Aus dem Paradies der Schlittschuhfahrer

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Autor: Ferdinand Worthmann
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Titel: Aus dem Paradies der Schlittschuhfahrer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 75–77
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Aus dem Paradies der Schlittschuhfahrer.


Von Zeit zu Zeit pflegt am Himmel unserer verwöhnten unternehmungslustigen Touristen, die wie das Publicum im „Faust“ „entsetzlich viel gesehen haben“, ein neues interessantes Reiseziel aufzutauchen, das dann schon deshalb alle anderen Tummelplätze ihrer Wanderlust in Schatten stellt, weil es den Reiz der Neuheit vor jenen voraus hat. So kam vor einigen Jahren für die sommerlichen Pilgerfahrten der Söhne Albion’s Norwegen in die Mode, und auch das nördliche Afrika übt gegenwärtig auf die strebsamen Besitzer wohlgespickter Börsen eine wachsende Anziehungskraft aus. Nun wohlan, hier habe ich etwas Neues für die Feinschmecker in der Touristenwelt! Aber nicht allein für Diese. Wer sehen will, mit welchen Reizen die Eisfahrt Klopstock’s kühnste Bilder übertreffen kann, wer Zeuge sein will eines in mannigfaltigen Zügen durchaus originellen Volkslebens, vor Allem aber wen es lockt, selbst theilzunehmen an diesem frischen und bunten Treiben, den lade ich zu einer Winterfahrt nach dem nördlichen Holland, namentlich nach Frieslands Hauptstadt (Leeuwarden), ein!

In Wahrheit, der Deutsche, der die Eislust in Holland nicht gesehen hat, der weiß in der Regel kaum, was Schlittschuhfahren heißt. Wohl mag er in dem Boulogner Gehölz weit reichere, mehr blendende und phantastische Schaustellungen gesehen haben, die Pracht glänzender Schlitten und Trachten, den Zauber nächtlicher Feste. Auch rathen wir ihm, will er anmuthig und kunstgerecht Schlittschuh fahren sehen, so muß er nicht nach Holland kommen. Die Grazie und der Holländer leben auf gespanntem Fuße: wie er der schlechteste Tänzer in Europa ist, so versteht er sich auch durchaus nicht auf die kunstvollen Bogen und Achte, welche der Stolz deutscher und angelsächsischer Stahlschuhkämpen sind. Schon seine Schlittschuhe, die friesischen wenigstens, eignen sich nur zum Schnelllauf (hardrijden). Aber in anderen Beziehungen sind wir deutsche Eisfahrer wahre Kinder gegen ihn. Als ich noch Gymnasiallehrer in Rotterdam war, las ich in der „Kölnischen Zeitung“ als etwas ganz Außerordentliches die Kunde von zwei jungen Männern, die irgendwo auf deutschen Flüssen an einem Tage acht Wegstunden zurückgelegt haben sollten. Das ist in Holland im eigentlichsten Sinne Kinderspiel.

An dem Tage, wo ich jene „Vermischte Nachricht“ aus dem rheinischen Blatte zu würdigen bekam, war ich Morgens über’s Eis nach Gouda gefahren, und als ich die ersten Häuser des Städtchens, das vier Stunden von Rotterdam abliegt, erreicht hatte, begegneten mir zwei meiner Schüler aus den unteren Classen, die bereits auf dem Rückwege waren. Bei uns in Deutschland besteht das Schlittschuhfahren hauptsächlich in der Kunst, in furchtbarem Gedränge auf engem Raum zusammengepfercht, einander hübsch auszuweichen. Gegen dies „Bahnfahren“ (baantje-rijden) hegt der Holländer eine unsägliche und wohlbegründete Verachtung. Wenn er auf’s Eis geht, zieht er Siebenmeilenstiefel an. Seine Bahn ist dann das Königreich der Niederlande, das überall von einem Canalnetz durchzogen wird, verhältnißmäßig etwa fünfzehnmal so groß wie die Canäle Preußens. In dem Zurücklegen unglaublicher Entfernungen besteht seine Größe. Eine achtstündige Fahrt, wie die von Rotterdam nach Gouda, der Stadt mit den herrlichen Kirchenfenstern, behandelt er als eine kleine Erholung, bei der weiter keine Ehre zu holen ist, als daß man die irdenen „Goudaschen Pfeifen“ mit ellenlangen, von Arabesken umflochtenen Stielen unversehrt heimbringt, zum Zeichen, daß man unterwegs nicht einmal die Bahn fallend gemessen hat. Zu dem Zwecke werden die Pfeifen in Gouda auf der Straße in Buden feilgehalten, und man kauft sich dazu einen Stock, an den ihrer vier mit Bindfaden befestigt werden, damit man sie besser tragen kann; nur die Bauern stolziren mit kurzen Pfeifchen daher, die sie in großer Zahl rings um ihre Pelzkappen gesteckt haben.

