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Amtsgericht Flensburg - Wieviel Rum macht den echten Pharisäer?

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Entscheidungstext
Gericht: Amtsgericht
Ort: Flensburg
Art der Entscheidung: Urteil
Datum: 9. Oktober 1981
Aktenzeichen: 63 C 84/81
Zitiername:
Verfahrensgang:
Erstbeteiligte(r):
Gegner:
Weitere(r) Beteiligte(r):
Amtliche Fundstelle:
Quelle: Scan von: DRiZ 1982, 151–152
Weitere Fundstellen:
Inhalt/Leitsatz: Ein als „Pharisäer nach Originalrezept“ angepriesenes Getränk ist mangelhaft, wenn es nur 2 cl Rum enthält. (Leitsatz des Wikisource-Bearbeiters)
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Wieviel Rum macht den »echten Pharisäer«?

(Amtsgericht Flensburg, Urteil vom 9.10.1981 – 63 C 84/81)

[1] Der Kläger fordert von dem Beklagten die Bezahlung einer Restzechschuld.

[2] Der Beklagte suchte zusammen mit seiner Ehefrau und seinen Kindern die Gaststätte des Klägers auf. Auf dem Tisch, an dem der Beklagte mit seiner Familie Platz nahm, war ein Faltkärtchen der Firma H.-Rum aufgestellt, auf dem für den »Pharisäer«, »Nordfrieslands berühmte hundertjährige Spezialität, hier nach dem Originalrezept« geworben wurde. Der Beklagte bestellte für seine Ehefrau und für sich nach dem auf dem Kärtchen angepriesenen »Pharisäer nach Originalrezept« zwei Getränke dieser Art. Der Kläger selbst bereitete beide Getränke in Tassen, deren Inhalt dem der Tassen entspricht, die auf dem Faltkärtchen abgebildet sind. Dem gesüßten Kaffee, der mit geschlagener Sahne abgedeckt war, hatte der Kläger zwei Zentiliter Rum hinzugefügt. Er berechnete jedes Getränk zu einem Preis von 3,50 DM.

[3] Der Beklagte und seine Ehefrau nahmen je einen geringen Schluck von dem servierten Getränk. Beide meinten sofort, das Mischungsverhältnis Kaffee/Rum des Getränks entspreche nicht dem Originalrezept. Sie baten die Kellnerin um Aufklärung, wieviel Rum in dem Getränk enthalten sei. Die Kellnerin erkundigte sich bei dem Kläger und erklärte dem Beklagten sodann, es seien zwei Zentiliter Rum im Getränk enthalten, diese Mischung sei ordnungsgemäß, und es werde abgelehnt, weiteren Rum hinzuzugeben. Der Beklagte lehnte daraufhin die Bezahlung beider »Pharisäer« unter Hinweis auf die Mangelhaftigkeit der Getränke ab, die übrige Zeche beglich er.

Aus den Gründen:

[4] Die Klage ist unbegründet. Der Kläger kann von dem Beklagten nicht Bezahlung der Restzechschuld fordern (§ 433 Abs. 2 BGB), denn der Beklagte hat zu Recht die Wandlung des Kaufvertrages gegenüber dem Kaufpreisanspruch des Klägers erklärt.

[5] Der Kaufvertrag der Parteien über zwei »Pharisäer« ist von dem Kläger nicht ordnungsgemäß erfüllt worden, denn beide Getränke sind erheblich mangelhaft gewesen. Bei den servierten Getränken hat es sich nicht um eine Anderslieferung gehandelt, denn die Getränke sind zwar »Pharisäer« gewesen, mit dem unstreitigen Rumzusatz von zwei Zentiliter jedoch so mangelhaft, daß ihr Wert, gemessen an der Anpreisung auf dem Faltkärtchen der Firma H.-Rum als »Pharisäer nach dem Originalrezept«, erheblich herabgesetzt gewesen ist (§ 459 BGB). Andererseits hat es sich bei dieser Anpreisung auf dem Faltkärtchen noch nicht um eine Zusicherung im Sinne § 459 Abs. 2 BGB gehandelt.

