An den Ufern der Salzach

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Autor: Hugo Arnold
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Titel: An den Ufern der Salzach
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 192–197
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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An den Ufern der Salzach.

Von Hugo Arnold.
Mit Bildern von Richard Püttner.

Die smaragdgrüne Salzach, das wilde Kind der Berge, verläßt beim Austritt aus dem weiten Salzburger Becken die Zone des Hochgebirges und flutet dem ihr aus Westen entgegenströmenden Inn durch eine lachende Landschaft zu. Die anmutigen Höhenzüge und die rundlichen Kuppen derselben bilden die Hinterlassenschaft der riesigen Gletschermassen, die in unvordenklicher Zeit von den Kämmen der Tauern herab sich bis hart an den Inn, bis in die Burghausener Gegend erstreckten. Durch das liebliche Hügelgelände hat sich die Salzach ihren Weg gebahnt; von dem großartigen Salzburger Kessel ab verengt sich ihr Bett zu einem tiefen Hochlandsthale zwischen steilen Hängen von Laufen bis Friedorfing, dann weitet es sich um Tittmoning abermals zu einem offenen Becken, hinter dem die Uferhöhen sich wiederum zu einer engen, nicht einmal einem Fußpfade Raum gewährenden Schlucht bis Burghausen zusammenschließen.

Laufen.

Weitab liegt heute die Gegend vom großen Verkehre, denn die beiden von der bayerischen Hauptstadt nach Wien führenden Schienenstraßen nach Salzburg und nach Braunau streifen sie nur an ihren Rändern; erst in der letzten Zeit hat man eine Lokalbahn von der Salzburger Linie weg nach Tittmoning gebaut und in Bälde wird von Mühldorf ab eine Flügelbahn zu dem verödeten Burghausen führen. Darum suchten bisher nur wenige wanderlustige Touristen die hohen landschaftlichen Schönheiten und die geschichtlichen Denkstätten des idyllischen Landstrichs auf, den all’ die dem Alpenvorland eigenen Reize schmücken: der Atem des Hochgebirges, den der brausende Bergfluß mit seinen Wellen hinausträgt in die Ebene, die grünen Matten und reichen Fluren der Thalungen, die dunklen Wälder auf den Hügeln, die blinkenden stattlichen Gehöfte der „Einöden“ unter dem Laubdach ihrer Gärten und nach Süden hin die den Horizont säumende, in blauem Duft verschwimmende Kette der Alpen, überragt von den in blinkender Firnenpracht erstrahlenden Hochgipfeln und Häuptern, während fern im Norden der von den Höhen aus suchende Blick den malerischen Linien des Bayerischen und des Böhmerwaldes begegnet.

Und wenn du den Inn überschritten hast und am Chiemsee vorbei gegen Osten fährst, so ist es, als ob dir andere Lüfte ins Antlitz wehten. Hüben wie drüben sitzt zwar bajuvarisches Volk, wie ehedem dort keltische Stämme hausten, aber der Inn trennte zur Römerzeit die rätische Provinz vom norischen Reich und zahlreicher als anderswo haben im Chiem- und Salzburggau sich Reste romanischer Kultur durch die Stürme der Völkerwanderung gerettet. Schon von mittelalterlicher Zeit an reichte ferner das

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Burg Tittmoning.       Blick von Nunreuth in das Salzachthal mit Tittmoning.       Stadtthor.
Ansichten von Tittmoning.

Salzburger Gebiet bis hart an das Ostgestade des Chiemsees und an die Ufer der Alz heran und erst im Norden griff das bayerische Herzogtum weit über die Salzach herüber. Darum machen sich in den noch reichlich im Gau vorhandenen, aus Altväterzeit stammenden künstlerischen Werken, insbesondere in Bau und Zier der Kirchen, die Einwirkungen von Salzburg als Mittelpunkt des geistlichen und weltlichen Regimentes geltend, in den Bauwerken romanischen Stiles sind sogar von daher übermittelte lombardische Einflüsse bemerkbar und die dort zu hoher Blüte gediehene spätere Gotik hat in gar manchem Gotteshause das eine oder andere reizvolle Gebilde hinterlassen. Von Salzburg aus wurden auch zwei charakteristische italienische Bauformen in die Städte an der Salzach überliefert, wie drüben am nahen Inn von Innsbruck her: die Bogengänge („Lauben“) im Erdgeschosse der alten Häuser und die breiten Fassaden an ihren Giebelfronten, deren Fläche in einem hohen geradlinig abgeschnittenen Maueraufsatze das Schindeldach derart überragt, daß man Gebäude mit flachem welschen Dache vor sich zu haben glaubt.

