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Auf der Rhede von Cuxhaven

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Textdaten
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Titel: Auf der Rhede von Cuxhaven
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 201–203
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[201]
Auf der Rhede von Cuxhaven.
Eine Erinnerung an die deutsche Flotte.


Es war am 4. Juni 1849, als nach dem Seegefecht bei Helgoland die deutschen Dampfer Friedrich I. Barbarossa, Hamburg und Lübeck, verfolgt von einem weit überlegenen dänischen Geschwader, gegen Abend der Elbe zusteuerten. Der Weg nach der Weser, von wo sie am Morgen ausgelaufen und wohin sie hätten zurückkehren sollen, war ihnen abgeschnitten. Obgleich fast uns Allen an Bord das Gefecht zu früh beendet schien und wir trotz der widrigen Umstände, welche eingetreten waren, gern dem Feinde noch näher auf den Leib gerückt wären, so machte unserem nur auf Unkenntnis und Tollkühnheit begründeten Unmuthe doch bald wieder die heiterste Laune Platz; es war ja das erste Gefecht, welches die junge Flotte bestanden, und Jeder an Bord, vom Capitain bis zum Schiffsjungen, hoffte mit Zuversicht, es werde nicht das letzte sein.

Ich war noch eine vollständige Landratte, denn erst am 3. Juni, also am Tage vor dem obenerwähnten Gefechte, hatte ich das erste Mal das Deck eines Seeschiffes betreten. Ich war Seejunker an Bord der Dampfcorvette Lübeck. Obgleich der zuletzt an Bord gekommene Seejunker, hatte ich doch von den Uebrigen meines Ranges wenig zu leiden, da die Meisten derselben gleich mir noch nicht auf See gewesen waren und ich auch zu den Aelteren und Stärkeren gehörte. Zum Lachen gaben wir Landratten aber Alle – hierzu gehörten auch der Doctor und der Zahlmeister – oft genug Veranlassung, am meisten natürlich diejenigen von uns, welche, nicht in der Nähe der See geboren, ganz vor Kurzem dieselbe zuerst gesehen und kennen gelernt hatten.

So war es am Morgen nach dem Gefechte bei Helgoland, daß unser Doctor, ein Rheinländer, der sich übrigens schon länger als einen Monat an Bord befand und bereits etwas auf seine maritimen Erfahrungen einbildete, seine Unkenntniß in See- und Schiffssachen bitter zu büßen hatte. Als er nämlich auf Deck kam, war er sehr erstaunt, Cuxhaven nicht mehr auf derselben Seite der Elbe zu erblicken, auf welcher es seiner Ansicht nach am Abend [202] vorher gelegen hatte. Er versicherte hoch und theuer, Cuxhaven habe gestern ihm zur Linken gelegen, wenn er, auf dem Hinterdeck stehend, das Gesicht dem Großmast zugewendet; heute lag es ihm, obgleich er ebenso stand, zur Rechten. Es wurde ihm nun eingeredet, er habe gestern wohl zu Ehren des glücklich überstandenen Gefechtes im ungewohnten Grog des Guten zu viel geleistet. Das wollte er aber durchaus nicht Wort haben und stritt auf Tod und Leben in der ihm eigenen lebhaften und lauten Weise und in seiner rheinischen, an Bord wenig bekannten Mundart über die besagte Erscheinung, die er sich schlechterdings nicht erklären konnte. Daß die anwesenden Officiere, der Commandant nicht ausgenommen, so herzlich lachten, wie es nur irgend die Etiquette auf dem Quarterdeck erlaubt, kann sich Jeder leicht denken, welcher die bezüglichen Verhältnisse kennt. Dem guten Doctor war es nämlich entgangen, daß das Schiff geswait hatte und, während es am Abend unserer Ankunft vor Fluth gelegen, am nächsten Morgen zufällig vor Ebbe, sonach am Abend mit der Backbordseite, am Morgen dagegen mit der Steuerbordseite Cuxhaven gegenüberlag.

