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Auf einem niedersächsischen Bauernhofe

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Textdaten
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Autor: Otto Glagau
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Titel: Auf einem niedersächsischen Bauernhofe
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 348–351
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Lauenburger Reiseerinnerungen
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[348]

Auf einem niedersächsischen Bauernhofe.

Lauenburger Reiseerinnerung von Otto Glagau.


An einem frischen Octobermorgen verließ ich in Begleitung eines Cameraden Ratzeburg, die kleine mitten im Ratzeburger See liegende Hauptstadt des kleinen Herzogthums Lauenburg, um einen Streifzug durch das platte Land zu machen. Wir wanderten über den St. Georgsberg, auf dem sich am hohen Ufer des Sees sehr schön ein Kirchlein erhebt, das man für das älteste im Lande hält, und befanden uns schon nach einer kleinen halben Stunde im „Ausland“, nämlich in der Lübeckschen Enclave Bahlendorf, welche aus einem Kirchdorfe und mehrern kleinern Ortschaften besteht. Mit dem Ueberschreiten der Stecknitz, die von Norden nach Süden mitten durch das Land fließt und den Hauptfluß desselben bildet, sind wir wieder im Herzogthum, und zwar im nordwestlichen Theile, wo sich der schwerste, fruchtbarste Boden und im Leben und Wesen der Bewohner noch ganz ursprüngliche Zustände vorfinden. Im Uebrigen ergötzten wir uns auch hier an der anmuthigen Landschaft, die sich aus sanften Hügeln, dichten Laubwäldern und hellen Seen zusammensetzt. Dazwischen laufen die braunen Acker- und saftigen Wiesenstücke, jede Koppel von einer lebenden Hecke, sogenannten Knicks, umfriedigt. Dann führte der Weg durch eines jener zahlreichen Gehölze von Eichen und Buchen, und alsbald vernahmen wir vor uns eine laute, kräftige Stimme, die mit folgendem Liedchen das Echo wachrief:

Kein bess’res Leben ist
Auf dieser Welt zu denken,
Als wenn man ißt und trinkt
Und läßt sich gar nichts kränken.
Ich lauf’ durch Wald und Feld
Und lach’ und sing’ dabei,
Hab’ ich auch nicht viel Geld: –
Es ist mir einerlei.

Deutlich drangen die Worte zu uns und wir eilten, den Sänger einzuholen. Es war ein untersetzter breitschulteriger Mann, der vierzig und etliche Jahre zählen mochte, mit einem wettergebräunten, scharfausgeprägten Gesicht, in welchem ein Paar kluge, graue Augen und ein starker Schnauzbart saßen. Unter dem linken Arm trug er einen Geigenkasten, mit dem rechten stützte er sich auf eine Krücke, mit welcher er trotz seines Stelzfußes rasch vorwärts humpelte. Wie er uns bemerkte, blieb er stehen und grüßte freundlich.

„Sie scheinen ja recht lustig und glücklich zu sein,“ redete ich ihn an.

„Jederzeit!“ entgegnete er. „Und ich habe alle Ursache dazu. Wie Sie mich hier sehen, bin ich ein wahres Glückskind.“

„Ein Glückskind?“ wiederholte ich zweifelnd und sah nach seinem hölzernen Bein.

„Ah!“ sprach er und folgte lächelnd meinem Blick. „Sie stoßen sich an diesen kleinen Verlust, aber glauben Sie mir, ich merke ihn schon lange nicht mehr. Ich komme mit Einem Bein eben so gut durch die Welt wie Sie und Andere auf zweien.“

„Sie sind ein Philosoph,“ sagte ich.