Die Salzach führte in römischen Zeiten einen Doppelnamen keltischer Wurzel: Ivaro oder Igonta, auch Isonta. Ihr deutscher Name, die „Ach“ (d. i. das Gewässer), welche das „Salz“ auf ihrem Rücken trägt, kennzeichnet sie als die Lebensader des Gaues, in welchem das aus den Lagern des Dürenberges bei Hallein und aus den Quellen von Reichenhall gewonnene Salz den wichtigsten wirtschaftlichen Faktor bildet; zweifellos, reicht die Benutzung der Wasserstraße für den Salztransport weit in das graue Altertum zurück, denn die Kelten haben bereits jene Werke ausgebeutet. Im Mittelalter bestand eine genau bis in die kleinsten Einzelheiten geregelte Organisation des Schifferwesens mit dem Sitz zu Laufen, die in ihren Hauptzügen bis zum Uebergang Laufens an Oesterreich (1806) bestehen blieb.

Die Wandelung, welche zu moderner Zeit in den Verkehrswegen sich vollzog, insbesondere die Anlage von Eisenbahnen, hat die einst so blühende Schiffahrt auf der Salzach fast völlig vernichtet, nachdem schon die Neuordnung der politischen Verhältnisse im Anfange des Jahrhunderts den Salzachstädten die schwersten Schäden zugefügt hatte. Das 1810 bayerisch gewordene Salzburger Gebiet auf dem rechten Salzachufer mußte 1816 an Oesterreich abgetreten werden und seitdem teilen die regsamen Städte Laufen und Tittmoning das Los ihrer Schwesterstadt Burghausen: Grenzorte zu sein, ein Geschick, das Burghausen allerdings schon 1779 durch den Teschener Frieden erfuhr. So stehen die politischen Grenzmarken an den Ufern der Salzach und die Zollschranken unterbinden die Lebensader des Gaues, eine Fügung, über welche die genannten Städte bitter klagen, denn die Einbuße der Hälfte ihres Hinterlandes haben sie bis zum heutigen Tage noch nicht überwunden.

[194] Nicht dahin, wo die Türme Hohensalzburgs ragen und woher die Kuppeln der Kirchen grüßen, sondern nach Norden führt uns von der Station Freilassing an der Salzburger Linie die Lokalbahn nach Laufen. Ein mächtiger Riegel von Nagelfluh schiebt sich dort ins Salzachbett vor und zwingt den Fluß, ihn in mächtiger Schleife zu umspülen. Auf und an diesem Block hat sich das freundliche Städtchen gelagert, das eigentlich nur aus einer einzigen, an einer Stelle sich zum Marktplatze erweiternden Straßenzeile besteht. Auf der äußersten Spitze des Blockes, gegen Osten durch einen kolossalen Unterbau wider die nagenden Fluten der Salzach geschützt, thront die fernhin in der ganzen Gegend als Wahrzeichen sichtbare Stiftskirche, ein weiter, gotischer dreischiffiger Hallendom, aufgeführt zwischen 1440 und 1450; aus dem früher an gleicher Stelle stehenden romanischen Gotteshause ist ihr ein schlanker, ohne Verjüngung aufsteigender, reich ornamentierter Turm einverleibt worden, und außer prächtigen Statuen und wertvollen Gemälden birgt sie in ihren Hallen und in dem sie umschließenden Kreuzgang einen außerordentlich wertvollen Schatz von etwa anderthalb hundert Grabsteinen, deren ältester die Jahrzahl 1300 aufweist. Sie tragen die Wappen und Namen der alten, jetzt nahezu sämtlich erloschenen Geschlechter des Land- und Stadtadels, unter denen die Herren von der Albu, die Abkömmlinge einer landeingesessenen romanischen Familie, mit ihren Ahnherren bis in das 7. Jahrhundert zurückreichen; zum größeren Teil Muster heraldischer Steinmetzkunst und vielfach von hohem künstlerischen Wert. Die Fürsterzbischöfe von Salzburg besaßen hier einen glänzenden Palast, in dessen Sälen nun unheimliche, grau gekleidete Gesellen ihre Werkstühle aufgeschlagen haben, denn er ist zum Gefängnis für schwere Verbrecher bestimmt worden. So spiegelt sich in ihm der Wandel des Geschicks, wie in der Geschichte der jetzt so stillen Stadt, hinter deren Mauern einst die ritterlichen Geschlechter der Gegend von ihren Burgen herabzogen, um durch Schiffahrt und Handel zu hohem Reichtum zu gelangen. Um Laufen ward manch harter Strauß gefochten, denn bei ihm öffnet sich die Straße sowohl gegen den juvavischen Thalkessel als in das Herz von Oberösterreich. Darum kam es schon 949 bei Louva zum blutigen Kampfe zwischen den Ungarn und dem Bayernherzog Heinrich I., und so oft bayerische oder französische Scharen gegen Osten operierten, färbten sich die Wellen der Salzach vom Blute der Streiter, denn mit der Wegnahme von Laufen war der Schlüssel zur Bischofstadt gewonnen, so 1525, 1611, 1800, 1805 und 1809.