Am selben Morgen war es ferner meine Wenigkeit, die den Stoff zum Tagesgespräch auf allen drei Schiffen des Geschwaders lieferte. Kurz vor Mittag wurde am Besanmaste des Barbarossa, auf welchem sich Commodore Brommy als Befehlshaber des Geschwaders befand, das Signal aufgehißt: „Der Seejunker Nr. 4“ – das war ich – „soll an Bord kommen!“ Da ich speciell genannt war, so konnte es sich nicht um einen abzuholenden Befehl handeln, sonst wäre ein beliebiger Seejunker oder der Schiffssecretair gerufen worden. In weniger als fünf Minuten war ein Seitenboot bemannt, ich saß darin und fuhr dem Commodoreschiff zu. Es war erbärmliches Wetter, ein steifer Südwest mit starkem Regen und hohem Seegang; dies focht mich aber wenig an, und ich merkte nicht einmal, daß ich bis auf die Haut durchnäßt wurde, da ich in der Eile ohne Regenmantel und Südwester (Kopfbedeckung) abgefahren war. All mein Denken concentrirte sich im Nachgrübeln über die Ursache meiner Berufung auf das Commodoreschiff. Wie Mancherlei durchkreuzte mein armes Gehirn! Vor Allem aber quälte mich die an Bord noch im letzten Augenblick von meinen Cameraden ausgesprochene Vermuthung, ich sei gerufen worden, um vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden, weil ich während des Gefechts, mit dem Beobachten der Signale betraut, das Signal „Umkehren“, welches den Rückzug der Schiffe befahl, nicht – wie es auch wirklich der Fall war – augenblicklich gesehen und dem Commandanten der Lübeck gemeldet hätte.

Das Boot ging auf und nieder und die hohen Wellen verbargen mitunter den Barbarossa, auf welchen mein Blick gerichtet war. Ich glaube, ich wünschte damals, wir möchten ihn nie erreichen! Kriegsgericht, strenge Strafe oder gar Entlassung aus dem Flottendienst, das waren die Popanze, die mich bis unter Bord des Commodoreschiffes geleiteten. Nur mit Mühe konnte angelegt werden, nachdem man uns von Bord aus ein Tau zugeworfen hatte. Mit einem kühnen Sprung schwang ich mich, als das Boot durch eine Welle hoch genug emporgeworfen worden war, auf die Fallreepstreppe, im nächsten Augenblicke stand ich auf Deck. Zum Glück blieb ich ruhig stehen und wartete auf einen weiteren Befehl; denn ich wäre sicherlich, statt nach dem Quarterdeck, nach vorn gegangen, was übrigens auch einem weniger befangenen Anfänger begegnen kann, aber stets Spötteleien und Witze der Anwesenden nach sich zieht. Man führte mich schweigend hinunter zur Kajüte des Commodore; die Thüre öffnete sich, ich trat ein. Um einen schwarzbehangenen Tisch, o schrecklicher Anblick! saßen fünf oder sechs Officiere; am untern Ende Commodore Brommy, ihm zur Rechten der Commandant des Barbarossa, Capitain King, zur Linken ein Herr in mir fremder Uniform; die übrigen Officiere kannte ich nicht. Es herrschte eine feierliche Stille. Der Commodore winkte mir, heranzutreten. Ich glaube, ich habe damals gezittert; jedenfalls hätte ich mich viel behaglicher an Bord eines brennenden Schiffes, als in besagter Gesellschaft befunden. Doch ich faßte Muth und ging in militärischer Haltung auf den Commodore zu. Eine strenge Bewegung seiner Hand gebot mir Halt; ich war noch drei Schritte von ihm entfernt. „Herr Seejunker,“ begann er hierauf, „vermissen Sie keine Papiere, Briefschaften und dergleichen?“

„Daß ich nicht wüßte, Herr Commodore,“ war meine Antwort.

