An der Küste von Amalfi

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Autor: Woldemar Kaden
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Titel: An der Küste von Amalfi
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 188–191
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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An der Küste von Amalfi.

Von Woldemar Kaden.0 Mit Illustrationen von P. Scoppetta.

Venedig, das im Mittelalter zweimal Konstantinopel eroberte, den ganzen Orient mit allen Schätzen des Morgenlandes beherrschte, dessen Fahne als die der mächtigsten Meereskönigin allüberall hochgeachtet war, was ist es heute? Ein „Traum von Stein“. Es lebt ein Scheinleben in verschämter Armut, mit etwas buntem Flitterkram herausgeputzt.

Pisa, die einst mächtige Nebenbuhlerin Genuas, ist auch eine tote Stadt, auf seinen Plätzen wächst Gras, in seinen Gassen herrscht Schweigen. Aber sein Name wird noch genannt, die Eisenbahn bindet es noch an das Leben der übrigen Welt.

Und Amalfi? Dies Städtchen an der südlichen Küste Italiens? Wie aus einer längst versunkenen Welt klingt sein Name zu uns herüber, und doch war Amalfi einst ebenso reich und vornehm, beides ebenfalls durch das Meer geworden, wie Pisa und Venedig, und hätte es auch mit Genua aufgenommen!

Das Sortieren der Citronen.

Heute ist die Stadt verarmt, eine gestürzte Große, und nur noch einige denkwürdige Bauten zeugen von ihrer einst so glorreichen Vergangenheit. Amalfi ist eine hochinteressante Ruine. Die meisten Besucher Neapels versäumen es auch nicht, der südlich an der Küste gelegenen Stadt einen pflichtschuldigen Besuch zu machen, vielleicht auch darum, weil der Weg zu ihr ein gar so schöner ist. Die Sache ist auch bequem genug: ein Eisenbahnbillet Neapel-Salerno, von Salerno aus mit Dreigespann die herrliche Küsten-Gebirgsstraße entlang über die einst maurischen Oertchen Cittara, Majori, Minori, Atrani in zwei bis drei Stunden nach Amalfi, oder mit Wagen von Castellamare aus über die sonnigen Hänge des Monte St. Angelo hinab nach Positano, über Prajano und Conca. Ist Amalfi noch so dürftig, ja lumpig, die Hotels bieten auch den vornehmsten Gästen alle Annehmlichkeiten der Hotels ersten Ranges. Der zahlreiche, im Winter und Frühling sehr zahlreiche Fremdenverkehr ist eine Hauptnahrungsquelle des Städtchens, das uns verschämt in wehmutsvollem Erinnern die Geschichte seiner Blüte und seines Verfalls erzählt.

Es war einmal …

Nach Amalfi mußte der berühmte Desiderius, Abt von Monte Cassino reisen, um für Kaiser Heinrich IV. Geschenke an kostbaren Stoffen und wertvollen Metallkunstwerken einzukaufen. Denn die Kaufmannschaft Amalfis hatte bis ins 11. Jahrhundert hinein auf dem Seewege nach dem Orient, nach den Häfen von Asien, Afrika, Aegypten, Syrien und Palästina einzig die Venetianer zu Konkurrenten. Damals dufteten die Straßen Amalfis nach allen Wohlgerüchen des „Glücklichen Arabiens“, und indisches Gewebe, persische Seidenstoffe und Purpurgewänder waren in allen seinen Niederlagen zu haben. Diese Stoffe deckten auch die Plätze, seidene Teppiche hingen von Dächern und Balkonen, in goldenen und silbernen Räucherpfannen brannten Zimmet und andere köstliche Spezereien, wenn irgend ein Großer zu Besuch kam. Schon durch das Seerecht der Stadt, Tabula Amalphitana, das auf dem ganzen Mittelmeer galt, ward ihr Name berühmt.