Doch, wie gesagt, solch ein Ausflug ist nicht der Rede werth. Ehrgeizige und unternehmungslustige Männer, die ihre Muskeln prüfen wollen, fahren an einem Tage von Rotterdam nach Amsterdam. In Groeningen habe ich einen Primaner gekannt, der Morgens um sieben Uhr auf Schlittschuhen aufbrach, Nachmittags um halbvier Uhr die zwanzig Stunden weit entfernte Stadt Zwolle erreichte und sich dort um vier Uhr auf die Eisenbahn setzte, um Abends bei seinen Eltern in Amsterdam zu sein. Auch nach dieser Richtung wird das Höchste in den nördlichen Niederlanden, in der Provinz Groeningen, vor Allem aber in Friesland, geleistet, wo die holländische Eislust ihre höchste Blüthe entfaltet. In Friesland giebt es förmlich ein Meisterstück im Schnelllauf, das Derjenige geleistet haben muß, der auf den Namen eines echten und gerechten Läufers Anspruch erheben darf. Ein Solcher muß die elf friesischen Städte an demselben Tage befahren haben. Man hat mir von einem Friesen erzählt, der an einem Tage fünfundvierzig Wegstunden zurücklegte; Morgens um fünf Uhr war er ausgefahren, und Abends um elf Uhr kam er heim. Ein mittelmäßiger Läufer rechnet eine Viertelstunde Fahrens auf eine Wegstunde; ein wohlgeschulter legt in derselben Zeit fast das Doppelte zurück.

Die größte Freude aber muß es gewähren, daß man sofort fühlt, wie man sich auf diesen Canälen inmitten einer nationalen Lustbarkeit befindet. Der Friesländer zumal wird mit Schlittschuhen an den Füßen geboren, so gut wie der Preuße mit einer kleinen Pickelhaube zur Welt kommt. Achtjährige Bauernjungen sieht man mit Vehemenz in der Spur ihres Erzeugers daherschießen, den deutschen Neuling durch die ausdauernde Schnelligkeit ihres Laufes beschämend. Sobald das Eis trägt, gerathen überall Städte und Dörfer in Aufregung. Der Verkehr auf den zugefrorenen Canälen ist in Friesland geradezu eine öffentliche Angelegenheit: die Gemeinden stellen Bahnfeger an, die als Zeichen ihrer Würde ein numerirtes Band um den Arm geschlungen tragen, und man behauptet, daß durch diese Biedermänner selbst die unvermeidlichen Spalten im Eise sorgfältig mit Wasser übergossen werden. In abgemessenen Entfernungen, namentlich an jedem Deichübergange, halten sie Wacht; sie kennen jedes Gesicht, das an ihnen vorüberfährt, und wenn man den schuldigen Cent (zwei preußische Pfennige) nicht in Bereitschaft hat, so geben sie gern Credit, bis man am Abend zurückkehrt. Aber wehe Dem, der sie um ihren wohlerworbenen Lohn zu kränken sucht! Schneller, als ihn der Stahlschuh vorüberträgt, ist ihm ihr rächender Besen kunstgerecht zwischen die Beine gefahren, daß der Vermessene krachend dahinstürzt.

