Aus dem Leben Tamburinis

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Aus dem Leben Tamburinis
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 207–208
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[207] Aus dem Leben Tamburinis. In Palermo, wo sich der berühmte Sänger zwei Jahre aufhielt, gab er einen Beweis von Geistesgegenwart, der ihn für immer zum Liebling des Publicums machte. In jener Stadt herrscht der eigenthümliche Gebrauch, daß das Publicum am letzten Tage des Carneval mit Kindertrompeten, Trommeln, Schellen, kupfernen Kasserolen und andern Lärminstrumenten im Theater erscheint, um während der Vorstellung eine Katzenmusik aufzuführen. Tamburini wurde, sobald er auftrat, mit einem betäubenden Tusch empfangen. Man hätte in dem Getöse kaum einen Donnerschlag, vielweniger die Stimme eines Sängers vernehmen können, und Tamburini, welcher augenblicklich verstand, daß heute Alles erlaubt sei, blieb ruhig stehen, um eine Pause der Erschöpfung abzuwarten und sich dann durch einen Scherz Gehör zu verschaffen. Man spielte Elisa und Claudio, und sobald das Publicum einen Moment schwieg, um Athem zu schöpfen, begann der Sänger seine Baßarie mit Frauenstimme vorzutragen. Die Fistelstimme Tamburini’s war von merkwürdiger Reinheit und Biegsamkeit, und die überraschte Menge legte ihre Lärminstrumente vorsichtig bei Seite, um mit Aufmerksamkeit zuzuhören. Der Scherz gefiel; das Publicum, das den hingeworfenen Handschuh so heiter aufgenommen sah, erlaubte Tamburini die Arie ohne Unterbrechung zu Ende zu singen. Aber die übrigen Sänger hatten kein Recht auf gleiche Nachsicht, und als Madame Liparini, welche die Elise spielte, auftrat, begann der Charivari womöglich noch ärger als zuvor. Die Künstlerin hielt [208] diesen Empfang für eine ihrer Person geltende Beleidigung und nahm sich diese so sehr zu Herzen, daß sie nach einigen Versuchen, sich Gehör zu verschaffen, bewußtlos zu Boden sank. Man trug die gekränkte Sängerin in ihre Garderobe, wo sie die Besinnung nur wieder gewann, um in Verwünschungen gegen das undankbare Publicum auszubrechen, sich die Kleider vom Leibe zu reißen und trotz aller Gegenvorstellungen das Theater zu verlassen.

Die Abwesenheit der Primadonna machte die Fortsetzung der Oper unmöglich, und die Befürchtung, daß das unzufriedene Publicum Alles in Stücke schlagen würde, lag sehr nahe. Tamburini lief nach der Garderobe der Sängerin, um ihr diese Gefahr vorzustellen, aber es war zu spät. Sie hatte das Haus bereits verlassen, und die einzelnen Theile ihres Anzugs lagen auf dem Fußboden umher. Tamburini’s Schreck bei diesem Anblicke war vielleicht fast ebenso groß, als der des unglücklichen Pyramus, als er den Schleier der geliebten Thisbe fand. Alles schien verloren, und rathlos stand er mit herabhängenden Armen und gesenktem Kopfe vor diesem wirren Haufen weiblicher Kleidungsstücke, während das Publicum im Saale mit ungeheuerm Geschrei die Primadonna verlangte. Die „Primadonna! die Primadonna!“ rief man in den Gängen. „Die Primadonna!“ heulte die tobende Menge. „Die Primadonna!“ wiederholte der muthlose Sänger. Da taucht plötzlich die tollste Idee in seinem Gehirn auf. „Nun, Ihr Rasenden, wenn Ihr durchaus eine Primadonna haben wollt, so will ich Euch eine verschaffen, wie ihr sie noch nicht gesehen habt,“ sagt er, indem er seinen Rock abwirft. Stück für Stück nimmt er nun den Nachlaß der flüchtigen Sängerin vom Boden auf, zieht das Kleid über, auf die Gefahr hin, es von oben bis unten aufzuschlitzen – wo Armlöcher und Einfassungen nicht nachgeben, bringt ein Ruck sie in Ordnung – die Manschetten passen vortrefflich zu den weiten Atlasärmeln und halb mit Geschicklichkeit, halb mit Gewalt gelingt es ihm endlich, sich in die Schale zu zwängen, welche die Sängerin soeben abgestreift hat. An das Zuhaken des Kleides ist natürlich nicht zu denken. Die gestickte Weste dient der falschen Primadonna als Chemisette; der Atlashut der Liparini wird auf die Perrücke à la Brigadier gestülpt, der Schleier so graziös als möglich befestigt, und so springt Tamburini durch die Gänge, um die Wünsche des ungeduldigen Publicums zu befriedigen. Das Kleid hindert ihn dabei nicht im Geringsten, denn es geht ihm nur bis über die Kniee und läßt ein Paar kräftige Waden sehen, welche sich in den seidenen Strümpfen vortrefflich ausnehmen, und den größten Fuß, welchen je eine Primadonna den Bewunderern ihrer Reize zeigte.

