Aus dem Banat

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Textdaten
Autor: Maria Lazar
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Titel: Aus dem Banat
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aus: Der Tag, 14. Februar 1932, Seite 3-4
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1923
Verlag: Tag Verlag AG
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Erscheinungsort: Wien
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Quelle: ÖNB-ANNO
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     Auf einmal war der Krieg. Sie führten ihn für Gott und den Kaiser, für das Vaterland. Und nun gehören sie zum Königreich Serbien.

     „Mir wär’s ja egal“, sagt die Merky-Neni, „und was die Leut’ sind, die bleiben alleweil dieselben. Es ist nur, daß die Familie zerstört ist. Jetzt gehört meine Mutter zu Rumänien und die Schwester zu Ungarn. Wir sind ja nur eine halbe Stund’ von der Grenze, aber ich bitt’ Sie, wenn eins stirbt, man kann nicht zueinander wegen der Paßgeschichten.“

     Die Schützengräben haben sie vergessen. Es ist ja nicht so lang her, aber bei ihnen hat sich gar so viel verändert. Mit den Bauern hat es angefangen. Jahrhundertelang haben sie sich geschuftet. Und nun auf einmal ist ihr bißchen Erde, ihr bißchen Saat mehr wert als alle Schätze der Großen. Auf ihren Feldern ist die Frucht gewachsen wie Gold. Sie haben es in den Stuben gehamstert, aufgehäuft zu fettem Papiergeld, und nun stecken sie drin, hilflos, erstaunt und überwältigt von einem Besitz, der über ihr Hauswesen hinaus gewachsen ist. Die Arbeit verrichten Knechte und Mägde. Sie selbst tragen noch die steifen Trachten der deutschen Vorfahren, stille Gewänder des Sonntags. Sie tragen sie alle Tage, stecken darin wie ihre eigenen Gespenster. Ihr Geld, die siegreichen Dinare fließen durch die kleinen Städte und Marktflecken in die Kassen der kleinen Leute. Die werden jetzt mächtig. Denn was find diese Bauernmädchen auch auf einmal anspruchsvoll! „Bis nach Sabatka und Zagreb müssen unsere Schneiderinnen fahren, alles nur Crepe de Chine mit Gold bestickt und nichts ist fein genug. Ja und in jedem Haus ist schon ein Klavier.“

     Im Sommer treffen sie sich an einem kleinen Gebirgssee. Es ist zu heiß und staubig im Banat und bie Bauern haben es auf der Lunge oder sie sind gar so nervös.

     Die meisten Lommen aus Jarek. Es ist dies ein kleines Dorf bei Neufatz mit 500 Einwohnern; alle sind sie tuberkulös, alle heiraten sie untereinander. Über den vierschrötigen Körpern zarte Gesichter, deren Generation vergangenheitslos und verwunderlich scheint. Wie eine Festung liegt das Dorf zwischen den Kukuruzfeldern. Dort haben die Räuber ihre Nester. „Nicht fünf Minuten kann man bei uns ohne Revolver vom Ort weggehen.“ Die Stimmen der Frauen haben den lamentablen Ton verborgener Sensationslust. „Die Gendarmerie nützt jetzt auch nichts mehr“, sagt eine junge, bleichsüchtige mit heiserer Stimme. „Da hat unlängst einer von uns einen Einbrecher totgeschossen, und dann war’s ein Gendarm. Es ist aber dem Deutschen nichts geschehen, er ist gut gestanden mit den Serben.“

     Immer trägt sie ein Courths-Mahler-Buch bei sich. Und zu Hause hat sie sämtliche Bände. Deshalb ist sie so unglücklich und so nervös. Sie langweilt sich in ihrem blanten Bauernhof. Krank hat sie sich geärgert mit den Mägden. Nun soll sie sich erholen. Alle Samstag läßt sie sich beim Friseur die Haare ondulieren, recht viel Wellen. Die schöne Frau Golja (erstes Modemarenhaus Sombor) ist ganz begeistert. „Wissen S’ was, ich geb’ Ihnen einen Schal und ein paar Rosen schief vor die Brust, und so laffen wir Sie photographieren. Für Ihren Mann.“

     Die kleine Frau erregt überhaupt reges Interesse. Weil sie noch gar so jung ist und rot wird wie ein Backfisch, und Modellkleider trägt sie, nur daß der Stoff nie recht dazu paßt. Sie zeigt die Sehnsucht, die sie alle in sich verstecken, die Sehnsucht nach der großen Welt. Und ein modisches Spazierstöckchen trägt sie bei sich. Und einen Feldstecher hat sie, durch den schauen sie alle stundenlang über den winzigen Gebirgssee.

     Abends singt sie mit ihrer Beschützerin, der Witwe, langgezogene ungarische Lieder. Plötzlich aber heult eine auf, tierisch und verzweifelt. Ist es die junge, mädchenhafte Frau oder die Witwe, deren Alter sich nicht bestimmen läßt, denn sie ist verhüllt in trübseliger Trauertracht und trägt überall ein Gebetbuch mit sich. So halten es nämlich die Witwen von Jarek.