Außerordentlich reich sind diese geschichtlichen Erinnerungen, aber keine derselben gewährt ein solches Interesse wie eine religiöse und eine rein weltliche Feier, die sich beide am Fronleichnamsfeste auf den Wellen des von der Schneeschmelze dann hochgehenden Flusses abspielen.

Laufen gegenüber liegt der Markt Oberndorf, ehedem eine Vorstadt, jetzt der Amtssitz österreichischer Bezirksbehörden. Hier wohnen die Schiffer, deren Innungsorganisation bis in das 13. Jahrhundert zurückreicht. Aus den alten Zeiten her, da sie gleich allen anderen Gilden als kriegerische Schar die Mauern ihrer Vaterstadt verteidigten oder die Fehden ihrer Erzbischöfe ausfechten halfen, haben sie sich den Anstrich einer militärischen Körperschaft gewahrt und erscheinen heute noch in geschmackvoller soldatischer Tracht: sie tragen einen roten Waffenrock, graulich-weiße Beinkleider, weißes über die Brust gekreuztes Lederzeug mit Patronentasche und Säbel, dazu den Korsenhut und das Gewehr, und bei den alten Leuten hat sich noch die Gewandung des vorigen Jahrhunderts erhalten: der Dreispitz und die Hellebarde, der lange rote Bratenrock, das kurze schwarzsammetne Beinkleid, weiße Strümpfe und Schnallenschuhe. Gar stattlich sehen sie aus, die wetterbraunen harten Gestalten, und mit Stolz paradieren sie im Kriegerkleid: haben sie doch alle „gedient“ und fast insgesamt Pulver gerochen. Der weißhaarige Veteran dort hat noch unter Vater Radetzky geblutet und jener stramme Recke den Doppelaar über die Berge Bosniens getragen. Ihnen kommt eine Hauptrolle bei den Festlichkeiten zu.