[6] Das Recht zur Wandlung des Kaufvertrages ist nicht dadurch ausgeschlossen worden, daß nach dem ersten Schluck des Beklagten das verbleibende Restgetränk unbrauchbar und wertlos an den Kläger zurückgelangt ist (§§ 462, 467, 351 BGB), der Kaufgegenstand somit eine Verschlechterung erfahren hat. Es liegt geradezu in der auch durch Legende und Namen geprägten Eigenart des Getränks, daß der Rumgehalt erst durch Probieren bestimmt werden kann. Es ist deshalb nicht vorwerfbar (§ 351 BGB), wenn der Beklagte die Mangelhaftigkeit erst gerügt hat, nachdem er und seine Ehefrau je einen geringen Schluck des servierten Getränks zu sich genommen hatten. Es dürfte zutreffend sein, daß die Ausübung des Wandlungsrechts dann eine unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) sein kann, wenn die Nachbesserung noch möglich ist. Der Kläger hatte jedoch die Nachbesserung durch Hinzufügen weiteren Rums abgelehnt. Daß für den Beklagten Gelegenheit bestanden hat, sich weiteren Rum zu bestellen, um so das Getränk alkoholischer zu machen, ist sicher zutreffend, hier aber unerheblich; der Beklagte hätte dann die mangelhafte Leistung angenommen und wäre zusätzlich mit einer weiteren Kaufpreisforderung belastet gewesen. Die servierten »Pharisäer« sind mangelhaft gewesen (§ 459 Abs. 1 BGB). Sie sind in ihrer Qualität erheblich von dem abgewichen, was den »Pharisäer« nach dem Originalrezept kennzeichnet. Es ist gerichtsbekannt, daß weitere Rezepte für dieses Getränk, das seinen Ursprung auf der Insel Nordstrand hat, vorhanden sind. Das Originalrezept, auf das das Faltkärtchen Bezug nimmt, geht von einem Getränk aus, das »hochprozentig alkoholhaltig« ist und [152] deswegen deutlich den Rumzusatz schmecken läßt. Denn das Getränk soll aufgrund des »herzhaften« und »ordentlichen Schusses Rum« als »köstliches Getränk Leib und Seele erwärmen«. Das ist bei einem Rumzusatz von zwei Zentilitern nicht der Fall. Das Gericht hat im Wege der Geschmacksprobe festgestellt, daß der »Pharisäer« mit einem Rumzusatz von zwei Zentilitern fade und ausdruckslos schmeckt. Der Rum ist kaum auszumachen; es handelt sich um ein Kaffeegetränk mit geringem alkoholischen Beigeschmack, keinesfalls aber um ein köstliches, hochprozentig alkoholhaltiges Getränk. Es kann dahingestellt bleiben, ob für die Zubereitung eines ordnungsgemäßen »Pharisäers« vier Zentiliter Rumzusatz geboten sind; jedenfalls ist ein Zusatz von zwei Zentilitern zu gering. Es ist gerichtsbekannt, daß andere Rezepte für die Zubereitung die Rummenge vorsehen, die einen Eierbecher füllt. Aber auch das sind mehr als zwei Zentiliter. Das vom Kläger bereitete Getränk ist erheblich fehlerhaft gewesen und hat nicht dem in Bezug genommenen Originalrezept und der Qualität entsprochen, die der Gast bei dem Kauf dieses Getränks erwarten kann. Es ist auch entgegen dem Vorbringen des Klägers nicht zutreffend, daß ein Rumzusatz von zwei Zentilitern dem herkömmlichen Mischungsverhältnis des Gaststättengewerbes bei der Zubereitung des »Pharisäers« entspricht ...

[7] Der Hinweis des Klägers ist nicht erheblich, der von ihm ausgeschenkte »Pharisäer« koste nur 3,50 DM im Gegensatz zu anderen Gaststätten, die einen Preis von 5,- DM und mehr verlangten. Es ist zutreffend, daß dieser Preis unter dem üblicherweise für ein Getränk dieser Art geforderten Preis liegt. Wenn der Kläger aber – ohne einen Hinweis auf den Preis – damit geworben hat, »Pharisäer« nach dem Originalrezept anzubieten, so muß er auch ein Mischungsverhältnis Kaffee/Rum liefern, das dem Rezept gerecht wird. Kann er bei einem Verkaufspreis von 3,50 DM je Getränk nach kaufmännischen Gesichtspunkten nicht mehr die Rummenge ausschenken, die das Originalrezept voraussetzt, so darf er das Getränk auch nicht als »Pharisäer« nach dem Originalrezept anbieten, wie er es hier gegenüber dem Beklagten getan hat ...