„Das weiß ich nicht,“ antwortete er, „denn ich kenne solch’ ein Thier nicht; aber ich weiß, daß ich ein Glückskind bin. Das Glück stand mir schon bei meiner Geburt bei, als ich noch gar keine Ahnung von ihm hatte, und es ist mir bis zur jetzigen Stunde treu geblieben.“

„Da möchte ich wohl Ihre Lebensgeschichte hören.“

„O, die ist kurz und einfach. Ich bin ein Zwillingskind, mein Bruder kam todt zur Welt, ich aber gesund und kräftig. War das nicht ein ganz besonderes Glück?“

„Allerdings.“ „Und was mein Bein betrifft, ich verlor es am 4. October 1850 beim Sturm auf Friedrichstadt, wo ich in den Reihen der schleswig-holsteinischen Armee kämpfte. Eine Kanonenkugel nahm es mir fort, aber meinem Vordermann hatte sie den Kopf abgerissen. War das etwa kein Glück?“

„Wie man’s nehmen will, aber –“

„Hören Sie nur weiter. Meine Geschwister, meine Vettern und Basen, meine ganze Verwandtschaft sitzen hier im Lande auf Bauerhöfen, wo sie vom frühen Morgen bis späten Abend sich wie das Vieh um das liebe Tagesbrod placken. Ihr ganzes Leben ist schwere Arbeit und ewige Sorge, sie haben von der Welt kaum etwas mehr gesehen als das Dorf, wo sie geboren sind und wahrscheinlich auch sterben werden. Mein Tagewerk dagegen ist Wandern und Nichtsthun; ich habe bereits ganz Deutschland durchstrichen, heute bin ich hier und morgen da, und wo ich hinkomme, streiche ich die Fiedel und lasse die Leute singen, springen und tanzen. Wo der Schornstein raucht, da wird auch für mich gekocht, und für die Nacht finde ich unter jedem Dache ein Unterkommen, sei es ein Federbett oder ein Strohlager. Häufig führt mich mein Glück zu Kindtaufen, Hochzeiten oder Jahrmärkten, wo es Speise und Trank in Hülle und Fülle giebt und nebenher noch Silber- und Kupfermünzen regnet. Nun sagen Sie selber, bin ich ein Glückskind oder bin ich es nicht?“

„Wenn Sie sich bei diesem Leben zufrieden und behaglich fühlen,“ entgegnete ich.

„Wie der Vogel in der Luft, wie der Fisch im Wasser. Habe ich doch darum einen hübschen Bauernhof fahren lassen, den Hof, auf welchem jetzt mein Bruder sitzt, der mich in seinem Herzen auslacht, mich einen Narren, einen Landstreicher schilt. Aber ich tausche mit ihm nicht, und wenn er’s mir heute anböte.

[349]

Die Tenne in einem niedersächsischen Bauernhofe.
Originalzeichnung von O. Dörr.

[350] Ich bin nämlich auf dem Wege, ihn und meine Verwandtschaft zu besuchen, was ich alle Jahr ein oder zwei Mal thue.“

„Jener Bauernhof war also Ihr Erbe? frug ich.