Das alles änderte sich mit dem Beginn des 16. Jahrhunderts; Handel und Wandel ging zurück wie die Einwohnerzahl, die von 50000 bis heute auf 7000 gesunken ist. Weltvergessen, eine arme gebeugte Alte, in dürftige Lumpen gehüllt, kauert die schöne Meeresbraut von einst auf ihrem schmalen Uferstreif in den Felsen drin. Ihre Kinder stehen im Staube der Landstraße, strecken bettelnd gegen

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Der Domplatz in Amalfi.

[190] den vorüberfahrenden Fremdling die Hand aus und rufen: „Einen Soldo den Nachkommen Masaniellos!“

Die Weizenwäscherei an der Terrasse vor dem Hotel de’ Cappuccini.

Das Volk von heute, mit Ausnahme weniger Begüterter, ist furchtbar arm und meist häßlich, weil es durch überschwere Arbeit in den altväterischen Papiermühlen der Valle de’ Molini, durch Lasttragen, dürftige Kost und Entbehrungen jeder Art in abscheulichen Wohnstätten niedergedrückt wird.

Auch das Schiffer- und Fischervolk ist schlimm dran. Nur wenige Segel gleiten über das Meer. Der weite schöne Golf ist vereinsamt. Alles Leben mit Handel und Wandel, mit Dampf, Segel und Eisenbahnen fließt zusammen auf der andern Seite der Halbinsel, wo Castellamare, Torre Annunziata und Torre del Greco mit Neapel blühen. Hier sind es arme Fischer, die ihre Netze werfen, nur selten verirrt ein Dampfer sich in diese Gewässer. Die kleinen goldbraunen Segel da drüben, sie erscheinen als verblichene Fetzen des einst so glänzenden Purpurmantels, den diese Küste im Mittelalter mit so viel Stolz getragen.

Aber dem armen Volke der Küste ist nicht einmal die Erinnerung an jene Glorie geblieben, gedanken- und wunschlos lebt es seine Tage. Was es verdient, ist zu wenig, um ein einigermaßen menschliches Dasein zu führen, doch noch zu viel, um geradezu Hungers zu sterben; dem kommt allerdings die gänzliche Bedürfnislosigkeit der südlichen Arbeiterklasse entgegen.

Mit dem, was so ein armes braunes Mädchen, das harte Lasten Holz auf dem gebeugten Nacken zu Thal schleppt, was so eine arme dürre Alte, die durch den Staub der Landstraße ungeheure Säcke gebrannten Kalkes keuchend dahinbuckelt, mit dem, was ein Arbeiter in den Maccaronifabriken verdient, würde in Deutschland nicht der allergeringste Handlanger zufrieden sein.

Aber auch die Herren klagen schwer, und gar manches kleine Nudelfabrikchen hat seine Arbeit einstellen müssen. Die Orangen und Citronen blühen noch immer, golden glühen noch immer die Früchte im dunklen Laub, aber sie lassen sich jetzt nur schwer noch in Gold umsetzen. Und wenn heute der Sarazene den tiefen Frieden dieser am Berge prangenden Gärten nicht mehr stört, so ist an seine Stelle der viel unbarmherzigere Steuerbote der jüngsten Regierung getreten. Und wenn man in dem maccaronisierten Neapel drüben die „Maccheroni della costiera“, die den guten Ruf der Stadt erhalten müssen, noch immer für die feinsten der Welt erklärt, so können ihre weltfernen Erzeuger doch nicht die Konkurrenz mit den Eisenbahnstädten, wo man die Nudeln aus Maschinen herstellt, aushalten.

Die Agrumikultur, d. h. der Anbau und Vertrieb der Südfrüchte, ist neben Maccaroni- und Papierfabrikation der bedeutendste Industriezweig der Küste. Jene Kultur ist uralt, denn schon im Jahre 1002 fanden die Normannen hier die Pomeranze vor, arancio forte oder bittere Orange vom Volke genannt. 1279 bezog Karl von Anjou die für seine Gärten in Manfredonia, am Fuße des Monte Gargano, bestimmten Orangenbäume von den Nachbarorten Amalfis Majori und Minori. Zur Zeit der Kreuzzüge brachten Sicilianer und Genueser auch die Citrone oder Limone ins Land und von Salerno bis Amalfi ward sie fleißig angebaut.