Zwischen diesen eifrigen Wärtern der Bahn tummelt sich eine freudige Menge auf und nieder. Jeder hat sich mit seinen Bekannten zu irgend einer größeren oder kleineren Tour aufgemacht, deren Ziel regelmäßig eine benachbarte Ortschaft ist. Die jungen Männer laden die Mädchen ein, denen sie wohlwollen, wobei sich gewöhnlich zwei Pärchen zusammenthun – kleiner darf, außer bei Brautleuten und Geschwistern, solche Gesellschaft nach der Landessitte nicht sein. Oft sieht man aber auch eine Reihe schmucker Bursche daherkommen, während sich die ländlichen Schönen allein ohne Freund und Beschützer hinauswagen. In den Provinzen Nord- und Südholland, überhaupt in den südlichen Niederlanden ist die Sitte weit stiefmütterlicher gegen das junge Volk: dort dürfen die Damen der besseren Stände sich höchstens an abgelegenen Orten, in dem Park einer Freundin oder dergleichen, auf Schlittschuhen zeigen.

In Friesland hat sich für die Schlittschuhfahrer eine eigenthümliche, aber malerische Tracht ausgebildet: Rock mit kurzen Schößen, die der Bewegung die größte Freiheit gestatten; kurze Hose von schwarzem Sammet und über dem Knie mit schwarzseidenen, langflatternden Bändern zusammengebunden; blaugraue lange Strümpfe, Pelzmütze ohne Schirm und Stiefeletten. Gewöhnlich sieht man die Genossen der Lustbarkeit dicht hintereinander in einer Reihe daherfahren. Im eigentlichen Holland haben sie dabei einen langen, starken Stock unter dem rechten Arm durchgesteckt, auf den Jeder die rechte Hand legt. Solche Stöcke werden eigens für das Eisvergnügen angefertigt, sind bei den Kurzwaarenhändlern feil, dunkel angestrichen und an jedem Ende mit einem Knopf versehen. In Friesland und Groeningen kennt man diese Stöcke nicht, hier stützt man eine Hand auf den Rücken, und der Hintermann legt seine Rechte fest hinein; so bildet sich die Reihe, und so führt auch jeder Ritter seine Schöne daher. Die Hauptsache bleibt die große Erleichterung, die Jeder in solcher Kette durch das tactmäßige Austreten und dadurch erfährt, daß der vorderste Läufer den Gegenwind bricht. Die geübtesten Renner [76] pflegt man an die Spitze zu stellen, wo sie dann mit einander abwechseln. Ein anderer Vorzug ist der, daß jeder Begegnende solchen Ketten respectvoll aus dem Wege geht, während in anderen Fällen das Eisrecht (beim Entgegenfahren rechts auszuweichen, links beim Ueberholen) von ungeschickten oder rücksichtslosen Gesellen wohl einmal mißachtet wird.

Der Leser ist jetzt hinlänglich orientirt, daß ich ihn einladen kann, mich auf zwei kleinen Eisreisen zu begleiten, die uns das eine Mal durch den Süden, das andere Mal durch den Norden der Niederlande führen sollen.

Ein sonniger Wintertag liegt heute auf den Landseen bei Rotterdam; aber um dem deutschen Gast die ganze Herrlichkeit unseres Eislebens zu zeigen, brechen wir erst in der Mittagsstunde auf. Ein wahres Jahrmarktsleben ist es, was die Ufer des nächstgelegenen Sees umwogt. Ganze Reihen von Buden mit allerlei Eßwaaren und Leckereien, Glücksräder, Caroussels, ja die unvermeidlichen photographischen „Ateliers“ haben sich hier angesiedelt. Zwischen ihnen, auf breiter glatter Bahn, wiegen sich die Schlittschuhläufer unter den musternden Blicken der Rotterdamer Damenwelt, die heute dem schönen Tag zu Ehren vollzählig und in eleganter Wintertracht erschienen ist. Aber ihre blauen Schleier sieht man hier niemals über einem Paar rascher Schlittschuhe wehen, und auch den Handschlitten, hinter welchem deutsche Ritterlichkeit sich so gern im Schweiße ihres Angesichts abmüht, hat die Sitte überall in den Niederlanden vom Eise verbannt. Aber welch seltsames Ungethüm kommt drüben mit Windeseile dahergebraust? Das ist ein Eiskahn, eine berechtigte Eigenthümlichkeit dieser südlichen Provinzen. Seine Einrichtung ist einfach: ein großer Segelkahn wird auf einem Schlittengestell, das an allen Seiten über den Kahn hinausragt, befestigt. Wir zahlen einen Cent und steigen ein. Das Segel wird gehißt, – jetzt hat es den Wind gefangen, und in rasender Flucht stürmen wir über die freie, spiegelblanke Fläche dahin. Plötzlich ein Ruck am Steuer! Im Bogen schießen wir auf das Ufer los, und einen Augenblick sieht es aus, als wollten wir dort ein Fischerhäuschen einrennen. Aber der Steuermann versteht sein Fach: wir beschreiben einen weiten Kreis, dann einen zweiten, engeren, während unsere Fahrt immer langsamer wird, bis wir bei der dritten Kreisschwenkung still liegen. Wie es hier betrieben wird, gewährt solche Eisbahnpartie ein kurzes, eintöniges Vergnügen, und da man dabei unter allen Umständen eine barbarische Kälte auszustehen hat, so wird es auch von den Eingebornen nur wenig cultivirt.

