle keine Unterstützung mehr bekommen soll. Diese Maßnahme ist aber glatter Unsinn. Es gehen jetzt täglich etwa 30000 Mann in die Gefangenschaft, – wie will man diese Fälle untersuchen? Es ist das genau so ein Bluff wie so vieles andere auch. – Fritz schreibt, daß die vielen Fahrzeuge, die die Divisionen früher abgeben mußten, jetzt im ganzen Schwarzwald verteilt im Walde stehen, weil man keine Unterstellräume mehr hat u. weil es weder Benzin noch Oel gibt. Die Fahrer sind als Schützen eingeteilt worden. [...]

[4210]
Montag, 16. April 1945.     

[4210]      Gestern Nachmittag Herr Deutschmann, ohne besondere Veranlassung. Vielleicht wollte er sich nur unsere Freundschaft sichern für die kommende Zeit. [...]

[4210]
Dienstag, 17. April 1945.     

[...] [4210]      Heute früh sind wieder neue Flüchtlinge eingetroffen, es sollen 165 Personen sein, u. zwar ärmstes Proletariat aus Stettin. Es ist unmöglich, diese Menschen unterzubringen. Martha ist mit Trude eben dabei, den Boden des kl. Hauses [4211] frei zu machen, da man uns benachrichtigt hat, daß auch wir Flüchtlinge aufnehmen müssen. Man hatte sogar die Absicht, die Leute in der Bu. Stu. auf Stroh zu legen, doch scheint man davon zunächst abgekommen zu sein. [...]

[4211]
Mittwoch 18. April 1945.     

[4211]      Einem Gerücht nach soll gestern von 4 – 6 Uhr Morgens Strom gewesen sein. Wir versuchten es heute früh u. hatten tatsächlich Erfolg. Wir hörten wenigstens den Soldaten-Sender. Als um 6 Uhr der engl. Sender anfing, setzte der Strom wieder aus. – So hörten wir also, daß Leipzig eingeschlossen ist. Der Truppenkommandant wollte die Stadt übergeben, aber der Nazi-Bürgermeister verlangte, daß gekämpft wird. So liegt diese Stadt, die ohnedies nur noch ein Trümmerhaufen ist, jetzt unter dem pausenlosen Artilleriefeuer u. den Bomben aus der Luft. In Nürnberg, wo nach Ruth's letzter Nachricht Erich ist, um die Verkehrsanlagen zur Sprengung vorzubereiten, wird gekämpft. Dresden liegt nur noch 25 km. vor der Front, Chemnitz ist umgangen. In dieser Gegend haben die Amerikaner die Tschechoslowakische Grenze erreicht. Der Brückenkopf südl. Magdeburg ist erweitert in Richtung Berlin. Es scheint so, als hätten die Russen bei Frankfurt die Oder überschritten, ebenfalls in Richtung Berlin, aber das ist nicht ganz klar, jedenfalls steht die Vereinigung der West= u. Ostfront jetzt dicht bevor, u. zwar südl. Berlin. Man wird nun bald nicht mehr von einer West= u. Ostfront sprechen können. – Gegen Hambg. sind die Engländer ebenfalls weiter vorgekommen, aber nicht so weit, wie gestern Gerüchte wissen wollten, die von Kämpfen bei Ludwigslust sprachen. Die Engländer scheinen ihre größte Anstrengung in Holland zu machen, um dieses Land zu befreien. – Der Gauleiter von Hamburg, Kaufmann, soll erschossen worden sein, weil er die Stadt übergeben wollte. – [...]

[4211]      Gestern zog also ein altes Ehepaar Meier im Boden des kleinen Hauses sein, mit ihrem Sohn, der etwa 45 Jahre alt sein mag u. einen etwas blöden Eindruck macht. Ich werde mich heute einmal um die Leutchen kümmern. [...]

[4212]
Donnerstag, 19. April 1945.     

[4212]      Nach wie vor haben wir nur von 4 – 6 Uhr Strom. Ich stand wieder auf, den Soldatensender zu hören, der über alle Dinge ganz merkwürdig gut unterrichtet ist u. dessen Sendungen überhaupt von einer sehr großen Lebendigkeit sind, – selbst die Tanzmusik, die er in den Pausen sendet, ist sehr amüsant. – Nach dieser Sendung hat ein Großangriff aus der Luft auf Helgoland stattgefunden, bei dem nicht weniger als 900 Flugzeuge beteiligt waren u. der eine Stunde gedauert hat. Der Angriff muß eine verheerende Wirkung gehabt haben. Ich nehme das als sicheres Zeichen, daß eine Landung über See nun unmittelbar bevorsteht. Vielleicht heute oder morgen, zum Geburtstage des Führers. [...]

[4212]      An der Ostfront scheinen die Russen nun im Raume östl. Berlins zum Großangriff übergegangen zu sein, doch ist nicht genau zu erkennen, wie weit sie vorgedrungen sind.

     Heute Abend um 815 Uhr wird Dr. Goebbels im Rundfunk zum Geburtstage des Führers sprechen, aber davon wird man nichts hören, weil kein Strom da ist. Es werden sich über diese Rede hauptsächlich die Deutschen in den besetzten Gebieten freuen.

     Der Führer hat wieder einmal ein Lebenszeichen von sich gegeben in Gestalt eines Tagesbefehls an die Wehrmacht der deutschen Ostfront. Darin heißt es, daß „die alten Männer u. Kinder (von den Russen) ermordet werden“, u. daß „Frauen u. Mädchen zu Kasernenhuren erniedrigt“ werden. „Der Rest marschiert nach Sibirien“. – Nach diesem Gefasel wird behauptet, daß alles geschehen sei, eine starke Front aufzubauen u. daß „eine gewaltige Artillerie“ den Feind empfangen würde, die Bolschewisten würden also diesmal vor Berlin „verbluten“. Sodann wird jeder ein Verräter genannt, wer „seine Pflicht nicht erfüllt“, Regimenter u. Divisionen, die das nicht täten, werden im voraus beschimpft. Hitler empfiehlt dann, auf verräterische Offiziere u. Soldaten zu achten u. er befiehlt, jeden Offizier, der Befehl zum Rückzug gibt, „sofort festzunehmen u. nötigenfalls augenblicklich umzulegen, ganz gleich, welchen Rang er besitzt“ – „Berlin bleibt deutsch, Wien wird wieder deutsch u. Europa wird niemals russisch“, – fährt er dann fort, um dann wenigstens mit einem Satz zu schließen, der wahr ist. Er lautet: „In dem Augenblick, in dem das Schicksal den größten Kriegsverbrecher aller Zeiten von dieser Erde genommen hat, wird sich die Wende dieses Krieges entscheiden.“ Das ist wahr. Sobald Adolf Hitler erledigt sein wird, wird auch der Krieg erledigt sein. [...]

[4213]
Sonntag, d. 22. Apr. 1945.     

[...] [4213] Heute früh um 4 Uhr hörte ich, daß die Russen unmittelbar vor Berlin stehen, u. zwar im Osten + im Süden. Es wird bereits in den Vororten gekämpft. Es heißt, daß bewaffnete Arbeiter in der Gegend Warschauer Brücke zum Aufruhr übergegangen seien. Polizeitruppen sind dagegen eingesetzt worden, doch sollen diese dann wieder zurückgezogen worden sein, wahrscheinlich, weil sie, wie ich annehme, sich geweigert haben werden, zu schießen. In Berlin u. überhaupt an der Ostfront sollen zahlreiche deutsche Offiziere, die sich bisher in russ. Kriegsgefangenschaft befanden, mit Fallschirm abgesetzt worden sein. Sie tragen ihre deutschen Uniformen u. organisieren den Widerstand gegen die Regierung. Weiter nördlich, besonders im Raume östl. Dresden sind die Russen ebenfalls mit starken Kräften vorgestoßen u. stehen dicht vor Dresden, sodaß eine Vereinigung mit den Amerikanern jetzt stündlich zu erwarten ist. Damit ist praktisch die Verbindung zwischen Nord + Süd unterbrochen. Für uns hier oben ist besonders wichtig, daß die Russen südl. Stettin die Oder überschritten haben. Man kann nun Wetten abschließen, wer zuerst hier bei uns sein wird, die Russen oder die Engländer. Die Engländer + Amerikaner müssen wohl erst ihren Nachschub organisieren, der schwierig sein muß, weil das Ruhrbecken die Hauptstraßen u. Eisenbahnen blockiert hat. Aber dieses Becken ist nun liquidiert. Im Süden sind die Amerikaner weiter vorgestoßen in den Schwarzwald hinein. Sie werden dort alles abschneiden, was noch am Oberrhein steht, also auch Fritz. Möge Gott ihn schützen. Eine Landung im Norden ist immer noch nicht erfolgt. –

     Gestern hat Kapitänlt. Dr. Krappmann seine Frau u. seine Kinder u. seine ganzen Habseligkeiten mit einem Lastauto von Bachmann abtransportieren lassen, irgendohin zwischen Kiel u. Lübeck. Er selbst ist gestern angeblich dienstlich nach Dänemark gefahren. Frl. Regina Treffer, die Nachrichten-Helferin, die heute wie meist in der Andacht war, erzählte, daß alle Helferinnen entlassen werden sollen; da aber alle ausgebombt sind u. ihre Familien irgendwo als Flüchtlinge leben, wissen sie nicht, wohin sie sollen. Von den Vorgesetzten sagte sie: „die reißen ja alle nach Dänemark aus“. Das ist der Eindruck, den die Leute haben, wenn ihre Offiziere jetzt plötzlich dienstlich in Dänemark zu tun haben. Immerhin wäre es ganz gut so, denn wenn die Soldaten führerlos sind, werden sie nicht kämpfen u. das wäre das Beste.

     Man kommt sich vor wie in einer Irrenanstalt, wenn man angesichts dieser Lage ausgerechnet gestern im Rost. Anzeiger die Rede von Dr. Goebbels zum Geburtstage des Führers liest u. die Wirkung beobachtet, die diese Rede auf einen Teil der Volksgenossen gemacht hat. Anstatt in schallendes Gelächter auszubrechen oder in empörte Wut, laufen die Weiber herum mit glänzenden Augen u. schwärmen wie brünstige Backfische von unserem Führer. „Die Frau des Bürger= u. Malermeisters“ Emil Gräff tut sich darin am lautesten hervor. Ich habe seit 1933 gelernt, daß dieses Volk wirklich unerlaubt dumm ist, aber wie dumm es ist, das sieht man erst heute. [...]

[4214]
Dienstag, 24. April 1945.     

[4214]      Gestern kursierten zwei Gerüchte: der Führer habe persönlich die Verteidigung Berlins übernommen u. Amerika hätte die Beziehungen zu Rußland abgebrochen u. Molotow, der auf dem Wege nach San Franzisko gewesen sei, sei zurückgerufen worden. Die Leute hier sahen bereits Amerikaner im Kampf gegen die Russen.

     Das erste Gerücht scheint sich zu bewahrheiten, der Soldatensender behauptete heute früh dasselbe. Goebbels u. Hitler seien in Berlin u. organisierten die Verteidigung. Die Russen sind jedoch bereits im Besitz der östlichen u. nördlichen u. südlichen Vororte: Weissensee, Lichtenberg, Lichterfelde usw. Weiter südlich sollen sie bei Mühlberg auch schon die Elbe erreicht haben. [...]

[4214]      Das zweite Gerücht bestätigt sich bisher nicht u. wird sich wohl auch nicht bestätigen, wenngleich auch die Differenzen zwischen Amerika u. Russland sich sehr zugespitzt haben. [...]

[4215] Gestern war Herr Gräff bei mir u. bat mich um die Anfertigung von zwei Schildern für eine „Panzer-Melde-Stelle“, die lt. Verfügung angebracht werden sollen. Dabei erzählte er mir eine mysterisöse Geschichte, die sich im Dorf ereignet hat. – Am Sonnabend ist der alte Garloff aus Born mit seinem Gespann nach Wustrow gefahren, um dort eine Kiste Butter abzuholen. Garloff hat sich zu seinem bisherigen Pferd ein neues zugelegt, das sehr wild sein soll. Garloffs Tochter war auch mitgefahren, aber auf dem Fahrrade. Auf dem Rückweg von Wustrow nach Born ist die Tochter vorausgefahren. Als sie im Darss in die Nähe der Drei Eichen kam, ist der Wagen mit den Pferden ohne den Vater u. auch ohne die Butterkiste ebenfalls dort angekommen. Die Tochter hat das Gespann angehalten, hat ihr Rad auf den Wagen geladen u. ist merkwürdigerweise nach Born weiter gefahren, ohne sich um den Verbleib des Vaters u. der Butterkiste weiter zu kümmern. – Prof. Reinmöller kam indessen von einem Spaziergang aus dem Darss zurück u. fand den alten Garloff tot am Wege liegen. Er benachrichtigte die Batterie, die die Leiche dann mit Fuhrwerk in den Schuppen auf unserem Friedhof brachte, von wo sie dann noch in der Nacht von Frau Garloff abgeholt wurde. Die Butterkiste blieb verschwunden. – Gräff benachrichtigte die Gendarmerie. Einer der Zollbeamten traf dann – ich weiß nicht wann – zwei Leute im Darss, die mit Geldzählen beschäftigt waren. Es kam ihm verdächtig vor u. da die Leute keine genügende Auskunft geben konnten, beschlagnahmte er das Geld, etwa 400,– Rm. Diese beiden Leute sind Flüchtlinge, die hier im Orte wohnen. Später sah derselbe Zollbeamte einen Althäger Fuhrmann mit einer Holzfuhre durch das Dorf kommen. Er hielt ihn an u. fand auf dem Wagen die Butterkiste, die der Fuhrmann mit seinem Rock zugedeckt hatte. Er gab an, dieselbe im Darss in der Gegend gefunden zu haben, wo die Ahrenshooper ihr Holz werben, wobei auffällig ist, daß der Althäger Fuhrmann in dieser Gegend nichts zu suchen hatte, da die Althäger in einer ganz anderen Gegend Holz werben. In der Butterkiste fehlten bereits etwa 8 Pfund Butter.

     Es kann nun ganz gut so sein, daß der alte Garloff einen Schlaganfall bekommen hat u. vom Wagen gefallen ist. Oder es kann auch sein, daß das neue, sehr wilde Pferd durchgegangen ist u. Garloff heruntergestürzt ist u. sich das Genick gebrochen hat. Es könnte dann die Kiste herabgefallen sein, irgend jemand hat sie gefunden u. versteckt, um sie später zu holen. Woher die Leute mit dem Gelde aber zu diesem Gelde gekommen sind, weiß man nicht. Jedenfalls ist die Geschichte noch sehr unaufgeklärt. [...]

[4216]

[4216]
Mittwoch, 25. April 1945.     

[4217]      Der Gauleiter von Stettin, Schwede-Coburg, eine der widerlichsten Typen dieser ganzen Bonzen, hat für sich u. seine Familie hier im Kurhause Zimmer bestellt. Es sollte zwar geheim bleiben, aber der ganze Ort weiß es. Vielleicht hat Ahrenshoop die Ehre, diesen Kerl an einem seiner Straßenbäume hängen zu sehen. [...]

[4217]
Donnerstag, 26. April 1945     

[...] [4218]      Heute baut uns ein Soldat einen Kochofen in der Waschküche. Deutschmann hat uns die eiserne Platte u. die sonstigen Zubehörteile beschafft, natürlich altes Material, doch ist es noch brauchbar. Nur fehlen uns leider noch die Ringe für die Kochlöcher. [...]

[4218]
Freitag, 27. April 1945.     

[...] [4218]      Unser Ofen in der Waschküche ist heute morgen fertig geworden. Wir haben nun auch Ringe für das kleinere Ofenloch bekommen, nur für das größere fehlen sie noch.

     Heute früh hörten wir als Wichtigstes, daß Hermann Göring wegen „Herzkrankheit“ seine Aemter niedergelegt [4219] hat. Damit ist also, der „beste Mann“ u. „der getreueste Vasall“ u. „mein Freund Goering“ ausgeschieden; aber er wird sich damit nicht retten. Hitler scheint tatsächlich in Berlin zu sein, ebenso Goebbels. Wo Himmler steckt, weiß man nicht. Nachdem er jetzt seine SS u. Gestapo u. die Polizei nicht mehr besitzt, ist er eine bedeutungslose Figur geworden. Bormann, Ley u. einige andere sollen in Süddeutschland sein, wo überhaupt die Masse der prominenten Pg's. zu stecken scheint, aber die Bevölkerung ist sehr unsicher geworden. [...]

[4219] Gestern Nachmittag war Frau Korsch da u. erzählte mir, daß ihr Herr Wituchter folgendes aus eigener Erfahrung berichtet habe: irgendwo im Osten sind einige Krankenschwestern zurückgeblieben u. in russ. Hände gefallen. Alle sind von den Russen höflich u. respektvoll behandelt worden, keiner ist ein Haar gekrümmt worden, auch wurde ihnen nichts gestohlen, sondern sie sind von den Russen gut verpflegt u. in jeder Weise versorgt worden. [...]

[4219] Die Stadt wurde dann für kurze Zeit wieder von den Deutschen zurückerobert. Die Russen haben sich freundlich von den Schwestern verabschiedet. Als dann die Deutschen kamen, mußten die Schwestern zu Fuß nach dem Westen abmarschieren, – sie wären viel lieber dort geblieben. [...]

[4219]
Sonnabend, 28. April 1945.     

[4219] In Berlin wird immer noch gekämpft. Das Linden=Viertel, Leipzigerstraße, Tiergarten scheinen noch in unserem Besitz zu sein. Das Elend unter der Bevölkerung, die keine Nahrungsmittel hat, nicht kochen kann u. das Wasser aus der verseuchten Spree u. dem Landwehrkanal nehmen muß, ist furchtbar, aber diese gewissenlose Bande kämpft weiter. – Bremen ist jetzt gefallen. Im Süden dringen die Amerikaner weiter auf München vor, Regensburg soll genommen sein. Sie sind bereits [4220] über Passau hinaus u. gehen auf Linz los, wo die Grenze ungefähr zu liegen scheint, bis wohin die Russen gehen wollen. Die Italienfront ist völlig zusammengebrochen, die Amerikaner, bzw. ital. Partisanen sind bis zum Gardasee durchgestoßen u. haben unsere Truppen südlich der Schweiz abgeschnitten. Nur was im Raume Venedig steht, hat noch Verbindung nach Süddeutschland. Hier oben sind die Russen in Prenzlau u. Angermünde. Am Gardasee sind Mussolini, Graziani u. die anderen fazistischen Führer von den Partisanen gefangen genomen worden. –

     Bei uns beginnt nun das große Sterben unter den Nazis. Der Gauleiter von München soll sich erschossen haben, weil er den Kampf einstellen wollte, während die übrigen Führer der Partei weiter kämpfen wollen. Der Reichsprotektor der Tschechei Frick hat seinen Rücktritt von seinem Posten angemeldet, ebenso die Reichsminister: Wirtschaftsminister Funk u. Herr Lammers. Auf Herm. Goering wird jetzt tüchtig geschimpft: er habe ein Wohlleben geführt, anstatt sich um die Luftwaffe zu kümmern. Von Herrn Himmler hört man überhaupt nichts mehr. Bis jetzt haben wir hier noch keine Lebensmittelkarten für die neue Periode bekommen, ab Montag haben wir kein Brot mehr.

     Die Familie des Gauleiters Schwede-Coburg soll gestern per Auto hier eingetroffen sein. Es mußte für sie das Haus von Dr. Lewerenz geräumt werden, die dort wohnenden Flüchtlinge mußten raus u. anderwärts notdürftig untergebracht werden. Eben sagt mir Martha, daß der Ortsgruppenleiter im Dorfe sein soll, um sämtliche Häuser selbst nachzusehen u. um festzustellen, wo seiner Meinung nach noch Platz ist für neue Flüchtlinge. Selbstverständlich würde im Hause Dr. Lewerenz noch Platz sein, wenn die Familie des Herrn Gauleiters zusammenrückte, aber dort wird dieser Lümmel schon nicht hingehen. – [...]

[4220]      Unser neuer Ofen in der Waschküche scheint gut zu funktionieren. Es wird eine erhebliche Erleichterung sein.

     Kapitänlt. Dr. Krappmann ist von seiner Dienstreise noch nicht zurück. Er wollte am Donnerstag schon hier sein. Man beobachtet das natürlich argwöhnisch. – [...]

[4220]
Sonntag, 29. April 1945.     

[4220]      Heute früh gab der Soldaten-Sender bekannt, daß Himmler der engl. u. der amerikan. Regierungsvertretung auf der Konferenz in San-Franzisko die bedingungslose Kapitulation Deutschlands angeboten habe. Das Angebot ist über das schwed. Rote Kreuz in Stockholm vermittelt worden. England + Amerika haben das Angebot zur Kenntnis genommen u. geantwortet, daß ein solches Angebot nur Berücksichtigung finden könne, wenn es zugleich auch an Rußland gerichtet würde. [...]

[4221]      Ich habe heute in der Andacht, die so überfüllt war wie noch nie, zu Beginn meiner Ansprache die Sache verkündet. [...]

[4221] Die Begeisterung war ganz groß u. wir schmetterten zum Schluß das Lied: „Ein Haus voll Glorie schauet ...“ [...]

[4221]      Gestern war der Ortsgruppenleiter von Prerow hier, um für neue Flüchtlinge Quartiere zu suchen. Der Kerl hatte den Mut, in seiner Erbswurstfarbenen Uniform zu erscheinen u. sogar auf der Dorfstraße eine Ansprache an das Volk zu halten. Der Kerl ist Bahnhofs-Vorsteher in Prerow. Die Wohnungs-Suchkommission, bestehen aus diesem „Goldfasan“, Herrn Deutschmann, Frau Gräff u. Frau Booth, hat aber unser Haus nicht betreten, woraus hervorgeht, daß wir uns doch eines sehr großen Wohlwollens im Orte erfreuen. Ohne dieses wären wir ganz bestimmt noch belegt worden.

     Prof. Reinmöller machte sich gestern an Martha auf der Straße heran, um ihr mitzuteilen, daß er eine besondere Hochachtung vor mir habe, weil ich in diesen 12 Jahren niemals meine Einstellung gegen den Nationalsozialism. geändert oder auch nur verborgen hätte. Es scheint, daß dieser Schwätzer jetzt sich anbiedern will. [...]

[4222]
Montag, 30. April 1945.     

[4222]      Gestern am späten Nachmittag große Aufregung: es wurde bekannt, daß in Althagen ausgeklingelt worden war, daß das ganze Fischland innerhalb von 5 Std. geräumt werden solle. Nur wehrfähige Männer sollten dableiben. Diese Nachricht war einfach unfaßlich, denn es war ja nicht einzusehen, wohin diese Leute gehen sollten. Dennoch bewahrheitete sich die Nachricht. Zwar hörte ich, daß Leute wie Koch-Gotha, Frau Müller-Bardey u. Frau Noelle sich weigern wollten, der Anordnung Folge zu leisten u. ich kann mir schlechterdings nicht vorstellen, daß die Bauern u. Büdner der Anordnung nachgekommen sein sollten; aber man kann nicht wissen, mit welchen Gewaltmaßnahmen die Leute gezwungen werden. Jetzt eben ist es 1/2 10 Uhr u. unsere Trude ist noch nicht hier, sie kommt sonst spätestens um 1/2 9 Uhr. Sollten die Menschen wirklich zum Verlassen ihrer Heime gezwungen worden sein, so wäre das noch zum Schluß das größte Verbrechen, das von diesem idiotischen Gauleiter Hildebrand begangen worden ist. Die Leute würden auf die Landstraßen getrieben als wehrlose Beute der Tiefflieger u. es wäre nirgends auch nur die Möglichkeit, diesen Leuten eine neue Unterkunft zu geben. Der Obergefr. Mehlis war bei uns u. berichtete, daß man in der Batterie von dieser Maßnahme der Partei nichts gewußt hätte. Er berichtete aber auch weiter, daß ab heute der Darss von der SS vollständig abgesperrt sei, sodaß niemand von hier nach Born oder Prerow gelangen kann. Auch davon wußte die Batterie nichts, es ist ihr nichts mitgeteilt worden. Es ist offenbar, daß im Darss schon seit längerer Zeit geheimnisvolle Dinge vor sich gehen. – [...]