     Auf der Bank vor dem See sitzt den ganzen Tag ein riesiger Bauer. Das Blut springt aus dem blauen Gesicht. Mit der Verzweiflung eines verwundeten Stieres starrt er vor sich hin. Leidet er an der eigenen Kraft ... Sollte man ihm einen Pflug in die Hand drücken ... Seine blonde, holzgeschnitzte Frau hat die strengen Züge altdeutscher Kirchenlieder. Sie klagt nicht, aber in ihren tonlosen Worten liegt die Frömmigkeit des Bodens, der aller Witterung ausgeliefert ist. Und sie ist selber krank. Schwindsucht.

     Die Bauern von Jarek find alle krank. Schwindsucht der Seelen, die vorzeitig im Geld erstickt wurden.

     Wie überlegen sind ihnen da alle diese Kleinstädter aus Novisad und Sombor, aus Cabaita und Szeged. Da ist der Herr Frank, um den sie sich alle scharen, denn er ist ein Weltmann, oho, aus Novisad. Er trägt Pepitahosen und einen Lüfterrock, hat stets ein verwegenes Pflästerchen im Gesicht und weiß Geschichten! „Meine Damen,“ damit beginnt er immer, und „wenn es die Herrschaften nicht langweilt.“ Und dann erzählt er vom Kasino und vom Nachtleben in Novisad, „kommen sogar auch Künstler aus Zagreb, ist alle Monat neues Programm“, und daß er den Lehar gekannt hat, wie der noch Militärkapellmeister war und wie der seine Karriere gemacht hat, ja, ja, kleine Ursachen, große Wirkungen.

     Alle sitzen sie abends bei der Militärmusik. Der Kapellmeister pfeift die Melodie mit, so begeistert ist er vom eigenen Tempo. Und die Merky-Neni (Schnittwarenhaus Sombor, mit dem Vornamen heißt sie Petronella) sagt: „Nein was der Herr Frank alles weiß. Gut, daß man auch einmal was zu hören kriegt. Bei uns in Sombor ...“ Ihr braves, breites Gesicht glänzt. „Gelt Anna, wenn unsere Männer das wüßten –“

     Aber ihre Freundin, die schöne, feine Frau Golja, wird plötzlich ganz traurig, so traurig, wie niemand es versteht, und sie winkt mit der Hand ab, „ach was, die spielen jetzt Schach alle Tag, und um zehn gehen sie schlafen. Sie sind ja so faul.“

     Sie hält den Kopf leicht geneigt, wie in einem versteckten Leiden. Und wie immer, wenn sie verstimmt ist, fährt sie fort: „ja, wenn ich meinen Franzi noch hätt’ ....“

     Zum zwanzigstenmal erzählt sie von dem kleinen Knaben, der so gescheit war, so vernünftig, viel zu vernünftig, nie hat er sich was zerrissen, nie was schmutzig gemacht, und dann hat sie ihm noch Schnürstiefel gekauft, recht hohe, so herzig war er darin, und sie kann es nun einmal nicht begreifen von „unserem“ Herrgott ....“

     Dann sprechen sie alle von der Religion. Und der schwarze Herr Kuhanyaus Sabatka meint, für die Männer wär das nicht so wichtig, aber die Weiber, die müffen einen Gott haben und beichten müssen sie auch, denn da gibt es immer was zu verstecken. Dabei schaut er der Frau Golja in die Angen und sie ist sehr beleidigt unb lacht geschmeichelt.

     „Ich möcht die Herrschafter nur aufmerksam machen“, sagt der Herr Frank mit seiner verbindlichen Stimme, „wenn Sie sich hier die Hühneraugen schneiden lassen –“

     Und nun folgt eine lehrreiche Erzählung, bis der Herr Joffimowitsch kommt und sich zu ihnen setzt. Der ist nämlich aus Beograd und Setretar des Ministers, bitte, des Ministers. „Geben Sie acht, daß Sie sich nicht verkühlen“, sagt er. Er hat eine abergläubische Angst vor dem Wetter, einerlei ob Regen, ob Sonne, man „verkühlt“ sich. Deshalb ist er auch immer im Straßenanzug und trägt überall Hut und Stock mit sich wie zwei Waffen. Nur wenn es ganz unerträglich heiß wird, hält er seinen Badeanzug unter die Wasserleitung, zieht sein Nachthemd darüber und legt sich ins Bett. Das ist seine Methode.

     Sonst tut er auf der Welt nichts, als die Mahlzeiten abwarten, ab und zu kauft er dazwischen eine Melone. Und gebildet ist er! Er besitzt ein Buch von Tolstoi. „Also wissen Sie, das ist so voll Philosophie, da muß man sich trösten.“

     Alle sind sie sehr verwandt miteinander, diese Serben, diese Ungarn, diese Deutschen. Sie haben ein gemeinsames, ein großes Land und „zu Haus ist zu Haus“ sagt die Merky-Neni, wenn sie von Sombor spricht. Und sie haben alle dieselbe kindlich sehnsüchtige Neugier nach dem Westen, dessen sogenannte Kultur ihnen nichts geschenkt hat als den Shimmy, das Kino und Courths-Mahler.

     Manchmal kommen wie Vogelschwärme die rotblusigen Sokoln. Sie schlagen ihr Lager im Wald auf und scheinen unausgesetzt erstaunt und beglückt darüber, daß fie Slawen sind. Sie sind alle noch sehr jung und haben das Bedürfnis sich zu freuen. Da hat man ihnen das beigebracht.