Auch eine Weihnachtsfeier
[830] Auch eine Weihnachtsfeier. Um die Weihnachtszeit des Jahres 1870 stand unser Regiment einige Tage in Vendôme. Der Rittmeister unserer Escadron, ein Reserve-Officier, ein einjährig Freiwilliger und ich hatten uns verabredet, den Weihnachtsabend in meinem Quartier nach lieber deutscher Sitte bei einem angezündeten Tannenbaum und einer dampfenden Bowle zu verleben, wobei wir uns die Zeit mit Quartett-Gesängen vertreiben wollten, was wir vier regelmäßig und sehr gerne thaten, so oft es uns die Zeit und das Kriegshandwerk erlaubten.
Leider bekam ich am Morgen besagten Tages den Befehl, eine Requisition nach St. Amants hin auszuführen. Das Requiriren, an und für sich ein böses Geschäft, war hier um so unangenehmer, als St. Amants fast vier Meilen von Vendôme und in der Nähe von durch Franzosen besetzten Ortschaften lag. Es gelang mir daher auch nur mit großer Mühe und bedeutendem Zeitaufwand und nach vielfältig angewandten Säbelhieben und freundschaftlichem Kitzeln mit den Lanzen, die Bauern von der Nothwendigkeit zu überzeugen, daß unsere Pferde zu ihrem Unterhalte durchaus Hafer und Heu bedürften, und daß es daher nöthig sei, daß sie selbiges auf ihre Wagen lüden und in meiner und meiner Ulanen werthen Gesellschaft nach Vendôme brächten, von wo sie dann nach empfangener Bescheinigung wieder in ihre Heimath zurückkehren könnten. Es war wie gesagt ziemlich spät geworden, ehe ich mit meinem stattlichen Zuge auf dem Kasernenhofe in Vendôme anlangte, und meine Cameraden, denen einestheils die Zeit lang wurde, die aber auch um mein langes Ausbleiben anfingen besorgt zu werden, waren mir bereits bis hierher entgegengekommen. An den Kasernenhof stieß die Kathedrale, an welcher wir, wenn wir nach meinem Quartier wollten, vorbei gehen mußten. Am heutigen Weihnachtsabend war die Kirche dicht gefüllt und eben als wir uns derselben näherten, sang die andächtige Menge, unter Begleitung einer rauschenden Musik „O sanctissima“. Ueberrascht blieben wir stehen. In dieser Weise hatten wir das Lied noch niemals singen hören, es war im vollständigen Raschwalzertact. „Das ist doch im höchsten Grade empörend, ein solch’ schönes Lied auf diese Weise zu verunstalten,“ sagte Camerad P., „das müßten wir den Franzosen einmal vorsingen.“ Ehe wir’s selbst wußten, waren wir in der Kirche, und da dieselbe in ihren unteren Räumen vollständig gefüllt war, stiegen wir die der Thür zunächst befindliche Treppe zu einem leeren Chor hinan. Musik und Gesang hatten geendet; der Priester vom Altare sprach einige uns unverständliche Worte. Dann begannen wir in gemessener, feierlicher Weise, wie wir es gewohnt waren, mit präciser Innehaltung des piano und forte „O sanctissima“. Es klang in der weiten Kirche prachtvoll. Ueberrascht wandten sich mehr denn tausend Augen nach der Stelle, von wo der Gesang tönte, und man denke sich das maßlose Erstaunen der Franzosen, als sie vier in voller Kriegsrüstung dastehende, ihnen so sehr verhaßte Ulanen, Protestanten, erblickten, in ihrem Heiligthum ein katholisches Lied singend. Lautlose Stille herrschte. Als wir geendet – ich weiß selbst kaum mehr, wie wir darauf kamen – stimmten wir das wohl nicht ganz hierher passende Schäfer’s Sonntagslied „Das ist der Tag des Herrn“ an. Wie unwillkürlich falteten sich während unseres Gesanges die Hände der unter uns sich befindenden Franzosen, und nachdem wir zu Ende gesungen, verließen wir, unter fortdauernder lautloser Stille, selbst ernst und feierlich gestimmt, die Kirche. Es war dies eine eigenthümliche Feier unseres heiligen Weihnachtsabends.