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Amerika hinter dem Schleier

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Textdaten
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Autor: Moritz Busch
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Titel: Amerika hinter dem Schleier
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 238–241
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Amerika hinter dem Schleier.
Von Moritz Busch.

Wie die Vereinigten Staaten das Land der Secten sind, so sind sie auch das Land der geheimen Gesellschaften, und zwar erstrecken dieselben ihre Werbungen und Wurzelverzweigungen bis in die untersten Regionen der Bevölkerung hinab, und selbst in den höheren Unterrichtsanstalten bestehen deren unter den Schülern, wie uns unter Andern Aldrich[1] von einem Club der „Tausendfüße“ (centipedes) auf der Schule zu Rivermouth erzählt. Das alte Europa begnügte sich, von den Carbonari [239] und einigen andern politischen Geheimbünden der romanischen Welt abgesehen, die bald wieder von der Bühne verschwanden, bis auf die letzten Jahre mit den Freimaurern, die, in Deutschland wenigstens, durchaus harmloser Natur sind. Das junge Amerika hatte seit dem Unabhängigkeitskriege neben diesen Jüngern der „königlichen Kunst“ wenigstens noch ein Dutzend hinter dem Schleier arbeitender anderer Logenverbände, die zum Theil keineswegs harmlose Zwecke verfolgten. Seine bürgerliche Gesellschaft ist noch jetzt wie eine Maulwurfswiese, auf der sich unter der Erde beinahe ebenso viel Leben regt, wie im Licht der Sonne, und von diesem Leben will ich hier erzählen, was ich weiß.

Zunächst sei kurz erwähnt, daß Cincinnati, die größte Stadt Ohios, seinen Namen von der geheimen Gesellschaft der „Cincinnati“ hat, die sich zu Ende des erwähnten Krieges aus Officieren des Heeres der Republik bildete, unter Andern auch George Washington zu den Ihrigen zählte und später wegen ihrer aristokratischen Meinungen und Bestrebungen vielfache Anfeindungen erfuhr. Um dieselbe Zeit entstand in Massachusetts der Orden oder Bund der „Sons of Liberty“, der Söhne der Freiheit, der in den Yankeestaaten noch fortdauern soll, und etwas später der „Alte Wigwam“ in der „Tammanyhall“ zu New-York. Diese bis auf die neueste Zeit für das Parteileben in der Union hochwichtige Verbindung trat zuerst in Philadelphia zusammen. Sie nannte sich nach einem Delawarenhäuptling Tammany, mit dem William Penn bei seiner Ankunft in Amerika ein Bündniß schloß, und von dem die Sage berichtet, er habe sich, ein indianischer Sanct Georg, durch Bekämpfung von Ungeheuern und bösen Geistern verdient gemacht. Ihr Ursprung fällt in das Jahr 1789, und ihr anfänglicher Zweck war die Verbesserung des socialen und moralischen Zustandes der Urbewohner des Landes. Sie hatte somit zunächst keine politische Tendenz.

Dies wurde aber anders, als die Gesellschaft nach New-York übersiedelte, indem sie dort 1798 mit dem „Columbian Order“, einem geheimen Club, verschmolz, der einige Jahre vorher von dem Tapezierer Mooney zur Pflege und Geltendmachung demokratischer Grundsätze und als Gegengewicht gegen Bestrebungen, wie sie namentlich die Cincinnati auf ihre Fahne schrieben, gestiftet worden war. Mit jenem Orden vereint, wählten die Söhne des heiligen Tammany das Wirthshaus „Onkel Ben Martling’s“ zum Orte ihrer Zusammenkünfte, wo eine dritte Gesellschaft, die durch gute Disciplin sehr einflußreichen „Martlingmen“, sich ihnen anschloß. Hierdurch wurde der Verein so zahlreich, daß sein Stiftungstag, der 12. Mai, in New-York fast wie ein öffentliches und allgemeines Fest begangen und Sanct Tammany in dem bombastischen Stile der Zeitungen als der Schutzheilige Amerikas bezeichnet wurde. Unter der Präsidentschaft Jefferson’s und seiner nächsten Nachfolger steigerte sich das Ansehen der Verbindung von Jahr zu Jahr. Sie baute sich in der Tammany-Hall ein eigenes Local, schuf sich in dem „National Advocate“ ein Organ, dessen erster Redacteur der berühmte staatswissenschaftliche Schriftsteller Wheaton war, gewann überall in der Union Verbündete und wurde allmählich der Angelpunkt der demokratischen Partei und einer der Hauptfactoren bei der Entscheidung der Fragen, die das Leben des Staates New-York und des gesammten Complexes der mit ihm verbündeten Republiken bewegten.