Ganz zuletzt, anfangs des 15. Jahrhunderts, erhielt Europa die süße, eigentliche Orange, die in Süditalien fleißigste Pflege fand. Ueber 150 Spielarten haben sich aus den einfachen Einwanderern herausbilden lassen, alle, süße, saure und bittere, heißen Agrumi (Sauerfrüchte) und die Gärten, wo man sie zieht, Agrumeti.

Die Arbeit in diesen Agrumeti ist keine leichte und der Boden ist dem Bauer keineswegs so gnädig, als man meinen sollte. Ehe die Pflanze lohnt, muß mancher Sommer ins Land gehen.

Die aus Samen gezogenen Bäumchen bleiben drei Jahr, immer fleißig begossen, in der Schule, um dann veredelt zu werden. Acht bis zehn Jahre alt, tragen sie die ersten Früchte, wenn sie nicht vorher hundertweise einer einzigen Frostnacht erlegen sind oder den die Agrumeti heimsuchenden Krankheiten, von denen die sogenannte Gummikrankheit Hunderttausende von Stämmen in Italien vernichtet hat. Zu große Nässe nämlich erzeugt die „Morphaea“, diese geht in die „Melasse“ über, bei der ein schleimig zuckeriger Saft der Pflanze entfließt und diese gänzlich entkräftet. Unzählig auch sind die Parasiten und Baumläuse, die die Schalen und Früchte überziehen und ihnen jedes Aroma nehmen.

So ein Orangenbaum im offenen Land wird überhaupt im Mittel nur 25 bis 30 Jahre alt und das nur, wenn er treu und fleißig umhackt, beschnitten, gewässert und gedüngt wird. Er kann dann in seinen besten Jahren bis 5000 Früchte im Jahr geben, ein Citronenbaum bis 8000. Doch ist der Agrumibauer zufrieden, wenn der Baum in seinem Orangengarten im Durchschnitt 400 bis 600 Früchte im Jahr giebt und sein Limonenbaum 700 bis 1000 Citronen reift. Das in Agrumeti angelegte Kapital verzinst sich in guten Jahren mit 4%, in den letzten Jahren war es bedeutend weniger.

Mit dem Transport der Früchte, ihrer Sortierung und Verpackung sind viele fleißige Menschenhände beschäftigt. Es ist ein duftiges Geschäft, die goldenen Früchte zu pflücken, in die Magazine zu tragen und hier die Hunderttausende zu sortieren. Wer dies aber besorgt, meist junge Mädchen und Frauen, hat den ganzen Tag an Kopfweh zu leiden, denn auch unter Orangenbäumen wandelt man [191] nicht ungestraft. Einer sechsfachen Auslese werden die Citronen unterworfen, und jede Auslese wird in besonderes Papier gepackt. Dies Papier wird gern aus alten Schiffstauresten fabriziert, es hat die Eigenschaft, die Citronen vor äußerer Feuchtigkeit zu hüten, sie vor dem Austrocknen durch Ausschwitzen zu bewahren.

Die aus Kastanienholz gefertigten Kisten sind 1,02 m lang, 0,36 m hoch, 0,38 in breit; benannt werden sie nach der Nummer „16“ oder „20“, je nachdem, den Boden der Kiste zu bedecken, es 16 oder 20 Früchte braucht. Wenn man nun in jede Kiste fünf Schichten packt, so enthält „16“ achtzig Früchte, „20“ deren hundert. Die grün geernteten Citronen reifen und färben sich auf der Reise; die im November, Dezember und Januar geernteten halten lange Reisen aus, die Februar- und Märzfrucht ist zu reif und verträgt kaum hundert Stunden Weges.

Die Tageslöhne der Agrumiindustrie sind furchtbar niedrig und können nie steigen, ebensowenig wie die der armen in feuchten Höhlen schaffenden Maccaroniarbeiter.