„Keinerlei Zeichnungen, Bleistiftskizzen und dergleichen?“

„Nein, Herr Commodore.“

„Treten Sie näher,“ sprach er nun und deutete nach einem Haufen Papiere, die, vorher in ein Paket zusammengebunden, auf dem Tische ausgebreitet waren. Sofort erkannte ich diese Papiere. Ein jäher Schreck fuhr mir durch die Glieder. Mit bebender Stimme antwortete ich auf die Frage des Commodore: „Kennen Sie diese Papiere?“: „Ja, Herr Commodore, sie gehörten mir zu, ich warf sie gestern Abend über Bord, um sie zu vernichten.“

Mit diesen Papieren hatte es aber folgende Bewandtniß. Nachdem ich mich eingeschifft hatte, war ich zu meinem Leidwesen gewahr geworden, daß es in der engen Seejunker-Kajüte keinen verschließbaren Raum für jeden Einzelnen gab, daß vielmehr daselbst Gütergemeinschaft in des Worts verwegenster Bedeutung herrschte. Ich besaß aber einige Briefe, Scripturen und Zeichnungen, die ich ungern den Augen meiner nichts weniger als discreten Cameraden ausgesetzt hätte und daher zu vernichten beschloß. Ich erhaschte hierzu, es war gerade vor dem Einlaufen in die Elbe, einen freien Augenblick, band die der Vernichtung geweihten Papiere zusammen, und übergab sie der hochgehenden See, fest überzeugt, diese werde meine kleinen Geheimnisse in ihrem dunklen Schooße am besten und auf ewig verbergen. Dem war aber nicht so: die See hatte vielmehr, wie ich sah, den schmählichsten Verrath an mir geübt. Unter den erwähnten Papieren befand sich nämlich nicht nur eine Anzahl rosarother Briefchen mit getrockneten Blümchen und Blättchen darin, sondern auch nebst andern ganz harmlosen Skizzen und das war das Schrecklichste! – ein Blatt, auf welchem ich den Commodore in nicht zu verkennender Aehnlichkeit skizzirt hatte. Eine Caricatur konnte man zwar die Skizze nicht nennen, nur hatte ich Schnurrbart und Leib des Mannes nicht unbedeutend vergrößert, seiner Körperlänge aber unverhältnißmäßig Abbruch gethan.

Commodore Brommy war nämlich von mittlerer Statur, hatte einen etwas starken Leib und trug einen über die Lippen fallenden, ziemlich langen Schnurrbart. Die faltenreiche Stirn und das finsterblickende Augenpaar schienen auf meiner Skizze ein nahes Donnerwetter zu verkünden. Außerdem hatte ich dem Hute eine der napoleonischen ähnliche Form und dem Säbel eine etwas mehr als türkische Krümmung beigelegt. Mit einem Worte, ich hatte meiner Phantasie freien Spielraum gelassen, um der Figur etwas recht Tyrannisches zu geben. Der Commodore konnte mitunter sehr heftig sein und fürchterlich poltern, zumal wenn er Verweise gab. Davon war mir schon einmal eine Probe geworden, als ich in Bremerhaven eines Tages versäumt hatte, einen höheren Officier zu salutiren.

Ueber den Grund meines Verfahrens hinsichtlich der Vernichtung jener Papiere befragt, machte ich dem Commodore eine kurze, aber genügende Mittheilung. Seine Stirn, die vorher in ernste Amtsfalten gelegt war, glättete sich plötzlich, und indem seine Züge jenen freundlichen Ausdruck annahmen, der ihm stets so gut stand, sprach er lächelnd zu mir, der ich wie neu belebt nun wieder aufathmete: „Sehen Sie, junger Herr, diese Papiere hat soeben der Herr Amtmann hier“ – er deutete auf den Herrn in der mir fremden Uniform – „an Bord gebracht. Ihm hat sie ein Fischer, der sie am Elbestrande, anderthalb Meilen stromaufwärts, gefunden hat, heute Morgen übergeben. Für die Zukunft rathe ich Ihnen, um die Leute nicht wieder unnöthigerweise zu beunruhigen und zu bemühen, Ihre entbehrlichen Papiere lieber zu verbrennen, als über Bord zu werfen. Auch lassen Sie sich über die Verhältnisse von Ebbe und Fluth an den Flußmündungen belehren, denn es scheint Ihnen merkwürdig vorzukommen, daß Ihre Papiere, die Sie vor der Elbemündung über Bord warfen, anderthalb Meilen stromaufwärts am Elbeufer gefunden wurden. Nicht wahr, so ist es?“