Während der Prozession, an welcher Tausende handelnd und zuschauend teilnehmen, wird an einem auf der Mitte der Brücke errichteten Altare das zweite „Evangelium“ gelesen. Nach demselben tritt der das Allerheiligste tragende Priester an die Brüstung der Brücke heran und, von leichtem Ruderschlag getrieben, gleitet auf den brausenden Wellen ein Kahn herab. In demselben sitzen vier Knaben, in Rot und Weiß gekleidet und in den Händen ein weißes Tuch haltend, auf welchem geweihte, aber nicht konsekrierte Hostien ruhen. In dem Augenblicke, in welchem der Kahn sich der Brücke nähert, erhebt der Priester die Monstranz, erteilt damit auf die Wogen hinab den Segen, die Knaben aber „schutzen“ (d. h. schnellen) die Hostien aus dem gespannten Tuche in die rauschende Flut; dazu krachen die Böller und die Salven der Schiffergilde, und von den Wänden des engen Thales zurückgeworfen, hallt der rollende Donner wider. Es ist ein wunderbar malerisches Bild: über die grauen Häuser steigen die grünen Uferhänge hinan, wie mit Schnee bedeckt von den Blütenkronen der Obstbäume, durch die im üppigsten Lenzesschmuck prangenden Fluren windet sich die steilen Steige empor die farbenbunte Prozession mit wehenden Fahnen, und die Sonne flimmert auf den schillernden seidenen Gewändern und Flügelhauben der Frauen und leuchtet auf den roten Röcken der Schiffer, dazwischen qualmt der Weihrauch aus den Becken der Ministranten und wehen die Schleierwolken der Salven über dem rauschenden Fluß, in weiter Ferne die Scene schließend, ragt ernst die majestätische Pyramide des sagenumsponnenen Untersberges.

Die Hostien, in welchen durch die Konsekration gemäß der Lehre der katholischen Kirche sich des Heilands Leib verkörpert, nennt der Volksmund das „Himmelsbrot“ und davon trägt die ganze Feier den Namen „Himmelsbrotschutzen“. Sie ist rein religiösen Charakters und stellt eine fromme Wasserweihe dar, um die wackeren Schiffer vor allen Gefahren auf den tückischen Wellen zu bewahren; ihr Ursprung mag bis in die Tage des Heidentums zurückreichen.

Sicher ist letzteres nachzuweisen bei dem jetzt verweltlichten Feste, das am Nachmittag des gleichen Tages stattfindet. Ein Räuberhauptmann mit seiner Bande, alle in schreckenerregende phantastische Kostüme gekleidet, fährt in einer Flottille zur Plünderung von Laufen und Oberndorf auf der Salzach heran; doch wie die Fahrzeuge zum Ufer wenden, werden sie von den Schiffern angegriffen, die wohl auf der Hut lagen und in starkbemannten Booten heransteuern. Es entspinnt sich ein heftiger Kampf; das Geschrei der Streiter, das unaufhörliche Rollen und Knattern der Gewehre, der dumpfe Baß der Schiffgeschütze füllen das ganze Thal. Endlich entern die tapfern Schiffer die Kähne der Piraten, die Räuber werden überwältigt und mit Hurra und Hallo in sichern Gewahrsam auf die „Keller“ einer lobesamen Brauerei geschleppt. In diesem etwas wilden, aber männlich frohen Spiele erschaut das Auge des Kundigen die altgermanische Frühlingsfeier: den Sieg des Lenzes über den Winter, und sein Herz freut sich über die Erhaltung uralten Brauches der Vorfahren in dieser modernen Gestaltung, über die zähe Lebenskraft unseres Volkstums.

Wir aber ziehen friedlich die Straße fürbaß flußabwärts an der in Trümmern liegenden Burg der einst mächtigen Grafe von Lebenau, an Friedorfing vorbei, wo die Pfarrkirche auf der Stätte einer römischen Niederlassung steht, im Pfarrhofe römische Säulen eingemauert sind und in dessen Nähe ehedem ein mehrere tausend Leichname bergendes Grabfeld aus Merovinger Zeit entdeckt wurde, berühmt durch seine Funde und den darüber entstandenen Streit der Gelehrtenwelt.