Doch jetzt sagen wir dem städtischen Gewühl Lebewohl. Den Eisstock unter dem Arm, bewegen wir Drei uns im Gleichtact dort entlang, wo nur einzelne Läufer und die zu beiden Seiten der Bahn warnend aufgepflanzten Binsen und Stöcke uns den Weg nach Gouda weisen. Während wir weiter eilen, dann und wann an Verkaufsständen von Anismilch, Kaffee und Rum vorüber, wecken unsere Schritte auf der Fläche des Sees jenen so ganz eigenthümlichen „wehklagenden Todeston“, wie ihn der Dichter nennt, an den kein anderer Laut auf Erden gemahnt. Wie schauerlich es auch klingen mag, gefahrkündend ist der Ton so wenig, wie das gelegentliche Splittern und Krachen des Eises unter unseren Füßen, bei dem wir wohlgemuth an das clevische Sprüchwort denken „Kraachies is keen Brächies.“ (Kracheis ist kein Brecheis.) In wiegendem Gang kommt eine Kette von Bauernburschen daher, im Sonntagsstaat, die Pelzkappe auf dem Ohr. Gestern sind nach dem Städtchen, dem wir zueilen, Tausende von Landleuten über’s Eis zu Markte gefahren, und selbst heute lassen große, hochbepackte Handschlitten uns errathen, welch ein bedeutender Theil des localen Verkehrs durch den erstarrten Wasserweg vermittelt wird. Diese jungen Bursche aber tragen sich heute mit festlichen Gedanken: drüben am Wege werden sie bald mit den ländlichen Schönen zusammentreffen, die vor einer Viertelstunde mit städtischen Hüten und flatternden Bändern an uns vorübergesegelt sind; da wird denn bei Seidel und Faß hoch gelebt, bis der späte Abend die ganze Gesellschaft in süßem Verein heimwärts führt, und zwar abermals, trotz Spalten und Risse, über die schwach glänzende Eisfläche.