[4223]      Um alle Aufregungen voll zu machen, erschien gestern Herr Dr. Ziel bei mir grade in dem Augenblick, als hier die Evakuierung des Fischlandes bekannt wurde. Er wollte mich allein sprechen. Er teilte mir mit, daß einige Leute in Ahrenshoop, unter ihnen Herr Dr. Hahn, die Absicht hätten, unsichere Elemente wie Prof. Reinmöller, Siegert u. a. im Falle, daß die Russen anrücken sollten, dingfest zu machen. Sie wollten in diesem Falle in deren Häuser eindringen u. sie mit vorgehaltenem Revolver zwingen, untätig zu bleiben, da sie besorgt sind, daß diese Leute irgendwelche Dinge gegen die Russen unternehmen könnten, die dann für das ganze Dorf schlimme Folgen haben könnten. Die Absicht ist gut gemeint, aber nicht weniger töricht als das, was diese Leute verhindern wollen. Ein Reinmöller wird sich keinesfalls von einem vorgehaltenen Revolver imponieren lassen u. es ist dann unvermeidlich, daß daraus Folgen entstehen, die garnicht abzusehen sind. Das ist um so schlimmer, als es höchst unwahrscheinlich ist, daß diese Leute wie Reinmöller, Siegert usw. überhaupt etwas unternehmen werden. Die ganze Sache ist Torheit u. eine Idee, die aus Angst u. Aufregung geboren ist. Ich habe Herrn Dr. Ziel gebeten, zu Herrn Dr. Hahn zu gehen u. ihn so eindringlich wie möglich zur Vernunft zu rufen. Ich habe ihm gesagt, daß ich, falls Herr Dr. Hahn sich von diesem törichten Plan nicht abbringen lassen würde, leider darauf verzichten müsse, ihn weiterhin bei meinen Mittwoch-Vorträgen zu sehen. Ich bin nämlich besorgt, daß, wenn diese Aktion fehl schlagen sollte, womit sehr zu rechnen ist, alle Vernünftigen sich gegen diese Leute stellen werden, ja daß dann Leute wie Deutschmann sogar gezwungen sein werden, gegen sie Maßnahmen zu ergreifen. Sollte durch irgendeinen unglückl. Zufall bei der Sache Blut fließen oder gar ein Leben verloren gehen, dann wird sich die Stimmung gegen diese Leute richten u. damit wären dann alle gefährdet, die mit diesen Leuten irgend welche Beziehungen unterhalten. In meinem Falle würde man sofort sagen: aha, die Katholiken! u. alle Katholiken kämen in Gefahr oder mindestens in Unannehmlichkeiten. – [...]

[4224]      Eben höre ich, daß der Evakuierungs-Befehl für das Fischland gestern Abend noch rückgängig gemacht worden ist u. alles beim Alten bleibt. Das Ganze war also wieder mal nichts weiter als alberner Quatsch des Gauleiters Hildebrand, der nichts weiter zur Folge hatte, bis jetzt noch ruhige Menschen in Aufregung zu stürzen.

Ahrenshoop, Mai 1945

[4301]
Dienstag, 1. Mai 1945.     

[4301]      Dieses neue Heft beginnt mit der Notiz, daß jetzt stündlich der Abschluß des Waffenstillstandes zu erwarten ist. So gab es jedenfalls heute früh der Soldatensender zu. Graf Bernadotte vom schwed. Roten Kreuz ist in der Nacht vom Sonntag zu Montag in Apenrade mit Himmler zusammengetroffen u. hat das erneute Angebot bedingungsloser Kapitulation an alle drei Verbündeten entgegengenommen. Er ist dann sofort nach Stockholm zurückgeflogen u. hat das Angebot weitergeleitet. – [...]

[4302]      Für uns war die Kapitulation der letzte Augenblick. Die Russen waren gestern bereits in Greifswald, sie werden heute in Stralsund sein u. morgen in Ribnitz. Es wäre immerhin möglich gewesen, daß es dann auch bei uns zu Kampfhandlungen gekommen wäre, da Kapitänlt. Dr. Krappmann nicht mehr hier ist u. der junge Kapitänlt., welcher aus Swinemünde mit seinen Soldaten im Kurhause liegt, ein etwas dummer Mensch ist, der am Ende Dummheiten gemacht hätte. –

     Eben um 10 Uhr kam Dr. Ziel, um die Dinge zu besprechen u. sich Rat zu holen, wie er sich verhalten solle, da er schon seit 2 Monaten keine Pension mehr bekommen hat. Ich beruhigte ihn u. meinte, daß er gewiß seine Pension wieder bekommen, würde, sobald die Lage geklärt sei. – Ferner wiederholte er, was uns schon vorher erzählt worden war, daß den Soldaten der Batterie gesagt worden sei, sie würden heute Mittag um 12 Uhr entlassen u. jeder solle zusehen, wo er bleibe.

     Während wir sprachen, kam Frau Ziel sehr aufgeregt u. sagte, es sei alles garnicht wahr, ein Soldat habe es gesagt, außerdem seien die Russen schon in Ribnitz, welches in Flammen stünde. Ich glaubte das nicht u. beruhigte die aufgeregte Frau. Zum Glück kam dann auch der treue Mehlis und gab uns richtige u. sachliche Auskunft. Danach ist die Batterie heute Nacht um 3 Uhr alarmiert worden, die Leute mußten angekleidet liegen. Heute sei ihnen nun bekannt gegeben worden, daß alle Geräte zerstört u. die Geschütze unbrauchbar gemacht werden sollten. Die 5. Kompanie, das ist die Kompanie, die im Kurhause liegt, würde tatsachlich um 12 Uhr entlassen, jeder soll sehen, wo er bleibt. Ihnen selbst, der alten Batterie, sei von der Entlassung noch nichts bekannt, was wahrscheinlich daher käme, weil sie eben noch die Zerstörungen vorzunehmen hätten. Dagegen sei die SS, die bisher ihr geheimnisvolles Wesen im Darss getrieben hätte, heute Nacht mit ihren vollgepackten Panzern abgehauen, sie wären an der Batterie vorbeigefahren. Auch die Soldaten in Zingst wären gestern schon entlassen worden. Mehlis selbst war eben im Begriff, den letzten Befehl nach Darsser Ort zu bringen. Er wird bei dieser Gelegenheit feststellen, ob der Darss noch immer gesperrt ist u. ob in Prerow noch Soldaten sind. Auf der Rückfahrt wird er uns Bescheid geben. [...]

[4302]      Gestern Abend flogen hier uralte Flugzeuge an der Küste entlang Richtung Kiel. Wahrscheinlich wurden diese alten Kästen für irgendwelche Leute zur Flucht benutzt. Heute fahren die merkwürdigsten Fahrzeuge an der Küste entlang Richtung Kiel. Es scheint, daß alles, was schwimmen, kann benutzt wird, um nach dem Westen zu entkommen. Eben fuhr ein Lazarettschiff mit einer Rote-Kreuz-Flagge vorbei.

     Im Dorf stehen die Leute vor den Geschäften Schlange, um einzukaufen, was sie noch kriegen können. –

     Gestern kam ein Feldwebel von der 5. Kompanie, um zu bitten, daß unser Auto, welches bei Monheim steht, in die [4303] Garrage von Mc Dornan gebracht werden könne. Wir gaben ihm den Autoschlüssel. Ich fürchte sehr, daß die Leute sich des Autos zur Flucht bemächtigen werden. –

Nachmittags 3 Uhr.

     Die SS fuhr Mittags mit Autos, Kübelwagen u. Lastwagen hier durch. Vier Kübelwagen standen lange vor der BuStu., die Offiziere, die darin saßen, hatten ihre Frauen oder Weiber mit sich. Die Lastwagen vollgepackt mit Mannschaften u. Weibern. Eines der Autos fuhr später wieder zurück, während die anderen Richtung Ribnitz weiterfuhren. Dieser eine Wagen ist eben wieder gekommen u. steht wieder vor der BuStu. Man hat nie geahnt, daß im Darss so viel SS steckt. Auch zu Fuß u. per Rad zogen Soldaten vorbei, manche mit kleinen Wagen, die aus alten Fahrrädern zurecht gemacht waren, denn alle schleppten viel Gepäck. Auch der Treck von Brandt, der nebenan im Hause Dohna gewohnt hatte, ist abgehauen mit zwei großen Lastwagen mit Zugmaschinen davor u. einer Kutsche mit seinen zwei Pferden. – Es war irgendwoher gesagt worden, daß die Kanonen der Batterie um 12 Uhr mittags zerstört werden sollten, ob es geschehen ist, weiß ich nicht.

     Eben aber kommt Agnes Borchers sehr aufgeregt von Bernh. Saatmann herüber u. gleich darauf Frau Daubenspeck noch viel aufgeregter. Sie erzählten, es sei bei Bernh. S. ein Zollbeamter gewesen, der berichtet hat, daß die Russen z. Zt. in Marlow seien u. daß die Batterie den Befehl bekommen habe, sich selbst zu verteidigen. Er habe gesagt: „Das hat euch grade noch gefehlt!“ – Nun, ich habe den beiden gesagt, sie sollten nicht auf jedes Geschwätz hören u. sich nicht überflüssig aufregen. – Herr Soehlke war Mittags auf der Straße u. sagte mir, daß zufällig ein neuer Marine-Oberlt. bei der Batterie sei, der hier dienstlich zu tun gehabt hat u. nicht wieder weggekommen ist. Dieser ist dienstälter als der Oblt. Quast, welcher jetzt die Batterie führt u. er soll ein verständiger Mann sein, der geäußert hat, er garantiere dafür, daß die Batterie keinen Schuß abgeben werde.

     Um 4 Uhr nachm. fahren immer noch hoch bepackte Lastwagen, anscheinend zur Flag in Zingst gehörend, durch den Ort, ebenso immer noch Kübelwagen der SS, auch ein großer, schnittiger u. sehr eleganter Personenwagen mit höheren Offizieren. Flag-Offiziere u. Soldaten gehen bescheiden zu Fuß, die Soldaten allerdings in übler Form, teilweise haben sie sich Zivil besorgt. Viele übel aussehende Weiber sind dabei. Frl. Reg. Treffer war bei Martha. Sie geht mit einer Kollegin zu Fuß nach Warnemünde, denn alle Helferinnen sind entlassen worden. Die Soldaten sind jedoch noch nicht entlassen.

Nachm. 6 Uhr.

     Mehlis war wieder da u. berichtete, daß der junge Kapitänlt. Wegener das Kommando übernommen habe. Er habe die Soldaten antreten lassen u. eine Rede gehalten, daß sie doch deutsche Soldaten seien u. das Vaterland lieben müßten u. was dergl. Phrasen mehr sind, – u. daß sie sich eben verteidigen müßten, wenn die Russen kämen. – Die Soldaten sind einschließlich der Unteroffiziere + Feldwebel außer sich vor Wut u. wollen alles tun, um einen Schießbefehl zu sabotieren. Er verriet mir, daß die Absicht bestünde, die Schlagbolzen ins Meer zu werfen. Man wird nun abwarten müssen u. hoffen müssen, daß dieser Narr irgendwie zur Vernunft kommt, bzw. daß ihn endlich ein Befehl seiner vorgesetzten Dienststelle erreicht, die Waffen niederzulegen. – Mehlis sagte, daß der ganze Darss noch voller Lastwagen stecke, die nach u. nach von Raupenschleppern herausgeholt werden müssen. Die Soldaten der Batterie sind natürlich wütend, denn [4304] sie sehen ja die ganze Flag u. die SS an ihrem Lager vorbeimarschieren, während sie selbst da bleiben sollen, um eventuell sogar noch zu schießen.

     Der Bursche von Dr. Krappmann hat Sachen von Dr. K. zur Aufbewahrung gebracht, sowie den Kinderwagen, den wir für Eva leihen wollen.

[4304]
Mittwoch, 2 Mai 1945.     

[4304]      9 Uhr Morgens. Der gestrige Abend verlief noch etwas dramatisch. Der Zug der flüchtenden Truppen aus dem Darss wurde gekrönt durch einen im Leichenzugtempo daherkommenden Zug der Strafgefangenen, die in Born untergebracht waren unter SS-Bewachung. Voraus fuhr ein hoch getürmter, verdeckter Wagen mit zwei kleinen, weißen Panje-Pferden. Oben auf dem Verdeck saß neben dem Kutscher ein Mensch mit blau-weiß gestreiftem Sträflingsanzug u. spielte sehr gut auf einer Ziehharmonika. Dann kamen die Sträflinge, alle in derselben Sträflingskleidung, den Beschluß machten SS-Leute als Bewachung, die ebenso gemein aussahen wie die Sträflinge selbst.

     Gegen 8 Uhr kam Regina Treffer sehr aufgeregt u. berichtete, daß alle Soldaten entlassen seien u. daß um 9 Uhr die Batterie gesprengt werden würde. Das war gewiß sehr erregend, denn wenn sich das bewahrheitet hätte, wären die Dörfer Alt= u. Niehagen u. Ahrenshoop zusammengestürzt. Zum Glück kam Mehlis auch noch u. sagte, daß nur die Geschütze unbrauchbar gemacht würden, die Munition würde nicht gesprengt. Allerdings wußte er es auch nicht genau, er hatte nur den Oberfeldwebel gefragt u. der hatte gesagt, er glaube nicht, daß die Munition gesprengt werden würde. Verrückterweise hatte nämlich die Batterie grade gestern neue Munition erhalten.

     Einesteils war diese Nachricht ja gut, weil dann eben nicht geschossen würde, andererseits konnte die Sprengung auch allerhand Unglück anrichten. Ich ging vorsichtshalber zu den Nachbarn u. sagte, daß alle Fenster geöffnet werden sollten. Inzwischen kamen drei Marine-Helferinnen vom Hause Monheim u. baten flehentlich um Unterkunft. Sie hatten Angst, alle 12 Helferinnen im Monheimschen Hause zu bleiben, weil der Russe ja dann sofort merken würde, daß sie Marine-Helferinnen waren. Nun wollten sie gern unauffällig untertauchen. Wir schickten sie zunächst zurück, da der Russe kaum in dieser Nacht ankommen würde u. bestellten sie für heute Morgen. –

     Inzwischen kamen viele der Autos der SS wieder zurück. Sie waren nur bis Ribnitz gekommen, der Russe war bereits im Anmarsch. Ein höherer SS-Offizier war arg zugerichtet. Es wurde erzählt, daß er in Ribnitz angeordnet hätte, Panzersperren zu errichten u. Ribnitz zu verteidigen, aber er habe von der Bevölkerung furchtbare Prügel bezogen.

     Um 1/2 9 Uhr hörte man dann die ersten Detonnationen von der Batterie her, wo sie anfingen, die Geschütze zu zerstören. Die Detonnationen waren nicht stärker als gewöhnliches Uebungsschießen. Da dann nichts weiter erfolgte, schloß ich um 1/2 10 Uhr wieder die Fenster. Martha u. ich saßen mit Paul im Seezimmer, als es einen starken Lichtschein gab u. darauf eine Detonnation, daß unser ganzes Haus schwankte wie ein Schiff. Dennoch waren nirgends Fensterscheiben kaputt gegangen. Am Himmel stand eine riesige schwarze Rauchsäule. Ich ging mit Martha runter, um zu sehen, ob auch an der BuStu. nichts passiert sei. Es war hier eine Schaufensterscheibe rechts neben dem Eingang kaputt gegangen, sonst war alles in Ordnung. Als wir noch dort standen gab es eine zweite Explosion von nicht minderer Heftigkeit, die der [4305] Scheibe den letzten Rest gab, sonst aber auch keinen neuen Schaden anrichtete. –

     Das ganze Dorf war natürlich auf der Straße. Ich ging noch zur Dühne, um durch das Glas den Brand des Göring'schen Jagdhauses im Darss zu beobachten, der sich bedrohlich ausgedehnt hatte. Während der Nacht ist er dann aber doch erloschen, da es etwas zu regnen anfing u. das Holz überhaupt feucht war vom Regen der letzten Tage. – Der Brandt'sche Treck kam im Laufe des Abends auch wieder zurück.

     Ich legte mich schließlich halb angezogen schlafen. Man hörte noch lange Detonnationen bis nach Kiel hin u. immer noch Autos, aber sonst ereignete sich nichts mehr. Leider gab es aber auch keinen Strom mehr. Die letzten Nachrichten hatten wir gestern früh zwischen 4 – 6 Uhr, seitdem war es mit dem Strom aus.

Heute früh um 7 Uhr hieß es, daß Russ. Panzer kämen. Bei Reichert-Saatmann stand bereits eine lange Schlange, die sich sofort eiligst verflüchtete. Es kamen dann wieder die drei Helferinnen aus dem Monheimschen Hause, die wir zunächst in der BuStu unterbrachten. Inzwischen hat Martha sie wieder los werden können, da Ilse Schuster-König sich bereit erklärte, sie aufzunehmen. Regina Treffer kam ebenfalls mit einer Kollegin, beide brachten wir im kleinen Hause in der Schneiderei unter. Dann kam Mehlis, dem wir die Kammer im Dach anboten, dazu bekam er den blauen Anzug von mir, den ich bisher noch immer als Sonntagsanzug getragen habe u. abgelegt habe, seitdem ich den neuen Anzug von Frau Mazurek bekam. Mehlis erzählte, daß ein russ. Panzer-Spähwagen in der Nacht bei der Batterie vorgefahren sei u. sich sehr höflich erkundigt hätte, was los sei. Nachdem man ihm gesagt hatte, daß die Batterie gesprengt worden sei, hat er höflich gedankt u. ist wieder Richtung Ribnitz zurückgefahren.

     Die Bevölkerung hat in der Nacht die Essenvorräte der Batterie geplündert. Es soll dabei toll zugegangen sein.

11 Uhr Vorm. Frau Margot Seeberg war hier um mich zu bewegen, mit Herrn Dr. Ziel zusammen den Bürgermstr. Gräff abzusetzen u. die Geschäfte zu übernehmen. Zufällig kam Herr Ziel dazu. Ich hatte die Sache sofort abgelehnt u. Ziel tat dasselbe. So war diese Unterredung nur kurz. Frau Seeberg versuchte, uns noch zu überreden, aber wir sagten beide, daß wir garnicht daran dächten, unaufgefordert irgendetwas derartiges zu tun. Es wäre auch völlig sinnlos, denn Ziel wie ich sind in den Augen der Russen auch nur Bourgois. Der Bürgermeister soll von sich aus sehen, wie er mit den Russen fertig wird, – u. die Russen selbst können dann ja sagen, was sie wollen, – es läßt sich dann immer noch darüber reden. Vor der Hand werde ich mich hüten, auch nur das Allergeringste zu unternehmen, u. wenn etwas Derartiges an mich herantreten sollte, werde ich auch dann nur im äußersten Falle mich zur Verfügung stellen, also nur in dem Falle, wenn ich damit den ganzen Ort vor einer ernsten Gefahr retten kann.

     Sehr freute es mich, daß Ziel fragte, ob heute Abend der Vortrag stattfinden würde. Ich bejahte es, falls nicht höhere Gewalt den Vortrag verhindern sollte.

     Die Russen sind über Ribnitz nach Rostock weiter[1] vorgedrungen, vorläufig interessieren sie sich offenbar garnicht für uns.

     Frau Seeberg war über Nacht in Müggenburg, wo es elektr. Strom gab. Sie hat den hamb. Sender gehört, der bekannt gegeben haben soll, daß Hitler tot sei.

[4306]
Donnerstag, 3 Mai 1945.     

[4306]      9 Uhr vorm. Heute früh sind die Russen hier durchgekommen. Gestern war der ganze Tag ruhig, nur unsere Soldaten, die sich irgendwie mit Civilkleidern versorgt hatten, zogen den Weg zurück in den Darss, bzw. verteilten sich sonst in den Häusern. Es waren viele SS-Leute darunter, die gefährlich aussahen. [...]

[4306] Abends zum Vortrag waren nur Herr + Frau Ziel u. Frl. Wernecke zugegen, alle anderen brachten die innere Ruhe dazu nicht auf. Herr Ziel war am Tage in der Batterie gewesen, die von Soldaten u. Bevölkerung total ausgeplündert war. Es muß dort furchtbar ausgesehen haben, man hat dort wüst gehaust. Die Baracken sind total demoliert, alles ist kurz u kleingeschlagen, Lebensmittel sind geplündert. Ziel hat in der total zerstörten Apotheke allerhand kostbare Heilmittel u. Medikamente sicher gestellt, um sie der Apotheke in Ribnitz zu geben, die diese Sachen dringend braucht.

     Um 7 Uhr heute früh kamen die ersten Reiter durch das Dorf, dann ein bespannter Lastwagen u. allerhand Soldaten, die in die Häuser gingen u. Uhren klauten. Ich war noch beim Ankleiden. Sie waren bei uns im Hause, aber nur in der Diele, wo Paul mit ihnen verhandelte u. gleich seine Armbanduhr los wurde. Als ich runter kam, war das schon vorbei. Ein Soldat kam vom Boden des kleinen Hauses, wo Meiers wohnen, aber er hat dort nichts genommen. Ich schenkte ihm Cigaretten u. er war zufrieden. Andere waren in der BuStu gewesen, wo sie aber nichts fanden. Bei Bernh. Saatmann nahmen sie auch die Uhr weg, bei Papenhagen fanden sie nichts, wollten aber Gläser haben, um Schnaps zu trinken u. gaben auch Carl Papenhagen davon ab. Schließlich zogen sie weiter. Aber bald nacher kamen andere Kolonnen, Reiter, Beutewagen u. Pferde, Radfahrer. Räder werden den Leuten einfach abgenommen. Meist fahren die Kolonnen im scharfen Trabe durch, einige halten u. sehen zu, ob sie noch etwas klauen können, aber im allgemeinen sind es ganz gutmütige Kerle, wenn man berücksichtigt, daß Troßleute niemals u. in keiner Armee Elitesoldaten sind. [...]

[4306]      Der Troß reißt aber kaum ab. Es kommen immer neue Abteilungen. Einige der Soldaten sind schwer betrunken, aber abgesehen vom Klauen ist es noch zu keiner Unregelmäßigkeit gekommen. Die Olga von Seebergs, die ja Russin ist, will wissen, daß diese Abteilungen alle nach Prerow fahren, wo die 2. russ. Armee stehen soll. [...]

[4307]      Eben war Herr Ziel hier, der gehört hatte, mir sei die Uhr abgenommen worden. Ich sagte ihm, daß das nicht der Fall wäre u. wir überhaupt bisher kaum Unannehmlichkeiten gehabt hätten. Bernh. Saatmann mußte seine Lederweste ausziehen, auch Herr Gerdes hat seinen Rock hergeben müssen, in dem seine Brieftasche mit Geld u. den Papieren war. Es ist das eine große Ungeschicklichkeit von Gerdes gewesen, er hätte seine Brieftasche sicher wieder bekommen können. – Der dumme Sohn von Frau Gess hatte einen Revolver gehabt, mit dem er renomiert hatte. Der ukrainische Schuster, den wir seit einiger Zeit im Dorfe haben, hat ihn denunziert. Der Bengel hatte den Revolver aber irgendwo ins Wasser geworfen u. das wurde ihm nun nicht geglaubt. Da er es nicht beweisen konnte, wäre es beinahe zu einem ernsten Zwischenfall gekommen, wenn nicht der Kutscher von Brandt, der russisch kann dazwischen gekommen wäre. – Auch Paul hatte übrigens eine altmodische Pistole, die er den Leuten gleich ausliefern wollte, aber sie wollten das alte Dings nicht haben. – Im Kurhause haben die dort wohnenden Soldaten grade beim Frühstück gesessen, als die Russen kamen. Die Russen haben ihnen aber nur gesagt, sie würden bald alle wieder nachhause fahren können, es würde bald wieder die Eisenbahn fahren u. elektr. Strom würde es auch bald wieder geben.

[4307]
Freitag, 4. Mai 1945.     

[4307]      9 Uhr vorm. Gestern erschossen sich Herr + Frau Siegert auf ihrem Felde. So endete das Nazi=Leben dieser Frau, die uns alle hier seit 12 Jahren mit ihrem Fanatismus verrückt gemacht hat u. eine dauernde Gefahr war für jeden, der nicht Nazi war.

     Der Nachmittag verlief gestern sonst ruhig, aber Abends gegen 9 Uhr traf wieder ein Tross ein, der genau vor unserem Hause anhielt. Das Haus war verschlossen. Zwei junge Burschen von 16 – 17 Jahren rüttelten an den Türen. Ich ging raus u. verhandelte mit ihnen. Sie wollten Schnaps. Ich gab ihnen Zigaretten u. wie sie schließlich begriffen hatten, daß kein Schnaps da war, zogen sie wieder ab. Ich hatte vorher mit Paul die Reste unseres Weines aus dem Keller geschafft, weil damit zu rechnen war, daß wir Einquartierung bekämen Es kam dann ein Leutnant, der sich aber nur etwas aufwärmen wollte. Er war enttäuscht, daß es nicht sehr warm war. Er setzte sich reichlich ungeniert u. etwas flegelhaft bei Paul ins Zimmer an das Fenster. Bald kam ein junger Soldat ans Fenster u. rief, daß der „Kapitan“ da wäre, worauf der Herr Leutnant eiligst verschwand. Es wurde dann drüben bei Permin die Einfahrt geöffnet u. der ganze Troß zog dort hinein. Es war dann bald Ruhe auf der Straße, nur einzelne Leute gingen dann u. wann umher. Ich selbst postierte mich ans Fenster in der Mansarde, wo ich bis 1/4 nach 12 Uhr Wache hielt. Da sich nichts weiter ereignete, ging ich dann schlafen, d.h. ich legte mich angezogen aufs Bett.