Schon von weitem her grüßt von hohem Hügel herab das malerische Gemäuer der alten Burg von Tittmoning. Titamanninga villula gehörte zu den ältesten Besitzungen des Salzburger Stuhles als eine Schenkung Herzog Theodeberts zu Anfang des 8. Jahrhunderts. Es verdankt seine Blüte dem Salzhandel, wurde aber wegen der Eigenschaft als Grenzfeste gegen Bayern in alle die Kriegsstürme verwickelt, die hier gen Osten zogen. Das bedeutendste Gebäude der schmucken Stadt ist die Stiftskirche, ein herrlicher gotischer Bau mit vielen schönen Grabmälern und einem hohen Turme, dessen oberer Teil im Barockstil aufgeführt ist. Bietet das auf einem abgeflachten Hügel sich streckende Tittmoning auch nicht das markante Städtebild von außen her wie Laufen, so gefällt uns um so mehr der brunnengeschmückte Marktplatz, um den sich in südlicher Architektur die mit Laubengängen, Erkern und kunstvollen Schildern gezierten Häuserreihen gruppieren und mit ihren lichten Farben sich recht wirksam von dem tiefen, satten Grün der üppigen Laubmassen des Burgberges abheben. Von der Stiftskirche weg, der alten, von Bäumen und Gesträuch überwucherten Stadtmauer entlang, führt ein Weg in den natürlichen Park des Burgberges, wo sich schattige Pfade unter den Wipfeln mächtiger Buchen und Ahornbäume hinauf zu der Lichtung vor der Brücke ziehen, welche die tiefe Schlucht des Grabens zum Eingangsthore der Burg überspannt. Letztere war einst der Sitz eines Dienstmannengeschlechtes, [195] später eines Amtmannes und im 15. Jahrhundert ein Lieblingsaufenthalt der Salzburger Erzbischöfe. Heute hat sich hier eine gastliche Herberge aufgethan und vom rosen- und wildrebenumrankten Sitz auf der Terrasse schweift der Blick hinaus auf die blauduftige Bergkette des gesegneten Salzburger Landes.

Durch das nördliche Thor, welches in seinen bunten Farben eine anziehende, ungemein malerische Wirkung ausübt, verlassen wir die anheimelnde Stadt und wandern gen Norden steil aufwärts unter hohen Bäumen dem Dörflein Nunreuth mit seinem stattlichen Wirtshause zu. Von hier aus hat der Stift des Malers die Rundschau aufgenommen, die sich ganz plötzlich und dem Wanderer völlig unerwartet an der einzigen Stelle, wo ein freier Rückblick möglich ist, über das weite Salzachthal mit dem freundlichen Tittmoning im Mittelgrunde bietet, während im Süden der blauende Gebirgszug sich dehnt, in welchem der Stock des Untersberges und die schroffen Rücken des Tännengebirges dominieren.

Abtei Raitinhaslach.

Tief unten in der Schlucht braust die Salzach; wir wandern mit den Wellen weiter nach Norden, bis der Fluß mit einer plötzlichen Wendung nach Osten abbiegt und für ein in mehreren Terrassen sich abstufendes Knie der Uferwand Raum giebt. Türme und Giebel eines stattlichen Baues streben empor, malerisch gehoben durch den Hintergrund des Hadermarkter Berges, stattlich immer noch, obwohl sie nur die Ueberbleibsel einer prachtvollen Abtei bilden. Auch Raitinhaselach („die Rodung im Haselwalde“) wird bereits im 8. Jahrhunderte unter den Besitzungen des Salzburger Hochstiftes genannt und die Anfänge eines dort bestandenen Chorherrenstiftes reichen in unbekannte Zeiten zurück. Hierher verlegten 1146 auf Betreiben des Salzburger Erzbischofs Konrad der Edle Wolfger von Tegerwang und seine Gattin Hanna das zuerst in Schützing an der Rott gegründete Cisterzienserkloster. Durch viele Begabungen gediehen die „grawen Müniche“ zu beträchtlichem Reichtume, wenn auch Kriege und Brände dem Stifte wiederholt großen Schaden zufügten. Als im vorigen Jahrhunderte die Bauwut in den Klöstern Süddeutschlands einriß und die alten Stifte dem neuen Geschmacke gemäß „modernisiert“ wurden, bauten auch die Cisterzienser ihren Konvent in luxuriösem Rokokostil um, aber nach der Säkularisation (1803) und dem Uebergang in Privathände wurden mehrere Flügel niedergelegt, sodaß jetzt nur noch der Prunksaal und die Prälatenwohnung nebst der kleinen Hauskapelle sehenswert sind. Die prächtige Stiftskirche (1756-1759 erbaut) dient nun als Pfarrkirche; ihr Inneres zeigt den krausen phantastischen Schmuck, mit dem das Rokoko seine Bauwerke zierte, insbesondere reiche, sorgsam ausgeführte Stuccaturen und Fresken in leuchtenden Farben. Die Pfeiler tragen die Wappen von 136 Adeligen, welche entweder Wohlthäter des Stiftes waren oder in der Kirche ihrer seligen Urständ entgegenschlafen. Außer den Geschlechtern der Umgebung wählten auch die Herzöge der Landshuter Linie, die häufig im nahen Burghausen residierten, das Kloster gern zur Begräbnisstätte ihrer Angehörigen. Inmitten der Kirche steht ein großer roter Marmorblock; auf ihm stand ehedem der Sarkophag, der die sterbliche Hülle des ruhelosen, nach stürmischem Lebenslaufe heimgegangenen Herzogs Ludwig mit dem Beinamen „der Gebartete“ barg.