Wir sind an einem Deich angelangt, der hier zwei Landseen scheidet, und über den beflissene Bahnfeger eine leichte Brücke gezimmert haben. Hülfreich bieten sie dem Ungeübten in dergleichen Kletterkünsten die Hand. Hat nun Jeder von uns dem Bahnwärter den schuldigen Wegezoll gereicht, so kann’s und soll’s richtig weiter gehen. Aber der Wind, der uns gerade entgegen weht, hat sich bis zum Sturm gesteigert, und lange arbeiten wir uns mühsam hinauf, dennoch den Vortheil preisend, den unser Associationsprincip uns gegen andere, vereinzelte Läufer gewährt. Doch der folgende See hat eine Revanche für uns in Bereitschaft. Hier haben wir den Wind im Rücken, und indem wir getrennt weiterfahren, erproben wir mit Behagen, wie wir jetzt selbst dann noch ziemlich rasch dahin treiben, wenn wir im dolce far niente mit geschlossenen Füßen den Ueberrock als Segel benutzen. Diese mühelose Bewegung darf uns einen Augenblick ergötzen, dann aber winkt eine bessere Lust. Mit voller Kraft streichen wir aus, und vom Sturm getrieben jagen wir bald über die spiegelglatte, schwarzgrüne Fläche mit der Schnelligkeit eines Eisenbahnzuges daher. Solch ein Flug, bei dem man kaum noch den Vogel in den Lüften beneidet, hat etwas Berauschendes – trotzdem, oder vielleicht um so mehr, als man sich bewußt ist, daß, wenn man jetzt zu Falle käme, „nicht ein Knochen heil bliebe!“ – Wir aber gelangen glücklich an’s Ziel, und nachdem wir den Yssel-Canal durchmessen, fahren wir in Gouda ein, um uns des Gedankens zu freuen, daß wir zum ersten Male in unserem Leben vier Wegstunden auf dem Eise zurückgelegt haben, und zwar – für Anfänger ganz respectabel, zumal wenn man die Deichübergänge in Betracht zieht – in fünf Viertelstunden. Nach einstündiger Rast, „durch des Halmes Frucht und Labe des Weines“ gestärkt, treten wir den Rückweg an, indem wir, Jeder mit vier Gouda’schen Pfeifen, allen Fährlichkeiten der Eisbahn auf’s Neue Trotz bieten. Leider muß ich hier wahrheitsgetreu berichten, wie der eine der Gefährten unterwegs von einem tölpelhaften Bauern angerannt wurde, bei welchem Zusammenstoß die städtische Bildung unterlag und zu Falle kam, während der stämmige Landmann, der durch seine Verachtung ehrwürdiger Eisgesetze dies Unheil herbeigeführt hatte, hohnlachend seinen Weg fortsetzen konnte. Dabei ging nun leider der Stolz des so Betroffenen, die langen Thonpfeifen, in klirrende Scherben. Der zweite der Genossen bringt seine Trophäe glücklich heim; er schnallt die Schlittschuhe ab, gleitet aber auf den wenigen Schritten zum Ufer aus und sieht sein Glück im Hafen untergehen. Mir allein war es beschieden (erröthend gesteht es meine Bescheidenheit), das Siegeszeichen in meine Gemächer heimzuführen, wo es noch vier Wochen lang vor dem Spiegel geprangt hat. – Der Abend wurde durch ein festliches Mahl beschlossen, bei dem ein Appetit die Schüsseln würzte, wie wir ihn früher höchstens nach einer wohlangewandten Fechtstunde gekannt hatten.

Der zweite Ausflug auf dem Eise, zu dem ich mir die Gesellschaft des geneigten Lesers erbitte, ward in Friesland und Groeningen unternommen. Wir hatten gehört, bei der Stadt Groeningen werde eine solenne Wettfahrt auf Schlittschuhen stattfinden, und in aller Frühe zogen wir aus, um dies für uns neue Schauspiel in seinem ganzen Glanze zu genießen. Denn wenn es auch kaum ein Dorf in den nördlichen Niederlanden geben mag, das nicht im Winter seine „hardrijderij“ ankündigt, so thun es doch die Hauptstädte Leeuwarden und Groeningen mit ihren reichen Mitteln allen anderen Ortschaften zuvor. Sobald der Frost anhält, wimmeln die Zeitungen von Ankündigungen, in denen die „Eisvereine“ großer und kleiner Ortschaften zu dem Feste laden; aber die meisten können den siegreichen Wettkämpfern keine höheren Preise gewähren als fünfzig, fünfundzwanzig und zehn Gulden etwa, während die Hauptorte der Provinzen durch einen ersten Preis von zweihundert bis zweihundertfünfzig Gulden eine ungleich größere Schaar von Mitbewerbern anzulocken vermögen. Von Nah und Fern strömen an solchen Tagen die Koryphäen der Stahlschuhkunst zu diesen eigenthümlichen olympischen Spielen herbei. Doch darf ich nicht verschweigen, daß diese Helden sammt und sonders der untern Volksclasse angehören: für einen Gentleman würde es nicht anständig sein, sich in dieser Weise zu betheiligen. Dieser begnügt sich damit, Mitglied des Eisclubs zu werden, wofür er dann mit seinen Damen zu allen Festlichkeiten Zutritt hat. Da der Jahresbeitrag sich in Groeningen, dessen Verein sechshundert Mitglieder zählt, auf zwei Gulden beläuft, so kann damit schon etwas geleistet werden, zumal nach einem Jahr, dessen milder Winter der Gesellschaft eine unfreiwillige Sparsamkeit auferlegt hatte. Bei den meisten Wettfahrten ringen nur Männer um den Preis, mitunter laufen Männer und Frauen paarweise, indem je ein Mann eine Frau hinter sich führt; selten [77] Frauen allein. In Groeningen wurde einmal eine Wettfahrt für Knaben veranstaltet, bei der aber sofort wieder jener aristokratische Unterschied zur Geltung kam: ich erinnere mich, daß über den einzigen Sohn anständiger Eltern, der aus Ehrgeiz an dem Preisfahren theilgenommen hatte, von Alt und Jung gewaltig die Nase gerümpft wurde.