     Heute morgen war ein großes Gelaufe zum Geschäft von Reichert-Saatmann. Ich sah vier russ. Soldaten dort stehen.

[4308]
Sonnabend, 5. Mai 1945.     

[4308]      Gestern ereignete sich nichts mehr. Auch die Nacht war ruhig. Ich saß bis 11 Uhr unten in der Diele Wache, aber es ereignete sich nichts, sodaß ich dann ruhig schlafen ging. Gefährlich sind wohl nur die Tross-Züge, die hier durchgekommen sind u. die ja bei allen Armeen der Welt aus Soldaten minderer Qualität bestehen. – Was jetzt hier ist, sind Infanteristen, die an der ganzen Küste entlang einzelne Doppelposten aufgestellt haben, die sich dort eingegraben haben. Am Hohen Ufer, wo unsere Batterie gestanden hat, haben sie zwei Geschütze aufgestellt, wie mir Mehlis sagte. Gestern Abend sah ich vom Seezimmer aus, wie Papenhagen sich an den Posten heranmachte, der hier vor uns sich in die Düne eingrub. Papenhagen brachte den Leuten dann etwas Baumaterial, damit sie sich vor Regen schützen konnten. Das war sehr geschickt. Als es dämmerig war, ging auch ich hin u. brachte ihnen ein paar Zigaretten. Der Mann, dem ich sie gab, war ein großer, blonder u. nett u. gutmütig aussehender Soldat, nicht so jung, wie die Troß-Soldaten meist waren, so etwa 30 Jahre. Er freute sich über die Gabe u. sagte auf deutsch „Danke schön“. So war die Freundschaft geschlossen. Ich werde das öfter tun, damit die Leute uns wohlgesinnt bleiben.

     Die Aufregung der gestrigen Nacht u. des gestrigen Tages macht sich nun doch bemerkbar. Alle im Hause sind etwas nervös, auch Paul. Ich habe noch am meisten meine Ruhe bewahrt.

     10 Uhr Vorm. Frau Müller aus dem Geschäft Saatmann kam u. sagte, die Leute erzählten, die BuStu sei ausgeräubert worden. Wir gingen sofort rüber u. stellten fest, daß jemand von der Westseite, vom Hause Dohna her, durch die Scheibe, die dort kaputt ist u. die wir bloß notdürftig vernagelt hatten, eingestiegen war. Es war alles sehr durchwühlt, aber offenbar haben die Leute nicht viel gefunden, was sie interessierte. Aus dem Turm haben sie wenigstens eine große Puppe herausgeholt u. heute früh haben mehrere Leute einen Russen mit einer Puppe unterm Arm auf der Straße gesehen. Was sonst noch fehlt, läßt sich schwer feststellen.

[4308]
Sonntag, 6. Mai 1945.     

[4308]      Gestern Vormittag sah ich Prof. Reinmöller auf der Straße gehen. Sein Selbstmord war also wieder einmal ein falsches Gerücht. Dagegen wurde mir der Selbstmord des Herrn v. Knesebek durch dessen Nichte bestätigt. [...]

[4309]      Im Ort ist seit gestern Nachmittag ein Feldwebel als Ortskommandant installiert, der im Gemeindeamt sein Büro aufgeschlagen haben soll. Ich sah diesen Mann [...]

[4310] gestern vom Fenster aus. Er machte einen recht guten Eindruck. Anscheinend trug er einen deutschen Soldatenmantel u. gab sich offenbar Mühe, proper u. ordentlich auszusehen. Er hat gestern seine erste Verfügung erlassen, daß die Einwohner ab 10 Uhr abends ihre Häuser nicht verlassen dürfen. Heute ist, wie Paul eben sagt, eine neue Verfügung angeschlagen, daß sofort alle vorhandenen Waffen im Haus von Wilh. Helms abzuliefern seien. Daraus schließe ich, daß der Feldwebel dort wohnt, da das Haus dem Gemeindeamt gegenüber liegt.

     Es scheint so, als wollte nach u. nach eine Beruhigung eintreten. Das Geschäft haben sie heute Nacht in Ruhe gelassen, nachdem sich wahrscheinlich herumgesprochen hat, daß dort nichts zu holen ist. Ich selbst habe mich heute Nacht ins Bett gelegt u. geschlafen, seit dem 1. Mai zum ersten Male ohne Kleider. Gestern sind einzelne Soldaten noch in einigen Häusern gewesen u. haben Essen verlangt. Da es aber nirgends etwas gibt außer Eiern, haben sie sich damit begnügt. Sie haben dann selbst Butter u. Speck geholt u. Rotwein oder Schnaps u. Brot u. haben sich die Eier braten lassen. Bei Frau Noelle in Althagen waren sie auch u. haben Zigaretten verlangt. Frau N. soll gesagt haben, daß sie selber gerne eine Zigarette hätte, worauf sie ihr eine Zigarette angeboten hätten. Außerdem haben sie ihr angeblich 50,– Rm. in Interalliiertengeld geschenkt. Dergleichen hört man öfter, ob's stimmt, weiß ich nicht.

     Paul war heute früh beim Bauer Paetow, um sich anzubieten ihm in der Arbeit zu helfen, da der polnische Knecht gestern mit allen polnischen u. russischen Hausgehilfinnen in einem requirierten Wagen mit requirierten Pferden abgefahren ist. Typisch ist, daß der polnische Knecht keinen Wagen u. auch nicht die Pferde von Paetow requiriert hat. Wagen u. Pferde waren mir ganz fremd, er muß sie sonst woher besorgt haben. Paetow ist sehr bedrückt gewesen u. hat es abgelehnt, sich helfen zu lassen, er meint, daß er das Vieh allein versorgen könnte. Man hat ihm alle Milchkühe gelassen, nur eine Starke hat einer der durchgekommenen Trosse mitgenommen. Auch Pferdegeschirr haben sie mitgenommen, aber immerhin doch altes Geschirr dafür dagelassen. –

     Die Patrouillen am Strande schießen zuweilen, wohl nur zum Spaß. Es macht diesen Russen Spaß, Lärm zu machen. So lassen sie die Motoren ihrer Beutewagen gern im Leerlauf laufen. Motorräder fahren sie kaputt u. verstehen nicht, den Motor wieder in Gang zu bringen, wenn er mal versagt. Sie reiten gern im Gallopp auf dem Bürgersteig, weil das so schön klappert. – [...]

[4311]      Frau U. wußte allerhand Nachrichten über Unstimmigkeiten zwischen Russen u. Anglo-Amerikanern insbesondere über die Besatzungszonen. Danach hätten die Russen eigentlich nur bis zur Westgrenze Pommerns besetzen dürfen u. sie wollen nun nicht mehr aus Rostock raus. Aber das alles sind ja Gerüchte u. ganz unkontrollierbar. Es wird furchtbar viel erzählt u. wenn man näher hinsieht, ist alles nicht wahr. So hat man erzählt, die Russen hätten den Hof unseres Bauern Paetow völlig ausgeplündert u. den alten Mann zum Schluß erhängt. Nichts davon ist wahr. Nur das stimmt, daß bis heute Nachmittag 4 Uhr alle Waffen abgegeben sein sollen. Martha u. ich haben eben vorsichtshalber Fritzens Zimmer durchsucht, haben aber nichts gefunden. Ich entsinne mich auch nicht, bei Fritz je eine Waffe gesehen zu haben.

[4311]
Montag, 7. Mai 1945     

[4311]      9 Uhr morgens. Die Lage beruhigt sich mehr u. mehr. [...]

[4311]      Am Spätnachmittag kamen Frau Korsch u. Frau Masurek, die von ihren Erlebnissen erzählten. Auch ihnen ist nichts geschehen. Dann kam Herr Deutschmann, der sich nun wohl erhöhte Mühe gibt, mit uns gut zu stehen. Er wußte aber sonst auch nichts Neues. Während er hier war, kam die aufgeregte Frau Daubenspeck, die natürlich einen Korb voll Neuigkeiten wußte, aber alles belanglose Geschichten. Es sind gewiß hier u. da üble Dinge passiert, besonders im Hoffmannschen Hause, bei Knecht u. auch bei unserem Nachbar Brandt, aber was sonst erzählt worden ist, stellt sich gewöhnlich als maßlose Uebertreibung heraus. Spangenberg haben sie allerdings fast die ganze Garderobe gestohlen.

     Abends holte ich die letzte Flasche Wein, es war der Met-Wein, den wir vor einem Jahre zu Weihnachten von Betty Thomas aus Thorn bekamen. Wir haben nun bloß noch drei Flaschen franz. Sekt u. vier Flaschen Cognac. [...]

[4311]      Sehr dumm ist es, daß man fast garkeine Nachrichten hört. In Swinemünde soll noch immer gekämpft werden u. auch sonst noch soll es einzelne Widerstandsnester geben, aber im großen Ganzen scheint doch überall Waffenruhe zu herrschen. Ob Paulus oder sonst jemand eine Regierung gebildet hat, ist nicht bekannt. Sobald das der Fall sein wird, wird doch wohl auch sofort der endgültige

[4312] Friede geschlossen werden, da ja irgendwelche Verhandlungen dazu nicht in Betracht kommen. – Es verlautet nichts darüber, wo unsere Bonzen geblieben sind. Diejenigen, welche Rundfunk hören können, weil sie einen Akku haben, erzählen, daß die Engländer an den Tod Hitlers nicht glauben, da noch niemand seine Leiche zu Gesicht bekommen hat. – [...]

[4312]      3 Uhr nachm. Habe am Vormittag Gartenbeete eingeteilt, um Dahlien zu pflanzen, bin aber nicht sehr weit gekommen. Es strengte mich sehr an u. es fehlt die Lust. Später saß ich in meinem Zimmer am Fenster, als Eva von unten heraufrief. Ich ging rasch runter. Es stand ein Mongole an ihrer Tür u. wollte rein, der Kerl muß von hinten her durch den Garten gekommen sein. Ich ging, durch die Küche hinaus u. begrüßte den Burschen. Da er sich nicht vom Fleck rührte, versuchte ich es mit Zigaretten. Er wollte die ganze Schachtel haben, die ich ihm aber nicht gab. Dann wollte er eine Uhr haben, ich zuckte bedauernd die Achseln. Aber der Kerl ging nicht weg. Indessen ritten vorm Hause auf der Straße einige Russen umher, anscheinend Offiziere. Ich ließ den Kerl stehen, um nachzusehen, was es gäbe. Als ich wieder zurück kam, war der Kerl verschwunden, wahrscheinlich über die Düne. [...]

[4312]      Eben kommt Paul vom Kurhaus, wo er den Sender gehört hat. Danach ist die endgültige Kapitulation der gesamten deutschen Wehrmacht jeden Augenblick zu erwarten. Es gibt nur noch einige kleine Widerstandsnester. Auf Rügen scheint bis jetzt noch gekämpft worden zu sein. Die gelegentlichen Flüchtlingsboote, die hier vorbeigefahren sind, dürften demnach von Rügen gewesen sein. [...]

[...] [4313] Von Himmler ist überhaupt nicht mehr die Rede, nur, daß ein Befehl von ihm aufgefunden worden ist, nach dem die Insassen des Konzentrationslagers Dachau keinesfalls lebend in die Hände der Anglo-Amerikaner fallen dürften. Es werden dort 30 – 40000 Insassen gewesen sein, der Befehl ist aber zum Glück nicht ausgeführt worden. – [...]

[4313]
Dienstag, 8. Mai 1945.     

[4313]      Von denen, die Radio hören können, hörten wir gestern Nachmittag, daß gestern früh 245 Uhr die bedingungslose Kapitulation der gesamten deutschen Wehrmacht unterzeichnet worden ist. Unterzeichnet haben Generaloberst Jodl u. ein Admiral, ich glaube mit Namen Freudenberg. Damit ist nun also endlich dieser furchtbare Krieg zu Ende, u. wenn man sich dieses Endes auch nicht besonders freuen kann, da wir weiterhin in Furcht u. Schrecken leben, so ist es doch wenigstens ein Lichtblick in eine bessere Zukunft. – Gestern Abend hörte man von Dänemark herüber lange anhaltende u. sehr schwere Detonnationen, es sind dort wohl alle Wehrmachts-Anlagen in die Luft gesprengt worden. Der ganze Horizont war verhangen von grauem Dunst, in dem die Sonne blutrot u. merkwürdig deformiert unterging.

     Nachmittags war Heinr. Dade, Trudes Vater, da u. berichtete, daß es bis jetzt allen gut ginge. Sie verstecken die Tochter bald hier, bald da. Er erzählte, daß die flüchtenden SS-Banden alle Boote vom Strande gestohlen hätten. Da sie aber nicht wußten, daß jedes Fischerboot im Boden ein Loch hat, das zugepfropft werden muß, ehe man das Boot zu Wasser bringt, sind die Boote voll Wasser gelaufen. Die Fischer haben ihre Boote am nächsten Morgen draußen auf See schwimmen sehen. Da das Boot von Fischer Meyer nicht gestohlen war, konnten sie sich alle Boote wiederholen. Von den SS-Leuten war nichts mehr zu sehen, sie werden wohl alle ertrunken sein. [...]

[4313]      Im Dorf scheint sich die Lage weiter zu beruhigen. Die Russen haben am Dorfeingang nach Althagen zu einen Schlagbaum errichtet, dessen Zweck mir nicht verständlich ist. In Wustrow haben sie, so viel ich bisher gehört habe, zwei Häuser in der Strandstraße beschlagnahmt

[4314] u. zwar das Strandheim u. das Haus Lettow. Natürlich wurde gestern hier erzählt, die ganze Strandstraße sei „enteignet“ worden. Abends kam Dr. Ziel u. stellte die Sache richtig. Frau Dr. Hahn war in Wustrow gewesen u. hatte die Nachricht mitgebracht. Es scheint demnach so, als würde nun im Strandheim eine Ortsunterkunft für russ. Soldaten eingerichtet u. im Hause Lettow für den Stab eine Unterkunft geschaffen. Das ist alles. [...]

[4314]      Frau Dr. Hahn war in Wustrow beim Kommandanten, um einen Ausweis zu bekommen, daß sie ungehindert nach Wustrow fahren könne. Der Mann war höflich, wenn auch eiskalt, u. hat ihr gesagt, sie brauche dazu keinen Ausweis, sie könne ungehindert überall hingehen, aber es empfehle sich, nicht mit dem Rade zu fahren, da ihr dieses leicht von Soldaten abgenommen werden könne. Zu Fuß aber könne sie überall hingehen, wo russische Besatzung sei.

     Fischer Meyer fischt jeden Morgen, aber es ist nicht ungefährlich. Ich sah heute morgen vom Fenster aus, daß sein Boot unter Maschinengewehrfeuer genommen wurde. Die beiden Insassen warfen sich auf den Boden u. banden rasch ein Taschentuch an ein Ruder, mit dem sie winkten. Das Feuer hörte dann auf.

     Die Lebensmittel-Knappheit nimmt mehr + mehr zu, es kann das sehr schlimm werden. [...]

[4314] Sabine Klein hat einen durchziehenden amerikan. Kriegsgefangenen [4315] gesprochen u. ihm einen Brief an ihren Vater nach Amerika mitgegeben. Sie erzählte das überglücklich Martha in dem Augenblick, als die Tochter von Frau Stricker da war, die mit ihrer ganzen elterlichen Familie von je her wütende Nationalsozialistin u. Judenhasserin war. Sie ist nun dauernd auf der Flucht vor den Russen, denn sie ist sehr hübsch. Sabine Klein, die Judentochter, nahm sich ihrer sofort an, bot ihr Quartier an u. einen anderen Mantel, da der Mantel, den sie trägt, auffällig u. den Russen schon bekannt ist. [...]

[4315]      Die Russen sollen heute Nachmittag draußen auf der Kuhweide eine Siegesfeier veranstalten. Sie werden dann wieder schwer besoffen sein. Hoffentlich passiert nichts.

     Heute Vormittag bereitete ich mich auf den morgigen Vortrag vor, nachher pflanzte ich Dahlien. [...]

[4315]
Mittwoch, 9. Mai 1945.     

[4315]      Die sog. Siegesfeier, die die Russen gestern veranstaltet haben sollen u. von der ich mit Besorgnis eine allgemeine Besoffenheit erwartet hatte, ist sehr ruhig verlaufen. Hier u. da hörte man Russen singen, bzw. gröhlen u. vereinzelt wurden Leuchtraketen geschossen, aber schon um 10 Uhr war alles ruhig. Ich blieb vorsichtshalber bis 12 Uhr am Fenster sitzen u. betete den Rosenkranz, aber dann ging ich schlafen. Ich habe bis jetzt, 9 Uhr Morgens, nicht gehört, daß sich irgendwo etwas ereignet hätte.

     Gestern im Laufe des Tages erhielten wir durch irgend einen Boten ein Briefchen von Carmen Grantz, nach dem es ihr u. ihrer Mutter noch gut geht. Die Russen haben ihr, wie üblich, eine Uhr weggenommen, eine Flasche Parfüm u. ein Paar lederne Handschuhe, doch ist es ihr gelungen, die letzteren wieder aus den Manteltaschen der Russen zurückzustehlen. – [...]

[4315]      Nun ist auch noch die Möglichkeit, Radio-Nachrichten zu hören, die bisher im Kurhause bestand, verloren gegangen. Der Apparat ist mitsamt dem Akku gestohlen worden. Wir sind nun ganz auf Gerüchte angewiesen. [...]

[4316]      Heute Vormittag pflanzte ich weite Dahlien. Es ist heute sehr schönes, warmes Wetter. Auch Gladiolen-Zwiebeln habe ich gepflanzt. [...]

[4316]
Donnerstag, 10. Mai 1945.     
Christi Himmelfahrt.     

[4316]      Gestern Abend kurz vor Beginn des Vortrages, kam wieder ein Russe ins Haus. Er kam von hinten her in die Küche. Es war wohl ein Pole. Ich weiß nicht, was diese Burschen eigentlich wollen. Er erbat sich Trinkwasser, das er bekam, aber es war wohl bloß ein Vorwand. Er sah sich mit dem etwas verlegenen u. dummdreisten Gesicht des Knechtes, der den Herrn spielt, um, ging in die Diele, interessierte sich für das Telephon. Ich zeigte ihm, daß es außer Betrieb sei. Dann wollte er ins Eßzimmer. Ich konnte ihm verständlich machen, daß dort Eva's Kind schliefe u. da ließ er es. Dann deutete er auf die Treppe u. sagte etwas, was ich nicht verstand. Zur Probe nickte ich mit dem Kopfe, worauf er die Treppe hinaufgehen wollte. Ich vertrat ihm den Weg u. schüttelte nun zur Abwechslung den Kopf u. er gab seine Absicht auf. Dann ging er langsam raus, besah den Hintergarten u. kam wieder zurück. Ich gab ihm zwei Zigaretten u. dann zog er langsam ab. Nach kurzer Zeit erschien er aber wieder mit einem Radfahrer. Beide gingen an die Tür des kleinen Hauses u. rüttelten daran, dann gingen sie zum Seiteneingang der BuStu u. rüttelten u. schließlich zogen beide ab u. verschwanden im Strandweg. – Es passiert ja nichts, aber es ist jedesmal eine arge Nerven-Erregung. [...]

[4317]      Ueber die Zustände in Wustrow sagte Dr. Ziel, daß die ganze Strandstraße vom Strandheim ab abgesperrt sei. Die Hausbesitzer haben die Häuser räumen müssen, es mögen das etwa 15 Häuser sein, u. diese Häuser sind mit Soldaten belegt worden, sodaß dort nun alle Soldaten zusammen wohnen. Es ist ihnen streng verboten, andere Häuser zu betreten. Auch Nachts dürfen die Soldaten ab 10 Uhr nicht mehr auf der Straße sein. Es gehen Nachts zwei Patrouillen. Der Bürgermeister hat vorgeschlagen, daß diese Patrouillen von zwei Bürgern begleitet werden sollen u. der Kommandant hat dem zugestimmt. Die Läden sind dort wieder geöffnet u. das Leben fängt an, wieder normal zu sein. Die vier Barnstorfer Bauern, die ihre Gehöfte verlassen mußten, da sie von Soldaten belegt wurden, konnten ihre Gehöfte wieder in Besitz nehmen. Die Männer von 18. – 60 Jahren sind zusammengerufen worden u. man hat, wenn ich mich recht besinne, die Soldaten unter ihnen herausgenommen u. sie nach Ribnitz gebracht die übrigen konnten wieder nachhause gehen, ohne daß sie registriert worden wären. Es scheint also, als ob in Wustrow das Leben wieder anfängt, normal zu werden, es wird also wohl auch bei uns bald wieder normal sein.

     Die sog. Siegesfeier der Russen ist ebenfalls ruhig verlaufen, so weit ich bis jetzt sehe. Ich hatte deshalb Sorge u. blieb bis 12 Uhr wach, aber es ereignete sich nichts. Nur Leuchtraketen sah ich am Himmel stehen. [...]

[4317]
Freitag, 11. Mai 1945.     

[...] [4318] Nicht weniger schlimm sind die ortsfremden Flüchtlinge. Sie haben die Einrichtung des Kaffee Namenlos ausgeplündert. Sie gehen zu den Bauern u. wenn sich diese ihren Forderungen widersetzen, drohen sie damit, daß sie mit Russen wiederkommen würden. Der Bauer Paetow, dessen Frau allerdings schon immer im Rufe großen Geizes stand, ist total ausgeplündert worden, nachdem er den Russen, die Brot, Eier u. Butter gefordert hatten, dies verweigert hatte. Sie haben das Haus durchsucht u. sollen in der Räucherkammer die Produkte von zwei ausgeschlachteten Schweinen mitgenommen haben. Auch alle Kartoffeln u. alles Heu haben sie genommen. Den Bauern in Althagen ist es ebenso ergangen. Es wird eine furchtbare Hungersnot geben. [...]

[4319]      In Wustrow sollen mehrere Selbstmorde vorgekommen sein: der Mann der Frau Woehrmann soll sich die Schlagader aufgeschnitten haben, Frau W. hat sich die Pulsadern geöffnet, jedoch soll sie daran nicht gestorben sein. Auch der Gendarmerie-Wachtmeister soll sich mit seiner Frau erhängt haben. Alle diese Leute waren Nazis. So traurig es ist, darf man doch nicht vergessen, daß alle diese Leute im Falle eines Sieges der Nazis uns unfehlbar ans Messer geliefert hätten.

     1/2 3 Uhr nachm. Die Russen sind heute früh aus Ahrenshoop abgerückt. Der sog. Kommandant ist nicht mehr im Hause von Wilh. Helms u. auch das Gemeindeamt ist frei. Auch aus der Kolonie draußen höre ich, daß dort alle Offiziere fort sein sollen u. auch die Soldaten, die draußen im Kinderheim waren, sind fort. Zwar fahren durch's Dorf noch einzelne Wagen u. Autos, zuweilen auch ein Reiter, aber sonst ist von den Soldaten nichts mehr zu sehen. Heute morgen wurde am Strande noch hier u. da geschossen, wie sie es ja anscheinend zum Zeitvertreib immer getan haben. [...]

[4319]
Sonnabend, 12. Mai 1945.     

[4319]      Es ist immer noch kein Strom da. – Die Russen sind tatsächlich aus Ahrenshoop abgezogen, nur die Offiziere liegen noch draußen in der Kolonie im Quartier. Sie scheinen außer sehr viel Essen u. Trinken nichts zu tun zu haben.

     Herr Gräff hat durch Anschlag am Schwarzen Brett bekannt gemacht, daß er die Geschäfte des Bürgermeisters „im Einverständnis mit dem Kommandanten“ wieder übernommen habe. Dieser einverstandene Kommandant ist aber nicht mehr da.

