BLKÖ:Staudinger, Joseph

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Staudinger, Anton
Band: 37 (1878), ab Seite: 267. (Quelle)
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Staudinger, Joseph (der erste Demonstrator der Darstellungen des Sonnen-Mikroskopes, geb. in Wien im Jahre 1811). Seine Eltern waren Wiener Bürger alten Schlages, gemüthlich, aber ungebildet und deßhalb nichts weniger als um Unterricht und Bildung ihres Sohnes besorgt, den sie, wie ihn Gott geschaffen, aufwachsen ließen. Der lebhafte und wißbegierige Knabe war somit auf sich selbst angewiesen und bei seiner großen Neigung zur Selbständigkeit war sein Sinnen und Trachten bald darauf gerichtet, sich selbst fortzuhelfen. Zum Jünglinge herangereift, übernahm er mit sehr geringen Geldmitteln kleine Lieferungen für das kaiserliche Aerar und ging mit soviel Geschick und Umsicht dabei vor und war darin so vom Glücke begünstigt, daß mit der steigenden Zunahme der Geschäfte sich auch von Jahr zu Jahr sein Vermögen vergrößerte. Seine Erfolge fanden Nachahmer, welche mit bedeutenderen Summen sich in die Sache warfen, so daß S., als er inne ward, mit diesen Geldmenschen doch nicht auf die Dauer rivalisiren zu können, allmälig seine Geschäfte abwickelte und selbst diejenigen, die er noch behalten mußte, an Unterpächter abgab. Indessen hatte er sich doch schon so viel erworben, um sich ganz zurückziehen zu können. In früher Zeit schon hatten den jungen Mann die Wunder des Mikroskops besonders angezogen; jetzt nun, da er Muße hatte, nahm er mit einem gewöhnlichen Mikroskop seine Beobachtungen vor, die er, jemehr er dieselben ausdehnte, um so sorgfältiger und anhaltender anstellte, wobei es natürlich vorkam, daß bei dem Eifer, mit welchem er die Dinge vornahm, sich ihm nicht selten Manches darbot, was bisher nicht beobachtet und also zuerst von ihm entdeckt wurde. Mit seinem Eifer für mikroskopische Beobachtungen wuchs zu gleicher Zeit seine Reiselust und da ihm denn doch die Mittel fehlten, dieselbe ohne weiters zu befriedigen. gerieth er auf den Gedanken, sich seine Reise bezahlt zu machen. Zu diesem Zwecke kaufte er das berühmte plastische Tableau der Stadt Wien, begab sich mit demselben auf Reisen, auf welchen er allmälig die größeren Städte Deutschlands und Dänemarks, Dresden, Leipzig, Hamburg. Kopenhagen u. s. w. besuchte. Während er nun einerseits überall sein plastisches Tableau aufstellte, knüpfte er andererseits Verbindungen an mit Künstlern und Gelehrten, wozu ihm seine Schaustellungen Gelegenheit darboten. Vor Allem suchte er Bekanntschaft mit Naturforschern und unter diesen vornehmlich mit Optikern. Einer derselben, ein Belgier Namens Colembier, lenkte der Erste S.’s Aufmerksamkeit auf das Sonnen-Mikroskop, das wohl bereits 1738 von Lieberkühn erfunden und auch in Gelehrtenkreisen sattsam bekannt war, dessen Leistungen aber bisher dem großen Publicum fremd geblieben waren. Mit der ihm eigenen Lebhaftigkeit griff S. diesen Gedanken auf, kaufte in Hamburg ein Instrument von vorzüglicher Güte, machte sich mit dessen Behandlungsweise vollkommen vertraut und, wurde bald die Beschäftigung mit demselben, wie er selbst sich auszudrücken liebte, „sein eigentliches Leben und sein Glück“. Nachdem er den Apparat und dessen Anwendung sorgfältig studirt, wollte er seine Demonstrationen dem großen Publicum vorführen. Die vergrößerenden Wirkungen des Mikroskops sind Jedermann bekannt. Bei dem Sonnen-Mikroskop wird der Gegenstand, der vergrößert werden soll, durch Knallgaslicht intensiv beleuchtet und das so vergrößerte [268] Bild fällt auf einen weißen Schirm. Wenn man nun bedenkt, daß die stärkste erreichbare Vergrößerung 1500fach ist, bei welcher man aber doch nicht mehr sieht als bei 450facher, und daß die so vergrößerten Gegenstände, ohne daß wir unser Auge erst an das Glas des Instrumentes zu bringen brauchen, vor und an der Wandfläche erscheinen, so läßt es sich wohl leicht begreifen, daß solche Darstellungen, dem großen Publicum bisher unbekannt, von demselben mit dem lebhaftesten Interesse aufgenommen wurden. S. selbst, an seiner Beschäftigung Freude und eine unerschöpfliche Quelle des Genusses und der Belehrung findend, suchte System in seine Darstellungen zu bringen. Während seiner Anwesenheit in Wien im Jahre 1846 ließ er nun daselbst ein besonderes Instrument anfertigen, welches, auf die sinnreichste Weise construirt, ihm zu Demonstrationen – nicht für das große Publicum, sondern zunächst für Männer vom Fach – diente, und in der That konnte er durch die präcise Weise, die er dabei beobachtete, auch dieselben befriedigen. Seine Beobachtungen und mannigfachen Entdeckungen zeichnete er sorgfältig auf, theilte sie Gelehrten und Männern vom Fache mit und unterhielt in dieser Weise einen regen wissenschaftlichen Verkehr, dessen Nutzen auf der Hand liegt. Lange Zeit verweilte S. in Wien, wo der Andrang zu seinen Darstellungen ein großer war. Es gab damals sogar eine Partei in Wien, welche diese Demonstrationen mit dem Sonnen-Mikroskop für eitel Humbug erklärte. Nun, wie das bei näherer Prüfung der Sache möglich, ist schwer zu begreifen. Das Publicum jedoch cultivirte durch Jahre diesen Humbug. Erst die politischen Ereignisse, welche zwei Jahre später den Continent aus den Fugen heben zu wollen schienen, drängten auch die Wunder des Sonnen-Mikroskops in den Hintergrund. Staudinger brach sein Zelt ab und war, so hieß es, nach Amerika gezogen. Unbestritten gebührt ihm dem Ersten das Verdienst, die Aufmerksamkeit des großen Publicums den geheimnißvollen Erscheinungen der Natur zugewendet und der Gedankenlosigkeit, die sich bisher gerade in dieser Richtung bei dem großen Haufen kundgab, einen Strich durch die Rechnung gemacht zu haben. Wenn die Sache nicht weiter ausgenützt wurde, wie es doch zu erwarten war, so tragen die Wirren der Zeit und die Indolenz jener Kreise daran Schuld, welche ein solches Bildungsmittel weiter zu benützen unterlassen haben. Die „Naturforschende Gesellschaft“ in Dresden hat über Vorschlag Dr. Petzhold’s, der ihr Secretär war, Staudinger unter ihre Mitglieder aufgenommen.

Allgemeine Theater-Zeitung. Herausgegeben von Adolph Bäuerle (Wien, gr. 4°.), XXXIX. Jahrg. (1846), Nr. 188, S. 752: „Joseph Staudinger und das Sonnen-Mikroskop“. Von Lyser.