Wie sie mit der Partei, deren Centrum sie war, im Laufe der Zeit herunterkam, und wie sie zuletzt vorwiegend persönlichen Interessen, darunter sehr unsauberen, diente, kann hier nicht geschildert werden. Von der Verfassung und innern Einrichtung dieser mächtigen Gesellschaft weiß der Uneingeweihte nur, daß sie von unbekannten Oberen die Parole empfängt, und daß sie die Gebräuche und Titel, die sie vor ihrer Umwandelung aus einem mildthätigen in einen politischen Verein hatte, beibehalten hat. Ihre Organisation ist die Nachahmung eines indianischen Nationenbundes. Sie zerfällt nach derselben in eine Anzahl „Stämme“, die unter „Sachems“ stehen, denen dann wieder ein „Großsachem“ präsidirt. Sie hat ferner ein „Berathungsfeuer“, dessen Vorsitzender den Namen „Vater“ führt, und bei dem man sich eines indianischen Rituals und der Symbole des Tomahawk und des Calumet oder der Friedenspfeife bedient. Ihre Logen werden „Wigwams“ genannt; ihre Zeitrechnung ist die der Rothhäute, ja bei feierlichen Gelegenheiten, öffentlichen Aufzügen u. dgl. kleideten die Tammanisten sich früher sogar wie die Wilden der amerikanischen Wälder und Prairien.

Ich wende mich nun zu einigen Geheimbünden unschuldigerer Natur, die aber immerhin auf das sociale und das niedere politische Leben in der Union einigen Einfluß haben, indem sie namentlich bei den Wahlen von Localbeamten und Pfarrern für Mitglieder oder Gönner ihrer Vereine agitiren und stimmen.

Zu Dayton in Ohio wohnte ich im Jahre 1851 einige Wochen bei einem kleinen Schuster aus Sachsen, der in der Vorstadt Macphersontown am Miamifluß ein allerliebstes weißes Häuschen inne hatte, das bis an das Dach in Pfirsichzweigen und Hagebuttenbüschen steckte. Ich hätte mir nicht träumen lassen, daß der freundliche, gutherzige Bewohner dieses Idylls zu den Geweihten eines mysteriösen Priesterordens gehöre, der unter anderen finsteren und blutigen Gewohnheiten auch die hatte, seinen Göttern gelegentlich Menschen zu schlachten. Und doch schien es so.

Eines Tages sah ich mir die Bilder in Meister Sperling’s „guter Stube“ genauer an. Eins davon, das einen ehrwürdigen Greis mit lang herabwallendem Barte vorstellte, welcher unter einer Eiche ein Opfer darbrachte, erregte meine Neugier. Ich erkundigte mich nach der Bedeutung desselben und erfuhr, es sei ein Patent des Ordens der „Druiden“, der hier, wie an vielen anderen Orten Ohios, einen „Hain“ hatte, und dem mein Wirth vor einigen Monaten beigetreten war. Von Letzterem war über Brauch und Zweck des Bundes nichts weiter herauszubekommen, als daß derselbe seine Mitglieder verpflichte, sich gegenseitig zu helfen und vorzüglich bei erkrankten Brüdern Nachtwachen zu thun. Später hörte ich noch, daß zu den Hauptpflichten dieses ehrwürdigen Ordens die zählt, sich gemeinsam zu vergnügen, und daß die Menschenopfer seit einiger Zeit durch harmlosere Ceremonien, z. B. durch eine Art feierliches Salamanderreiben ersetzt worden sind, was meinem Herzen wohl that.

Dann erfuhr ich aus einem Journal der Druiden, daß über das Jahr der Gründung ihres Bundes Zweifel herrschen, indem man nur soviel mit Bestimmtheit weiß, daß es „zwischen 4004 und 2242 vor Christi Geburt liegen muß“ – was mir selbst dann, wenn das letztere Jahr unmittelbar auf die Stiftung des Ordens gefolgt sein sollte, ein sehr respectables Alter einzuschließen scheinen würde. Ferner sollen die Druiden in verschiedene Grade zerfallen und ihre „Haine“ in einem „Großhain“ ihren Mittelpunkt und ihre Direction haben. Endlich mag erwähnt werden, daß sich seit einigen Jahren auch Deutschland des Besitzes solcher Druidengesellschaften erfreut, und zwar hat Berlin deren gegenwärtig schon drei und unser gutes Leipzig, verhältnißmäßig noch glücklicher, zwei, während Stuttgart, Hamburg, Nordhausen und Bremerhaven sich bis auf bessere Tage mit einem behelfen müssen.