     Gestern Abend war Herr Brandt bei uns. Er, Paul u. ich besprachen, was zu tun sei, um der zu erwartenden Hungersnot entgegenzutreten. Gräff ist dem nicht gewachsen, er besitzt keine Initiative u. es taucht immer öfter die Idee auf, daß ich die Geschäfte übernehmen soll. Ich weigere mich jedoch entschieden. Ein Anderer ist nicht da. Also spreche ich dafür, daß man Gräff ruhig im [4320] Amte lassen soll, nur soll man ihm Männer zur Seite geben, die Initiative besitzen u. den Kram machen. So wäre Paul für die ganze Verwaltung ausgezeichnet geeignet u. er könnte dann später, wenn sich die Verhältnisse geklärt haben, auch das Amt übernehmen. Herr Brandt wäre sehr geeignet, Lebensmittel von den Gütern jenseits des Bodden heranzuschaffen u. vor allem könnte er den Paetow'schen Hof, der ja nicht erst jetzt schlecht bewirtschaftet wird, ertragreich machen. Jedenfalls sind drei Maßnahmen dringend erforderlich. 1) Es müssen diejenigen Lebensmittel, die in den Geschäften noch vorhanden sind, so sichergestellt werden, daß sie an die Allgemeinheit ausgegeben werden u. nicht bloß an einzelne Freunde der Ladeninhaber. Bei Reichert=Saatmann soll noch immer etwas vorhanden sein, trotz der Plünderung, doch werden diese Lebensmittel unter der Hand an die guten Freunde abgegeben. 2) Es müssen neue Lebensmittel zugeführt werden. In Wustrow ist z.B. ein Dampfer mit Mehl angekommen. Was für Wustrow möglich ist, muß auch für uns möglich sein. Der Schlachter muß in die Lage versetzt werden, Schlachtvieh heranzuschaffen. Herr Brandt ist ebenfalls bereit, nach Ribnitz zu fahren. Man muß notfalls den hier einquartierten Offizieren die Sache vorstellen u. sich von ihnen beraten lassen. 3) Es muß der Hof von Paetow sachgemäß bewirtschaftet werden, wozu Herr Brandt ebenfalls bereit ist. Ferner müssen die Russen veranlaßt werden, in Althagen ihre Pferde nicht auf die Aecker zu treiben. Es sollen dort 300 Pferde auf den Aeckern stehen u. den jungen Roggen abweiden.

     Ich will nun heute zu Gräff gehen u. ihm dies alles vorstellen u. ihn fragen, was er zu tun gedenkt. Falls er nichts unternimmt oder unternehmen will, will ich zu Deutschmann gehen u. zu Kapitän Krull u. will beide zu einer Besprechung einladen mit Paul, mir u. Herrn Brandt. – [...]

[4320]      Nachm. 4 Uhr. Ich war morgens bei Gräff. Ich fand ihn an einem Tischchen in der kleinen Veranda vor seinem Hause, wo er Lebensmittel-Bezugscheine ausgab. Es war ein immerwährendes Kommen u. Gehen, teils Deutsche, teils [4321] Russen. Die Leute erzählten, daß jetzt bei der Batterie in Althagen ein großer Anschlag sei, nach dem sich alle Männer zwischen 17 – 50 Jahren zu melden hätten, ferner, daß alle Flüchtlinge bis zum 14. Mai, also Montag, den Ort zu verlassen hätten, u. endlich, daß alle Radiogeräte abzuliefern seien. Es ist zu erwarten, daß dieselbe Anordnung auch für Ahrenshoop erfolgen wird. Die Flüchtlinge sollen nach Ribnitz transportiert werden, wie sie von dort weiterkommen werden, weiß niemand. u. wenn sie weiterkommen, weiß niemand, wohin sie gehen sollen, denn meistenteils existiert ihre Heimat ja nicht mehr. Mitnehmen können sie natürlich garnichts. – Die Ablieferung der Radio-Geräte ist völlig unbegreiflich.

     Gräff wußte mir nichts zu sagen. Er zeigte mir die Verfügung, daß er die Bürgermeister-Geschäfte wieder zu übernehmen habe u. die vom Kommandanten in Wustrow ausgefertigt ist. Er weiß aber nicht, wer denn nun eigentlich als Behörde zuständig ist. Er hat Passierscheine vorbereitet für den Schlachter Leplow u. a. Leute, aber da er ja nicht mit jedem solchen Schein nach Wustrow laufen kann, muß er warten, bis irgend ein höherer Offizier einmal kommt, um solche Scheine zu unterzeichnen. Dann aber ist solch ein Passierschein von zweifelhaftem Wert, da kein russischer Soldat sich daran kehrt. Die Leute werden unterwegs trotzdem ausgeplündert. Leplow würde niemals mit Schlachtvieh bis hierher kommen, auch wenn er irgendwo solches noch auftreiben würde. Bisher hat Gräff solche Unterschriften wenigstens von den Majoren bekommen, die bei Frau Longard wohnten, aber diese sollen nun auch fort sein. Alles Bettzeug haben sie mitgenommen. Gräff wartet nun auf den Kommandanten von Dierhagen, der bisher jeden Tag mit dem Auto nach Ahrenshoop gekommen sein soll u. der nach Gräff's Beschreibung ein Mann ist, mit dem sich reden läßt. Jedenfalls sind die Schwierigkeiten ungeheuer u. man kann Gräff keinen Vorwurf machen, wenn keine Ordnung ist. [...]

[4321] das Gemeindeamt ist total demoliert. Die Russen haben sämtliche Schränke u. Schreibtische erbrochen, Stühle zerschlagen u. mit den Akten ihre Feldküche geheizt. Alle Grundstücks-Akten sind vernichtet.

[4322]      Ich pflanzte weiter Dahlien u. einige junge Zwiebelpflanzen, die uns Frau Schuster heute früh brachte. Um 3 Uhr hatten wir ein kurzes, heftiges Gewitter mit minimalem Niederschlag.

     Vormittags waren Frau Soehlke u. Frau Kuhnke da u. erzählten von den Zuständen in Althagen, die noch viel unsicherer sind als bei uns. Es ist eine furchtbare Not. Man muß lachen, wenn man an die vier Freiheiten denkt, die Herr Roosevelt versprochen hat u. unter denen die Freiheit von Furcht die begehrenswerteste war. Wir kommen Tag u. Nacht nicht aus der Furcht heraus. Dazu kommt, daß es jetzt überhaupt keinen Strom mehr gibt, sodaß man keine Nachrichten hört. Wenn man uns dann noch die Radio-Geräte fortnehmen wird, dann weiß man überhaupt nichts mehr. Heute hat es bei Leplow Fleisch gegeben. Die Leute haben stundenlang angestanden. Beinahe hätte es aber auch dies nicht gegeben, da die Russen heute früh bei Leplow eingedrungen sein sollen, um das Fleisch fortzunehmen. Es konnte schließlich noch verhindert werden. Spangenberg haben sie zwar bis jetzt noch seine Pferde gelassen, – ein wahres Wunder, denn die Pferde sind gut, aber sie haben ihm heute auch noch den zweiten Wagen fortgenommen, nachdem der erste schon vor mehreren Tagen fortgenommen wurde. Wenn wir über Wustrow Lebensmittel bekommen sollten, werden keine Wagen dasein, um sie abzufahren. [...]

[4323]
Montag, 14. Mai 1945.     

[...] [4324]      Paul ist heute zum ersten Male in der Gemeinde [4325] tätig gewesen. Er hofft, daß er morgen einen Lebensmittel-Transport nach Ribnitz u. zurück organisieren kann, doch hängt das davon ab, was Herr Niemann, der heute nach Ribnitz zur Erkundung gefahren ist, für Nachrichten bringen wird. [...]

[4325]
Dienstag, 15. Mai 1945.     

[...] [4325] Gerüchtweise wird erzählt, es sei nun endlich eine provisorische Regierung unter Generalfeldmarschall Paulus gebildet worden. Hoffentlich stimmt das, damit endlich wieder Post, Eisenbahn u. Stromversorgung in Betrieb kommen. Es ist lähmend, daß man überhaupt nicht weiß, was in der allernächsten Umgebung vor sich geht.

     5 Uhr nachm. Paul sagt mir eben, daß er mit jenem Herrn Niemeier (oder Niemann?) aus Stralsund gesprochen hat, der von seiner Mission in Ribnitz zurückgekehrt ist. Danach sollen in Ribnitz lauter rote Fahnen wehen u. die Kommunisten sollen die Lage beherrschen. – Er hat berichtet, daß Mehl, Kartoffeln u. a. Lebensmittel zur Verfügung stehen, doch müssen wir sie selbst abholen, was morgen geschehen soll, teilweise allerdings aus Rostock. Es ist ein Förster hier aus Ostpreußen, der eine Holzgas-Zugmaschine u. einen Wagen hier hat u. der bereit ist, mit entsprechendem Ausweis zu fahren. Die Ausweise sind vorhanden. In der Molkerei Wustrow sollen die Russen 60% der Milch beschlagnahmt haben, sodaß nur 40% für die Bevölkerung übrig bleibt. Infolgedessen will die Molkerei nur noch Mecklenburg beliefern, wir in Ahrenshoop bekämen dann nichts. Da wir dann aber auch keine Milch abzuliefern brauchen, wäre das ja nicht schlimm. [...]

[4325]
Mittwoch, 16. Mai 1945.     

[...] [4325]      Der arme Paul ist furchtbar deprimiert. Ich holte gestern Abend eine Flasche franz. Cognag herauf u. gab ihm zu trinken, um seine Lebensgeister wieder aufzufrischen. [...]

[4325]      Heute ist nun also das Lebensmittel-Auto nach Ribnitz gefahren, vielleicht bringt es etwas. Mit dem Auto sind auch Flüchtlinge abgefahren, wie überhaupt ununterbrochen Flüchtlinge Ahrenshoop verlassen. Wenn wir diese [4326] erst einmal los sein werden, wird es um vieles besser werden. [...]

[4327]
Donnerstag, 17. Mai 1945.     

[...] [4327]      Nun kommt eben Paul u. sagt, daß die Russen im Abmarsch seien. Es sollte heute früh das Lebensmittel-Auto nach Ribnitz fahren, es ist aber nur bis zur Batterie gekommen. Dort war der ehemalige Obermaat Richter, der das Auto gewarnt hat, weiter zu fahren. Alle Pferde der Russen sind zusammen getrieben, alle Wagen gepackt, alle Autos stehen auf der Straße u. alles deutet auf den sofortigen Abmarsch hin. Das Auto hat es unter diesen Umständen nicht gewagt, weiterzufahren u. ist zurückgekehrt. [...]

[4328]      5 Uhr nachm. Frau Dr. Daubenspeck war eben da, um mich zu überreden, Bürgermeister zu werden. Das ganze Dorf wolle es. Ich habe wieder abgelehnt u. darauf hingewiesen, daß Paul die Geschäfte viel besser macht als ich u. daß er sich ja auch ganz dafür einsetzt. [...]

[4329]
Sonnabend, 19. Mai 1945.     

[4329]      Gestern Abend kam Agnes Borchers u. ihr Mann. Sie war schrecklich aufgeregt, was sie ja immer ist, u. berichtete, daß ihr Schwager Fritz Peters aus Wustrow verhaftet sei und nach Althagen zu Bendix gebracht worden wäre, wo er streng bewacht würde. Außer ihm sollen auch noch viele andere Wustrower, die eine Rolle in der Partei gespielt haben, verhaftet worden sein. Jetzt behauptet Agnes plötzlich, Peters wäre nie Nazi gewesen; aber in der Tat ist er ja immer sonntags mit seinem Patrei-Abzeichen herumgelaufen u. bei näherer Nachfrage stellt sich heraus, daß er sogar das Amt hatte, die Mitglieds-Beiträge einzusammeln. [...]

[4329] Schließlich berichtete sie noch, daß an der Gemeindetafel angeschlagen sei, daß sich heute alle Männer zwischen 17 – 60 Jahren zu melden hätten u. daß morgen alle Radio-Geräte abzuliefern seien.

     Heute Morgen kam Trude wieder. Sie hatte gestern gesehen, daß vier Wustrower Männer unter russ. Bewachung nach Althagen gebracht worden seien, unter ihnen sei auch Fritz Peters gewesen. Diese Männer sind im Hause Bendix interniert worden u. sie werden in dem Gelände der Batterie mit Erdarbeiten beschäftigt. Alle vier waren ehemalige Nazis. Die Sache ist also vollkommen in Ordnung. Die Russen benötigen Arbeiter, wahrscheinlich zum Latrinenbau u. ähnlichem, u. sie holen sich dazu ehemalige Nazis. Dagegen ist nichts einzuwenden. [...]

[4329]      4 Uhr nachm. War Vormittags an der Gemeindetafel, um mir den Anschlag anzusehen. Er nennt sich „Wehrmachts-Befehl Nr. 1.“ u. geht vom Befehlshaber in Ribnitz aus. Er ist ziemlich umfangreich. Wesentlich ist neben der Meldung der Männer zwischen 18 – 60 Jahren, daß Waffen u. Radiogeräte abzuliefern sind u. daß alle Arbeiter u. Geschäftsleute sofort ihre bisherige Arbeit wieder aufzunehmen haben. – Es standen dort natürlich viele Leute, darunter auch Frau Booth, die sich am meisten dafür interessierte, ob sie sich auch melden müsse, da alle Leute der SS u. SA, der NSKK. des SD u. der Polizei, auch der HJ u. BdM u. der Frauenschaft sich zu melden haben. Die NSV war aber zur großen Erleichterung von Frau Booth nicht dabei. Frau Booth fing nun an, auf den Führer zu schimpfen. Ich drehte mich um u. sprach vor allen Anwesenden meine Verwunderung aus, daß jetzt diejenigen, die [4330] noch vor 14 Tagen immer so laut „Heil Hitler“ geschrieen haben, jetzt am lautesten schimpfen. Frau Booth behauptete, niemals Nazionalsozialistin gewesen zu sein, sie wäre auch nicht in der Partei gewesen. Ich fragte, warum sie denn dann immer so laut „Heil Hitler“ gerufen hätte? Sie sagte, das hätte sie nur aus lauter Angst getan. – So ist dieses Gesindel. [...]

[4330] Es könnte sein, daß wir mit der Zeit noch froh sein werden, Russen hier zu haben, denn aus den besetzten Westgebieten dringen Gerüchte hierher, wonach die Engländer u. Amerikaner sich in jeder Weise bemühen, das Ehrgefühl der Bevölkerung zu verletzen. Es wird dort vielleicht nicht geklaut u. vergewaltigt, aber die Reitpeitsche soll eine große Rolle spielen. Auch im Rundfunk wird von den Engländern eine große Propaganda entfaltet, um das ganze deutsche Volk zu diffamieren. Wenn die Russen klug sind, dann können sie sich jetzt in Deutschland leicht Freunde werben. [...]

[4331]
Pfingstmontag, 21. Mai 1945.     

[4331]      11 Uhr vorm. Soeben war Dr. Ziel da u. erstattete Bericht über alles, was los ist, so weit er Kenntnis davon hat. Er hat den russ. Kommandanten, der bisher in Wustrow war, jetzt aber in Althagen in der Batterie ist, aufgesucht u. ihm die Angelegenheit der Plünderungen vorgestellt. Er hat bei diesem Offizier, einem Major, großes Verständnis gefunden u. hat erreicht, daß nun nachts eine Streife geht u. daß Dr. Hahn ihn zu benachrichtigen hat, wenn etwas passiert. Der Kommandant ist dann selbst mit Dr. Ziel hierher gekommen u. ist durchs ganze Dorf gegangen bis zum Kinderheim, wo er selbst Soldaten beim Plündern überrascht hat. Er soll sie sehr energisch zurechtgewiesen haben, die gestohlenen Sachen mußten sie wieder abliefern. Ich habe allerdings nicht gehört, daß diese Soldaten bestraft worden wären, – eine energische Zurechtweisung dürfte kaum sehr wirksam sein über den Einzelfall hinaus. Immerhin ist eine Tendenz zur Besserung da. [...]

[4331]      Wir haben Fleisch bekommen, sodaß zu Pfingsten jeder etwas Fleisch essen konnte. Mehl ist noch nicht gekommen, auch alle anderen Nahrungsmittel fehlen. Das Lebensmittel-Auto ist aber heute wieder unterwegs, es nimmt jedesmal 15 Flüchtlinge mit. Es sollen bis jetzt etwa 250 Flüchtlinge den Ort schon verlassen haben, aber 600 Flüchtlinge oder mehr sind noch immer im Ort. [...]

[4332]
Dienstag, 22 Mai 1945.     

[...] [4332]      Heute morgen –, wir waren eben mit dem Frühstück fertig –, kam Paul herauf u. sagte, der Oberleutnant sei wieder da. Ich ging gleich mit Martha runter u. trafen vor dem kleinen Hause einen etwa 35jähr. Mann, überaus primitiv, aber freundlich u. herzlich. Er hatte sich wieder Herrn Rüdiger mitgebracht als Dolmetscher, der bei Gräff wohnt u. aus Bialystock ist, wo er angeblich eine Tuchfabrik u. Landbesitz gehabt hat. Er war bei der deutschen Wehrmacht dienstverpflichtet gewesen u. ist mit ihr zurückgegangen. Seine Frau u. die Kinder sind in Dessau oder jedenfalls in jener Gegend. Das letzte, was er von ihnen gehört hat, war ein Telegramm nach einem Luftangriff, er solle sofort kommen, Personenschaden. Seitdem weiß er nichts mehr. – Das sind so Schicksale, wie sie tausendfach sind.

     Nun, wir gingen also in die Bunte Stube u. Herr Rüdiger verdolmetschte, daß der Oberleutnant wüßte, daß ich Maler wäre u. ob ich ein Porträt von Stalin machen könne. Ich bejahte es. Er kaufte dann allerhand Kleinigkeiten ein u. bezahlte mit Markscheinen der alliierten Militärbehörde, die ich zum ersten Male sah. Dann bat er mich, mit zum Kommandanten in der Batterie zu kommen.

     In der Batterie sah es sehr sauber u. ordentlich aus. Ich mußte mit Herrn Rüdiger draußen warten, dann kam der Oberleutnant bald zurück u. rief uns. Wir gingen in eine Baracke in ein einfaches, völlig schmuckloses Dienstzimmer, in dem wir den Kommandanten, einen Major, fanden. Der Mann war höflich, jedoch ohne jedes Lächeln. Es gibt [4333] bei den Russen offenbar keinerlei Ehrenbezeugungen Untergebener vor den Vorgesetzten, der Verkehr ist vollkommen zwanglos in einer Weise, wie es für uns Westländer kaum vorstellbar ist. Alle unsere durch Jahrhunderte lange Kultur des gesellschaftlichen Verkehrs geschaffenen u. entstandenen Umgangsformen existieren einfach nicht. Damit fällt aller gesellschaftl. Zwang, alle Konvention u. alle Höflichkeitsform einfach weg, es ist eine erstaunliche Freiheit zwischen diesen Menschen.

     Der Major wünschte also, wie sich nun herausstellte, Bilder von Stalin, Lenin u. a. großen Persönlichkeiten des Bolschewismus. Es dauerte etwas, bis ich begriff, daß er einfache Plakate haben wollte u. keine künstlerischen Portaits. Ich sagte ihm, daß ich ihm die Bilder machen wollte, wenn er mir die Leinewand dazu lieferte. Er fragte nach dem Preis. Ich sagte, ich wollte kein Geld, sondern Lebensmittel. Er schien Bedenken zu haben u. fragte, wie groß meine Familie sei. Wie er hörte, daß diese nur aus meiner Frau u. mir bestünde, wurde er zugänglicher. Er versicherte mir, daß in wenigen Tagen die Lebensmittel-Zufuhr funktionieren würde u. daß ich dann mit dem Alliierten Gelde alles kaufen könne; aber dennoch würde er mich mit Lebensmitteln versorgen. So wurden wir denn handelseinig. Er versprach mir, bis heute Nachmittag 4 Uhr weiße Leinewand zu schicken. Ich stand dann auf u. reichte ihm die Hand, die er mir in dieser zwanglosen Art gab, ohne Lächeln u. ohne Verbindlichkeit, aber offensichtlich auch ohne irgend einen Hintergedanken. [...]

[4333]
Mittwoch, 23. Mai 1945.     

[4333]      Gestern Abend kam der Oberleutnant mit Herrn Rüdiger wieder. Er brachte weisse Leinewand, dazu eine Zeitschrift mit dem Bilde Stalins u. einen kleinen Kalender mit Lenins Bild. Er hatte einen kleinen Koffer bei sich, dem er ein Stück Brot u. Tabak entnahm gewissermaßen als Anzahlung. Es ergab sich, daß ich je zweimal Stalin u. Lenin malen sollte, 80x100 cm. groß, u. zwar nur schwarz = weiß.

     Später kam Ilse Schuster mit der Nachricht, daß Deutschmann verhaftet worden sei u. bei Bendix in Althagen interniert sei. Wir ratschlagten, ob da etwas zu machen sei. Ich hielt es für zwecklos, da die Russen nach allem, was ich bis jetzt gesehen habe, sich in ihre Sachen nicht reinreden lassen. Martha ging aber dennoch zu Dr. Ziel, der dann aber derselben Ansicht war, wie ich. Es wird ja Deutschmann auch nichts weiter passieren, als daß er irgendwo in ein Konzentrationslager kommt zur Arbeit, wie sie es anscheinend mit allen Nazis machen, die irgend eine Funktion ausgeführt haben. [...]

[4334]      Eben war Partikel da mit einer Liste zwecks Registrierung aller Einwohner. Ich sprach von dem Auftrag, Stalin u. Lenin zu portraitieren. P. sagte, daß dieser selbe Oberleutnant auch bei ihm gewesen wäre, aber er meint, der Mann sei ein Schwindler. Das ist großer Unsinn, P. versteht einfach nicht die naive Mentalität dieser Leute u. denkt, daß sie schwindeln. [...]

[4334]
Donnerstag, 24. Mai 1945.     

[4334]      Gestern am Spätnachmittag kam der Rechtsanw. Hoffmann, der Verbindungsmann zwischen den Gemeinden u. der russ. Behörde, mit seiner Frau. Wir saßen im Seezimmer. Ich ahnte nichts Böses u. glaubte, daß er uns nur einen Besuch machen wolle. Er erklärte mir aber, daß er gekommen sei, mich im Auftrage des russ. Kommandanten zu fragen, ob ich bereit sei, die Geschäfte des Bürgermeisters von Ahrenshoop zu übernehmen. – Ich war entsetzt u. lehnte es mit Entschiedenheit ab. – Herr Hoffmann fragte, wen ich sodann vorschlagen könne. Ich nannte Paul. Hoffmann sagte, daß Küntzel ja eigentlich nicht in Ahrenshoop wohne u. außerdem mit den Verhältnissen nicht gut vertraut wäre. Er käme deshalb nicht in Frage. Einen anderen konnte ich dann freilich nicht nennen. Herr Hoffmann fing dann an, mich zu überreden. Er sagte, daß das ganze Dorf hinter mir stände u. alle von mir erwarteten, daß ich die Führung übernehme u. daß Gräff eben in der jetzigen Zeit unmöglich sei. Außerdem würde mir ja genügend Hilfe zur Verfügung [4335] stehen wie Paul Küntzel u. Dr. Hahn. Diese würden die Arbeit machen, sodaß ich nur eben die Leitung hätte. Ferner bestünde doch immer die Gefahr, daß unser Wohnhaus beschlagnahmt würde, während man das Haus des Bürgermeisters respektieren würde. Er redete sehr eindringlich, aber ich konnte mich nicht entschließen. Schließlich sagte er, ich möge mir doch die Sache überlegen u. ihm bis heute früh 9 Uhr Bescheid geben lassen.

     Abends kamen dann Dr. Ziel mit Frau, Dr. Hahn u. Frau Schuster zum Vortrag, den ich aber ausfallen ließ. Ich bat Paul, heraufzukommen u. wir beratschlagten zusammen. Das Ergebnis der Besprechung war, daß sich Paul u. Dr. Hahn als Mitarbeiter zur Verfügung stellten u. Ilse Schuster als Sekretärin. Unter diesen Umständen willigte ich ein. Ich setzte eine schriftliche Erklärung auf, schrieb einen kurzen Lebenslauf u. übergab beides Paul zur Weiterbeförderung.

     Der Himmel weiß, wie sich diese Nachricht dann gleich im Dorfe verbreitet hat. Wahrscheinlich hat Herr Hoffmann gestern schon nicht dicht gehalten. Heute morgen scheint das ganze Dorf es schon zu wissen. Agnes Borchers kam schon beim Frühstück, um ihre Freude auszudrücken, nachher kam auch Carl Papenhagen. Man sagt mir, daß das ganze Dorf erleichtert aufatmet, daß wieder eine Führung da ist. Ich selbst bin freilich nicht sehr beglückt. –

     Herr Hoffmann berichtete gestern Abend, daß in Damgarten ein Hitlerjunge einen russischen Leutnant erschossen habe. Es sei deshalb eine verschärfte Spannung entstanden. Die Russen haben alle Hitlerjungens in Damgarten festgesetzt u. es wäre recht gut, wenn sie allen zusammen ordentlich das Hinterleder versohlten. [...]

[4335]      Ich zeigte gestern Abend das Bild von Stalin, das alle sehr bewunderten. Heute morgen kam der Oberleutnant u. brachte noch einen anderen mit, aber beiden gefiel das Bild garnicht. Ich hatte selbst in der Tat Bedenken gehabt, denn mein Bild ist eben so geworden, wie ich eben male, d.h. streng. Die Herren fanden, daß Stalin nicht freundlich genug aussehe. Ich bedauerte, nicht anders malen zu können u. sie hatten dafür auch Verständnis. Sie beschlossen, das Bild zum Kommandanten mitzunehmen u. es ihm zu zeigen, er sollte dann entscheiden. Ich wäre froh, wenn sie mir lieber keine weiteren Aufträge geben würden. Es ist das eben die echt russische Mentalität, die zum Führer einen freundlichen, weichen Menschen haben will, „Väterchen Stalin“, nicht einen preußischen General. Mein Stalin sieht eben preußisch aus. [...]