Nach langer Fahrt liefen wir endlich in den Wallgraben der Festung Groeningen ein, wo das Schauspiel bereits um zehn Uhr früh begonnen hatte. Als Fremde hatten wir gegen einen mäßigen Betrag Zutritt, der allen Einwohnern der Stadt, welche nicht zu den Mitgliedern des Eisvereins zählen, beharrlich verweigert wird. Durch die tiefe Lage vor dem Winde geschützt, glänzte die Bahn, auf der sich die Wettläufer tummelten, so blank und glatt, wie die innere Fläche eines aus dem Eise gehauenen Blockes. Mit großer Sorgfalt wird sie so durch tagelang fortgesetztes Begießen und Kehren hergestellt, und sie gilt als ein Heiligthum, das außer den Kämpfern nur die Mitglieder des Vereinsvorstandes zu betreten berechtigt sind. Sie ist hundertfünfzig Ellen lang, so breit, daß sie zwei Schlittschuhfahrern nebeneinander bequemen Raum gewährt, und in ihrer ganzen Länge durch aneinander gelegte Stäbe, welche eine einzige gerade Linie bilden, in zwei gleiche Hälften getheilt. Dies Letztere geschieht, um zu verhüten, daß ein Kämpe dem andern in die Quere komme oder ihn sonst belästige. Ringsum ist die Bahn mit zahlreichen hohen Masten umsteckt, von deren Spitzen Flaggen und Wimpel in den blau-weiß-rothen Farben des Landes, in dem Orangegelb des Herrscherhauses und in den Farben der Stadt lustig in die Lüfte flattern. Diese Masten sind durch eine starke Umzäunung miteinander verbunden, an der sich das schaulustige Publicum drängt, namentlich in den Augenblicken, wo vom obern Ende der Bahn das Zeichen zu einem neuen Wettlauf gegeben wird. Dort hat der Vorstand sich eine kleine Bude zimmern lassen, neben der eine Hütte steht, in welcher das Paar, dessen Nummer gerufen wird, sich der Oberkleider entledigt. Alle laufen nämlich nur mit einem wollenen Hemd und Kniehosen angethan, um durch nichts in der freiesten und leichtesten Bewegung behindert zu sein. Die Frauen fahren – bedauere ich sagen zu müssen – in Unterröcken. Jedes Mal läuft ein Paar und die Nummern, welche die Reihenfolge bestimmen, werden durch das Loos gezogen. In den Pausen ertönt Musik aus einer großen Bude, die am Rande des Glacis neben dem Restaurationszelt aufgeschlagen ist. Bei diesen Klängen bewegen sich die Zuschauer, Herren und Damen, meist auf Schlittschuhen, auf der äußern Bahn munter umher, welche die innere, den Tummelplatz des Wettkampfes, in breitem Saume umgiebt.