„Das gerade nicht. Wie Sie vielleicht schon wissen, sind die Bauergüter hier zu Lande nicht freies Eigenthum, sondern sie gehören eigentlich der Landesherrschaft, daher vererben sie sich nicht ohne Weiteres, sondern der Bauer kann den Hof einem seiner Kinder oder Verwandten überlassen, oder auch an einen Fremden verkaufen, wozu jedoch stets das Amt seine Genehmigung geben muß. Keins der Kinder hat ein gesetzliches Erbrecht, der Vater kann unter ihnen frei wählen, wer das Gut nach seinem Tode oder schon bei Lebzeiten erhalten soll, und die Geschwister in beliebiger Weise abfinden. Mein Vater hatte mich zu seinem Nachfolger erwählt, obgleich ich der jüngere Sohn bin, und dazu auch vom Amte bereits den Consens ausgewirkt. Mit dieser Bestimmung war jedoch weder ich, noch mein älterer Bruder zufrieden; dieser nicht, weil er den Hof selber haben wollte, und ich nicht, weil ich von Kindesbeinen keine Lust verspürte, ein Bauer zu werden und auf einem Hofe zu verschimmeln. Unser alter Schulmeister hatte mich die Geige spielen gelehrt und mir später seine eigene, dieses alte, prächtige Instrument, verkauft. Das spielte ich nun, so oft es im Dorf oder in der Umgegend eine Lustbarkeit gab oder ich sonst eine Stunde Zeit fand, häufig auch, wenn ich pflügen oder dreschen sollte, worüber mein Vater nicht wenig aufgebracht war und mich fast täglich ausschalt. Dennoch ließ er von seinem Plan nicht ab, sondern fuhr mit mir, als ich vierundzwanzig Jahre alt geworden, zu Amt, wo er mir den Hof verschreiben ließ, freiete mir auch ein Mädchen, das eine hübsche Aussteuer hatte und mich gern nehmen wollte. Da faßte ich meinen Entschluß und entlief wenige Wochen vor der Hochzeit mit einer Musikbande, die in unser Dorf gekommen. Ich nahm nur meine Sonntagskleider und ein paar Thaler aus meiner Sparcasse mit und schrieb dem Vater, er möge den Hof nur meinem Bruder übergeben. Das that er denn auch und ist bald darauf gestorben. Mein Bruder heirathete meine Braut und sitzt jetzt mit einem Nest voll Kindern auf dem Hofe. Ich aber bin seitdem in der Welt herumgezogen, bald mit einer Gesellschaft, bald auf eigene Hand, bis ich 1849 unter die Schleswig-Holsteinischen Freiwilligen trat und dort für eine leider verlorene Sache focht. Im Lazareth wurde mir das Bein abgenommen, dann habe ich wieder das alte, lustige Wanderleben angetreten und gedenke es bis zu meinem seligen Tode fortzusetzen. Das ist die ganze Geschichte!“

„Hat Ihnen Ihr Vater denn gar nichts hinterlassen?“

„Doch! Mein Bruder soll mir einhundert Thaler, ein Pferd, zwei Kühe, ein paar Schweine und etliche Schafe herausgeben, sobald ich mein Vagabundiren aufstecke, in meine Heimath zurückkehre und dort heirathe. Weil das aber – so Gott will! – nie und nimmer geschehen wird, werde ich auch nie einen Pfifferling erhalten, und mein Bruder lacht sich in’s Fäustchen. Um aber von meinem Vatertheil doch etwas zu haben, besuche ich ihn dann und wann und lasse mich von ihm ein paar Tage füttern. Doch nun sagen Sie mir, wohin geht denn Ihre Reise und was haben Sie für ein Geschäft?“

Ich gab ihm die nöthige Auskunft.

„Ah,“ rief er, „Sie wollen unsere Bauern und ihr Heimwesen kennen lernen! Da sind Sie just auf dem richtigen Fleck. Hier im Amte Steinhorst finden Sie noch Alles, wie es vor hundert, ja zweihundert Jahren war. Sehen Sie nur um sich! Die großen, langen, niedrigen, zerstreut liegenden Bauernhäuser mit den hölzernen Pferdeköpfen am Giebel, wo Menschen und Vieh einträchtig beisammen wohnen. Nur hin und wieder ein neumodischer Hof mit besonderen Ställen und Scheunen. Der gehört dann einem Fremden, der sich hier angekauft, oder einem Neuerer, der sein Geld verplempert oder mit Schulden gebaut hat. Die alten wohlhabenden Bauern sitzen auf ihren Geldkasten und rücken und rühren nicht, bis ihnen das Dach über den Kopf zu fallen droht, und dann ziehen sie einen neuen Ständer, eine neue Wand von Fachwerk ein. Ihre Kleider werden im Hause gesponnen, gewebt und genäht; nur an Festtagen tragen sie lange Röcke von blauem Tuch; mit gelben Messing-, zuweilen auch mit Silberknöpfen, die Hosen in den langen Stiefelschäften und auf den langen, grauen Haaren, die hinten durch einen Kamm zusammengehalten werden, einen verbogenen und verbolzten schwarzen Filzhut, mit dem schon der Großvater zur Einsegnung gegangen. Nur das jüngere Weibervolk hat auch hier die alte kleidsame Tracht abgeworfen und sich dafür mit Tonnenreifen, Federhüten und allerhand bunten Lappen behangen. Wie wär’s,“ fuhr er fort, „wenn Sie, da es Ihnen hier doch an Bekanntschaft fehlt, mit mir zu meinem Bruder kämen, wo Sie sich Alles selber ansehen können? Wir haben noch eine halbe Meile und langen vielleicht gerade zu Mittag dort an.“

„Das wäre uns ganz erwünscht, aber ungebetene Gäste würden Ihrem Bruder schwerlich willkommen sein,“ gab mein Gefährte zur Antwort.