Ich verzog den Mund zu einem verschämten Lächeln. Der Commodore machte eine kleine Pause, dann fuhr er fort:

„An der Adresse der Briefe hat man den muthmaßlichen Besitzer des Pakets erkannt; aber wer ist denn, wenn man fragen darf, der Künstler, der diese vortrefflichen, leider ein wenig durchnäßten Bleistiftskizzen verfertigt hat?“

Vertrauend auf die freundliche Sprache des Commodores erwiderte ich offenherzig: „Ich, Herr Commodore!“

„Nun,“ sagte dieser, „ich gebe Ihnen hiermit Ihre Papiere bis auf eines zurück; eine Ihrer Skizzen werde ich nämlich so frei sein, für mich zu behalten, das heißt dem Fischer abzukaufen, dem das Paket doch eigentlich jetzt zugehört, da er es am Strande gefunden hat. Denn, nichtwahr, Herr Amtmann, hier gilt ja noch [203] das alte Strandrecht, und es wird sogar auf der Kanzel jeden Sonntag gebetet: „„Gott segne unseren Strand,““ – nämlich mit gestrandeten Schiffen?“

Hierauf reichte der Commodore die ihn vorstellende Skizze dem Amtmann, der mit offenbar großer Mühe sein steifes Actengesicht zu einem Lächeln zwang, und bat denselben, sie im Kreise weitergehen zu lassen. Dann stand er auf und holte eine verschließbare Briefmappe herbei, die er mir mit den Worten übergab:

„Hier haben Sie etwas zur Aufbewahrung Ihrer Papiere, und nun können Sie wieder an Bord zurückkehren. Guten Morgen!“

Ich war wahrhaft gerührt und machte eine tiefe, ich glaube, recht unmilitärische Verbeugung. Wer war aber froher als ich mit meiner Mappe! Wie beneidete man mich in der Seejunker-Kajüte um mein kleines Erlebniß! – Das deutsche Geschwader sollte längere Zeit auf der Rhede von Cuxhaven bleiben. Obgleich kein Seehafen so wenig Unterhaltung bietet, wie dieser, und auch in jetziger Periode wegen des Krieges beinahe gar keine Badegäste erschienen waren, so unterhielt man sich doch mitunter vortrefflich am Lande; denn es durchwehte das junge Volk unserer Schiffe ein so froher, frischer Geist, wie ich ihn nicht leicht anderswo im Leben wiedergefunden habe. Auch der Commodore und die Commandanten schienen sich am Lande gut zu gefallen und folgten öfters den Einladungen der Hamburger und hannoverischen Amts-Notabilitäten von Cuxhaven, Ritzebüttel und Umgegend. Als Revanche hierfür beschloß der Commodore denselben ein solennes Frühstück an Bord des Barbarossa zu geben. Dieses sollte am 14. Juni stattfinden. Schon einige Tage vorher ergingen die Einladungen und wurden Vorbereitungen dazu getroffen, deren Vielseitigkeit auf ein großartiges Fest schließen ließ. Am Lande wurden Bestellungen aller Art gemacht, und die letzten Tage vor dem Frühstück sah man Boote in Menge zwischen der Stadt und dem Barbarossa unaufhörlich hin- und herfahren. Sie brachten der Herrlichkeiten gar viele an Bord, Wildpret und Geflügel, Fische, Austern und selbst Schildkröten, Gemüse und Obst aus dem Süden, aber auch Körbe voll Flaschen, darunter zahlreiche Silberköpfe und rheinische Langhälse. Die Boote fuhren alle unter der Lübeck her und gaben ihren kostbaren Inhalt den mitunter lüsternen Blicken der auf Deck Befindlichen preis.