[4336]      Herr Hoffmann sagte uns übrigens gestern Abend auch, daß der Lehrer Deutschmann gestern Nachmittag bereits aus der Haft wieder entlassen sei. Wir freuten uns alle sehr darüber.

[4336]
Freitag, 25. Mai 1945.     

[4336]      Keine besonderen Ereignisse. Dr. Ziel kam gestern Abend u. besprach die Angelegenheiten des Prof. Reinmöller u. des Bauunternehmers Wilh. Helms, die beide auf der schwarzen Liste der Russen stehen. Reinmöller hat noch in den letzten Tagen vor dem Zusammenbruch Reden gehalten, daß der „Wehrwolf“ das einzige wäre, was uns noch retten könne. Ich bin aber der Ansicht, daß das nur dieses verantwortungslose u. dumme Geschwätz ist, was dieser Mann an sich hat u. solchen Worten keine praktische Bedeutung zukommen. Er ist z. Zt. nun einmal die einzige ärztliche Hilfe, die wir im Orte haben. Ich sagte zu Ziel, daß ich zwar nichts unternehmen würde, um Herrn Reinmöller zu schützen, daß ich aber auch nichts gegen ihn unternehmen würde. Ich würde das ganz den Russen überlassen. Im Falle Helms würde ich ebensowenig tun. Den ehemaligen Zollbeamten Nülken, der ja ebenfalls vor dem Zusammenbruch solch alberne Reden über den „Werwolf“ gehalten hat u. der nun anscheinend sehr bescheiden geworden ist, würde ich mir vornehmen u. ihn verwarnen. [...]

[4336]      Das Dekret, welches mich zum Bürgermeister ernennen soll, war bis gestern noch nicht da. Hoffentlich verzögert es sich noch weiterhin, damit ich mich mit dieser Flüchtlingssache nicht mehr zu befassen brauche.

     Meinen Oberleutnant habe ich gestern auf Partikel gehetzt. Heute früh sah ich ihn schon mit ihm auf der Straße. Vielleicht wird er ihm einen freundlicheren Stalin malen können.

     Es ist sehr kalt geworden. Nordwind.

[4336]
Sonnabend, 26. Mai 1945.     

[...] [4337]      Wie ich höre, soll Partikel mehr Glück gehabt haben mit seinem Stalinbilde, als ich. – [...]

[4338]
Mittwoch, 30. Mai 1945     

[4338]      Der Arbeitstag war vorgestern sehr anstrengend, wir arbeiteten bis 8 Uhr abends. Gestern war vormittags noch einmal großer Andrang, doch ebbte es am Nachmittag rasch ab, sodaß wir um 6 Uhr Schluß machen konnten. Bis dahin waren etwa 750 Menschen registriert u. mit Lebensmittelkarten versehen. Schrecklich ist dabei nur, daß alle diese Menschen pro Woche nur 500 gr. Brot bekommen u. sehr wenig Fleisch u. Fett, von anderen Lebensmitteln ist überhaupt nicht die Rede. Vor allem ist es erschütternd, die vielen Kranken u. Schwachen zu sehen, die größtenteils schon seit langem durch die Kriegsereignisse schwer erkrankt sind, u. die alten Leute die alle nicht mehr satt werden können u. dringend einer zusätzlichen Ernährung bedürfen. Dabei haben wir jetzt acht Fischer im Dorfe, doch nehmen die Russen stets die ganzen Fänge weg u. es bleibt nichts für uns übrig.

     Widerlich ist auch das Drängeln nach der Futterkrippe. Der Lehrer Deutschmann ist zwar aus der Haft entlassen u. wieder zuhause; aber gestern kam Herr Zelk, ein Schulrektor aus Hamburg, der dort sozialdemokrat. Bürgerschafts-Mitglied gewesen u. seit 1933 entlassen worden war u. der schon seit einigen Jahren bei uns Zuflucht vor dem Bombenkrieg gesucht + gefunden hatte, zu mir ins Amt u. eröffnete mir, daß er zum Schulrat für das Fischland ernannt worden sei, – natürlich durch die Gnade des Herrn Dr. Hoffmann. Einen solchen Posten hat es früher nie gegeben. Er sagte mir, daß Herrn Deutschmann die Lehrerlaubnis entzogen worden sei u. daß an seine Stelle zwei Lehrerinnen treten würden. Von der einen habe ich bisher überhaupt noch nicht ermitteln können, woher sie kommt u. welche Berechtigung sie zum Lehren hat, die andere entpuppte sich bei näherem Zusehen als die Frau des ehem. Kapitänleutnants Wegener, der immer Nazi war u. durch seinen albernen Schießbefehl beim Anmarsch der Russen fast die Existenz des ganzen Fischlandes aufs Spiel gesetzt hätte. Nachdem die Russen einmarschiert waren, hat dieser Mann sich mit seiner Frau, mit dem Oberlt. Meyer u. dessen Frau u. mit der Frau des Nazi=Rechtsanwalts Denzin im Hause der Frau Smith verborgen gehalten. Diese alle sind dann getürmt, nur Wegener u. seine Frau blieben zurück. W. wurde von den Russen verhaftet u. auf Fürsprache von Dr. Hoffmann wieder entlassen u. für die Elektrizitäts-Versorgung des Fischlandes bereitgestellt.

     Dieses Amt hat früher für alle Dörfer der Elektromeister Maaß in Wustrow mit einem Lehrjungen versehen. Jetzt sind für Ahrenshoop allein Herr Liebers u. Herr Stramm, beides Fachleute u. ehem. Soldaten, eingesetzt. Gestern Abend berichtete mir Herr Liebers, daß auf Hoffmanns Anordnung nun auch noch der ehem. Obermaat. Knoop u. der ehem. Stabsfeldw. Voigt dafür angestellt sind. Das sind mit Herrn Wegener 5 Personen, – u. dabei gibt es keinen Strom. Wegener, Knoop u. Voigt sind ehem. Nazis. [...]

[4339] Draußen traf ich dann Herrn Schulrat Zelk, dem ich ausführlich über die Schulangelegenheit meine Meinung sagte. Er zeigte sich sehr einsichtig.

     Nachmittags Konferenz mit Ortsbauernführer Paetow betr. Milch- u. Butter-Versorgung, die ein viel besseres Bild gab, als ich erwartet hatte. Wir werden morgen die Sache so organisieren, daß alle Kleinstkinder ihren 1/2 Ltr. Milch täglich bekommen u. alle Kinder vom 3. – 6. Lebensjahr wenigstens 1/4 Ltr. Milch. auch Butter wird es wenigstens etwas geben u. ich hoffe, auch Eier zu bekommen für Kranke u. alte Leute. [...]

Ahrenshoop, Juni 1945

[4401]
Freitag, 1. Juni 1945.     

[...] [4401]      Gestern Besprechung mit Herrn Schulrat Zelk. Ergebnis: Herr Deutschmann wird von Montag ab den Unterricht wieder aufnehmen. [...]

[4402]      Gestern Abend Herr + Frau Partikel bei uns. P. malt unentwegt Stalin u. Lenin für die Russen, hat aber außer einem Stückchen Brot bisher keinerlei Entlohnung bekommen, obgleich der Kommandant vorher sehr große Versprechungen gemacht hat. [...]

[4403]
Mittwoch, 6. Juni 1945.     

[4403]      Der gestrige Tag verlief ausnahmsweise ohne besonderen Aerger oder Zwischenfälle. [...]

[4404]      Spät Abends kam noch unser Lebensmittel-Auto von glückhafter Fahrt zurück u. brachte uns 50 Centner Kartoffeln u. ein Schwein, nachdem es schon gestern Schlachtvieh mitgebracht hatte. Die Kartoffeln wurden bei Reichert abgeladen u. über Nacht von unseren Hilfspolizisten bewacht. Heute werden sie verkauft. Das Auto ist heute wieder ausgelaufen, vielleicht bekommen wir Mehl u. nochmals Kartoffeln. [...]

[4404]
Donnerstag, 7. Juni 1945.     

[4404]      Der Tag gestern ohne besondere Ereignisse [...]

[4404] Abends kam der arme Bauer Paetow u. berichtete, daß die Russen ihm eine Kuh von der Koppel gestohlen hätten. Er war völlig verzweifelt. Ich holte Dr. Hahn u. bat ihn, zum Kommandanten zu gehen, was er auch bereitwillig, aber völlig erfolglos tat. Paetow will heute Morgen selbst hingehen u. bat mich, mitzukommen, – ich hoffe, daß er darauf verzichtet, denn es ist zwecklos u. für mich sehr anstrengend. – Gestern brachte das Lebensmittel-Auto nochmals 100 Ctr. Kartoffeln. Auch die Wustrower Molkerei hat etwas Butter angeliefert.

     Abends hielt ich trotz aller Schwierigkeiten meinen Mittwoch-Vortrag. – Am Radio hörte ich, daß man die verkohlte Leiche Hitlers unter den Trümmern der Reichskanzlei gefunden hat. [...]

[4404]
Sonnabend, 9. Juni 1945.     

[4404]      Martha bekam gestern viel Blumen geschenkt u. von Gretel Neumann einen Obstkuchen, von Frau Ziel ein Näpfchen mit Schmalz usw. Auch Trude hatte einen Kuchen gebacken. Abends saßen wir mit Küntzels u. den Töchtern, aßen Kuchen u. ich holte die vorletzte Flasche Pommery. Nun ist nur noch eine da, die zu meinem Geburtstage dran glauben soll.

     Sonst hat sich nichts Besonderes ereignet. Unsere kleine Kosakken-Abteilung benimmt sich anständig u. es herrscht Ruhe, die Bevölkerung fängt an, wieder aufzuatmen. Morgen Nachmittag habe ich alle zum Baltischen Hof eingeladen, nachmittags 4 Uhr, um eine Rede zu halten über die allgemeine Situation. Heute Nachmittag sind wir bei Ziels zum Kaffee eingeladen, da Frau Ziel heute 70 Jahre alt wird. Heute früh habe ich meine Garderobe wieder aus dem Versteck hervorgeholt u. sie wieder in den Kleiderschrank getan, die Gefahr ist wohl [4405] vorüber, daß die Sachen gestohlen werden. [...]

[4405]
Sonntag, 10. Juni 1945.     

[...] [4405]      Gestern Nachmittag kam Dr. Hoffmann u. brachte mir 5000 Rm. in nagelneuen Scheinen für die Gemeinde. Das Geld stammt aus beschlagnahmtem Parteivermögen u. wurde uns von der politischen Polizei in Ribnitz überwiesen. – [...]

[4405] Die Russen bauen, wie ich höre, die Eisenbahnstrecke Velgast=Prerow ab u. schicken die Schienen nach Rußland. Sie scheinen in dieser Weise alle Nebenstrecken abzubauen. Evi Niemann erzählte mir, daß das Fernsprechamt in Ribnitz völlig leer sei.

[4405]
Montag, 11. Juni 1945.     

[4405]      Gestern Nachmittag um 4 Uhr hielt ich meine Rede zu den Ahrenshoopern in Balt. Hof. Ich hatte den russ. Kommandanten davon unterrichtet u. er hatte mir sagen lassen, daß er persönlich kommen würde. – Der Saal war gedrängt voll, es waren alle da, die irgend nur konnten. Die Rede dauerte etwa eine Stunde u. obwohl ich mit den Nazis streng ins Gericht ging u. ihnen nichts schenkte, war der Beifall doch sehr groß. Nach der Rede kamen viele Demokraten u. drückten mir [4406] mit freudiger Begeisterung die Hand. Der Kommandant hatte seinen Wachtmeister mitgebracht u. ließ sich die wichtigsten Stellen von ihm dolmetschen. Nach meiner Rede stand er auf u. äußerte den Wunsch, selbst etwas zu sagen. Frau Marie Seeberg dolmetschte. Ich hatte gesagt, daß der Krieg eine Auseinandersetzung zwischen Demokratie u. Diktatur gewesen sei u. der Kommandant griff das auf, indem er versicherte, auch Rußland sei eine Demokratie. Das war immerhin überraschend. Auch sonst sagte er Sachen, die offensichtlich von dem Bestreben diktiert waren, zu uns freundlich zu sein. So entschuldigte er gewissermaßen die gelegentlichen Uebergriffe russischer Soldaten mit der langen Kriegsdauer, durch welche die Moral gesunken sei. Jedenfalls wurde dadurch ein persönliches Verhältnis zwischen uns u. ihm hergestellt u. auch von dieser Seite her war meine Rede ein voller Erfolg.

     Herr Gläser ist gestern um 2 Uhr wieder zurückgekehrt. Es hat sich offenbar darum gehandelt, daß in Wustrow ein ehemal. SS=Mann verhaftet worden war, in dessen Hause man ein umfangreiches Hamsterlagen an Garderobe, Wäsche, Lebensmitteln, Gold u. Juwelen gefunden hat. Dieser SS-Mann soll ein Rechtsanwalt aus Berlin sein, der früher mit Dr. Hoffmann in Berlin eine Anwaltsfirma gehabt hat. Herr Dr. H. soll diesen Mann gedeckt haben. – Die Ribnitzer Kommunisten haben sich wohl hinter die russ. Staatspolizei gesteckt u. haben das gefundene Hamstergut beschlagnahmt u. nach Ribnitz entführt. Zugleich haben sie verlangt, daß ein Ribnitzer Kommunist namens Harder in Wustrow wohnen sollte, offenbar als Kontrolle. Der Bürgermeister von Wustrow, Hallier, der ein großes Kamel sein soll, hat sich seinerseits hinter den russ. Kommandanten, einen ständig betrunkenen Kosakken-Häuptling, gesteckt u. nun ist der Krieg losgegangen. Der Kosakken-Häuptling hat Dr. Hoffm. u. unseren Herrn Gläser verhaftet, diesen, weil er angeblich ein fazistischer Spion sein soll, dazu noch zwei Kommunisten aus Ribnitz. Alle mußten die Nacht in einem Keller zubringen. Am Sonntag-Morgen mußten sie nach Ribnitz fahren u. das Hamstergut wieder zurückbringen, erst dann war man zufrieden u. entließ sie wieder. – So ungefähr scheint sich die Sache abgespielt zu haben. Mittags war ein Wustrower Hilfspolizist bei mir u. brachte ein Schreiben vom sog. Bezirksbürgermeister Hallier u. dieser gute Mann schimpfte weidlich auf seinen Herrn u. nannte ihn einen unfähigen Dummkopf u. Trottel. – [...]

[4406]      Von heute an soll es pro Woche 1000 gr. Brot geben, seit dem 1. Mai gab es nur 500 gr. Brot wöchentlich. Arbeitende Menschen sollen sogar 1400 gr. Brot bekommen. Das ist ein erheblicher Fortschritt. [...]

[4406]
Dienstag, 12. Juni 1945.     

[4406]      Gestern kam der Befehl vom Kommandanten in Wustrow, daß sich sämtliche Fischer mit ihren Booten in Wustrow einzufinden hätten, u. zwar sowohl von der Seeseite, wie von der Boddenseite. [4407] Abgesehen von der Dummheit dieses Befehles, – da ja ein Fischer eben nur entweder mit seinem Seeboot oder mit seinem Boddenboot fahren kann u. nicht mit beiden zugleich, witterten wir sofort Unheil. Und mit Recht. Abends kamen unsere Fischer zurück u. erzählten, daß der Wustrower Kommandant von allen Althäger u. Ahrenshooper Fischern verlangt, daß sie von jetzt an ihre Boote u. Netze u. alles Geschirr in Wustrow stationieren u. nur noch dort fischen sollten. Wir werden auf diese Weise überhaupt keine Fische mehr bekommen u. Boote u. Netze werden wir nie wiedersehen. [...]

[4407]      Die Erschwerung des Verkehrs wird immer lästiger. Wer nach Ribnitz will, muß zu Fuß gehen u. von hier bis Wustrow wird man dauernd von Posten angehalten, die nach Passierscheinen fragen. Die Folge ist, daß wir alle Leute, die nach Wustrow oder darüber hinaus wollen, zum Kommandanten schicken zwecks Ausstellung eines Passierscheins bzw. damit er denselben unterschreibt. Wir stellen die Scheine selbst aus u. haben eine Dolmetscherin angestellt, die alle Scheine ins Russische übersetzen muß. Dem Kommandanten ist es lästig geworden, daß die Leute ihm die Bude einrennen u. als ich ihn gestern Abend auf der Straße traf, kam er mit in die BuStu., bzw. in das Zimmer 4 im kleinen Hause u. erklärte mir durch seinen kleinen Burschen, der etwas deutsch spricht, daß er die Absicht habe, von heute an jeden Vormittag von 10 – 12 Uhr in meinem Büro zu sitzen. Ich weiß nicht, ob er damit noch irgend eine andere Absicht verfolgt.

     Die Leute sagen mir, daß das Ostseebad Ribnitz u. Dierhagen geräumt werden müsse. Alle dort Wohnenden müssen nach Wustrow. Man sagt, es käme dort Artillerie hin. Auch haben die Russen erneut befohlen, daß die Verdunkelungs-Vorschriften weiter in Kraft bleiben, besonders nach der See hin. Offenbar ist also die Spannung zwischen Rußland u. den Westmächten nach wie vor sehr groß u. sie wird wohl nicht nachlassen bis zu der neuen Konferenz zwischen Stalin, Churchill u. dem Amerikaner, die in den nächsten 6 Wochen stattfinden soll. – [...]

[4407]
Mittwoch, 13. Juni 1945.     

[...] [4408] Gestern war unser Kommandant von 10 – 12 Uhr im Amt. Er bekam viel zu tun mit Unterschriften von Passierscheinen. Es ist zwar unangenehm, die Russen da sitzen zu haben, aber andererseits ist es auch gut, wenn man gleich die Dinge mit ihnen besprechen kann. So konnte ich gleich die Entführung unserer Boote u. Netze nach Wustrow mit ihm bereden u. ihm klar machen, daß er selbst nun ebensowenig Fische bekommt, wie wir. Er sah das wohl ein, aber es scheint, daß er da nichts machen kann. Bauer Paetow klagte über Wildschaden durch Schweine. Auch das konnte ich ihm sagen u. ihn veranlassen, die Schweine abzuschießen. Er sagte es zu u. ich bat ihn gleich, auch uns ein Schwein abzugeben, was er mir auch versprach. – Am Nachmittag beschlagnahmten die Russen sämtliche Butter in der Molkerei, die heute hier verkauft werden sollte, sodaß wir nun wieder keine Butter haben. Die Brotrationen, die ab Montag auf 1000 gr. wöchentlich erhöht worden waren, sind wieder auf 500 gr. herabgesetzt worden. [...]

[4408]
Donnerstag, 14. Juni 1945.     

[...] [4408]      Heute früh sandte Dr. Hoffmann einen Boten, es solle sofort eine Liste aller Parteigenossen an den Kommandanten nach Wustrow eingereicht werden zwecks Arbeitseinsatz. [...]

[4409]
Sonnabend, 16. Juni 1945.     

[4409]      Der gestrige Tag verlief ziemlich ruhig. Vormittags ging eine Anzeige ein gegen das Geschäft Reichert-Saatmann, daß dort noch Lebensmittel verborgen gehalten würden. Ich ging gleich am Nachmittag mit zwei Polizisten hin u. ließ den ganzen Schuppen durchsuchen, in dem die Strandkörbe stehen, der andere Polizist blieb im Hause, um zu verhindern, daß inzwischen Sachen beiseite gebracht würden. Im Strandkorb-Schuppen fand sich nichts u. auch die Hausuntersuchung war ergebnislos. Mithin ergibt sich, daß das immer wieder auftauchende Gemunkel über Saatmanns ohne Unterlage ist. Die Haussuchung kann also für Saatmanns nur nützlich gewesen sein, da auf diese Weise die Haltlosigkeit all dieses Geredes erwiesen ist, – oder die Leute haben die Sachen so gut versteckt, daß sie nicht zu finden sind. [...]

[4410]      Gestern Nachmittag war Herr Söhlke bei mir u. fragte mich um Rat, was er tun solle. Da er aus geschäftl. u. berufl. Gründen s. Zt. genötigt gewesen war, der Partei beizutreten u. die Gefahr immer größer wird, daß die ehemal. P-G's verhaftet werden oder sonst unangenehme Dinge zu erwarten haben, ist er nun in großer Sorge; aber die Art, wie er vor diesen Gefahren steht, ist sehr anständig u. männlich. Er verzichtet auf einen Versuch zur Flucht, der ja auch ziemlich aussichtslos wäre u. will hier das Weitere abwarten. Inzwischen arbeitet er beim Bauer Rieck auf dem Felde u. pflanzt Wrucken. Ich konnte ihm nur bestätigen, daß diese Haltung m. E. nach das Beste wäre, – mit einer Flucht könnte er höchstens seine Familie in Gefahr bringen u. ein Gelingen der Flucht ist sehr zweifelhaft. [...]

[4410]
Sonntag, 17. Juni 1945.     

[...] [4411] Gestern sagte der Wachtmeister Joseph, der nun wirklich unser Freund geworden ist, zu mir im Gemeindeamt, daß er nie für möglich gehalten hätte, daß die Russen Deutschland besiegen würde. Er erklärte den russ. Sieg allein aus dem unsinnigen Terror unserer Soldaten. Er sei, sagte er, von Leningrad bis zum Kaukasus gereist u. er habe die Verwüstung Rußlands gesehen. Es gäbe keine Dörfer u. keine Städte mehr, die Menschen hausten in den Wäldern u. alte Frauen hätten ihm schreckliche Dinge erzählt. Dadurch hätten wir selbst einen Haß großgezogen, der an sich vorher garnicht vorhanden gewesen wäre u. es sei dadurch die Partisanen-Bewegung hinter unserer Front so groß u. so erfolgreich gewesen. – [...]

[4412]
Mittwoch, 20. Juni 1945.     

[...] [4413]      Auch gegen den Bäcker Hagedorn sind allerhand Gerüchte im Umlauf. Dieser Kerl fährt, wie ich jetzt höre, täglich mit unserem Lastauto mit, um unterwegs allerhand Schiebergeschäfte zu machen. Mit ihm im Bunde ist der Fahrer des Autos, sowie die ehemaligen Maate Buchholz u. Richter von der Batterie, die mir längst als Schieber bekannt sind. – Aehnliche Gerüchte gehen über Frau Holzerland, die aus dem Darss Holz abfahren läßt, ohne daß man weiß, wo das Holz eigentlich bleibt. Mit ihr im Bunde ist ein althäger Bauer, der sein Gespann dazu stellt u. ebenfalls Holz für sich stiehlt. So sind wir überall umgeben von Schiebern, Dieben u. Halunken, die alles an sich bringen, was die Russen übrig lassen. [...]

[4413]
Donnerstag, 21. Juni 1945.     

[...] [4413]      Gestern Mittag brachte Dr. Hoffmann eine Anordnung des Oberbürgermeisters von Rostock, nach der sämtliche Flüchtlinge u. Evakuierten den Landkreis Rostock sofort zu verlassen haben. In Wustrow war diese Anordnung bereits durchgeführt worden, bis Dienstag war dort der Abtransport durchgeführt. Nun geschieht dasselbe hier. Alle haben bis Sonnabend Nachmittag Ahrenshoop zu verlassen. – Diese Maßnahme bedeutet natürlich für viele alte kranke u. schwächliche Leute eine fast unmenschliche Härte, denn Ausnahmen dürfen nur gemacht werden bei offenkundiger Transportunfähigkeit oder wenn ein Flüchtling in einem Betrieb angestellt ist, dessen Weiterbestehen durch einen Abtransport gefährdet wäre. So können wir die Leute behalten, die in der Gemeinde tätig sind u. auch in der Notgemeinschaft. Unsere alten Meyers müssen auch fort, was mir ganz besonders leid tut, u. mit vielen alten Mütterchen ist es nicht anders. Es kann einem das Herz zerreißen. Ich will wenigstens versuchen, Gespanne zu organisieren, die das Gepäck u. die ältesten u. schwächsten Leute nach Wustrow transportieren können. Von dort soll am Sonnabend um 930 Uhr ein Dampfer gehen. Von Ribnitz sollen nach beiden Richtungen Eisenbahnen verkehren, aber das alles ist sehr ungewiß. [...]

[4414]
Sonnabend, 23. Juni 1945     

[...] [4414]      4 Uhr Nachmittags. Heute früh um 6 Uhr begannen wir mit dem Abtransport der Flüchtlinge. Unser Lastauto fuhr zweimal nach Wustrow, außerdem vier Pferdefuhrwerke. Wir haben gestern noch viel Arbeit damit gehabt. Jeder mußte einen Passierschein in deutsch u. russisch haben, dazu Marschverpflegung, die schwer aufzutreiben war. Die Leute selbst machten viel Schwierigkeiten, weil viele von ihnen nicht fort wollten. Viele waren krank u. alt usw. Aber schließlich war's geschafft. [...]