„Ja, er ist ein zäher, filziger Bauer wie die anderen, aber soviel Gastfreundschaft finden Sie noch in jedem Lauenburgischen Hause, sonst würde es in der ganzen Umgegend das Ansehen verlieren.“

„Unter solchen Umständen nehmen wir Ihren Vorschlag gern an,“ sagte ich.

Gegen elf Uhr erreichten wir ein langes Dorf, das etwa aus zwanzig Bauerhöfen und ebenso vielen Kathen bestehen mochte, die sich nur wenig von einander unterschieden. Fast in der Mitte der Gasse lag ein unförmliches, wie die übrigen mit Stroh gedecktes Gebäude, auf welches unser Führer zuschritt. Den Eingang bildete ein großes, scheunenartiges, bis an die Dachsparren reichendes Thor, dessen beide Flügel ganz geöffnet und an der äußeren Mauer eingehakt waren. Im ersten Augenblick glaubten wir in eine endlose, halbdunkle Höhle zu blicken, bis wir im Hintergrunde ein großes, qualmiges Heerdfeuer entdeckten, dessen Rauch an der Decke und den Wänden hinauszog und im Kampfe mit den auflodernden Flammen und dem hereingaukelnden Sonnenlichte jenes magische Halbdunkel erzeugte. Dieser lange, breite Raum war mit Lehmestrich gepflastert und ließ in der Höhe das Strohdach erblicken. Im Vordergrunde stand ein halberwachsener Bursche und hieb auf einem Eichenklotze ein Strauchwerk klein, das wahrscheinlich den Knicks entnommen war, die in jedem Herbst abgeästelt werden. Er bemerkte uns nicht und außer ihm war kein menschliches Wesen zu sehen. Nur einige Hühner, Gänse, Enten und Ferkel pickten, schnatterten und grunzten umher, während links ein paar Pferdeköpfe und rechts mehrere Kühe neugierig die Fremdlinge anschauten. Auf dieser Tenne oder Diele concentrirt sich das Leben des Hofes; von hier aus geht es in das Wohnzimmer des Bauern, in die Kammern des Gesindes und in die Räume, die zum Aufbewahren der Küchengeräthe dienen. Hier ist in der Decke eine große Oeffnung angebracht, durch welche die in die Tenne einfahrenden mächtigen Erntewagen ihren Segen auf den Bodenraum entleeren; hier steht auf Gerüsten das in Säcke gefüllte Getreide, hier hängen im Rauche Mengen von Speckseiten, Schinken und Würsten.

„Nun werde ich mich anmelden, wie ich’s gewöhnlich thue,“ sagte der Stelzfuß leise zu uns. „Treten Sie nur ein wenig bei Seite.“

Dann öffnete er seinen Kasten, nahm die Geige heraus, trat auf die Schwelle des Thorwegs und begann einen munteren Tanz aufzustreichen.

Flugs ließ der Junge sein Beil sinken und glotzte den Musikanten überrascht an, bald aber sah sich dieser von einem Dutzend flachshaariger Buben und Mädchen umschwärmt, die aus den anstoßenden Thüren hervorquollen, Eins immer um einen halben Kopf höher als das Andere, und nun lärmend und in die Hände klatschend auf der Tenne hin- und hersprangen. Dann kamen auch einige erwachsene Männer und Frauenzimmer und endlich trippelte ein kleines, greises Mütterchen heran, indeß der Stelzfuß schneller und lustiger fortgeigte.

„Ohm Hinrich ist da! Ohm Hinrich ist da!“ jubelten die Kinder.

„Guten Tag, Bruder Hinrich! Willkommen, Schwager Hinrich!“ grüßten lachend die jungen Leute.