Das Publicum lärmte nach Kräften; das Orchester hatte das Ritornell zu der Cavatine zum zehnten Male gespielt, und einige der ungeduldigsten Zuschauer machten bereits Anstalt, die Bühne zu erklettern, als Tamburini in seiner Verkleidung erschien. Es ist unmöglich, das Klatschen und Stampfen, das Schreien und Trommeln auf alten kupfernen Kesseln zu beschreiben, das sich bei seinem Eintritte erhob. Die falsche Primadonna gab durch zahllose Verbeugungen und Knixe und dankbare, bald zum Himmel, bald auf die Zuschauer gerichtete Blicke ihre Erkenntlichkeit für diesen feierlichen, unerhörten Empfang zu erkennen und drückte ihre Rührung aus, indem sie die eine Hand auf’s Herz legte, während sie sich mit der andern die Augen trocknete. Dann begann sie ohne alle Uebertreibung die Cavatine zu singen. Das Costüm allein genügte, das Publicum bei guter Laune zu erhalten. Tamburini zeigte bei dieser Gelegenheit, wie sehr er allen den Damen überlegen war, von welchen man die Rolle bis dahin gehört hatte. Neue Ausbrüche des Entzückens Seitens des Publicums folgten, aber der Enthusiasmus entsprang aus dem wirklich hohen Kunstgenusse, welchen man seinem tollen Einfalle verdankte.

So lange Tamburini nur die einzelnen Stimmen zu singen hatte, erfüllte er seine Aufgabe mit Leichtigkeit. Wenn Elisa sich in Fisteltönen ausgesprochen hatte, antwortete der Graf mit der Baßstimme der edeln Bäter, aber beim Duett des Grafen mit Elisa wurde die Sache schwieriger. Dessen ohngeachtet ließ sich Tamburini nicht abschrecken – er sang beide Partien. Der Baß antwortete dem Sopran mit vollkommner Präcision, und umgekehrt. Der Darsteller hatte selbst die Aufmerksamkeit, je nachdem er Vater oder Tochter sang, den Platz zu wechseln und sich auf diese Weise zu verdoppeln. Dies Kunststück krönte seine Leistung. Man hörte die Oper ohne Störung bis zu Ende; erst als der letzte Ton verklungen war, brach der Charivari von Neuem los, aber nicht zur Entschädigung für das lange Schweigen, sondern als Dank für den Künstler, welcher zwölf bis fünfzehn Mal gerufen wurde.

Damit hatte der tolle Abend sein Ende indessen noch nicht erreicht. Tamburini ruhte in seinem Ankleidezimmer von der doppelten Anstrengung aus, als die Signori, welche die Oberleitung des Theaters führten, sowie der Impressario erscheinen, um ihm für den Dienst zu danken, welchen er ihnen an diesem Abende geleistet, und ihn zu bitten, nun auch in dem Ballet mitzuwirken, das der Oper folgen soll. Vergebens erklärt der Künstler, daß er von Entrechats und Pirouetten nicht das Geringste verstehe, daß er sich erkälten würde und dann vier Wochen nicht singen könnte – die Herren meinen, wer so gut als Dame zu singen verstände, müßte auch vortrefflich tanzen, und um eine Erkältung zu vermeiden, soll er den Anzug des Grafen beibehalten. Kurz, man läßt nicht nach mit Bitten und Vorstellungen, bis er eine goldgestickte Tunika von Mousseline überwirft, in Begleitung des ähnlich costümirten Bouffo Tacci auf der Bühne erscheint und zur großen Befriedigung der Zuschauer mit Taglioni und Mlle. Rinaldini die wunderbarsten Pas ausführt. Das Publicum von Palermo hat diesen Abend nie vergessen.

Noch einmal hatte später Tamburini Gelegenheit, sein Talent in einer Damenrolle zu zeigen. Er war damals in Neapel, und man brachte eine kleine Oper von Donizetti sehr oft zur Aufführung. Eines Tages befand sich die darin beschäftigte Primadonna unwohl und bat, das Repertoir zu ändern. Der Impressario Barbaja wollte sich dazu nicht verstehen – die Sängerin mußte auftreten, aber man hörte, daß sie mit Anstrengung sang, der Aerger darüber vermehrte ihr Unwohlsein und sie erklärte endlich, die Cavatine im Finale nicht singen zu können. Aber der Impressario war unerbittlich. Mme. Boccabadati betritt weinend die Bühne und singt ihr komisches Duett mit Tamburini unter strömenden Thränen. Endlich kommt die Cavatine. Die Sängerin schluchzt während des Ritornell, ihr Kopf verwirrt sich und sie ist unfähig, zur rechten Zeit einzusetzen. Tamburini nähert sich der unglücklichen Primadonna und fängt, um ihr Zeit zu geben, sich zu sammeln, ihre Arie mit Sopranstimme an: aber statt die Noten im Fluge zu erhaschen, läßt die Sängerin ihren Stellvertreter fortfahren, lehnt sich schluchzend an seine Schulter und bleibt regungslos in dieser Stellung, bis Tamburini die Cavatine mit allen möglichen kühnen und glänzenden Fiorituren und Cadenzen zu Ende gesungen hat.