Wenn man die goldene, in einer Sauce von Paradiesäpfeln (Pomidoro) gebadete, mit flockigem Käse überstreute Nudel von napolitanischen Leckermäulern in sonnendurchleuchteten Trattorien „verspinnen“, d. h. in langen unzerschnittenen Fäden bündelweise verschlingen sieht, so gedenkt man, wie bei den Spitzen, den Perlen der festprangenden Dame, nicht der Urheber dieser Herrlichkeiten. Nur selten ist jemand eingedrungen in die dunklen Geheimnisse der Maccaronifabrik. Wir begnügen uns, die Nudeln an Stangen und Gestellen in Strähuen zum Trocknen ausgehängt zu sehen vor den Häusern der Ortschaften, die wir durchfahren. Wir wissen kaum, daß die große Terrasse vor dem Hotel de’ Cappuccini in Amalfi mit dem daneben fließenden Bächlein, allwo den ganzen Tag ein ameisenhaftes Treiben stattfindet, die Vorspielbühne zu der im Stadtinnern betriebenen Maccaronifabrikation ist. Hier wird der Weizen, das „grano duro“, harte Korn, oder „grano da paste“, Nudelkorn, gewaschen, getrocknet, wieder gewaschen, gegen den Meerwind geworfen, in Säcke gefüllt, zu den Mühlen getragen und zu verschiedenen Sorten Griesmehl vermahlen. Das Anmachen des Teiges ist danach das Wichtigste, das Schwerste das „Durchreiten“ der Teigmasse, wie wir es auf einem unserer an Ort und Stelle aufgenommenen Bilder (s. u.) im Hintergrunde der furchtbar primitiven Maccaronifabrik durch drei fast unbekleidete Männer ausgeführt sehen. Sie reiten kniewippend auf einem messerförmigen Ruderholze vorwärts, rückwärts, und durchschneiden damit tausendfach die mehlige Masse, um sie zu mengen. Die vier Mann am steuerruderähnlichen Preßbengel sodann besorgen das Durchtreiben des Teiges durch die verschiedenen ganz eigenartigen Metallformen, während ein Knabe fächernd am Ausfluß kauert, um die zu Tage tretenden Nudeln vor dem Zusammenpappen zu behüten. Sind die Maccaroni schon ihrer Farbe nach in viele Kategorien geteilt, so ist die Namensbezeichnung der in den Handel kommenden schier endlos. Was sind aber Namen, oder was kann der Nordländer sich denken bei Maccaroni della Regina, Zite, Lasagne, Tagliolini, Vermicelli, Canneroncini, Fidelini, Spaghetti, Stelletti, Semensi di Mellone, Occhi di Quaglio u. a. mehr? Die armen bleichen abgezehrten Männer jedoch, die sich für eine Lira den Tag in den Tod „reiten“, bekommen nichts davon zu essen, nur an Festtagen steht eine Schüssel schwarzer Pasta auf ihrem Tisch, von der das Kilo 40 Centimes kostet.

Doch sind die Männer in ihrer Schattennacht immer gutes Mutes: sie haben einen Dom, wie ihn nicht leicht eine andere Stadt hat, und in dem Dome wohnt der allmächtige Schutzpatron Sankt Andreas.

Wohl, dieser Dom ist ein „Märchen aus alten Zeiten“! Er predigt auf den armen schmutzigen Krautmarkt herab neun Jahrhunderte Geschichte. Anfangs war er nur zweischiffig und der heiligen Assunta geweiht. Der amalfitanische Doge Mansone III. weihte ihn 987 zur Episkopalkirche und fügte ein drittes Schiff hinzu. Zweihundert Jahre später, 1203, erneuerte ihn der Kardinal Capuano vollständig, ließ das Atrium im Spitzbogenstil errichten und brachte viel reichen Marmor- und Mosaikschmuck an. Das Atrium, eingedrückt durch die auf ihm lastende Attika, ist vor wenig Jahren endgültig restauriert worden.

Dem Dome treu zur Seite steht der prächtige Campanile, der Glockenturm im byzantinischen Stile, dessen Bau schon 1180 angefangen wurde. Wir schauen, von einer wehklagenden Bettlerschar umringt, im Geiste die vergangenen Herrlichkeiten ….


In einer Amalfitaner Maccaronifabrik.