[4415]
Sonntag, 24. Juni 1945.     

[4415]      Gestern kamen also wirklich alle Flüchtlinge wieder zurück, u. zwar wurden sie in Ribnitz auf der Straße von Hilfspolizisten gesammelt u. aufgefordert, wieder zurückzufahren. Es muß also der Stadtverwaltung eine diesbezügliche Anordnung aus Rostock zugekommen sein, erst nachdem der Dampfer dort angekommen war, denn sonst hätte man die Leute ja schon am Dampfer benachrichtigen können. Ein Grund für den Befehl wurde nicht angegeben aber es entstand nun das Gerücht von einem neuen Krieg Polens gegen Rußland. Ich ging gleich zum russ. Kommandanten, der mir aber keine Aufklärung geben konnte u. selbst nichts wußte. Die Zurückgekehrten waren zwar sehr müde u. erschöpft, aber schließlich doch froh, daß sie nicht noch weiter gefahren waren. [...]

[4415]      Heute früh begann der Tag mit einer Haussuchung beim Bäcker Hagedorn, wo so viel verschobenes Mehl u. andere Waren – Schinken, Waschpulver, Nährmittel usw. – gefunden wurde, daß unser Lastauto in Anspruch genommen werden mußte, uns das alles abzufahren. Die Haussuchung wurde von der polit. Polizei aus Ribnitz durchgeführt, nachdem ich gestern Dr. Hoffmann mitgeteilt hatte, daß Hagedorn gestern nach Ribnitz gefahren sei, obwohl ihm grade am Tage vorher von Dr. Hoffmann diese Fahrten streng verboten worden waren u. er dadurch verhinderte, daß sein Geselle, der gestern mit den Flüchtlingen fortgehen sollte, abreisen konnte. Es fand dann im Gemeindeamt eine Vernehmung statt. Hagedorn hat, wie sich ergab, allein in diesem Jahre schon vier Schweine geschlachtet. Wir beschlagnahmten drei Schinken u. fünf Speckseiten. – Trotz dieses Ereignisses konnte ich dann doch noch die Sonntagsandacht abhalten mit nur 1/4 stündiger Verspätung. – [...]

[4415]
Montag, 25. Juni 1945.     

[4415]      Unser Kommandant war, wie mir gestern Abend Frau Kahl sagte, sehr ungehalten, weil er bei der Haussuchung bei Hagedorn nicht zugezogen worden war. Er war der Meinung, daß er hätte verhindern können, daß Althagen u. Wustrow an den beschlagnahmten Sachen beteiligt wurden, es hätte s. M. nach alles nur Ahrenshoop zu Gute kommen müssen. Auch fühlte er sich an u. für sich übergangen, denn s. M. nach müsse er als Kommandant von dergleichen Sachen in Kenntnis gesetzt werden. Da mir viel daran liegt, mit diesem trefflichen jungen Menschen auf bestem Fuße zu stehen, ging ich nach abends zu ihm hin. Ich traf ihn glücklicherweise vor dem Hause der Dolmetschers Dalschewsky, sodaß ich in der Lage war, ihm in dessen Hause [4416] die Sache darzustellen. Ich konnte ihm sagen, daß ich selbst von der Sache erst unterrichtet wurde, nachdem die Haussuchung durchgeführt worden war. Als Dr. Hoffm. mich benachrichtigte u. als ich zum Gemeindeamt kam, stand das Lastauto mit den beschlagnahmten Sachen bereits dort. In meiner Gegenwart wurde nur die Verhandlung gegen Hagedorn geführt u. die Sachen wurden an die drei Gemeinden verteilt. Der Kommandant bestand darauf, künftig in allen ähnlichen Fällen zugezogen zu werden, aber er sah ein, daß mich selbst hier kein Vorwurf treffen konnte u. wir schieden nach sehr langem Gespräch, als gute Freunde, ja, wie mir schien, als bessere Freunde wie vorher. [...]

[4417]
Mittwoch, 27. Juni 1945.     

[4417]      Gestern suchte mich Frau Hagedorn auf, um nochmals über die Beschlagnahmung zu sprechen. Ich erfuhr von ihr, daß die beiden Herren von der polit. Polizei in Ribnitz bereits am Sonnabend Nachmittag dort gewesen waren u. das Haus durchsucht hatten. Dabei haben sie sechs oder acht harte Mettwürste in einen Koffer getan, der Hagedorn gehörte sowie andere Kleinigkeiten wie Nudeln u. auch 1/2 Pfund Bohnenkaffee, sowie Cigaretten u. Cigarren. Abends haben sie dann von Frau Hagedorn Abendessen verlangt u. haben drei Weizenbrote bestellt. Am Sonntag früh haben sie dann die eigentliche Haussuchung durchgeführt, wobei das Mehl u. das Rauchfleisch usw. beschlagnahmt wurde, während die anderen Sachen vom Abend vorher, darunter auch Spirituosen, verschwunden blieben. – Schon vorher hatte ich durch Rückfrage beim ehem. Schöffen Voss festgestellt, daß es mit den Schlachtscheinen seine Richtigkeit hatte u. Hagedorn rechtmäßig drei Schweine geschlachtet hatte. Mithin war die Beschlagnahmung des Rauchfleisches zu Unrecht erfolgt u. ich ließ es durch Leplow wieder ausliefern. Es ist ganz offensichtlich, daß diese beiden Kerle von der polit. Polizei in Ribnitz ganz gewöhnliche Gauner sind, die nur die Absicht der eigenen Bereicherung haben. Es ist das ein Skandal erster Güte. Ich werde sofort Dr. Hoffmann verständigen.

     Unsere Fleischversorgung ist ernsthaft gefährdet. Leplow hat stets in der Umgegend von Damgarten Fleisch gekauft. Jetzt hat der Bürgermeister von Damgarten im Verein mit dem dortigen russ. Kommandanten den Viehverkauf nach auswärts gesperrt u. da der Kommandant in Wustrow niemanden durchläßt, ist es nicht möglich, in Damgarten zu verhandeln. –

     Rührend sind einige Ahrenshooper Kinder, welche jetzt täglich ein Kasperle-Theater veranstalten, wobei sie Eintritt erheben. Den Betrag liefern sie dann an die Notgemeinschaft aus. – [...]

Ahrenshoop, Juli 1945

[4501]
Dienstag, 3. Juli 1945.     

[...] [4502]      Soeben um 5 Uhr nachm. höre ich, daß heute die erste Post in Ahrenshoop angekommen ist. Es sind meist sehr alte Briefe. Herr Pedak im Büro hat eine Aufforderung vom 24. März von seiner Dienststelle erhalten, den Dienst wieder aufzunehmen; aber Frau Niemann von der Post, die eben hier war, hat einen Brief vom 26. Juni erhalten aus der Nähe von Rostock. Sie sagt, daß vorläufig wöchentlich zwei mal Post hier ankommen u. auch abgehen soll. [...]

[4503]
Freitag, 6. Juli 1945.     

[...] [4503]      Gestern habe ich alle Hausschlachtungen beschlagnahmen lassen. Es war nicht mehr anders zu machen. Wenn ich freilich gewußt hätte, daß Leplow heute Fleisch bekommen würde, hätte ich damit noch gewartet. Nun fehlt es wieder an Kartoffeln u. an Mehl, der Bäcker hat Mehl nur noch für eine Woche. [...]

[4503]
Sonnabend, 7. Juli 1945.     

[...] [4503]      Heute höre ich, daß noch nicht ein einziges Stück Fleisch von den Hausschlachtungen bei Leplow abgeliefert worden ist. [...]

[4503] Nur bei Frau Bertsch soll noch Fleisch sein. Meyer erzählt mir, daß Frau Bertsch den ganzen Krieg hindurch besondere Vergünstigungen genossen hätte, die sie durch Bestechung der Landratsbeamten erlangt haben soll. Wir werden also bei ihr Haussuchung machen lassen. –

[4503]
Montag, 9. Juli 1945.     

[...] [4503]      Am Abend kam Dr. Hoffmann. Herr Soehlke war bei ihm gewesen u. im Interesse von Frau Bertsch zu intervenieren, da diese sich wegen der Beschlagnahmung der Hausschlachtungen beklagt hatte. Herr Dr. H. war mit Herrn S. zu Frau B. gegangen u. da hatte sich dann ergeben, daß Frau B. ganz gewaltige Mengen von Hamsterwaren besaß. Herr Dr. H. hat diese Sachen sofort beschlagnahmt. Ich werde die Sachen heute von Spangenberg abfahren lassen.

     In der Nacht sollen sehr viele Einbrüche vorgekommen sein, es scheint so, als ob da eine organisierte Räuberbande am Werke wäre. [...]

[4504]
Dienstag, 10. Juli 1945.     

[4504]      Gestern Nachmittag waren wiederum Herr Harder u. sein Genosse im Dorf u. machten Haussuchung. Bei Bertsch wurde nochmals nachgesucht u. viel beschlagnahmt. Es gab dann eine kleine dramatische Zuspitzung, da unser Michael sich einmischte u. verhindern wollte, daß von diesen zuletzt beschlagnahmten Sachen einiges nach Wustrow ging. Es gelang ihm jedoch nicht, auch er ließ sich dumm machen von Dr. Hoffmann, der dabei war. [...]

[4504]
Mittwoch 11. Juli 1945     

[4504]      Wie ich erst später feststellte, haben Dr. Hoffmann + Herr Harder mich wiederum betrogen. Die ganzen Sachen, die bei der zweiten Durchsuchung bei Bertsch gefunden, worden waren, sind wieder restlos nach Wustrow gekommen, ohne daß wir auch nur das geringste behalten hätten. Im Gegenteil: es wurden noch von dem Mehl, was wir schon hatten, noch 60 Pfd. abgewogen u. mitgenommen. [4505] Ich habe mich dumm machen lassen, denn ich bin gegen die Gerissenheit dieser Gauner machtlos. Aber auch sonst hätte ich vielleicht nichts machen können, da ich mich mit Dr. H. ja gut stellen muß, damit er sich um die Lebensmittel-Anfuhr bemüht. – In der Nacht konnte ich nicht schlafen, weil ich mich über diesen neuen Betrug ärgerte. [...]

[4505] Heute früh, als ich zum Amt ging, traf ich Herrn Damm, der mir die Neuigkeit brachte, daß Harder gestern in Wustrow auf der Straße erschossen worden sei. Etwas später kam Gläser, u. brachte mir einen ärztlichen Bericht, den er für die russische Kommandantur übersetzen soll. Denmach ist Harder gestern Nachmittag von einem gewissen Harry Grubach aus zwei Schritt Entfernung in den Leib geschossen worden. Man hat ihn nach Rostock in die Klinik gebracht, aber nach dem ärztl. Bericht kann man nicht damit rechnen, daß er mit dem Leben davon kommt. Ein großer Halunke ist damit weniger u. Dr. H. soll sich sehr hüten, daß es ihm nicht ähnlich geht, die Schiebereien dieses Mannes bilden überall das Dorfgespräch sowohl hier, wie in Althagen.

Herr Dr. Ziel kam in dieser Angelegenheit zu mir. Er erzählte mir von der Wut der Leute auf Dr. H. u. deutete an, daß diese Wut sich leicht gegen mich richten könne, da ich mich von ihm hätte betrügen lassen. Ich erwiderte ihm, daß ich im Kampf gegen Schieber tatsächlich machtlos wäre. Wenn die Gemeinde mir das zum Vorwurf machen sollte, dann müßte sie sich eben einen anderen Bürgermeister suchen, der mit den Praktiken der Schieber besser vertraut ist, als ich. – [...]

[4506]
Freitag, 13 Juli 1945.     

[4506]      Gestern entschloß ich mich, nach Wustrow zum Kommandanten zu fahren, um ihm die Ernährungslage in Ahrenshoop darzustellen. Frau Marie Seeberg fuhr mit als Dolmetscherin u. auch Martha kam mit, weil sie sich das Entbindungsheim ansehen wollte. Wir fuhren mit Spangenberg im Kastenwagen mit einem Pferd.

     Beim Kommandanten waren Dr. Hoffmann u. der Genosse des Herrn Harder zugegen. Der Kommandant meinte, Ahrenshoop gehöre zu Pommern u. müsse sich selbst ernähren, – nachdem es doch bisher immer geheißen hat Ahrenshoop gehöre zu Mecklenburg. Ich wurde darüber ziemlich erregt u. rief, daß Herr Dr. H. bisher immer erklärt hätte, wir gehörten zu Mecklenbg. Er bestätigte das mit der Einschränkung: „wirtschaftlich“. Ich sprach weiter mit erhobener Stimme, sodaß der Kommandant mich auffordern ließ, leiser zu sprechen. Das Ergebnis der ganzen Sache war dann, daß er mir schriftlich die Berechtigung auf 20 kg. Butter aus der Molkerei gab. Außerdem gelang es mir, für den Schlachter Leplow einen Passierschein von 4 wöchentl. Gültigkeit zu bekommen, ebenso für mich selbst, wie auch für Frau Seeberg. Vor allem setzte ich durch, daß der LKW morgen den ganzen Tag für die Gemeinde fahren kann. Ich werde dann wieder mitfahren nach Ribnitz, um Kartoffeln zu kaufen, – ich hoffe, daß wir 2 mal, vielleicht gar 3 mal hin u. zurück fahren können.

     Inzwischen ist es Dr. Hoffmann gelungen, unseren Fahrer Butt zu beschuldigen, daß er Sabotage triebe. Die Batterie des Wagens war nämlich nach Ribnitz gebracht worden zum Aufladen u. Richter, der Fahrer des zweiten Wagens, hatte die Batterie dann vertauscht mit einer anderen, die nicht funktionierte, sodaß unser Wagen drei Tage lang nicht fahrbereit war. Dr. H. hat nun einen anderen Fahrer angestellt, was vielleicht der erste Schritt dazu sein soll, den Wagen ganz an sich zu bringen. Herr Dr. H. spielt da ein gewagtes Spiel. Ich habe in Wustrow beim Bürgermeister Hallier festgestellt, daß die Waren, die bei Frau Bertsch beschlagnahmt u. von hier abgefahren worden sind, angeblich, um in Wustrow u. Althagen verteilt zu werden, dort nicht verteilt worden sind. Von Bauer Nagel, der die Sachen gefahren hat, höre ich, daß alles in eine Garage in Wustrow abgeladen worden ist. – Herr Hallier, der sich von dieser Schieberbande mindestens ebenso betrogen fühlt wie ich, beklagte sich sehr u. behauptete, daß Herr Dr. H. früher in Berlin ein Parteianwalt gewesen wäre. – Herr Dr. Meyer, der mich ebenfalls in Wustrow begrüßte, sprach von all diesen Leuten dort als von einem Schieber=Konzern.

[4506]
Montag, 16. Juli 1945.     

[4506]      Am Sonnabend fuhr ich wieder nach Wustrow, weil mir ja der LKW. für den ganzen Tag versprochen war. [...]

[4507] Ich hatte Leplow mitgenommen, um den Vieheinkauf zu klären, aber die Verhandlung mit dem Bürgermeister u. seinem landwirtschaftl. Sachbearbeiter verlief ganz ergebnislos. Dieser Bürgermeister ist ein Knoten. Die Leute lassen kein Stuck Vieh aus ihrem Bebiet heraus. Es wird nichts weiter übrig bleiben, als nach Barth zu fahren u. zu versuchen, dem Damgartner Versorgungsgebiet angegliedert zu werden. Wir fuhren dann zurück nach Ribnitz u. luden 60 Centner Kartoffeln auf bei Reiffeisen, alles in größter Hast, dann zurück nach Wustrow wo ich in der Molkerei noch 20 kg. Butter bekam u. dann nach Ahrenshoop zurück. Der LKW. ist dann tatsächlich pünktlich um 1 Uhr wieder in Wustrow gewesen. Es gelang mir dann noch, 20 Centner Kartoffeln von Dillwitz in Althagen dazu zu bekommen, sodaß nun endlich einmal wirklich alle Leute je 10 Pfd. Kartoffeln bekommen konnten.

     Am Sonntag morgen kam Herr Damm u. erzählte mir, daß Dr. Hoffmann mit Frau, Herr Soehlke u. Frau u. Kinder u. Frau Kuhnke mit Kindern in der Morgenfrühe mit dem Richterschen Wagen nach Berlin abgefahren sein sollten. Tatsächlich waren am Sonnabend Nachmittag Frau Soehlke u. Frau Kuhnke bei uns gewesen um sich zu verabschieden, – sie wollten nach Berlin fahren am Sonntag oder Montag. In der ganzen Gegend ging nun das Gerücht, Herr Dr. H. sei getürmt. Offenbar muß er aber vorher selbst gesagt haben, daß er für 10 Tage nach Berlin auf Urlaub führe. Mir hat er zwar davon kein Wort gesagt, aber den jüngeren Dr. Grantz hat er gebeten, ihn beim Kommandanten zu vertreten. Ich kann mir nicht gut denken, daß Dr. H. wieder zurück kommt, der Boden ist ihm wohl zu heiß geworden. Wir sind damit einen üblen Schieber los, müssen uns nun zwar selbst mehr um die Ernährungsfragen kümmern oder vielmehr, ich bin nun ganz auf mich selbst angewiesen in diesem Punkt, aber Herr Dr. H. hat ja so wie so in dieser Sache nicht mehr viel getan. Seine Tatigkeit bestand in der Hauptsache darin, für den Kommandanten Schnaps u. für sich selbst Lebensmittel zu organisieren.

[4508]      Heute Morgen fand die feierliche Eröffnung der Oberstufe der Schule statt, die Herr Schulrat Zelk eingerichtet hat u. von der 32 Kinder in 3 Klassen erfaßt werden. Der Akt fand im Hause der Frau Geheimrt. Mietke in Althagen statt. Da Herr Ziel sich eifrig um die Sache bemüht hatte, mußte die unvermeidliche Frau Richter-Langner sich als Sängerin produzieren, aber sonst verlief die Sache ohne Zwischenfall. Herr Zelk hielt eine sachliche u. gute Rede. Alle Lehrkräfte sind aus Ahrenshoop. – [...]

[4508]
Dienstag 17. Juli 1945.     

[4508]      Heute früh fuhr ich zusammen mit dem Förster Damm auf Spangenbergs Kastenwagen nach Born, um auf dem Forstamt mit Herrn Mett über Holzlieferung zu verhandeln. Da wir mit dem einen Pferd nur im Schritt fahren konnten, dauerte es zwei volle Stunden, bis wir dort waren. Ich war also 4 Stunden unterwegs. Der Weg durch den Darss liegt immer noch voll von verbrannten Autos der SS, Stahlhelme u.a. Ausrüstungen. Es ist ein trostloser Anblick [...]

[4508]      Mittags hörte ich dann von Martha, daß auf der Batterie ein neuer Kommandant eingetroffen sein soll, der mir heute Morgen einen Besuch machen wollte. In der Nacht ist wieder viel eingebrochen u. gestohlen worden, das deutet auf Abrücken der Truppe hin.

[4508]
Mittwoch, 18. Juli 1945.     

[4508] In Wustrow sind gestern dramatische Ereignisse gewesen. Man soll beim Bürgermeister Hallier ganz gewaltige Hamster Vorräte gefunden haben. Der Bürgermeister selbst soll verhaftet worden sein u. seine Frau soll ins Wasser gegangen sein, doch soll man sie noch rechtzeitig herausgezogen haben.

[4509]
Freitag, 20. Juli 1945.     

[4509]      Gestern früh war unser LKW. frei u. ich fuhr mit nach Ribnitz, um mit dem Bürgermeister u. dem Kommandanten zu verhandeln. [...]

[4509]      Der Bürgermeister erzählte mir, daß zwei Tage vorher ein Herr bei ihm gewesen wäre, der sich Bezirksbürgermeister von Wustrow, Althagen u. Ahrenshoop genannt habe. Dieser Herr habe sich jedoch bei ihm u. beim Kommandanten so flegelhaft benommen, daß der Kommandant ihn hatte stehen lassen. Dieser Herr kann nur der jüngere Dr. Grantz gewesen sein, von dem ich gehört habe, daß er Dr. Hoffmann während seines Urlaubs vertritt. Es ist ja bezeichnend, daß er sich einfach den Titel eines Bezirksbürgermeisters anmaßt, wozu er selbst dann kein Recht hätte, wenn Dr. Hoffmann diesen Titel führen dürfte, was aber garnicht der Fall ist. [...]

[4510]
Montag, 23. Juli 1945.     

[...] [4510]      Am Sonntag habe ich zum ersten Male nach der Andacht ein Kind getauft. Es war ein uneheliches Kind einer Flüchtlingin aus dem Osten. Die junge Mutter wohnt mit ihrer Mutter in Althagen. Diese erste Taufhandlung hat mich sehr bewegt. Ich habe sie so feierlich wie möglich gestaltet. [...]

[4510]
Dienstag, 24. Juli 1945.     

[4510]      Gestern Abend kam der Kommandant aus Althagen, nachdem er sich vorher angemeldet hatte. Er brachte sich den Dolmetscher Daschewsky mit, ich hatte Dr. Hahn mit seinen Arbeitslisten beordert, denn der Kommandant hatte sich beklagt, daß der Arbeitseinsatz nicht klappte. Er forderte für die nächsten Tage 40 Arbeitskräfte an, Männer u. Frauen, die Erdarbeiten machen sollen. Es handelt sich um Bunker oder Erdstellungen, die z. Zt. auch in Wustrow gebaut werden u. über deren Zweck kein Mensch etwas weiß. Selbst unser kleines Kosackenkommando im Hause Monheim hat 4 Leute angefordert, um solche Arbeiten zu machen. Die Arbeiten sollen mit allergrößter Beschleunigung durchgeführt werden, weil die Arbeitskräfte dann, wie der Kommandant sagt, für die Erntearbeiten frei sein sollen; aber in Wustrow soll ein Anschlag zu lesen sein, nach welchem alle Flüchtlinge u. Evakuierten den Ort innerhalb von 3 Tagen zu verlassen haben. [...]

[4511]      Hagedorn sollte gestern in Born über Fischlieferung verhandeln. Es schien so, als könnten wir dort Fische bekommen, um sie nach Ribnitz zu liefern; aber er kam Abends zurück ohne Erfolg. Die Russen holen auch dort alle Fische fort. Heute früh ist der LKW. wieder nach Ribnitz unterwegs, weil es heißt, wir könnten nun doch Mehl bekommen auch ohne Fische. Unser Brot reicht nur noch einige Tage.

     Ich fange an, müde zu werden. Die Schwierigkeiten sind zu groß, teilweise unlösbar u. alles sieht oft ausweglos aus. Gestern hieß es im Radio, daß demnächst die Grenzen zwischen den einzelnen Besatzungszonen geöffnet werden sollten, sodaß wir dann wenigstens die West-Flüchtlinge los werden könnten. Die Ost-Flüchtlinge los zu werden, ist ja garkeine Aussicht, – wir können im Gegenteil froh sein, wenn wir von dort nicht neue Flüchtlinge bekommen, nachdem die Polen ganz Pommern bis zur Oder einschl. Stettin verlangen u. dort alle Deutschen hinauswerfen werden. [...]

[4511]
Mittwoch, 25. Juli 1945.     

[...] [4511]      Um die Mittagszeit war der Bürgermeister von Born bei mir. Er erzählte mir Wunderdinge. In Born gibt es keine Requisitionen. Wenn die Russen etwas brauchen, kaufen sie es gegen Geld zu normalen Preisen u. sogar die Arbeitskräfte, die sie anfordern, bezahlen sie. Der Kreiskommandant in Barth läßt alle 4 Wochen die Bürgermeister zur Besprechung zu sich kommen u. lädt sie dann zum Mittagessen ein. In Born fehlt noch keine Kuh u. kein Pferd u. kein Möbelstück oder sonst irgendetwas. Es ist kaum zu glauben. – [...]

[4512]
Donnerstag, 26. Juli 1945.     

[4512]      Der Tag gestern verlief, abgesehen vom Vormittag, ziemlich ereignislos. Gott sei Dank! Das Wetter ist heute auch wieder besser, nachdem wir einige kalte Sturmtage gehabt hatten, durch die der Garten arg mitgenommen worden ist. Viele Dahlien, die in diesem Jahre besonders kräftig gediehen waren, liegen am Boden. Den Tomaten hat der Sturm nichts geschadet, auch sie sind in diesem Jahre besonders kräftig. Ueberhaupt steht draußen alles besonders schön u. man könnte sich des Lebens freuen, wenn die Russen nicht wären. [...]

[4513]
Freitag, 27. Juli 1945.     

[4513]      Gestern Abend sagte mir Gretl Neumann, die gegen 11 Uhr abends von Dr. Grantz kam, daß am Montag früh 9 Uhr ein Dampfer für Ahrenshooper Flüchtlinge ab Wustrow fährt. Nichts ist dafür vorbereitet. Es werden sich kaum viele finden, die den Dampfer benutzen werden. Leerlauf! Leerlauf! [...]