Während meines Aufenthaltes in Dayton ging ferner eines Tages ein bunter, abenteuerlicher Zug mit rauschender Blechmusik über die Mainstreet. Weiße und rosenfarbene Bandeliere, gelbe, grüne, violette und blaue Schürzen mit silbernen und goldenen Borten und Troddeln, mit Stickereien, die Sterne, Blumen und Todtenköpfe darstellten, Talare, Ritterharnische, Federhelme und dergleichen prächtige Dinge mehr wimmelten wie ein großer Mummenschanz an uns vorüber. Ich zählte vier Musikcorps, und der Theilnehmer an der Procession waren an zwölfhundert. Ich erkundigte mich und erfuhr, daß es einem Feste der „Odd Fellows“ von Ohio galt, die hier durch Deputirte aus allen größeren Orten des Staates, namentlich aber aus Columbus und Cincinnati, vertreten waren. Die „Odd Fellows“ – ein Name, den man, je nach Stimmung und Belieben, mit „sonderbare Bursche“ oder „närrische Kerle“ übersetzen kann – scheinen eine ähnliche Organisation wie die Druiden zu haben und im Wesentlichen dieselben Zwecke zu verfolgen. Nur die Haut, in der sie das besorgen, ist eine andere. Auch sie verlegen den Ursprung ihres Ordens in das graue Alterthum, sind aber dabei bescheidener als jene, deren Zunft nach dem Obigen vielleicht älter als die älteste Pyramide wäre und jedenfalls schon in der dunkeln und schweigsamen Zeit der Pfahlbauten ihr Gewerbe betrieben haben müßte. Die „närrischen Kerle“ – ich ziehe diese Verdeutschung vor – nennen ihre Logen „Lager“, indem die erste im Jahre 65 nach Christi Geburt unter den Soldaten

[240] eines römischen Feldlagers entstanden sein soll. Kaiser Titus soll sie dann im Jahre 79 durch Ueberreichung der goldenen Tafel mit allerlei Symbolen (unter denen ich, wenn die Sache ihre Richtigkeit hätte, das ehrwürdige Urbild einer der Kappen vermuthen würde, mit denen Köln und Leipzig sich in der Fastnachtszeit schmücken) feierlich anerkannt haben.

In Wahrheit ist der Orden erst 1800, und zwar nicht unter Römern, sondern zu Manchester in England, desgleichen nicht von Soldaten, sondern von friedsamen Kaufleuten gegründet worden, die wahrscheinlich Langeweile hatten. Von dort wurde er 1812 nach Baltimore verpflanzt, und seitdem ist er in Amerika dermaßen gewachsen, daß er – wenn das New-Yorker Blatt, aus dem ich diese Notiz schöpfe, nicht den Mund zu voll nimmt, was es leider zu oft thut – 1852 innerhalb der Vereinigten Staaten einunddreißig „Großlager“ und circa zweitausendfünfhundert „Lager“ mit nahe an zweihunderttausend Mitgliedern zählte. Die jährlichen Einnahmen wurden – immer, wenn es wahr ist – auf fünf Viertel Millionen Dollars veranschlagt und sollten vorzugsweise in die Begräbniß- und Wittwencassen des Ordens fließen. Schließlich sage ich vielleicht nichts Neues, wenn ich hinzufüge, daß seit drei oder vier Jahren, wie die Weisheit der Druiden, so auch die der „närrischen Kerle“ im deutschen Reiche Pflegstätten gefunden hat. In Berlin blühen deren bereits ein halbes Dutzend, in Hannover zwei. Wo sonst noch? Und sollte Leipzig, sollte Klein-Paris, das „seine Leute bildet“, hier zurückgeblieben sein?