Am Lande wurde von nichts Anderem gesprochen, als von dem Feste, welches der Commodore geben würde. Manchem wässerte wohl schon der Mund nach den Leckerbissen und den köstlichen Weinen, die von Hamburg und noch weiterher angelangt waren. So waren der Abend und die Nacht des 13. Juni herangekommen. Mich hatte die Hundswache, d. i. die Wache von Mitternacht bis vier Uhr Morgens, getroffen. Eine Stunde dieser unangenehmsten aller Wachen war glücklich vorüber und ich beschäftigte mich, um nicht einzuschlafen, damit, die Schritte des Decks von vorn nach hinten und wieder zurück zu zählen, als ich ein Gerassel, wie wenn auf einem der beiden anderen Schiffe des Geschwaders ein Boot in’s Wasser gelassen würde, zu hören glaubte. Vom Wachofficier war dieselbe Wahrnehmung gemacht worden. Wir hatten uns nicht getäuscht. Kurz darauf löste sich ein schwarzer Körper von dem Commodoreschiff ab und bald sahen wir denselben der Lübeck zuschwimmen. Es war ein Boot, welches mit leisem Ruderschlag auf uns zusteuerte. Wenige Minuten später praiten wir dasselbe an und auf unserem Ruf: „Boot ahoi!“ ertönte daraus die Erwiderung: „Lübeck an Bord!“ Das Boot legte an, ein Seejunker sprang auf die Fallreepstreppe und übergab eine versiegelte Depesche, welche augenblicklich dem Commandanten zu behändigen sei. Dann stieß der Ueberbringer wieder ab und steuerte der Hamburg zu. Noch war er nicht dort angelangt, als unser Commandant, den man sofort geweckt hatte, schon auf Deck kam. Fast gleichzeitig erschienen daselbst der erste Lieutenant, der erste Maschinen-Ingenieur und der Bootsmann, welche der Commandant bereits hatte rufen lassen. Er sprach einige Worte leise mit ihnen, worauf die beiden Letztgenannten nach vorn und hinab in das Zwischendeck eilten. Ohne daß die Bootmannspseife und der Ruf: „Alle Mann an Deck!“ erschallt wäre, kam kurz darauf die Mannschaft, allerdings ein wenig verschlafen und vereinzelt, an Deck. Rasch waren die Hängematten in die Finknetze gestaut, und in der Maschine wurde es hell und lebhaft. Die Feuer wurden angezündet. Inzwischen waren auch sämmtliche Officiere und Seejunker auf Deck gekommen. Nach Verlauf einer halben Stunde, während welcher Alles seeklar gemacht worden war, eilte auf einen halblaut ertheilten Befehl die Mannschaft zum Gangspill, welches sich alsbald, diesmal ohne die belebende Musik von Trommel und Pfeife, aber dennoch so rasch, wie nur jemals, zu drehen begann. Eben waren unsere Anker gehoben, als der Barbarossa seine Räder in Bewegung setzte und nach See zu dampfte. Unmittelbar darauf thaten wir das Gleiche, indem wir ihm in seinem Kielwasser nachsteuerten. Wenige Minuten nachher verließ auch die Hamburg ihren Ankerplatz und folgte der Lübeck. Der Leuchtthurm von Cuxhaven lag bald weit hinter uns, und das Geschwader befand sich auf hoher See. Dasselbe steuerte nun westlich und hielt sich den Watten so nahe, als dies nur irgend ohne Gefahr für die Schiffe möglich war.