[4513]
Sonnabend, 28. Juli 1945.     

[...] [4513]      Gestern brachte ein Bote Post aus Born mit allerhand Rundschreiben u. Fragebogen vom Landrat u. einigen Briefen vom Bürgermeister in Prerow, der jetzt als Bezirksbürgermeister über Zingst, Prerow, Müggenburg, Wiek, Born u. Ahrenshoop eingesetzt ist. Es herrscht nach wie vor völlige Unklarheit, wohin Ahrenshoop nun eigentlich gehört. – [...]

[4513] Herr Wiethuchter hat sich in Verhandlungen mit der Wustrower Molkerei [4514] sehr verdient gemacht. Wir bekommen jetzt täglich wieder 50 ltr. Magermilch von dort. Ich habe Frau Hoppe beauftragt, den Milchverkauf in ihrem Laden zu übernehmen. Herr Wiethuchter u. Herr Grantz haben auch mit dem neuen Wustrower Bürgermeister Brüssow gesprochen. Es scheint so, als gäbe sich dieser Mühe, mit mir gut zu stehen. [...]

[4514]
Montag, 30. Juli 1945.     

[4514]      Gestern Nachmittag waren Martha u. ich beim Kommandanten in Althagen zum essen eingeladen. Es war eine ziemlich unmögliche Sache. Schon der Zeitpunkt: um 1/2 4 Uhr. Wir kamen sehr hungrig hin. Der Herr Kommandant hatte auf seinem Bett gelegen u. geschlafen. Er hatte – Gott sei Dank! – Hosen an, sonst aber war er in Hemdsärmeln u. grauen Wollsocken. Er zog sich im Laufe der Zeit wenigstens den Rock an, wenn er ihn auch offen stehen ließ. Frau Kahl u. Herr Daschewski kamen ebenfalls. Das Essen, an dem der Oberleutnant selbst nicht teilnahm, da er bereits gegessen hatte, bestand aus einer sehr fetten Brühe mit Gemüse u. Fleisch darin, sodann aus einem Schlag Quetschkartoffeln mit großen Fleischstücken, die herunterzuschlingen Mühe machte, da es keine Messer gab mit denen man sie hätte zerkleinern können. Außerdem stand das bei den Russen unerläßliche Brot auf dem Tisch, dazu je ein Teller mit aufgeschnittener Mettwurst u. in Würfel geschnittenem, geräucherten Schweinefett. Unter dem Sofa holte der Herr Oberleutnant eine Flasche Weißwein hervor, die wir in verschiedene Gläser schenkten. Wir selbst brachten ihm eine Blumenvase mit Blumen mit, zwei Porzellantassen, einen Thermometer u. eine kleine Tischdecke. Er freute sich zu all dem sehr u. gab sich große Mühe, die Mängel seiner Bewirtung zu entschuldigen. [...]

[4514] Der Oberleutnant ist ein sehr gutwilliger u. sehr bescheidener Mann ohne Bildung. Er ist sehr pflichteifrig u. man kann gut mit ihm auskommen. Er verlangt nichts Unmögliches u. hat den Willen, gerecht zu sein [...]

[4514]
Dienstag 31. Juli 1945.     

[4514]      Gestern Abend brachte der Unteroffizier der Batterie ein großes Stück Fleisch u. mehrere Brote als Bezahlung für Kleidungsstücke, die ihm in der Schneiderstube gemacht worden waren. Martha war leider nicht da, sie war beim russ. Unterricht. Der Unteroffizier ging gleich von hinten her ins Haus u. legte das Fleisch ohne mein Wissen in die Küche, während ich selbst vorn vor dem Hause saß u. mit dem anderen Unteroffizier sprach, der immer die Arbeitskräfte anfordert. Der erste kam dann von hinten her zurück u. trug einen leeren Sack. Er ging an mir vorbei zur Gartentür zum Wagen, mit dem er gekommen war. Hinter ihm her kam dann noch ein Hilfspolizist mit roter Armbinde, den ich nicht kenne. Er sagte zu mir: „Das ist ja gut: bei uns in Althagen werden jede Woche drei Schweine requiriert u. das Fleisch kommt zum Bürgermeister von Ahrenshoop.“ – Da ich nichts von dem Fleisch gesehen hatte, wußte ich nicht, was der Mann [4515] meinte, jedoch ahnte ich wohl, daß der Unteroffizier Fleisch gebracht hätte als Bezahlung gegen Kleidungsstücke, die er aus der Schneiderstube erhalten hatte. So war es auch in der Tat. Ich versuchte, dem Polizisten dies klar zu machen u. ich sagte ihm, daß dieses Fleisch nicht mein Besitz sei, wenn es auch vielleicht in meiner Küche abgeladen worden sei. Dort wird das Fleisch nur verteilt an diejenigen, die für die Russen gearbeitet haben u. die Hauptsache kommt in die Notküche zur Verteilung an die Bedürftigen. Der Mann hörte zum Glück zu u. ließ sich wohl auch von der Wahrheit überzeugen, dennoch war diese Sache sehr unangenehm. Es ist gut möglich, daß daraus übler Klatsch entsteht. [...]

[4515]      Abends kam Gretl Neumann aus Ribnitz zurück, wo sie gut für uns gearbeitet hatte. Es war ein Dampfer bis Althagen gefahren u. hatte allerhand Lebensmittel gebracht. Darunter war auch Grütze. Wir, bzw. Paul, errechnete die Verteilung u. wir kamen überein, jedem Kinde bis zu 10 Jahren 2 Pfd. Grütze zuzubilligen. Ein kleiner Rest bleibt dann noch für alte u. kranke Leute. Darob heute große Aufregung bei einigen Weibern, die keine kleinen Kinder haben. Es fällt manchmal sehr schwer, die Ruhe zu bewahren.

     Ein Leutnant aus Zingst war Mittags hier u. wollte Teller, Tassen u. Gläser requirieren. Ich versprach, ihm die Sachen u. er versprach mir dafür, mich nach Barth u. zurück zu fahren. [...]

Ahrenshoop, August 1945

[4601]
Freitag, 3. Aug. 1945.     

[...] [4601]      Um 1/2 1 Uhr Nachts hörten wir im Radio das Kommuniqué, das von der Potsdamer Konferenz herausgegeben worden ist, die vorgestern ihr Ende gefunden hat. Es ist bemerkenswert, wie geheim man alles behandelt hat u. mit welcher Schnelligkeit die Partner das Feld geräumt haben. Der amerikan. Präsident war nur wenige Stunden in England u. ist gleich weitergefahren.

     Das Kommuniqué selbst ist sehr allgemein gehalten. Es ist ein ständiger Rat der fünf Außenminister von England, Amerika, Rußland, Frankreich u. China gebildet, der in London tagt u. den Frieden mit Italien, Bulgarien, Rumänien u. Finnland vorbereiten soll. Der Friede mit Deutschland liegt noch in weiter Ferne, ebenso die Bildung einer deutschen Regierung. Königsberg wird Russisch, Polen reicht bis zur Oder u. Netze bis zur Tschecho-Slowakei. Polen, Ungarn u. die Tschecho-Slowakei werden die Deutschen ausweisen. Rußland wird zur Wiedergutmachung auch weiterhin Industrie=Einrichtungen nach Rußland schleppen, sodaß Ost=Deutschland tatsächlich ein Kartoffelacker werden wird.

     Für Ahrenshoop ergibt sich, daß es mit dem Fremdenverkehr endgültig aus sein wird. Andererseits kann das Dorf kein Bauerndorf werden, es sei denn, es würde etwa auf 1/4 seines Bestandes zurückgebracht. Hotels, Pensionen u. Sommerhäuser [4602] sind dann natürlich überflüssig, ebenso die Bunte Stube. Man könnte sie vielleicht abreißen u. das Gelände mit dem jetzigen Vordergarten mit Obstbäumen u. Obststräuchern besetzen u. im Hintergarten einen Geflügelhof anlegen.

[4602]
Montag, 6. August 1945.     

[...] [4602] Inzwischen geht aber der Abtransport der Flüchtlinge, den ich in der letzten Woche eingeleitet habe, weiter. Morgen um 8 Uhr geht der Dampfer von Althagen ab, der dann den größten Teil der Flüchtlinge, die noch hier sind, fortbringen wird. Von da ab wird Ahrenshoop dann ziemlich leer sein, u. es wird eine fühlbare Erleichterung der Ernährungslage geben. [...]

[4603]
Dienstag, 7. Aug. 1945.     

[4603]      Heute früh sind 132 Flüchtlinge abgefahren. Ich hoffe, daß damit eine fühlbare Erleichterung der Ernährungslage für den Ort eintreten wird. Die Leute, die abgefahren sind mit dem Dampfer ab Althagen, gehen einem schweren Schicksal entgegen, möge ein gütiger Gott sie schützen. [...]

[4603]      Herr Dr. Hahn erstattete Bericht über seine Reise nach Barth, die äußerst schwierig war. Ueber die Zingster Brücke ist er nur gekommen mit falschen Pässen, die ihm der russ. Wachtposten gegeben hat, da Dr. H. sein Schreiben des hiesigen Kommandanten aus dem Mohnheim'schen Hause an ihn vorwies. Es war nicht ungefährlich, aber die Reise hat sich gelohnt. Leplow, der mitgefahren war, hat seine Handelserlaubnis für Damgarten bekommen. Dr. H. hat mit dem stellvertr. Landrat verhandelt, der unmittelbar im Begriff stand, nach Schwerin zur Regierung zu fahren u. der sich alle Klagen genau notiert hat. Ebenso hat Dr. H. mit dem Forstmeister wegen Holzlieferung günstig verhandelt.

[4603]
Mittwoch, 8. Aug. 1945.     

[4603]      Gestern abend kam der Dampfer, der die Flüchtlinge abgefahren hatte, mit Lebensmitteln zurück: Kartoffeln, Rübenschnitzel, Mehl u. Graupen. Mit dem Mehl war es besonders hohe Zeit, sonst hätten wir heute kein Brot mehr gehabt.

     Nach dem Dienst half ich bei Paetow, die Scheune aufzuräumen, weil er heute den Roggen einfahren will. Er hat viel vorjähriges Stroh übrig behalten, da er es nicht gebraucht hat, nachdem ihm seine Pferde gestohlen worden sind. Abends kam die kleine Enkelin u. sagte, daß Kämmerer bei Paetow Klee abmäht u. abfährt. Es stehlen nicht bloß die Russen, sondern auch die Deutschen. – [...]

[4604]
Donnerstag, 9. Aug. 1945.     

[4604]      Am heutigen Tag hat Rußland an Japan den Krieg erklärt, u. zwar auf Ansuchen der amerikan. u. engl. Regierung. Dies gab gestern Abend der engl. Sender durch.

     Ebenfalls wurde gestern die Anwendung der neuen Atom=Bombe gegen Japan bekannt gegeben. Es ist das die geheimnisvolle Wunderwaffe, welche die Nazis immer erfinden wollten u. die nun die Engländer + Amerikaner wirklich erfunden haben. Nach dem engl. Sender muß die Wirkung dieser neuen Waffe furchtbar sein u. alle Vorstellungen übersteigen. Man hat nur eine Bombe auf einen japan. Kriegshafen geworfen u. es heißt, daß damit alle Lebewesen einschl. Pflanzen vernichtet worden seien. Die entwickelte Hitze soll alles getötet haben. Man will nun Japan einige Tage Zeit geben, ehe man mit dieser Waffe fortfährt. – Mit dieser Bombe ist der Anfang gemacht zu einer neuen technischen Entwicklung, deren Ausmaße sich überhaupt nicht übersehen lassen. Die Wirkung ist so ungeheuer, daß Kriege künftig schlechthin unmöglich sein werden. Wer diese Waffe besitzt, ist in der Lage, ganze Länder u. Kontinente zu vernichten. [...]

[4604]      3 Uhr nachm. – Der Wustrower Kommandant war per Auto hier am Baltischen Hof. Er hat dort Gardinen abreißen lassen u. a. Dinge beschlagnahmt unter der Devise, daß die Fazisten keine Gardinen brauchten, wenn die russ. Soldaten keine hätten. Dann ließ er mich rufen. Er saß schon im Auto am Steuer, der Althäger Kommandant war auch da. Als ich kam, zeigte er mit dem Finger auf mich u. sagte [4605] irgend etwas Gehässiges gegen mich zu dem Althäger. Daschewsky, der mich geholt hatte, übersetzte, warum die Evakuierten den Ort noch nicht verlassen hätten. Ich antwortete, daß das vorgestern geschehen sei. Er fragte, ob alle raus wären, die noch nicht fünf Jahre in Ahr. wohnten. Ich verneinte das, da mir von Brüssow schriftlich mitgeteilt worden sei, es brauchten nur die den Ort zu verlassen, die noch keine 18 Monate hier wohnten. Darauf erklärte er mir, daß bis zum 15. Aug. kein Mensch das Fischland verlassen dürfe. Ferner solle ich alle noch vorhandenen Radiogeräte u. alle Schreibmaschinen einsammeln u. in Wustrow abliefern. Schließlich solle ich wieder eine Liste der ehem. Parteigenossen bei der Batterie abliefern. – Damit ist es also nun mit dem Radio endgültig vorbei, u. man wird nun nichts mehr erfahren, was in der Welt los ist, wenn nicht gelegentlich mal eine Zeitung her kommt. Das Ganze ist nichts als eine gemeine Schikane. Der Kerl hat eine große Wut, daß Dr. Hoffmann durchgegangen ist, seinen Nachfolger Dr. Grantz hat er auch abgesetzt. [...]

[4605]
Sonnabend, 11. Aug. 1945.     

[...] [4606]      Die Russen erzählten mir gestern, daß Japan kapituliert habe. Radio höre ich nun nicht mehr. [...]

[4607]
Dienstag, 14. August 1945.     

[...] [4607] Die Felder von Ripke besichtigt, die ich für die Gemeinde abernten lassen werde. – Hoffentlich bekommen wir bald Strom, damit der Roggen gedroschen werden kann. –

     Nachm. 4 Uhr. – Ueber Mittag in Wustrow, Wäsche u. Haushaltsgegenstände für das neue Fischland-Krankenhaus abgeliefert. Man war dort über die Sachen sehr erfreut. – Ich suchte Herrn Brüssow auf in seiner Privatwohnung, wo ich jedoch nur seine Frau antraf, die ein seichtes u. nuttenhaftes Puttchen ist. Die Wohnung ist entsprechend mit Klubsesseln usw. eingerichtet. Die Frau ließ mich wissen, daß der Herr Kommandant fast jeden Abend bei ihnen sei u. Radio höre. Herr Brüssow verfügt über einen fabelhaften Radio-Apparat, verbunden mit Grammophon. Er hat den Apparat also nicht abgegeben.

     Jetzt eben haben wir Strom bekommen. – [...]

[4608]
Freitag, 17. Aug. 1945.     

[4608]      Leplow war gestern endlich wieder einmal unterwegs nach Damgarten, um Vieh zu kaufen. Es gelang ihm tatsächlich, zwei Tiere zu erstehen, doch wurden sie ihm dann wieder vom Bürgermeister durch die Russen abgenommen. Er kam ohne Vieh zurück.

     Gestern kam der Althäger Kommandant, um mir zu sagen, daß Munition gesprengt werden würde. Alle Fenster sollten geöffnet werden, alle Menschen sollten in den Häusern Deckung nehmen. Ich ließ es bekannt machen, aber es erfolgte nichts.

     Der Darss ist immer noch gesperrt, weil die Russen dort irgendetwas suchen, angeblich Spione. Das Brennholz kann nicht abgefahren werden. [...]

[4608]
Montag, 20. Aug. 1945.     

[...] [4608] Mit dem Strom habe ich als einziger in Ahr. Radio, aber am Sonnabend habe ich eine Lautsprecher-Anlage unter dem Vorbau der Bu-Stu anlegen lassen, wo ich Bänke aufstellen ließ. Gestern funktionierte die Sache zum ersten Male, die Leute freuten sich, Neuigkeiten u. Musik zu hören.

     Der Kommandant ist auffallend liebenswürdig zu mir. Er versichert mir immerfort, daß er mich sehr schätze. Gestern war er da mit einem Freunde u. dessen Frau. Für die Frau mußte Maß genommen werden für ein Kostüm, für den Freund für eine Jacke. Die Stoffe dazu stammen aus dem Kumpf'schen Hause. Es war ein schöner, dunkler Anzugstoff dabei u. er schenkte mir davon einen Anzug. [...]

[4609]
Donnerstag, 23. Aug. 1945.     

[4609]      Gestern abend mußten wieder Sofas, Sessel, Spiegel u. Gardinen beschafft werden, der Althäger Kommandant kam selbst, offenbar um zu verhindern, daß bei dieser Gelegenheit wieder geplündert wurde, wie es das letzte Mal geschehen ist [...]

[4609]      3 Uhr Nachm. – Liebers sagt mir, daß die Russen in Wustrow abrücken. Der ekelhafte Kommandant ist schon weg. Es besteht die Gefahr, daß sie unsere beiden LKW's mitnehmen. [...]

[4610]
Montag, 27. Aug. 1945.     

[4610]      Sonnabend Abend kam der Althäger Kommandant geritten mit dem neuen Kommandanten, einem Leutnant, der bemittleidenswert unbedeutend aussieht. Anscheinend ist die neue Truppe Marine-Infanterie. In der Nacht rückten die Kosaken ab. Sie nahmen wiederum unsere Wagen u. Pferde mit u. schleppten alles ab, was irgendwie beweglich war. Aus der Batterie haben sie Türklinken u. Schlösser u. Fensterrahmen mitgenommen u. von dem Pferdestall, den wir mit unseren Brettern gebaut haben haben sie ebenfalls alle Wände u. Bretter mitgenommen. Der Althäger Kommandant hat die ganze Zimmereinrichtung des Zimmers in dem er gewohnt hat, mitgenommen. – In Wustrow ist es noch viel schlimmer. Dort hat der Kommandant beide Lastkraftwagen mitgenommen, sowie das Rohöl des Dampfers, sodaß wir nun überhaupt keine Verbindung, mehr mit dem Inlande haben u. nicht wissen, wie wir künftig unsere Lebensmittel heranbringen werden. Ich habe heute morgen zunächst einmal Frl. Neumann nach Wustrow geschickt, damit sie beim dortigen Kommandanten vorfühlen soll. Ich werde dann selbst hinfahren u. mein Glück versuchen. Der Bürgermstr. Brüssow in Wustrow, der ja vom bisherigen Kommandanten gestützt wurde, wird sich nun ja auch unsicher fühlen, man spricht bereits von einem abermaligen Wechsel. [...]

[4610]      Gestern Nachmittag veranstaltete ich wieder mal eine Volksversammlung im Balt. Hof. Es war die zweite seit meiner Amtszeit. Ich sprach wohl 1 1/2 Stunden sehr umfassend über alles, was die Leute interessiert. So weit ich gehört habe, hat meine Rede sehr gefallen u. die Leute haben neuen Mut bekommen. Am Sonnabend Nachmittag hatte ich eine Vorstands-Sitzg. einberufen, die ebenfalls sehr harmonisch verlief. Dieser Gemeindevorstand ist sehr gutwillig u. ohne jede Opposition. [...]

[4611]
Dienstag, 28. Aug. 1945.     

[...] [4611]      Gestern Abend Verfügung aus Barth, aus der zu ersehen ist, daß wir neu mit Flüchtlingen belegt werden sollen. Es wird sich um die Flüchtlinge handeln, die aus Polen ausgewiesen werden. Wir sprachen mit Küntzels darüber u. kamen zu der Ansicht, daß diesmal eine Belegung mit Flüchtlingen wahrscheinlich auf sehr viele Jahre erfolgen wird, denn wo sollten die Menschen sonst hin? [...]

[4612]
Freitag, 31. Aug. 1945.     

[...] [4612]      Heute früh war Dr. Hahn in Wustrow zur Besprechung mit dem Kommandanten. Es ergibt sich, daß der eigentliche neue Kommandant in Müritz-Graal sitzt, in Wustrow [4701] ist nur ein Vertreter von ihm. Offenbar sind die Grenzen seines Bezirkes nicht klar abgesteckt, denn von Ahrenshoop wußte er nichts. Es scheint so, als rechneten wir nun doch zur Zone der Kosacken im Darss. Es ist höchst unangenehm, daß darüber nie Klarheit besteht u. man nie weiß, an wen man sich halten soll. – In Wustrow wurde nun wieder eine neue Ansicht über das Rundfunkhören propagiert. Es hieß dort, die Bevölkerung dürfe, ja sie solle Radio hören, u. zwar ohne Ausnahme, auch die ehemal. PG's, die bisher davon ausgeschlossen waren. Man ist jetzt sogar der Meinung, daß grade die PG's Radio hören sollen, damit sie einsehen lernen, was für einen Unsinn sie bisher gemacht haben. Aber die Russen sollten zuerst einmal den Unsinn einsehen lernen, den sie gemacht haben, als sie uns sämtliche Apparate fortnahmen. [...]

Ahrenshoop, September 1945

[4701]
Sonnabend, 1. Sept. 1945.     

[4701]      Heute vor sechs Jahren brach Hitler den Krieg vom Zaun. [...]

[4701]
Montag, 3. Sept. 1945.     

[4701]      Am Sonnabend Abend erzählte Gretl Neumann, daß der Bürgermeister von Wustrow, Herr Brüssow, abgesetzt worden sei. Es scheint, als ob der dortige neue Kommandant dabei die Hand im Spiele hatte. Herr B. war ja eine Kreatur des letzten Kommandanten. Die Bevölkerung hat diesen Bürgermeister sehr gehaßt. Der jetzige Kommandant hat am Sonnabend eine Ansprache an die Wustrower gehalten u. zum Ausdruck gebracht, daß das verwerfliche Kosackenregiment ein Ende haben solle u. daß nun Friede, Ruhe u. Sicherheit einkehren sollten. Gestern Abend soll in Wustrow sogar eine Feier der Deutschen mit den Russen stattgefunden haben, bei der es Bier gegeben haben soll. [...]

[4702] Abends kam noch Gretl Neumann u. erzählte von den Wustrower Vorgängen. Herr Brüssow soll zwar, wie er sagt, tatsächlich im Konzentrationslager gewesen sein, aber nicht aus polit. Gründen, sondern wegen § 175. Andere sagen, er sei ein getarnter SS=Mann, der wie so viele andere gegen Schluß des Krieges in ein Konzentrationslager gegangen sei, um sich ein Alibi zu konstruieren. [...]

[4702]
Dienstag, 4. Sept. 1945.     

[4702]      Wustrower erzählten mir gestern die Vorgänge dort. Danach hat der dortige Kommandant eine Ansprache halten wollen u. das ganze Dorf war vor dem Gemeindeamt versammelt. Da der Kommandant aber nicht kam, hat der Bürgermeister Brüssow, der ja früher Schauspieler gewesen sein will, das Volk durch Vortrag eines Hörspiels belustigt. Nachdem das Volk zu seinem Erstaunen aus seinem Bürgermeister einen Harlekin u. Spaßmacher hat werden sehen, kam dann, um das Erstaunen u. die Harlekinade voll zu machen, ein Auto, dem ein Beamter des Landratsamtes entstieg, um Herrn Brüssow zu verhaften. Es heißt jetzt, er habe 2 1/2 Jahre Zuchthaus gehabt u. sei dann 5 Jahre im Konzentrationslager gewesen. Da es sich um Sittlichkeitsvergehen gehandelt habe, sei er entmannt worden. –

     Frau Hoppe war vor einigen Tagen bei mir. Ihr Mann ist noch nicht zurückgekehrt, sie selbst sitzt mit ihren beiden Jungens in einer Stube neben ihrem Laden u. sie hat keinen Verdienst als nur die paar Pfennige, die aus dem Verkauf von Magermilch herausspringen, die sie von der Molkerei bezieht. Ich sagte ihr zu, daß sie künftig auch die Butter u. die Eier verkaufen solle, die aus dem Dorfe anfallen u. auch gelegentlich aus der Molkerei. Es ist das nicht viel, aber doch wenigstens eine kleine Hilfe. Ich ahnte dabei aber gleich, daß ich deshalb mit [4703] Saatmanns, die diese Produkte bisher verkauft haben, in Differenzen kommen würde. Immerhin sagte ich mir, daß Saatmanns Einsicht haben würden. Der Verdienst aus diesen Dingen ist ja nicht groß u. Saatmanns haben eine ganze Büdnerei mit Kuh, Hühnern u. sehr großem Garten u. Gemüseland, ihre Existenzgrundlage ist mehr als gesichert. – Dennoch ist es gekommen, wie ich gefürchtet habe. Frau Saatmann schimpft. Als ich dem Mann heute begegnete, ging er mit der Pfeife im Munde an mir vorbei ohne meinen Gruß zu erwidern. Die Verächtlichkeit dieser Menschen ist wahrhaftig sehr groß. [...]

[4703]
Donnerstag, 6. Sept. 1945.     

