Am Togosee
[771] Am Togosee. (Zu dem Bilde S. 765.) Die große Masse der deutschen Leser begann sich für Specialkarten von Afrika[WS 1] erst zu interessieren, als die Besitzergreifungen in Afrika deutscherseits stattfanden. Auf den ersten Karten, die beim Beginn der Kolonialbewegnng herausgegeben wurden, bildete das deutsche Schutzgebiet Togoland nur eine schmale Nehrung, hinter der sich ein ungeheurer, etwa 3000 Quadratkilometer großer See erstreckte: die Avonlagune genannt, weil sie von den Offizieren des englischen Kriegsschiffes „Avon“ zum erstenmal in die Seekarten eingetragen wurde.
Bis zum Jahre 1884 hatte keiner von den an der Küste ansässigen Europäern diese Lagune befahren oder gesehen. Man drang damals nicht gern in den Busch vor, und ein paar Kilometer landeinwärts von der Küste war noch das ganze Togogebiet völlig unbekannt. Kaum aber waren auch an dieser Stelle die deutschen Flaggen gehißt, als sich sofort der Forschergeist regte. Hugo Zoeller war der erste, welcher Lagunenfahrten im Togogebiet anstellte. Nach vielen Mühen, langen Fahrten durch schmale Kanäle konnte er feststellen, daß die Avonlagune lediglich in der Einbildung der englischen Offiziere bestanden hat; dagegen entdeckte er eine etwa 7 Kilometer breite und 9 Kilometer lange Ausbuchtung, der er den Namen „Togosee“ gab. Er selbst schilderte seine Entdeckung mit folgenden Worten: „Die Lagune hatte sich inzwischen zu einem wirklichen und wahrhaften, allerwärts von niedrigen Höhenzügen eingeschlossenen See erbreitert .... Zwar waren die Ufer ringsherum sichtbar, aber doch zu entfernt, als daß man ohne Fernglas Einzelheiten, wie Bäume oder Häuser, hätte entdecken können. Von Süden her wehte eine, nicht unbedeutende Dünung erzeugend und mehrfach tüchtige Spritzer über unser Boot hinüber entsendend, erfrischende Seebrise. Sobald wir uns nur ein wenig dem Lande näherten, zeigten sich stets die gewöhnlichen Bewohner der Lagune, nämlich Habichte, Reiher und Krähen; auch wurde die Scenerie durch über ein Dutzend halsbrecherischer Kanoes belebt, die, mit Waren vollgepfropft, vom heute abgehaltenen Markte von Gbome herkommend, nach allen Richtungen hin den See durchfurchten.“
Undurchdringliche Schilfdickichte, Grasbarren, wie sie nur in den Tropen zu beobachten sind, verhinderten Zoeller, vom See aus dessen [772] Zuflüsse zu entdecken. Es gelang ihm aber später, zu Lande den größten derselben, den Hahofluß, zu erreichen – das erstentdeckte fließende Gewässer in jenem deutschen Schutzgebiet. Das Landschaftsbild war von entzückender Schönheit. Das Waldesdickicht der den Fluß beschattenden Riesenbäume ließ den 25 bis 40 Meter breiten, sehr tiefen, aber zur Zeit bloß wenig Strömung zeigenden Wasserweg tiefdunkel erscheinen. Stellenweise versperrten umgestürzte Baumstämme einen Teil des Flusses, an anderen Stellen beugten sich elegante Palmen herüber und hinüber, allerwärts aber spendeten laubreiche und blühende, von Lianen und Schlinggewächs überwucherte Tropenbäume Schatten und Kühlung. Die Mündung des Flusses war vollständig mit Schilf verwachsen, an ein Eindringen in dieselbe war nicht zu denken, und erst in späterer Zeit gelang es, die Barre zu öffnen und so einen Wasserweg einige Kilometer weit ins Innere zu bahnen.
Auf der Nehrung des Togosees liegt an der Meeresküste Porto Seguro, und Expeditionen, die von hier aus in das Innere aufbrechen, pflegen über den Togosee nach dem Negerorte Abobo zu setzen. Unser Bild auf S. 765 zeigt uns den Landungs- oder Einschiffungsplatz mit den niedrigen Hütten der Eingeborenen und einigen Booten aus dem weichen Holze des Affenbrotbaumes. Im Hintergründe dehnt sich die Spiegelfläche des Togosees aus.
Bei klarem, freundlichem Wetter ist die Landschaft an der Lagune recht lieblich und anmutend zu nennen. Im Norden erblickt man leichte Hügelketten, mit Wald und Gebüsch bestanden; die Lagune selbst ist mit hohen Schilfgräsern und anderen Wasserpflanzen bestanden, welche die beträchtliche Höhe von 6 Metern und mehr erreichen. Darüber ragen überall vereinzelt mächtige Fächerpalmen empor, die bei dem geringsten Luftzug ein eigenartiges Geräusch erzeugen, wie wenn mit Blechtafeln zusammengeschlagen würde. Meist jedoch ist der Himmel bleiern und schwer, die Luft erdrückend; wohl brennt die Sonne, doch die schwüle heiße Luft läßt das klare Blau des Himmels nicht sichtbar werden; die Farbe der Pflanzen des Wassers ist grau, alles eintönig und tot, nur belebt von den Eingeborenen, welche in ihren Kanoes die stille Wasserfläche durchstreifen, mit wohlgearbeiteten Netzen dem Fischfang obliegen oder am Ufer baden, waschen und sonst ihr Wesen treiben.
Seefahrten werden im allgemeinen als Vergnügen betrachtet. So beschaffen ist eine Fahrt über den Togosee nicht. Es dauert 5 bis 6 Stunden, bis man den gegenüberliegenden Landungsplatz erreicht, von dem die Karawanen nach dem Innern aufbrechen. Die Kanoes der Eingeborenen sind an und für sich nicht bequem, und dann giebt es kurz vor Abobo eine stundenlange Strecke, auf welcher das Boot keineswegs auf glattem Wasserspiegel schaukelt. Wasserpflanzen, faulende Zweige und Blätter verwandeln den See in einen vollständigen Sumpf. Nur langsam, Schritt für Schritt, kann das Boot mit Stangen vorwärts geschoben werden. Dem dicken schmutzigen Brei entsteigen wahrhaft betäubende Miasmen, wahre Pestgerüche, die den Reisenden mitunter veranlassen, die Nase zuzuhalten, während dicht hinter dem Boote sichtbare dunkle Massen langsam nachfolgende Krokodile verraten. Die oft herrlich blühenden riesengroßen Wasserblumen haben alsdann keinen Reiz, umsomehr als Myriaden von Moskitos mit wütender Gier über den Reisenden herfallen.
Kein Wunder, daß trotz der frischen Seebrise in diesen Niederungen das Fiebergift heimisch ist und der Reisende sich sehnt, wieder an die Seeküste zurückzukehren oder bald das landeinwärts aufsteigende Gebirge zu erreichen. *
- ↑ Vorlage: Asrika