„Mein Sohn Hinrich, bist Du endlich wieder da?!“ sagte das Mütterchen und faßte die Hand des Spielmanns, so daß er im Geigen aufhören mußte.

„Ja, Großmutter,“ antwortete er, „ich bin wieder hier und denke diesmal ganzer acht Tage bei Euch zu bleiben.“

„Ach, mein Sohn,“ klagte die Alte, „warum willst Du nicht acht Wochen, acht Monate, nein, für immer bei uns bleiben?!“

[351] „Das würde mir und Euch nicht behagen,“ entgegnete er lächelnd. „Aber wo bleibt mein Bruder Christian?“

„Der Bauer sitzt in der Stube,“ sagte das Mütterchen.

„Hm!“ meinte Heinrich. „Er ist zu stolz, um seinem Bruder entgegenzukommen. Nun, dann müssen wir ihn wohl aufsuchen. Doch zuvor nehmt, was ich Euch mitgebracht. Hier!“

Er griff in die Taschen, an denen die Kleinen bereits schnupperten, und zog daraus eine Menge von Näschereien und Spielsachen hervor, die er unter sie vertheilte. Dann kamen die Erwachsenen an die Reihe, die Frauen erhielten Tücher, Bänder, glitzernde Nadeln und Ohrgehänge, die Männer hübsche Messer, buntbemalte Pfeifenköpfe und einige Päckchen Tabak.

„Euch, Großmutter, gebe ich eine neue Hornbrille und diesen Kuß!“

Dann winkte er uns, ihm zu folgen, und wir traten in das Wohnzimmer. Hier saß in einem hölzernen Armstuhle der Bauer, der aus einer kurzen Pfeife schmauchte und sich langsam erhob.

„Bruder Christian,“ rief der Stelzfuß, ihm die Hand schüttelnd, „hier sind ein paar Herren, die Dich und Deinen Hof abschreiben und abmalen wollen. Was sagst Du zu dieser Ehre? Bedanke Dich doch!“

„Seien Sie willkommen und setzen Sie sich!“ sprach der Bauer kühl und gemessen; dann ließ er sich in seinen Stuhl zurückfallen, rauchte weiter und blieb wortlos.

Alsbald begannen zwei Mägde eine lange Tafel aufzuschlagen, an der die Hausgenossen in bestimmter Reihenfolge Platz nahmen. An der einen Langseite saßen die Männer, Knechte, Jungen und Knaben, an der andern die Hausfrau, die Großmutter, ihre Töchter, die Mägde und kleinen Dirnen; der Platz zu oberst, wo sonst der Bauer zu sitzen pflegte, blieb leer. Der älteste Knabe sprach ein kurzes Tischgebet und die Mahlzeit nahm ihren Anfang, bei der eine Brodsuppe, Kartoffeln, Kohl und gebratene Speckschnitte die Hauptrolle spielten. Alle aßen langsam und bedächtig, aber ohne ein Wort zu verlieren.

Für uns, Heinrich und den Bauer ward etwas später ein Tisch im Nebenzimmer gedeckt und die Bäuerin wartete selber auf. Es gab einen Milchreis, Eierkuchen, gebratene Würste, Mehlklöße mit Pflaumen und zum Dessert Brod, Butter und Käse, Alles in gewaltigen Portionen und von guter Beschaffenheit. Heinrich, mein Camerad und ich führten die Unterhaltung, der Bauer sprach nur, wenn man ihn nach etwas fragte.

Nach dem Essen zeigte uns Heinrich das Haus, während uns die Kinder theils vor-, theils nachliefen.

„Sind das Alle Ihres Bruders Kinder?“ fragte ich.