Viel weniger harmlos als die zuletzt geschilderten Geheimbünde war ein anderer, der zu Ende der vierziger oder zu Anfang der fünfziger Jahre in New-Orleans entstand, sich von da rasch über alle größeren Städte des Südens verbreitete und bald auch in New-York sowie in den Yankeestaaten Logen oder wenigstens Mitglieder hatte. Ich meine den Orden vom „Einsamen Stern“Lone Star – der den Zweck verfolgte, Mittel und Mannschaften zur Gewinnung weiterer Gebiete für die Union zu schaffen, in denen sich die Sclavenwirthschaft mit Nutzen betreiben ließ, und damit die Macht und den Einfluß der Südstaaten im Congresse und der Centralregierung zu erhalten und zu mehren.

Nach den Gebräuchen, die der Orden bei den Aufnahmen und Beförderungen seiner Mitglieder beobachtete, hätte man so ernste Zwecke nicht annehmen sollen. Die Gebräuche, Travestien gewisser Ceremonien der Maurerei, waren läppische, mit allerlei Aengstigung und Mißhandlung der sich zum Eintritte in den Bund oder zu einem höheren Grade Meldenden verbundene Possen, die stark an die Unsitte des Hänselns in den früheren deutschen Zünften und an die Fuchstaufen der alten Studentenwelt erinnerten. Man führte den Betreffenden mit verbundenen Augen und auf den Rücken geschnürten Händen in die Loge, geleitete ihn ein schrägliegendes Bret hinauf, wobei man ihm sagte, ein Fehltritt würde ihn in einen tausend Fuß tiefen Abgrund stürzen, erschreckte ihn durch Zischen und Heulen, ließ ihn durch einen schief gespannten unten offenen Sack in eine Wanne voll kaltes Wasser hinabgleiten, führte ihn wieder bergauf, wobei er mit einer Art Gabel gestachelt, durch sausende Schwärmer und platzende Feuerfrösche geängstigt und schließlich, nachdem ihm Halt geboten worden, von einer heiseren Stimme gefragt wurde, ob er sich der letzten Probe unterziehen und dadurch Mitglied des Ordens werden wolle. Nachdem er dies bejaht, gebot ihm die Stimme, die Zunge auszustrecken, und nachdem dies geschehen, flüsterte sie: „Holt das glühende Stempeleisen her,“ so daß der Candidat glauben mußte, die Zunge sollte ihm gebrandmarkt werden. Dann krachte plötzlich ein Schuß, der Geplagte fuhr, indem das Bret unter seinen Füßen weggezogen wurde, in eine Tiefe hinab und sah sich, nachdem ihm nun die Binde weggezogen worden, in einem Fasse, umtanzt von allerlei Ungethümen, Teufeln und Kobolden, die ihn tobend, mit Schwerterklirren und Pistolenschüssen willkommen hießen.

Hinter diesen und ähnlichen Possen verbarg sich aber in der That ein sehr ernster Zweck. Man war im Begriffe, das Unternehmen Aaron Burr’s nachzuahmen, der im Jahre 1806 den Plan verfolgt hatte, auf den westlichen Gewässern einen Freischaarenzug zur Eroberung der spanischen Provinzen am Golfe von Mexico zu organisiren und aus ihnen ein Reich zu gründen, dessen Hauptstadt New-Orleans und dessen Herrscher Burr sein sollte. Mit dem „Einsamen Stern“, der roth auf der blau und weißen Fahne des Ordens stand, war die Insel Cuba gemeint, die man zunächst im Auge hatte. Als Stern wurde sie bezeichnet, weil die Staaten der Union auf dem Banner derselben als Sterne figuriren, als einsamer Stern, weil sie eben eine Insel und noch nicht dem nordamerikanischen Bundesstaate einverleibt war. Die verunglückte Expedition des Obersten Lopez war einer der Versuche des Ordens, in dieser Richtung thätig zu sein. Die Entrüstungsmeetings, die im Herbste 1851 in verschiedenen Städten in Scene gesetzt wurden, gingen ebenfalls von ihm aus, spätere Freischaarenzüge desgleichen. Endlich war auch der Flibustierkrieg Walker’s, der die centralamerikanischen Staaten Granada und Nicaragua mehrere Jahre mit Blut überschwemmte, ein Unternehmen der Brüder vom „Einsamen Stern“, ja Walker soll der Großmeister des Ordens gewesen sein.