[4703]      Heute morgen eine sehr schwierige Verhandlung mit den Pferdebesitzern. Es handelte sich darum, Frau Schröder u. Herrn Kämmerer zu bewegen, je ein Pferd an den Bauern Paetow abzugeben u. den Schlachter Leplow desgleichen an Rich. Spangenberg. Eine diesbezügliche Verfügung des Präsidenten von Mecklenbg-Vorpommern, die mir erst heute morgen in die Hände kam, leistete mir dabei große Hilfe, sodaß es mir nach einer einstündigen Verhandlung gelang, zum gewünschten Ziel zu kommen. Paetow freute sich natürlich sehr u. auch Spangenberg war zufrieden, Leplow, Kämmerer u. Frau Schröder mit ihrem Vater Brandt mußten sich wohl oder übel fügen u. taten es schließlich ohne Groll gegen mich. Es war das ein sehr schöner Erfolg, den ich kaum erwartet hatte. [...]

[4704]
Freitag, 7. Sept. 1945.     

[...] [4704]      Helm. Saatmann war bei mir mit der erfreulichen Absicht, die Angelegenheit mit der Butter wieder in Ordnung zu bringen. Ich freute mich sehr darüber u. versicherte ihm, daß für mich bei dieser Sache nur der Gedanke maßgebend war, der armen Frau Hoppe zu helfen. Aus diesem Grunde könnte ich die Sache auch nicht mehr rückgängig machen, bis das Geschäft von Frau Hoppe wieder in Gang käme u. sie genug verdiente. Ich würde ihr dann gern den Butterverkauf wieder übergeben. Herr S. sagte mir, daß er seine Frau zu mir schicken werde, damit die Sache gütlich beigelegt werden kann. [...]

[4704]
Sonnabend, 8. Sept. 1945.     

[...] [4704] Der russ. Kommandant, bzw. die Kommandanten in Rostock u. in Ribnitz betreiben die Einbringung der Ernte mit Hochdruck. Es ist erstaunlich, welche Eile diese Leute haben, sodaß man den Verdacht hat, sie werden nicht mehr lange hier sein u. sie wollen die Ernte mitnehmen. Täglich sind Meldungen über den Fortgang der Ernte, über die Verwendung der Pferde usw. zu machen, daneben Bevölkerungszählungen noch u. noch nach immer neuen Gesichtspunkten. [...]

[4705]
Montag, 10. Sept. 45.     

[...] [4705] Heute morgen erzählen die Frauen in der Schneiderstube, daß der kleine Sergeant, der ein ekelhafter Kerl ist, große Reden hält. Er sagt, daß er dem Bürgermeister Anzüge u. Radio abholen würde u. auch sonst im Dorfe räubern würde. Die Russen nennen das „zappzerapp“. Es wird vielleicht gut sein, wirklich nach Wustrow zu fahren. [...]

[4705]
Mittwoch, 12. Sept. 1945.     

[...] [4705] Herr Dr. Ziel scheint eifrig weiter gegen mich zu stänkern, obgleich Martha wiederholt bei ihm war u. die Dinge besprochen hat. Es scheint sich jetzt um die Notgemeinschaft zu handeln. Herr Ziel hat zu Martha darüber allerhand gesagt u. ich habe ihn deshalb schriftlich gebeten, die Angelegenheiten zu untersuchen u. mir schriftlich Bericht zu erstatten u. notfalls Besserungsvorschläge einzureichen. Bisher hat er darauf nicht geantwortet. Heute Morgen begleitete mich Herr Wiethuchter ins Amt u. sagte mir Aehnliches. Er meinte, daß Herr Ziel gegen mich arbeite u. anscheinend auch wieder Herr Budde. Herr Ziel soll heute nach Ribnitz gefahren sein, vielleicht, wie Herr W. sagt, um auch dort gegen mich zu arbeiten. Herr W. meint, diese Leute hätten sich bereits auf einen anderen Bürgermeister geeinigt u. ich solle Gegenmaßnahmen treffen. Ich lehnte das ab. Ich sagte zu Herrn W., daß ich froh wäre, wenn ich dieses Amt los würde u. wieder malen könnte. – [...]

[4706]
Montag, 17. Sept. 1945.     

[...] [4706]      Am Sonnabend sprach mich Dr. Ziel auf der Straße an u. teilte mir mit, er habe soeben die Nachricht erhalten, daß für ihn ein hoher Posten in der sächs. Justizverwaltung reserviert sei, jedoch wisse er noch nicht, ob er ihn annehmen werde. Dieser eitle Mensch jappst seit dem Mai nach seiner Präsidenten=Stellung beim Landgericht in Chemnitz u. nun tut er schämig wie ein junges Mädchen. Aber es ist schrecklich, wie nun all diese Stellungen besetzt werden mit Mümmelgreisen zwischen 60 – 70 Jahren. Die Russen haben nun Verwaltungen eingesetzt für alle Zweige der Wirtschaft u. der sozialen Ordnung u. überall sitzen Mümmelgreise darin, weil man den jungen Leuten nicht traut. Daraus kann ja nichts Gutes werden. – Ebenso ist es mit der Bodenreform. [4707] Es ist ja gut, wenn man endlich mit diesen ostelbischen Junkern, diesen Brutstätten des Militarismus, aufräumt; aber wenn man nun innerhalb von knapp 3 Wochen die großen Güter aufteilen will in lauter kleine Büdnerstellen von 5 ha Größe, dann kann dabei nichts herauskommen. [...]

[4708]
Montag, 24. Sept. 1945.     

[...] [4708]      Gestern hieß es im Berliner Radio, daß die osteuropäische Normalzeit im russ. Gebiet eingeführt sei, nachdem bisher die osteurop. Sommerzeit in Geltung war. Nachdem die Engländer u. Amerikaner schon am 16. Sept. die Mitteleuropäische Normalzeit eingeführt hatten, bestand eine Differenz von zwei Stunden zwischen dem östl. u. westl. Besatzungsgebiet. [4709] Dieser blödsinnige Zustand sollte nun gestern ein Ende finden; aber der noch blödsinnigere russ. Sergeant befahl, daß die bisherige Zeit weiter gelten sollte. Nachdem nun aber die Post bei sich Normalzeit eingeführt hat, werde ich von mir aus einfach anordnen, daß die Uhren im Dorf um eine Stunde zurückgestellt werden. – [...]

[4709]      Aus Wustrow höre ich, daß der jetzt dort tätige Bürgermeister gegen das saubere Freundespaar Harder=Brüssow energisch vorgegangen ist. Sie sind beide in Untersuchungshaft. Besonders bei Harder soll reichlich Diebesgut gefunden worden sein, auch vieles von dem, was der Kerl hier in Ahrenshoop gestohlen hat. [...]

[4710]
Donnerstag, 27. Sept. 1945.     

[...] [4710]      Gestern kam neue Infanterie nach Althagen, ein Leutnant mit 35 Mann. In Wustrow ebenfalls neue Infanteristen. Diese neuen Leute machen einen guten Eindruck, viele sprechen deutsch. Der Schlagbaum am Erbhofweg mußte aber wieder neu errichtet werden, ebenso die Wachbude. [...]

[4710]      Die Monheimer Kosaken sind heute nachmittag abgezogen. Jetzt eben um 6 Uhr war ein blutjunger Unterleutnant hier mit einem Soldaten, der etwas deutsch konnte. Er zieht mit 20 Mann Infantrie ins Monheim'sche Haus u. fragte mich über die Kosaken aus. Ich sagte ihm, daß bei Spangenberg die Pferde gestohlen worden seien u. bei Borchers Uhren. Er machte sich Notizen. Morgen um 10 Uhr will er wiederkommen u. darüber ein Protokoll aufnehmen. [...]

[4710]
Freitag, 28. Sept. 1945.     

[4710]      Heute früh um 8 Uhr erschien bereits einer von den neuen Soldaten u. überbrachte mir ein Schriftstück das ich unterschreiben sollte. Es handelte sich, wie mir der Soldat sagte, um eine Meldung wegen der bei Spangenberg gestohlenen Pferde u. wegen der bei Borchers gestohlenen Uhren.

     Leider müssen wir nun für das neue Kommando erneut [4711] 20 Betten mit Matratzen stellen u. ich weiß nicht, wo ich sie hernehmen soll, nachdem diese Kosaken das Dorf ausgeräumt haben. [...]

[4711]
Sonnabend, 29. Sept. 1945.     

[4711]      Gestern Nachmittag wurde ich durch einen Soldaten zum Monheim'schen Hause gerufen, es sei der Major dort. Der Major war ein sehr soldatisch aussehender Mann von etwa 40 Jahren, eher jünger. In seiner Begleitung war ein sehr unsympatisch aussehender jüngerer Offizier mit lauerndem Blick, der mich dauernd beobachtete, u. ein sehr junger Arzt, außerdem der junge, stotternde Leutnant unseres Kommandos. Der Major gab mir die Hand, wobei er sogar aufstand. Er verlangte von mir, daß ich ihm sofort aufschreiben sollte, was alles von den Kosaken gestohlen worden war. Ich bekam Bleistift u. Papier. Er ging mit seiner Begleitung fort u. ließ mich allein mit dem Soldaten, der mich geholt hatte u. der etwas deutsch sprach. Dieser sollte das, was ich geschrieben hatte, russisch übersetzen. Ich schrieb auf, was mir im Augenblick grade einfiel. Nach einer Weile kam der Major zurück. Da ich noch nicht fertig war, wartete er geduldig. Darauf sagte er mir, daß er der Kommandant der ganzen „Insel“ von Zingst bis Ahrenshoop sei u. daß ich seinen Weisungen zu folgen hätte. Er wollte dann leere Häuser wissen, aber nicht im Dorf, sondern nach dem Darss zu. Ich zeigte ihm das letzte Haus, in dem es freilich sehr wüst aussah. Es kam daher für ihn nicht in Frage. Inzwischen waren seine beiden sehr einfachen Pferdewagen, mit denen er aus Zingst gekommen war, – Wagen, wie sie Fleischer zum Ausfahren von Waren in den Städten gebrauchen, nachgekommen. Er sagte etwas zum Leutnant u. verabschiedete sich, indem er dem Leutnant die Hand reichte, mich aber stehen ließ, ohne mich weiter zu beachten. Dann aber fiel ihm wohl ein, daß er mich vergessen hätte, er kehrte um u. gab auch mir zum Abschied die Hand.

     Ich ging mit dem Leutnant u. dem Soldaten zurück. Am Monheim'schen Hause sagte er mir, daß das Haus Linkenbach bis heute um 12 Uhr geräumt sein müsse. Der Leutnant ist sonst sehr nett, ebenso seine Soldaten, aber sie holen jeden Tag 9 ltr. Milch von Paetow. Ich habe versucht, ihnen zu erklären, daß das nicht geht, aber erfolglos. –

     Herr Dr. Ziel ließ mir gestern durch das Sekretariat seinen Bericht zugehen über seine Verhandlungen in Schwerin u. in Rostock. Heute ließ er mir auf demselben Wege eine Einladung vom „Kulturbund“ zugehen, mich an einer Kunstausstellung zu beteiligen, die im November in Schwerin stattfinden soll. Ich werde mich da gern beteiligen u. hoffe, daß bis dahin Gemeindewahlen waren. Bis dahin will ich mein Amt noch behalten, aber dann mag es ein anderer machen, ich habe mehr als genug. [...]

[4711]      Heute am Spätnachmittag mußte ich nochmals ins [...] [4712] Amt, da ich dummerweise mit Ribnitz telephoniert hatte, – wir haben seit etwa 10 Tagen wieder Telephon –, aber es gibt außer Behörden niemanden, mit dem man telephonieren könnte, weil die Russen alle Apparate weggeschleppt haben. Von Ribnitz wurde mir gesagt, daß der Ausschuß für Bodenreform sofort zusammentreten solle u. eine Liste von Leuten aufstellen solle, die gerne Land haben wollen. Ich ließ also den Ausschuß zusammentrommeln, aber es erschienen von den 7 Mitgliedern nur zwei. Wir machten drei Leute namhaft, die wir nicht fragten, ob sie wollten, weil dazu keine Zeit war. Diese Liste soll bis Montag 8 Uhr morgens in Ribnitz sein.

     Später kam Frl. Neumann dazu u. brachte Nachricht, daß wir Kartoffeln u. Salz bekommen. Salz haben wir seit dem März nicht mehr gehabt, wir kochen alles mit Seewasser, um Salzen zu können. Bei dieser Gelegenheit erzählte sie, daß sie heute in Ribnitz gehört habe, daß der russ. Kommandant angeordnet hätte, alle Besitzer großer Güter sollten bis Montag ihre Besitzungen geräumt haben. Die Güter sollten bis Montag an landlose Leute aufgeteilt werden. Es ist kompletter Wahnsinn. [...]

[4712]      Ich erwäge sehr ernst, ob ich das Amt niederlegen soll. Die Aufforderung, mich an einer Kunstausstellung zu beteiligen, ist vielleicht ein Wink. – ? –

[4712]
Sonntag, 30. Sept. 1945.     

[...] [4712] Heute Morgen brachte Borchers die Nachricht, daß bei Paetow ein Kalb gestohlen worden ist, sowie mehrere Säcke Kartoffeln. Die Spuren des Kalbes weisen deutlich nach Althagen, die Kartoffeln dagegen scheinen bei den neuen Leuten im Monheim'schen Hause gelandet zu sein. Es ist ja verständlich, da die Leute nichts zu essen haben u. da es bei uns auch kein Brot gibt. Die Leute scheinen ebensowenig Nachschub zu haben, wie die Kosaken u. so müssen sie stehlen, wenn sie leben wollen. [...]

Ahrenshoop, Oktober 1945

[4801]
Dienstag, 2. Okt. 1945.     

[4801]      Gestern Vormittag erschien Herr Frey, Kriminalbeamter aus Ribnitz, bei mir im Amt. Er fragte nach PG's u. Flüchtlingen u. entlassenen Soldaten u. behauptete dann, daß ich meinen entlassenen Sohn seit einer Woche irgendwo verberge. Ich lachte darüber, worauf er mich sehr ernst ermahnte, die Wahrheit zu sagen. Ich wurde darauf grob. – Er gab sich dann damit anscheinend zufrieden, verlangte aber, Herrn Kühme zu sprechen. Von diesem behauptete er dann, daß er SS=Mann gewesen sei u. das Goldene Parteiabzeichen getragen habe. Herr Kühme ist tatsächlich, wie sich dann herausstellte früher als junger Bengel in die SA eingetreten, hat sich dann aber am Putsch gegen Hitler unter Hauptmann Stennes (oder so ähnlich?) beteiligt u. ist aus der Partei ausgestoßen worden. Im Jahre 1933 hat er dann aus Existenzgründen versucht, wieder in die Partei zu kommen, doch ist ihm das nicht gelungen. Das war sein Glück. – Herr Frey verhörte ihn sehr scharf, aber schließlich ließ er sich doch überzeugen, daß Herr Kühme ihm die Wahrheit sagte. – Die ganze Sache ist also wieder eine neue Denunziation. [...]

[...] [4802]
Mittwoch, 3. Okt. 1945.     

[4802] Mein Rücktrittsgesuch habe ich unterschrieben, es geht morgen auf den Weg. [...]

[4802]
Freitag, 5. Oktober 1945.     

[4802]      Mein Rücktrittsgesuch ist gestern rausgegangen. Inzwischen ist es im Dorf bekannt geworden u. die Leute kommen zu mir, um mich zu bitten, daß ich bleiben möchte. Sie haben Angst, daß irgend ein ortsfremder Kommunist hierher geschickt werden wird. [...]

[4802]
Sonntag, 7. Oktober 1945.     

[4802]      Gestern war eine Gemeinde-Vorstands-Sitzung u. es war sehr rührend, wie mir alle ihre Liebe u. Sympatie ausdrückten u. mich inständig baten, doch zu bleiben. [...]

[4803]
Montag, 8. Okt. 1945.     

[...] [4803]      Bisher hatten wir einen schönen, sonnigen Herbst, aber seit heute ist es trübe u. recht kalt. Wir bekamen heute morgen ein großes Stück Pferdefleisch von Tietz in Althagen, ein Pferd von Dr. Umnus, das da geschlachtet worden ist. Seit langer Zeit wieder einmal etwas Nahrhaftes zwischen den Zähnen. [...]

[4803]
Dienstag, 9. Okt. 1945.     

[4803]      Heute morgen kam Helm-Saatmann ins Amt u. berichtete, daß die Russen seinen Sohn Herbert erschossen hätten. Ich ging, sobald ich konnte, zum Monheim'schen Hause u. nahm Herrn Gläser als Dolmetscher mit. Der junge, stotternde Leutnant kam auch gleich heraus. Er sagte, seine Soldaten hätten Herbert in der Nacht gegen 1/2 12 Uhr in der Nähe des Darss aufgegriffen u. ihn zum Monheim'schen Hause gebracht. Er hätte gleich verhört werden sollen, doch hätte er nichts gesagt. Die Russen haben ihn dann die Nacht über festgesetzt. Heute Morgen hätte der Leutnant ihn wieder vernehmen wollen, aber Herbert hätte wieder nicht geantwortet. Dann habe Herbert gebeten austreten zu dürfen u. bei dieser Gelegenheit habe er einen Fluchtversuch gemacht. Der Bewachungssoldat hat drei Mal stoi gerufen u. hat zweimal in die Luft geschossen. Als Herbert dann bereits über den Zaun gestiegen sei, habe er auf ihn geschossen. Er wurde getroffen u. war nach Ansicht des Leutnants sofort tot. Die Leiche liegt an der Stelle, wo er gefallen ist, außerhalb des Zaunes. Der Leutnant erklärte mir, daß eine Kommission aus Zingst kommen u. ein Protokoll aufnehmen würde. Die Kommission würde darüber entscheiden, ob die Leiche freigegeben werden soll oder nicht. – [...]

[4804]
Sonnabend, den 27. Oktober 1945.     

[...] [4805]      Am Montag – oder Dienstag –, ich weiß es nicht mehr genau, – wurde mir die Nachricht vom spurlosen Verschwinden von Prof. Alfred Partikel überbracht. Er ist am Vormittag zum Pilzesuchen gegangen u. ist nicht zurückgekehrt. [...]

[4806]
Christkönigsfest, 28. Okt. 1945.     

[...] [4807] Wir sprachen auch über den tragischen Fall Partikel u. ich bekam zum ersten Male einen wirklich sachlichen Bericht über den Vorfall. Danach ist Partikel also grade am Samstag vor einer Woche verschwunden, u. zwar um die Mittagszeit. Krull ist sofort mit Frau Partikel auf die Suche gegangen, da sie gleich zu ihm gegangen war. Sie haben die Stelle abgesucht, wo P. gewöhnlich Pilze zu suchen pflegte, doch haben sie keine Spur gefunden. Krull hat dann die Leute alarmiert, etwa 20 Mann, um nochmals zu suchen, aber die Russen haben nur 5 Mann zugelassen u. haben selbst 5 Mann dazu gestellt. Auch einen Hund hatten sie bei sich, der jedoch keine Spur aufgenommen hat. Am nächsten Tage, am Sonntag, haben sie nochmals gesucht, aber wiederum ergebnislos, nur einen verendeten Eber haben sie gefunden, der von den Russen geschossen worden war aber schon mehrere Tage gelegen haben muß, denn er stank schon u. das Gras unter ihm war gelb. Krull ist der Meinung, daß Partikel von den Russen nach Zingst verschleppt worden sei u. wiederkommen würde. Frau P. ist auch deshalb nach Zingst gefahren, um bei dem Major dort etwas zu erfahren, jedoch ergebnislos. [...]

[4807]
Dienstag, 30. Okt. 1945.     

[...] [4807]      Heute Mittag war Frau Partikel bei mir. Sie erzählte mir, daß an jenem Tage, als Partikel verschwand, die Töchter von Dr. Zahl im kleinen Walde gewesen sind u. mehrere Schüsse gehört haben. Bald nachher sind 3 russ. Soldaten mit Gewehren [4901] aufgetaucht. Es war um die Zeit, als auch Partikel im Walde war. Die Russen-Abteilung bei Monheim behauptete aber, daß von ihnen keiner im Walde gewesen wäre, was also offenbar gelogen ist. Frau P. ist in Zingst gewesen, aber sie hat auch dort nichts erreicht. Die Russen in Zingst waren grade im Aufbruch. Sie sind abgelöst worden durch Artillerie, auch unsere Monheimer Russen sind nicht mehr da. – Frau P. hat auch die GPU in Ribnitz alarmiert u. heute Mittag war ein Auto von dort hier. Die Herren haben sich sehr wichtig getan, es soll nun morgen der Wald abgesucht werden; aber es wird auch dabei nicht viel herauskommen. Es ist mir immer klarer, daß Partikel einfach erschossen worden ist von Soldaten, die auf Jagd waren, – man wird ihn irgendwo verscharrt haben. – Die arme Frau tut mir sehr leid. [...]

[4901]
Mittwoch, 31. Okt. 1945.     

[4901]      Heute wollen die Herren Dr. Lasch u. Dr. Meyer hierher kommen um die Bevölkerung gegen Typhus zu impfen. In Wustrow wurde das schon an dem Tage gemacht, als ich dort entlassen wurde, in Althagen fand die Impfung gestern statt.

     Ich hörte gestern noch, daß in dem Auto aus Ribnitz der dortige Kommandant persönlich gewesen sein soll. Er hat Frau Partikel aufgesucht u. angeordnet, daß heute der Wald nochmals abgesucht werden soll. Er hat seine Unzufriedenheit geäußert, daß er nicht zuerst benachrichtigt worden sei. [...]

Ahrenshoop, November 1945

[4901]
Donnerstag, 1. Nov. 1945.     
Allerheiligen     

[...] [4901]      Gestern wurde nochmals das Ahrenshooper Wäldchen nach Partikel abgesucht. Die neue Russen-Abteilung bei Monheim machte keine Schwierigkeiten. Es haben etwa 45 Menschen, Männer u. Frauen, den Wald durchsucht, aber keine Spur [4902] gefunden. Die Sache ist sehr rätselhaft. [...]

[4903]
Sonnabend, 3. Nov. 1945.     

[...] [4903]      Frau Schuster war da u. besprach allerhand Gemeinde=Angelegenheiten, u. a. auch, daß Frau Doris Oberländer um die erhöhte Lebensmittel=Karte eingekommen, weil sie Mitglied des Kulturbundes zur demokrat. Erneuerung Deutschlands sei. Mir kam das wie ein Wink des Himmels vor u. ich schrieb mir gleich die Anschrift der Geschäftsstelle in Rostock, Schillerplatz 10. ab. Ich habe sofort selbst um Aufnahme in den Kulturbund gebeten, damit ich nicht [...] [4904] meine Lebensmittelkarte verliere, wenn ich nicht mehr Bürgermeister sein werde. [...]

[4905]
Donnerstag, 15. Nov. 1945.     

[...] [4906]      Schließlich erhielt ich vom Kulturbund die Nachricht, daß ich in den Bund aufgenommen sei. Das ist also nun geschehen, die erste Anknüpfung an das Kunstleben seit 12 Jahren! [...]

[4907]
Sonnabend, 17. Nov. 1945.     

[4907]      Endlich konnte wieder einmal ein Schwein geschlachtet werden, seit vielen Wochen oder gar mehreren Monaten ein Schwein! – u. dieses geschlachtete Schwein haben die Russen bei Leplow gestohlen. – [...]

[4908]
Montag, 19. November 1945.     

[...] [4908]      Brief an den Bürgermeister von Wustrow geschrieben, der der Gemeinde gedroht hat, das Krankenhaus für Ahrenshooper Kranke zu sperren, falls wir keine Lebensmittel liefern. Wie kommt der Mann zu dieser Anmaßung? [...]

[4909]
Montag, 26. Nov. 1945.     

[...] [4909]      Heute vormittag habe ich die ersten Schritte unternommen, um wieder zum Malen zu kommen. Ich habe alte Bilder vorgeholt, um die Keilrahmen neu zu verwenden, oder sie von Papenhagen passend zurechtschneiden zu lassen. Martha hat mir ein schönes Stück Leinewand gegeben, das ich für eine etwas größere Landschaft verwenden will. Für die anderen Bilder, die ich vorhabe, will ich die Rückseiten alter Bilder verwenden. Ich habe mir fünf Bilder vorgenommen, alles solche, die ich im vorigen Jahre bereits gemalt habe, die aber meiner Meinung nach noch nicht die letzte Fassung sind. Ich habe alle diese Bilder in diesen letzten Wochen oder gar Monaten im Geiste durchgearbeitet u. hoffe, etwas Gutes zu schaffen. – [...]

[4910]
Freitag, 30. November 1945.     

[4910]      Heute ist der letzte Tag meiner Amtstätigkeit als Bürgermeister von Ahrenshoop [...]

  1. später stellte sich heraus, daß die Russen von Rostock her in Ribnitz einmarschiert sind.