Bald brach der Tag an, und wie eine riesige Glühkugel stieg im Osten die Sonne auf. Aber siehe da! außer ihr tauchten in der gleichen Richtung noch zwei andere Dinge aus der Fluth empor: es waren die dänischen Fregatten Thetis und Bellona, welche, wie man wußte, vor der Elbe kreuzten. Sobald diese uns wahrgenommen, änderten sie ihren südwestlichen Curs und steuerten uns bei frischer Ostbrise mit vollgebraßten Segeln nach. Unsere kleinen Dampfer hätten es alle drei nicht mit einer einzigen dieser Fregatten aufnehmen können, wie viel weniger mit beiden; denn während jede derselben über vierzig Geschütze trug, zählten wir deren zusammen nur dreizehn. Wir fuhren daher alle mit vollster Kraft, aber die Lübeck, welche die schwächste Maschine des Geschwaders besaß, blieb zurück. Nach Verlauf von zwei Stunden hatte uns die Thetis soweit eingeholt, daß wir den Standort des Commodore Steen-Bille am Vortop mit dem Fernrohr gut unterscheiden konnten. Einige Kugeln, welche sie mit ihren Jagdgeschützen uns nachfeuerte, fielen indeß mehrere Kabellängen von unserem Deck entfernt in See. Wir erwiderten die Schüsse mit unserem weittragenden Zweiunddreißigpfünder, liefen aber gleichzeitig unter der Führung des trefflichen Weserlootsen zwischen zwei Watten hindurch. In dieses enge und niedrige Fahrwasser konnten uns die tiefgehenden Fregatten, welche in näherer Distanz verderbenbringend gewesen waren, nicht folgen. Barbarossa und Hamburg waren schon weit voraus – unser kleines Geschwader war den Dänen glücklich entronnen. Als dies die Fregatten sahen, schlugen sie einen nordwestlichen Curs ein und verschwanden bald darauf unseren Blicken. Eine Stunde nachher liefen wir in die Wesermündung ein und gingen unweit der Bremer Baake vor Anker.

Wie mögen sich die Cuxhavener am Morgen dieses Tages gewundert haben, als sie sahen oder erfuhren, daß die deutschen Schiffe nicht mehr auf ihrer Rhede lagen, und wie schwer hat sich wohl Mancher der Eingeladenen über das zu Wasser gewordene Frühstück auf dem Barbarossa geärgert! Mit diesem Frühstück verhielt es sich aber folgendermaßen: Man wußte nur zu gut, daß es in Cuxhaven Leute gäbe, die es niederträchtigerweise mit dem Feinde hielten, ja den Verrath am Vaterlande soweit trieben, daß sie den vor der Elbe kreuzenden feindlichen Schiffen alle Tage den möglichst genauen Rapport über Thun und Lassen der deutschen Truppen und Fahrzeuge, zumal unseres kleinen Dampfer-Geschwaders, erstatteten. Ganz natürlich mußten die Dänen auch von dem projectirten Frühstück hören. Dem Commodore Brommy war es aber vor Allem darum zu thun, mit dem kleinen Geschwader wieder in die Weser zurückzugelangen, wo die übrigen deutschen Dampfer, in ihrer Ausrüstung begriffen, lagen. In der Voraussetzung nun, die Dänen würden, wenn sie von dem besagten großartigen Frühstücke vernähmen, wenigstens in einer oder der anderen Art durch Sorglosigkeit bei Ueberwachung der Elbemündung die Ausführung seines Vorhabens erleichtern, hatte er die Kriegslist gebraucht, in der ostensibelsten Weise jenes Fest, welches niemals stattfinden sollte, vorzubereiten, um gerade an dem hierfür festgesetzten Tage die Elbe zu verlassen. Ihm wurde die Genugthuung, daß wir wirklich den glücklichen Erfolg des Unternehmens dieser Kriegslist zu danken hatten. Die Dänen waren, wie wir später hörten, in der That gerade am 13. Juni weiter nördlich gesegelt, als an irgend einem Tag vorher seit dem 4. Juni, und kamen Tags darauf erst wieder in die Nähe der Elbemündung, als wir dieselbe bereits verlassen und hinreichenden Vorsprung gewonnen hatten.

Den für das unterbliebene Frühstück angekauften frischen Proviant ließ aber der Commodore derart vertheilen, daß auch die stets bedürftigen Seejunker-Kajüten einen, wenn auch nur kleinen, Theil davon erhielten. Und da klang denn manches: „Hoch Vater Brommy!“ „Pereant die Dänen!“ und „Hoch Deutschland zur See!“