Jetzt wird das Zeichen gegeben. Alles eilt an die Umzäunung. Da kommt das Paar dahergeflogen, jeder Schritt treibt sie auf dieser Spiegelfläche um mehrere Ellen vorwärts; die ganze Dauer der Fahrt zählt nur nach Secunden. An dem untern Ende der Bahn beobachten Mitglieder des Vorstandes, in der friesischen Eisfahrertracht prangend, zu beiden Seiten zwei leichtbewegliche hochragende Hebelarme, die sich genau in dem Moment senken, wo der betreffende Streiter die untere Bahngrenze passirt hat. So kann man schon von fern den Sieger erkennen. Bleibt der Sieg unentschieden, was selten vorkommt, so fährt dasselbe Paar ein zweites Mal. Dann kommt das folgende Paar an die Reihe, bis sämmtliche Kämpfer einmal gefahren haben; alsdann beginnt zwischen den Siegern der Wettstreit auf’s Neue. Natürlich sind die letzten Fahrten, welche die Entscheidung bringen, und bei denen die besten Läufer betheiligt sind, die interessantesten.

Das Ganze aber, muß ich ehrlich gestehen, gleicht doch gar sehr einem jener Gemälde, die man nicht allzu genau betrachten darf. Die Bewegungen der Wettfahrer, das sogenannte „Klouwen“, sind entschieden häßlich, selbst die Holländer geben das zu. Die Läufer, nur auf die größtmögliche Schnelligkeit bedacht, arbeiten, weit vornübergeneigt, mit kurzen raschen Stößen und rudernden Armen in einer Weise, die durchaus an zappelnde Frösche erinnert. Von dem wiegenden aufrechten Gange, den langhinschwebenden Bogen, welche die Schönheit des Schlittschuhlaufs bedingen, finden wir hier niemals eine Spur; und so dürfen auch die Vorübungen zu diesen Wettläufen keineswegs für eine gute Schule der edeln Eiskunst gelten. – Auf einzelne Preisläufer von Profession, die wohl einmal in einem einzigen Winter ein halbes Tausend Gulden einheimsen können, kommen ungezählte Andere, die hier den Keim zu tödtlichen Brustkrankheiten legen. Nach der furchtbaren Anstrengung, bei der Ehrgeiz und Lust am Gewinn jeden Nerv auf’s Aeußerste spannen, harren sie, in Schweiß gebadet, auf der kalten zugigen Bahn, bis ihre Nummer, vielleicht nach Stunden, auf’s Neue gerufen wird. Denn der Preiskampf dieser hundert bis zweihundert Bewerber, zu Mittag um einige Stunden unterbrochen, pflegt bis zum Abend anzudauern, wo dann die Sieger in feierlichem Aufzug, die Musik an der Spitze, nach dem größten Saale der Stadt geleitet werden, um auf den Händen des Vereinsvorstandes ihre Preise in Empfang zu nehmen. Hier fehlt es dann nicht an wohlgesetzten Reden, in denen die Sieger belobt, die minder Glücklichen zu neuen Anstrengungen angespornt werden. Bis tief in die Nacht bleiben die Mitglieder des Vereins mit ihren Damen schmausend und trinkend beisammen. Da jeder Winter, und nicht einmal jeder, nur ein oder zwei solcher Feste bringt, so geräth die ganze Stadt dabei in eine gelinde freudige Aufregung.

Der Vergleich mit den englischen Wettrennen liegt nahe. In beiden Fällen wird Schnelligkeit auf Kosten der Schönheit angestrebt, und in beiden kommen die Wettbewerber häufig zu Schaden, während ihre Kunst einer von Nah und Fern herbeiströmenden Menge ein Schauspiel gewährt, dessen anziehendstes Stück dennoch diese Menge selber und ihr fröhlich angeregtes buntfarbiges Treiben ist. Wer aber den englischen Reiter und sein Roß in ihrer Kraft und Glorie sehen will, dem bietet jede Fuchsjagd eine bessere Gelegenheit dar als der Derbytag. Aehnlich ist die beste Eislust der Holländer in dem täglichen Winterleben ihrer Seen und Canäle zu finden, und dorthin wollen wir denn auch die Freunde jenes edeln Stahlschuhsports geladen haben, von dem unsere Altvorderen sangen und sagten, ein Gott habe ihn auf die Erde gebracht.

Ferd. Worthmann.