Weiter führt uns die Straße. Hart an ihr zur Rechten führen Stufen einen Berg hinan. Eingeschlossen vom Walde liegt hier die Wallfahrtskirche Heiligenkreuz, für welche Maria Plain bei Salzburg zweifellos als architektonisches Vorbild diente; auf der Terrasse, welche die Kirche umgiebt, öffnet sich ein prächtiger Ueberblick.

Zwischen den steilen Uferwänden strömt die Salzach fort nach Norden. Da schiebt sich eine schmale Bergzunge gegen sie vor; die Fluten umrauschen sie in leichtem Bogen, während auf der anderen Seite, im Westen, in weiter Ausbuchtung der Thalsohle ein lieblicher tiefsmaragdgrüner kleiner See, die „Wöhr“ genannt, den Fnß des Felsens bespült. Nur nach Norden hängt die Felsenzunge mit dem Hinterlande zusammen, von der Natur zu einem festen Horste geschaffen, und von der unersteigbaren Höhe herab schauen die Türme, Mauern und Zinnen einer weitausgedehnten Burg nieder in das Thal, über die Stadt hinweg, die sich in ihrem Schirm an die Berghalde schmiegt. Burghausen heißt darum sprechend der Name. Nicht mit Unrecht besteht die Vermutung, daß schon in der Urzeit die Einwohner auf dem Felsengrate hinter schützenden Wällen Zuflucht suchten doch fällt geschichtliches Licht auf die Stätte erst im 11. Jahrhundert, als die Grafen von Burghausen und Schala (dieses in Oberösterreich) hier ihren Sitz hatten. Mit dem Tode des letzten derselben fiel 1146 die Grafschaft an das bayerische Herzogtum und ein Jahrhundert apäter, nach der Teilung in Ober- und Niederbayern, von 1255 ab, ist Burghausen neben Landshut zweieinhalb Jahrhunderte lang eine Residenzstadt, die Burg eine Hofburg, in der alle während dieser Zeit herrschenden Fürsten, von Heinrich XIII. bis Georg dem Reichen, 14 Herzoge, 1 Kurfürst und 1 Kaiser, längere oder kürzere Zeit Aufenthalt nahmen. Außerdem barg die feste Burg auch in ihren sicheren Gewölben die von den drei letzten niederbayerischen Herzögen, gar guten Haushältern, gesammelten Schätze, wegen deren jeder von ihnen den Beinamen „der Reiche“ empfing.

Unter eben diesen drei Herzögen, Heinrich, Ludwig und Georg, erlebte Burghausen die Periode seines Glanzes und aus diesen Tagen stammt auch die Gestalt, in welcher die Burg – eine der ausgedehntesten in Deutschland – auf uns gekommen ist. Auf eine Viertelstunde in die Länge erstreckt sich der Komplex der Gebäude über den schmalen, mauer- und zwingerumsäumten Felsengrat, dessen beide Enden ursprünglich je durch eine eigene Burg, heute noch das „vordere“ und das „hintere“ Schloß genannt, bewehrt waren. Hierdurch zerfällt sie in drei Abschnitte, deren jeder durch einen tiefen, aus dem Felsen geschroteten Graben und durch ein festes zugbrückebewehrtes, mit mächtigen, aufgemalten, noch gut erhaltenen Wappenschildern geschmücktes Thor gesichert war. Von der alten Herrlichkeit des Fürstensitzes ist nun freilich wenig mehr übrig geblieben, denn in den letzten drei Jahrhunderten dienten die Schloßgebäude zu Wohnungen und Amtsstuben der Beamten oder als Kasernen.