Die neueste Erscheinung auf diesem Gebiete gehört ebenfalls dem Süden der Union an. Es ist der Bund der Kuklux-Clane oder die „Weiße Bruderschaft“, ein Nachklang des Abfalls der Sclavenstaaten und eine der Formen, in denen sich die Reaction gegen die rücksichtslose Niederwerfung und Niederhaltung der Besiegten durch General Grant und die republikanische Partei seither äußerte. Die Beamten, welchen letztere die Gewalt in den wiedereroberten Staaten übergaben, erlaubten sich vielfach Uebergriffe. Die frei und den Weißen politisch gleich gewordenen Neger waren auf ihre neue Stellung unvorbereitet und traten da, wo sie sich in der Mehrzahl sahen, anmaßend auf. Die dadurch Beeinträchtigten und Verletzten fanden bei den Behörden keine Hülfe, und so nahmen sie ihre Zuflucht zu einer nächtlichen Vehme, die nach der Methode des Richters Lynch Gerechtigkeit übte. Der Widerstand des Südens, vom Norden in einem gewaltigen Ringen gebrochen und aus der Oeffentlichkeit vertrieben, flüchtete sich in das landesübliche System der Geheimbünde und bemühte sich, ebenfalls auf landesübliche Weise, im Kleinen und Einzelnen zu beseitigen, was er im Großen und Ganzen zu dulden gezwungen war.

In neun Counties des Staates Südcarolina, vorzüglich in York- und Spartanburg-County, hatten sich im Jahre 1872, vielleicht auch schon früher, eine Anzahl geheimer Logen gebildet, die sich „Clane“ nannten, ihre Losungen, Symbole und Beamten hatten und in abenteuerlicher Verkleidung, bei der ein weißer Mantel mit rothen Ohren oder Hörnern an der Capuze eine Hauptrolle spielte, in nächtlichen Razzias namentlich die verhaßten Schwarzen heimsuchten, die sie dann grausam mißhandelten, auspeitschten, mit Theer bestrichen und in Federn wälzten, an Baumäste henkten oder niederschossen. Die örtlichen Behörden waren nicht im Stande, diesem Unfug zu steuern; denn „zog man in jenen Gegenden einem Weißen die Haut ab, so kam ein Kuklux zum Vorschein“. Sie wendeten sich an den Gouverneur von Südcarolina, und da auch dieser rathlos war, so mußte der Präsident in Washington zum Einschreiten aufgefordert werden. Dasselbe erfolgte zunächst in Gestalt einer Proclamation, welche den Ruhestörern Frieden zu halten und das Gesetz zu achten gebot, widrigenfalls man mit Anwendung außerordentlicher militärischer Mittel gegen sie vorgehen werde. Dann ging unter lebhaftem Widerspruch der particularistischen Demokraten im Congreß ein Gesetz durch, dessen wesentliche Bestimmungen folgende waren: die Verbrechen, welche in den beunruhigten Counties bisher straflos begangen worden sind, fallen fortan unter die Jurisdiction der Unionsgerichtshöfe, nicht mehr unter die der Gerichte Südcarolinas; der Präsident erhält die Befugniß, ohne vorheriges Ansuchen seitens der gesetzgebenden oder vollziehenden Gewalt eines Staates Militärmacht anzuwenden, wenn es in demselben Aufruhr, Gewaltthätigkeiten oder Verschwörungen zu unterdrücken gilt; dem Präsidenten wird bis zum Schlusse der nächsten Sitzungsperiode des Congresses die Berechtigung ertheilt, unter gewissen Umständen das Privilegium des Habeascorpus als nicht bestehend zu behandeln.

Auf Grund dieses wichtigen Gesetzes, welches am 20. April 1872 zu Stande kam, erließ General Grant, nachdem eine Untersuchung herausgestellt, daß die Kukluxverschwörung in der That sehr mächtig und Gefahr im Verzuge, am 12. October eine Aufforderung an die Clane derselben, sich binnen fünf Tagen aufzulösen und ihre Waffen, Verhüllungen und Erkennungszeichen an den Bundesmarschall oder die Militärbehörde abzuliefern. Da [241] diese Proclamation unbeachtet blieb, so erging am 18. October eine zweite, die für die erwähnten Counties das Privileg der Habeascorpusakte aufhob, und dem inzwischen dort eingerückten Militär die Weisung ertheilte, alle Personen, welche auf glaubwürdige Weise beschuldigt würden, Teilnehmer an jener gesetzwidrigen Verbindung zu sein, in Haft zu nehmen und dem Marschall der Vereinigten Staaten zur Untersuchung und Aburtheilung zu übergeben. Diese Maßregeln wurden sofort in Vollzug gesetzt. Die Mitglieder der Kukluxvehme wurden, wo sie nicht flüchteten, eingezogen; die Gerichte sprachen ihr Urtheil, und das Schreckenssystem, welches fast ein Jahr auf den Negern und den wenigen republikanisch gesinnten Weißen jener Landstriche gelastet, hatte ein Ende. Schon am 2. November waren allein in York-County hundertzwei Kuklux-Men eingesperrt, über zweihundert, die eingestandnermaßen Mitglieder der Verbindung gewesen, auf Handgelöbniß in Freiheit und hundertzwanzig bis hundertfünfzig andere auf der Flucht vor dem Arme der Gerechtigkeit und in den Wäldern verborgen.