„Nein,“ antwortete der Stelzfuß. „Etwa die Hälfte gehört meiner ältesten Schwester. Sie ist mit dem Großknecht verheirathet und dient nun hier gleichfalls als Magd, bis sie sich vielleicht später eine Kathe und ein Stückchen Land kaufen. So lange wohnen und speisen Beide mit ihren Kindern auf dem Hofe.“

„Heirathen denn die Bauerntöchter auch Knechte?“

„Je nun, wenn sie alt werden und keine anderen Männer bekommen.“

Außer der Schlafkammer für die Familie waren nur zwei Zimmer vorhanden, das Fremdenzimmer, in welchem wir speisten, und die große Wohnstube. Beide waren sehr einfach meublirt. In einer standen ein eiserner Klapptisch, ein halb Dutzend Rohrstühle und ein hohes breites Himmelbett mit buntgeblümten Kattunvorhängen, außerdem mehrere riesige Schränke und Truhen, in denen die Kleider- und Leinenschätze aufbewahrt werden; alle von massivem Eichenholz, schön geschnitzt und, wie uns Heinrich sagte, über hundert Jahre im Besitz der Familie. In der Wohnstube liefen rothgestrichene Bänke die Wände entlang und darüber waren ähnliche Gestelle angebracht, auf welchen Töpfe, Kannen, Tassen, Schüsseln, Teller, Löffel und anderes Geschirr lehnten. In der einen Ecke stand ein mächtiger Kachelofen von grüner Glasur, in der andern hing eine große geschwärzte Wanduhr. Durch ein in der Mauer angebrachtes Fensterchen konnte man die ganze Diele oder Tenne übersehen.

Diese ist der Hauptraum, denn sie enthält außer der Küche noch die Scheune, die Ställe, den Speicher und manches Andere. Rechts stehen die Kühe, links die Pferde und daneben logiren die Schweine, Schafe und das Federvieh. Nie erlischt auf dem großen Heerde das Feuer und stets hängt darüber ein riesiger Kessel, in welchem Wasser, Kartoffeln, Rüben oder ein Mehlbrei für das Vieh kochen. Daneben brodeln ein kleiner Kessel und mehrere Töpfe und Pfannen. Dieses Feuer heizt zugleich den Ofen der Wohnstube durch eine in die Mauer gebrochene Oeffnung, die während des Sommers durch eine Eisenplatte geschlossen wird. An der Heerdmauer hingen eine Menge Würste und Speckseiten, welche der immerwährende Rauch vortrefflich conservirt und die mit einer in der Nähe lehnenden Holzgabel zum täglichen Gebrauch heruntergelangt werden. Aber auch Menschen und Vieh befinden sich in diesem Rauche sehr wohl, der, da ein Schornstein fehlt, keinen andern Abzug hat als das Thor und einige oben an den Seitenmauern angebrachte Luftlöcher, daher er Wände und Balken schwarz und braun färbt. Er ist um so stärker und für den Fremdling um so empfindlicher, als er meist durch jenes den Knicks entnommene Strauchwerk erzeugt wird. Neben dem Heerde steht ein Wasserfaß, lehnt ein Backtrog, hängen die anderen Küchengeräthe, namentlich auch über einer Rolle ein drei Ellen langes Handtuch ohne Ende, das von allen Bewohnern gemeinsam benutzt wird. In einem besondern Verschlage befindet sich die Obst- und Speisekammer, in einem andern Flachs und sonstige Vorräthe. An den Wänden der Diele stehen in althergebrachter Ordnung ein Häckerlingkasten und eine Häckerlingschneide sowie die Kisten des Gesindes. Ihre Betten befinden sich in der Höhe auf einem über die Querbalken geschlagenen Gerüste, zu welchem eine Leiter hinaufführt. Noch höher bis zur Spitze des Daches auf langen Querstangen lagert das Getreide in Garben, die Stroh- und Heuvorräthe. Eine lange Leiter führt in den Dachraum, in welchem sich die obenerwähnte große viereckige Oeffnung befindet. Durch diese wird das Viehfutter und die Garben hinabgeworfen und letztere auf der Tenne ausgedroschen.

Die ganze Einrichtung des Hauses ist zwar sehr einfach und naturwüchsig, aber auch ebenso praktisch und bequem, weit zweckmäßiger als auf neuern Bauerhöfen, wo sich Scheune, Speicher und Ställe in besonderen Gebäuden befinden.