Welch malerischer Reiz die alte Burg und Stadt umkleidet, davon zeugen die herrlichen, poesieumflossenen Bilder des Zeichners. Wie pittoresk stellt sich der Anblick der Stadt und des „vorderen“ Schlosses vom österreichischen (östlichen) Salzachufer dar! Die Ansicht links darunter zeigt das Eingangsthor in das „vordere“ Schloß, zu dem man durch die in Terrassen ansteigenden winkligen

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Burghausen
Eingang zur Burg (Ostseite).     Ehemalige Richtstätte.      Blick von der Burg auf den Pulverturm. Partie aus dem Burghof.


Gassen und Gärten des Hofberges gelangt; das mittlere Bild führt uns an die Westseite des Schlosses, an die ehemalige „Richtstätte“. Wir treten durch einen offenen Thorbogen hinaus. Steil fällt der Abhang hinunter bis an das Ufer der im Sonnenlicht funkelnden smaragdgrünen Wöhr, über deren spiegelnde Fläche oft buntbewimpelte Gondeln mit lebensfroher Gesellschaft gleiten und in deren Wellen sich die Jugend der zahlreichen Schulen Burghausens tummelt. Darüberhin beherrscht die Ferne mit der hochragenden Kirche vom Heiligen Kreuz der trutzige „Pulverturm“. Das Bildchen darunter zeigt das Thor zum mittleren Teile der Burg.

Entzückend ist ein Rundgang um die Burg im Mondenschein, wenn die „Wöhr“ wie ein Silberbecken blinkt, die Salzach wie ein gleißendes Band schimmert, die Türme und Giebel in nächtigem Duft verschmelzen, die feuchten Schieferdächer blitzen, Totenstille über dem Städtchen ruht, alles, alles traumhaft wie in längstverschwundenen Zeiten vor dir liegt und nur das strahlende elektrische Licht in den Straßen der Stadt davon spricht, daß wir in der Gegenwart leben!

[197] Was wüßten die Mauern und die Hallen zu erzählen, wenn sie zu sprechen vermöchten, von dem Prunk und der Pracht des Hofhaltes der „reichen“ Herzöge, von den ungeheuern Reichtümern, die ihrer Hut anvertraut waren! Als Herzog Georgs des Reichen Eidam den Schatz seines Schwiegervaters nach Neuburg a.D. wegführte, waren dazu 70 sechsspännige Wagen nötig! Aber auch die Klagen unsagbaren Kummers und Herzeleids verhallten in diesen Gemächern: unglückliche Frauen trauerten über das Weh ihrer Ehe. Amalie von Sachsen, die Gemahlin Ludwigs des Reichen, und Hedwig von Polen, die Gemahlin Georgs des Reichen, von deren über die Maßen glänzender Hochzeit einst die Welt als von einem vordem nie erlebten Schauspiel gesprochen hatte, beide von den Gatten verbannt und gemieden. Auch manchen berühmten Gefangenen beherbergte die Burg; den unruhigen Herzog Ludwig den Gebarteten von Ingolstadt, der hier in Acht und Bann das Zeitliche segnete (1447), den berühmten Kanzler Georgs des Reichen, Wolfgang Grafen zu Neukolberg, und den in der Nördlinger Schlacht in Gefangenschaft geratenen schwedischen Feldmarschall Horn, diesen acht Jahre hindurch in ritterlicher Haft.

Vor Alt-Oetting.

Kriegslärm umtobte oft die Türme. Im Landshuter Erbfolgekriege (1504) diente Burghausen den Pfälzern als Stützpunkt für ihre Verheerungszüge nach Oberbayern, 1611 sammelte Herzog Maximilian hier seine Scharen zum Zuge gegen Salzburg; viel Blut floß um die festen Wehren, so oft Bayern und Oesterreich im Kampfe lagen. Im spanischen Erbfolgekriege erstürmte der Anführer der niederbayerischen Bauern, der Student Plinganser, 1705 die von den Kaiserlichen besetzte Stadt und Burg, während des Oesterreichischen Erbfolgekrieges waren sie im Wechsel in den Händen der Bayern und der Oesterreicher und wurden drei mal vom bayerischen General Prinzen von Hildburghausen erstürmt, wobei ein Bürger von Burghausen, der tapfere Kaminkehrer Cura, sich besonders hervorthat. Die französischen Kriege um die Wende unsres Jahrhunderts führten viel Kriegsvolk an die Ufer der Salzach; 1809 ging der Rückzug der bei Landshut und Eggmühl geworfenen Oesterreicher über Burghausen. Napoleon folgte ihnen auf dem Fuße und hatte ursprünglich hier die Anlage großer Verschanzungen im Auge. Noch trägt seinen Namen der Napoleonshügel, von welchem aus er dem Uebergang seiner Truppen über den Fluß zusah.