Wie groß die Zahl der geheimen Gesellschaften in Amerika ist, mag die aus glaubwürdiger Quelle geschöpfte Mittheilung zeigen, daß im Jahre 1860 allein in der Stadt New-York zweihundertneunzig Logen, Oddfellowlager, Druidenhaine und ähnliche Clubs bestanden. Der verbreitetste Geheimbund ist derjenige der Freimaurer. Auch dieser war hier nicht immer so harmlos wie in Deutschland und spielte wenigstens einmal, wenn auch nur gezwungen, eine Rolle in der Politik. Im Jahre 1826 verschwand zu Batavia im Staate New-York der Freimaurer William Morgan, der wegen eines Zerwürfnisses mit seiner Loge seine Verpflichtung zur Geheimhaltung der Ordensmysterien durch Veröffentlichung derselben zu brechen im Begriffe stand, auf räthselhafte Weise. In der Dunkelheit der Nacht war – so erzählte man – ein Wagen mit Vermummten vor seiner Thür erschienen, und nach einiger Zeit wieder weggefahren, wie man glauben mußte, mit ihm. Denn am anderen Morgen war Morgan fort. Die fertigen Druckbogen seines Werkes waren ebenfalls weggeschafft, das noch nicht gesetzte Manuscript desgleichen, der Satz, der in der benachbarten Druckerei der Correctur harrte, durcheinander geworfen. Morgan blieb verschwunden. Jemand wollte ihn in Begleitung einiger Männer, die ihn als Gefangenen bewacht hätten, in einem Orte an der canadischen Grenze gesehen haben. Damit hörte jede Spur von ihm auf. Selbstverständlich machte der Vorfall das größte Aufsehen, und allenthalben nahm man an, jene Vermummten seien Freimaurer gewesen, und der Unglückliche sei nach der Drohung des alten Masoneneides, welche auf den Bruch desselben, soweit er Schweigen über die Geheimnisse des Ordens fordert, allen Ernstes Hinrichtung durch Abschneiden des Halses und Ausreißen der Zunge setzte, bestraft worden. Der Umstand, daß das Verlangen nach einer Untersuchung der Sache bei den Behörden auf Schwierigkeiten stieß, bewirkte große Entrüstung, und aus dieser ging allmählich die Partei der „Antimasons“ oder Freimaurerfeinde hervor, die sich die Ausschließung aller Ordensangehörigen von städtischen und Staatsämtern sowie von der Vertretung im Congreß und den Staatenlegislaturen zum Zweck setzte und, nachdem sie die erste Zeit auf den westlichen Theil des Staates New-York beschränkt gewesen, sich auch über die Neu-Englandstaaten sowie über Pennsylvanien und Ohio ausbreitete, so daß sie, als die Union sich zum Wahlkampfe von 1831 rüstete, ein beachtenswerthes Gewicht in die Wagschale der Entscheidung zu werfen im Stande war.

Ob Morgan wirklich hingerichtet worden ist, ist nie bewiesen worden und wird jetzt auch wohl nie bewiesen werden. Charakteristisch aber war die Antwort, die mir einst ein angesehener Kaufmann in Cincinnati gab, als ich ihn an den Morgan’schen Fall erinnerte und die vielfach verbreitete Muthmaßung, er sei ein Opfer des Masoneneides gewesen, bezweifeln wollte. „Was wollen Sie?“ entgegnete er, „jeden Augenblick bin ich bereit, einen solchen Verräther in solcher Weise strafen zu helfen.“

Ich habe nur noch hinzuzufügen, daß ich mich freue, zu wissen, daß wir Deutsche in dieser Hinsicht mit den Amerikanern nichts gemein haben. Die „Germania“ möge also hieraus kein Capital schlagen – es wäre Falschmünzerei.

  1. Im dritten Band der „Amerikanischen Humoristen“. (Leipzig. Grunow.)