Seit dem Uebergang Burghausens (1505) an die Herzöge von Oberbayern wohnten nur noch die jungen Prinzen Ludwig und Ernst längere Zeit (1512) auf der Burg, wo man noch heute die Behausung ihres Lehrers, des berühmten Geschichtschreibers Aventin, zeigt. Dann nahmen die herzoglichen Hauptmänner und Viztume hier ihren Sitz, aber stiller und stiller wurde es in der Stadt, namentlich als sie durch die Abtretung des Inn- und Hausruckviertels an Oesterreich (1779) ihr Hinterland und im Anfang unsres Jahrhunderts die 300 Jahre hier bestandene Regierung, dazu vor wenigen Jahren noch die altgewohnte Garnison verlor. So ist ihr, der Perle des bayerischen Salzachthales, von der alten Herrlichkeit nichts geblieben als die romantische Lage und die malerischen, mit dem Edelrost des Alters und der Geschichte geschmückten Gebäude.

Noch eine Meile unterhalb Burghausen begleiten steile Felswände den Fluß, dann senken sie sich und durch buschige Auen strömt die Salzach dem brausenden Inn entgegen. Wir wandern von der Burg aus gen Nordwesten über den wie ein Wall aus der Hochebene aufragenden Höhenberg mit der „Kümmernißkapelle“, eine der Endmoränen des Salzachgletschers. Von da aus eröffnet sich noch einmal eine wunderbare Rundsicht. Nach Norden schweift der Blick über unabsehbare dunkle Nadelwaldungen, über welche die Kuppen des Bayerischen und Böhmerwaldes emporragen, gegen Osten blitzen aus dem gesegneten Innthal zahlreiche Kirchtürme entgegen und starren die kahlen, jäh abfallenden vielfach zerklüfteten Uferwände der Salzach, hinter denen die Massen des Weilharter Forstes in ungemessene Ferne sich dehnen; im Süden aber erheben sich gleich einer riesigen Mauer vom Traunstein in Oberösterreich bis zur Zugspitze die Wände, Grate und Hörner der Alpen, beherrscht von dem schimmernden Eisstrom der „übergossenen Alp“ und den in die Wolken ragenden Häuptern des Großglockner und des Venediger. Nur zögernd wenden wir uns, über die grüne Alz und durch den dunklen Tann wandern wir fort. Da lichtet sich der Wald und auf grüner Fluroase liegt im Sonnenglanz das weihrauchumduftete Alt-Oetting vor uns, die uralte Kaiserpfalz der Karolinger und das „Loretto“ des bayerischen Landes. Von fernher schallt der Klang der Glocken und über den Feldern wehen die bunten Fahnen der Wallfahrtszüge, denn Hunderttausende frommer Pilger – selbst von der ungarischen Grenze her – wallen alljährlich an die Gnadenstätte, wo in einer aus dem 12. Jahrhunderte stammenden romanischen Kapelle ein byzantinisches, schwarzes Madonnenbildnis aus Holz mit dem Jesuskind auf dem Arme die höchste Verehrung der Gläubigen genießt. Die Sage meldet, daß hier in grauer Zeit ein Heidentempel gestanden; die alte Kultstätte hat die christliche Kirche übernommen und sie der Gottesmutter geweiht, welche die Herrscher von Bayern zur Patronin des Landes erkoren haben. Darum ist es auch ein frommer Brauch, daß die Herzen der bayerischen Landesfürsten hier in silbernen Gefäßen beigesetzt werden.